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Verwirrte Väter
"Selbstverwirklichung
und Emanzipation auf Kosten der Partner ist eine traurige
Geschichte. Gut wäre, wenn es gelingen könnte, beide zu
ihrem Recht kommen zu lassen, kein Gegeneinander, sondern
ein Miteinander zu erstreiten. Dafür müssen die Sackgassen
des Feminismus klar benannt werden, ohne dass man in eine
patriarchale Reaktion verfällt. Die Frauen müssen sich
entscheiden, ob sie wie Männer sein wollen, oder ob beide
Geschlechter gemeinsam ein auf geteiltem Lebensglück
basierendes Gesellschaftsmodell entwerfen und
verwirklichen wollen. Denn um nichts Geringeres geht es
letztlich."
(2008, S.11) |
Einführung
Im Juni hat sich das Thema
des Monats mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen der
Väterforschung befasst
. Diesmal
soll es um ein Buch des Landesvorsitzenden der Grünen in
Schleswig-Holstein, Robert HABECK, gehen, der eine Politik für
moderne Väter vorschlägt. Der Verfasser lebt hoch im Norden an
der Grenze zu Dänemark, ist vierfacher Vater und
Schriftsteller, der Romane zusammen mit seiner Frau schreibt. Die
Grünen gelten inzwischen neben der FDP als Partei der
Besserverdienenden und der Politikwissenschaftler Franz WALTER
sieht die Zukunft der Grünen bei den "kulturell Kreativen" bzw. als "Motoren oder die Fermente
dessen, was man Wissensgesellschaft nennt"
. Auch
Gero NEUGEBAUER sieht die Grünen im oberen Drittel der
Gesellschaft bei den kritischen Bildungseliten und im
engagierten Bürgertum am stärksten verankert (Politische Milieus
in Deutschland, 2007).
Die
Grünen sind also alles andere als auf dem Weg zur Rentnerpartei,
die sich allein um die Interessen der alternden 68er
kümmert. Relativ geräuschlos hat sich ein Generationenwechsel
vollzogen. Das zeigt das vorliegende Buch. HABECK geht es um
Grundsätzliches zum Verhältnis von Arbeit und Leben, speziell im
Hinblick auf eine neue Wirklichkeit für Väter. Der Autor gehört zur
Generation Golf und spricht sicherlich auch die nachkommende
Generation an.
Um
es gleich vorweg zu nehmen, HABECK hat ein Buch verfasst, das
die kommende familienpolitische Debatte bereichern wird. Seine
Thesen sind anregend, denn selten plädierten Väter bislang so
konsequent für eine moderne Familienpolitik. Die
bisherige Debatte beherrschten die neuen Reaktionäre um Frank
SCHIRRMACHER, Udo DiFABIO, Matthias MATUSSEK oder Norbert BOLZ.
Selbstbewusste Gegenentwürfe moderner Väter waren bislang Fehlanzeige. Dies lag
auch daran, dass sich diese
Familiendebatte in bevölkerungspolitischen Grabenkämpfen erschöpfte. Die
Fronten haben sich seitdem verhärtet zwischen jenen, die vom Gebärstreik
sprachen und jenen, die mit dem Vorwurf des Zeugungsstreiks
konterten. Diese unproduktive Debatte hinter sich zu lassen und
ein neues Vaterbild zu umreißen, das ist das Verdienst von
HABECK, wie hier nun gezeigt werden soll.
Sind Väter die neuen Mütter?
Sollen Väter die neuen
Mütter sein, fragt der Philosoph Volker GERHARDT in der
Juli-Ausgabe der Zeitschrift SZ Wissen, in der er das
Elterngeld als Erfolg darstellt.
Verwirrte Väter
"Ein positiver Effekt
der neuen Regelung ist auch die gestiegene
Verantwortungsbereitschaft der Männer. Etwa zehn Prozent
aller Anträge auf Elterngeld stammen von den Vätern. Zwar
lassen sich die meisten von ihnen nur zwei Monate von der
Arbeit freistellen, um für ihr Kind zu sorgen, während die
Frauen ihrem Beruf sehr viel länger entsagen.
Aber es ist ein Anfang. Der Anteil der Männer dürfte in
Zukunft wachsen, auch wenn nicht anzunehmen ist, dass er
den der Frauen übersteigen wird. Auf welchem Niveau sich
die Verteilung der Geschlechter in der Elternzeit
einpendelt, sollten wir gelassen abwarten." |
Robert HABECK sieht die
Sache freilich anders. Das Elterngeld setze falsche Anreize,
sowohl armutspolitisch als auch frauen- und väterpolitisch ist
seine entschiedene Position:
Verwirrte Väter
"Seit
den ersten Auswertungen des Elterngeldes feierte das
Bundesfamilienministerium seine Erfolgsgeschichte. Es gibt
eine Zunahme von Vätern, die sich für Erziehungszeit
entschieden, nämlich von 3,5 % auf 10,5 % seit Einführung
des Elterngeldes.
Davon jedoch auf eine Veränderung der gesellschaftlichen
Wirklichkeit zu schließen, ist kühn und scheint etwas
kurzsichtig. Der Eindruck, dass nun 10 % der Väter sich
der Erziehung widmen, ist falsch. Von diesen 10 %
beanspruchten lediglich 18 % ein Elterngeld von 12
Monaten, 60 % nehmen nur die beiden Papa-Monate mit, was
arbeitsmarktpolitisch einem verlängerten Urlaub
entspricht. Bei den Müttern sind es fast 90 %, die für ein
Jahr Elterngeld beantragen, und weniger als 1 %
unterbricht nur für 2 Monate ihren Beruf.
In absoluten Zahlen engagierten sich also 10.278 Väter
über zwei Monate hinaus im Sinne des Familienministeriums.
Bezogen auf die Zahl aller Geburten in Deutschland von
634.350 sind das ca. 1,6 % der Väter, die ihren Beruf für
ein Jahr zurückstellten. Gleichstellung sieht anders aus."
(2008, S.31f.) |
Die Debatte um das
Elterngeld wird hier so breit erörtert, weil das Elterngeld, das
die rot-grüne Bundesfamilienministerin Renate SCHMIDT und auch
Ursula von der LEYEN in einer frühen Phase ihrer Amtszeit
unverändert einführen wollte, auf dieser Website in ähnlicher
Weise kritisiert wurde wie jetzt von HABECK. Ursula
von der LEYEN hat das Elterngeld, das am 01.01.2007 eingeführt
wurde, jedoch in wesentlichen Punkten modifiziert,
dass nun gar nicht mehr so sicher sei, wer die Gewinner und wer
die Verlierer sein werden. Inzwischen
liegen jedoch erste statistische Daten für das Jahr 2007 vor und es
können nun die tatsächlichen Wirkungen genauer in Augenschein
genommen werden. Die Aussagen von HABECK sollen deshalb mit zwei
Publikationen konfrontiert werden. Dem Dossier Elterngeld
(Stand: Februar 2008) und der Broschüre Familienland,
Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 22. Juli diesen Jahres
sind die folgenden Zahlen entnommen:
Tabelle: Bewilligte Anträge auf Elterngeld insgesamt und
für Väter für 2007 geborene Kinder in Deutschland |
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Bewilligte Anträge gesamt |
Bewilligte Anträge von Vätern |
Väter mit mehr als 2 (bzw. 12) Monaten Elterngeld |
1.
Quartal |
58.417 |
3.985
(6,8 %) |
50 % |
2.
Quartal |
199.715 |
17.058
(8,5 %) |
44 % |
3.
Quartal |
386.955 |
37.140
(9,6 %) |
43 % |
Januar 2007 - März 2008 |
719.621 |
87.379
(12,1 %) |
(15 %) |
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Quelle:
1.-3.Quartal Dossier Elterngeld; Januar 2007 - März 2008
Broschüre Familienland |
Die aktuell verfügbaren
Zahlen fallen im Vergleich zu HABECK (Die Zahl der
Lebendgeborenen wird für 2007 mit 684.862 angegeben) noch
ungünstiger aus, was den Anteil der Väter angeht, die 12
Erziehungsmonate bewilligt bekommen haben. Auf
der Basis der Elterngeldstatistik (Februar 2008) kommen Christine WIMBAUER & Annette HENNINGER im
Artikel Magd des Marktes in der August-Ausgabe der
Blätter für deutsche und internationale Politik zum
Ergebnis, dass zum einen "gering qualifizierte und wenig
verdienende Frauen die Verliererinnen der Reform sind" und zum
anderen weibliche Familienernährer die absolute Ausnahme
bleiben.
Magd des Marktes
"Väter,
die vor der Geburt des Kindes ein geringes oder kein
Einkommen hatten und daher nur eine niedrige Leistung von
bis zu 500 Euro erhalten, gehen zumeist länger in
Elternzeit: Ein Drittel dieser Gruppe nahm das Maximum von
zwölf Monaten in Anspruch. Männer, die 1500 Euro oder mehr
Elterngeld bekommen und zwölf Monate in Elternzeit gehen,
waren hingegen eine verschwindende Minderheit. Bei den
Frauen dieser gehobenen Einkommensgruppe zeigt sich ein
anderes Bild: Drei Viertel der Mütter mit mehr als 1500
Euro Elterngeld nahmen zwölf Monate in Anspruch, während
lediglich 298 (entsprechend 0,05 Prozent aller Elterngeld
Beziehenden), die hohe Leistungen erhielten, nur zwei
Monate in Anspruch nahmen. Weibliche Familienernährer
bleiben also weiterhin die absolute Ausnahme
(2008, S.73) |
Gemäß WIMBAUER & HENNINGER ist die Grundidee des Elterngeldes nicht die
"Gleichwertigkeit und Gleichverteilung von Erwerbs- und
Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen", sondern die "bloße
Angleichung weiblicher an männliche Lebensläufe".
Egalitäre Elternarrangements als
Ausgangsbasis einer neuen Familienpolitik
Auch Robert HABECK geht es
um eine egalitäre Arbeitsteilung zwischen den
Geschlechtern, weswegen er sowohl das
Elterngeld als auch einen falsch verstandenen Feminismus
ablehnt.
Verwirrte Väter
"Selbstverwirklichung
und Emanzipation auf Kosten der Partner ist eine traurige
Geschichte. Gut wäre, wenn es gelingen könnte, beide zu
ihrem Recht kommen zu lassen, kein Gegeneinander, sondern
ein Miteinander zu erstreiten. Dafür müssen die Sackgassen
des Feminismus klar benannt werden, ohne dass man in eine
patriarchale Reaktion verfällt. Die Frauen müssen sich
entscheiden, ob sie wie Männer sein wollen, oder ob beide
Geschlechter gemeinsam ein auf geteiltem Lebensglück
basierendes Gesellschaftsmodell entwerfen und
verwirklichen wollen. Denn um nichts Geringeres geht es
letztlich."
(2008, S.11) |
Was aber heißt egalitäre
Arbeitsteilung? Anneli RÜLING hat in ihrem Buch Jenseits der
Traditionalisierungsfallen 25 Elternpaare interviewt, bei
denen entweder beide Teilzeit arbeiten oder bei denen der Vater
einen Teil des Erziehungsurlaubes übernommen hat. RÜLING
unterscheidet drei egalitäre Arrangements von Arbeit und Leben:
1) beide Partner streben
ein ausbalanciertes Verhältnis von Arbeit und Leben an,
2) beide Partner sind erwerbszentriert,
3) beide Partner sind familienzentriert.
Davon unterscheidet sie
zwei Formen der spezialisierten Arbeitsteilung, d.h. die
traditionelle Hausfrauenehe und der Rollentausch. In
seinem Buch Verwirrte Väter setzt sich HABECK mit diesen
unterschiedlichen Elternarrangements auseinander. Im
Mittelpunkt dieser "neuen" Perspektive geht es also nicht mehr
um die Lebenssituation Alleinerziehender, die
traditionell bei den Grünen der 68er-Generation im
Mittelpunkt stand, sondern das Elternpaar ist wieder denkbar geworden.
Dieser Wandel von der Single(-Mutter)- zur Familienpartei
datiert auf das Jahr 2001 und die Revolte im Pfarrhaus
. Im Jahr 2003 hat
Norbert BOLZ in seiner Verteidigung der Managerehe, also der
modernen Form der patriachalen Familie, die Wertehierarchie
des rot-grünen Zeitalters folgendermaßen umrissen:
Produktion und Reproduktion
"Höchste
Wertschätzung genießt das berufstätige Paar mit ganztägig
betreutem Kind. Dann folgt die alleinerziehende Mutter;
sie ist die eigentliche Heldin des rot-grünen Alltags. Nun
die Singles und die Dinks (double Income, no kids). Am
unteren Ende der Werteskala rangiert die klassische
Familie mit arbeitendem Ehemann und Mutter/Hausfrau." |
Bereits damals wurde von
single-generation.de darauf hingewiesen, dass Singles
nicht mehr den Stellenwert haben, den BOLZ ihnen zugewiesen hat
. Inzwischen dürfte
das auch dem Letzten klar geworden sein. Der
Politikwissenschaftler Stephan LESSENICH spricht in einem
aktuellen Zeit-Artikel von einem "neosozialen" Umbau des
Sozialstaats, den Rot-Grün mit der Agenda 2010 in Gang gesetzt
hat
.
Der neosoziale Umbau des Sozialstaats
"Hinter den
»aktivierenden« Sozialreformen verbirgt sich mehr: die
Umkehrung der Verantwortungs- und Verpflichtungs-, ja
»Schuldverhältnisse« zwischen Individuum und Gesellschaft.
Nicht mehr die Allgemeinheit fühlt sich für das Wohl des
Einzelnen verantwortlich, sondern dieser schuldet jener
eigene Aktivitäten in sozialer Verantwortung."
(Die Zeit Nr.34 v. 14.08.2008) |
HABECK weist dem Staat
demgemäß die
Aufgabe zu "Lebensplanungen von Menschen abzuwägen und zu
ermöglichen und gesellschaftliche Bedingungen auszutarieren". Wo
aber sind die Grenzen? Derzeit
ist viel von der Rückkehr des Staates bzw. der
"Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft" die Rede. Welche
Lebensformen sollen also gefördert werden? Es sieht ganz danach
aus, dass diese Fragen den nächsten Bundestagswahlkampf
entscheidend prägen werden.
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