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Die männliche Ernährerrolle ist nicht die
Lösung, sondern das Problem der Familiengründung
Im Zusammenhang mit der
Einführung des Elterngeldes hat sich gezeigt, dass weibliche
Familienernährer weiterhin die Ausnahme sind. HABECK sieht das
Problem im Vaterbild von Mann und Frau, das zur Tradierung der
alten Rollenklischees beiträgt.
Verwirrte Väter
"Aus
eigener Erfahrung kann ich unterstreichen, dass jeder
Mann, der Vater wird, und sei er noch so lebenslustig und
experimentierfreudig, sich plötzlich einer großen,
historisch ererbten, fast metaphysischen Verantwortung
gegenübersieht, nämlich für seine Familie zu sorgen.
Plötzlich und irgendwie überraschend ist es da, das große
Gefühl, das vor allen Dingen Männer haben. Frauen weichen
diesem Druck offensichtlich und statistisch nachweisbar
aus, indem sie ihn ebenfalls auf den Mann übertragen.
Beide Geschlechter verhalten sich angesichts
existenzieller Ernährungsfragen analog der historischen
Rollenmuster. Der theoretisch hochgehaltene
Emanzipationsanspruch bricht dann schnell zusammen. Ich
jedenfalls kenne eine Reihe von Paaren, in denen die Frau
ihrem Partner nach der Geburt des Kindes
unmissverständlich gesagt hat, dass jetzt die Zeit des
Lotterlebens, der Minijobs und des Prekariats vorbei zu
sein habe und die erste Vaterpflicht sei, Kohle
ranzuschaffen. Und alle Frauen, die das sagten, waren
selbständig, berufstätig und stark. Oft verdienten sie
mehr als ihre Männer. Dennoch wurde die
Geld-Verdiener-Frage bei den Herren der Schöpfung
festgemacht. Und die nahmen sie willig auf. Moderne Väter
erfordern offensichtlich auch moderne Frauen."
(2008, S.21f.) |
Meike DINKLAGE, Jahrgang
1965, also nur 4 Jahre älter als HABECK, klagt in ihrem Buch
Der Zeugungsstreik darüber, dass den kinderverweigernden
Männern zu wenig Beachtung geschenkt wird. Sie hat diese Gruppe
der Zeugungstreikler bei den 1960 bis 1970 Geborenen
festgemacht, also den Altersgenossen von HABECK.
Der Zeugungsstreik
"Während
die jüngeren Männer Studien zufolge wieder mehr Treue und
Bindung suchen und eher bereit sind, sich zusammen mit der
Frau für ein Kind zu engagieren, sind die Männer Mitte
dreißig bis Mitte vierzig eine Art Zwischengeneration: Sie
haben gelernt, dass Frauen im Berufsleben erfolgreiche
Konkurrentinnen sind und klammern sich deshalb an ihre
althergebrachte Rolle des Ernährers, um ihre letzte Domäne
zu verteidigen.
Zugleich ist diese Generation auf der Suche nach sich
selbst. »Diese Männer sind noch ganz den
Selbstverwirklichungszielen der späten Siebziger
verhaftet«, so der Psychologe Oskar Holzberg. »Und sie
plagt die Vereinnahmungsangst: Da gibt es die Vorstellung
vom Kind, das dem Mann die Luft zum Atmen nimmt.«"
(2005, S.27) |
Das Buch von HABECK kann
also auch als eine Antwort auf das Buch von Meike DINKLAGE und
die daran anknüpfende Debatte gesehen werden. So
hat z.B. Petra KOHSE in der taz vom 07. März 2006 diese
männliche Zwischengeneration im rot-grünen Milieu von
Akademikern und Freiberuflern verortet, die erst spät Kinder
bekommen hat. KOHSE sieht hinter der Verbürgerlichung, die im
Feuilleton unter dem Begriff "neue Bürgerlichkeit" läuft, eher
eine "Familienimprovision". Wenn
HABECK dafür plädiert, Vaterschaft nicht mehr als Rolle, sondern
als Vaterarbeit zu sehen, dann haben wir hier den
Schnittpunkt einer Kontroverse zwischen den Geschlechtern, die
wohl noch einigen Zündstoff liefern dürfte. Aus der Sicht von
KOHSE stellt sich das Problem der Übernahme der Ernährerrolle
folgendermaßen dar:
Ich-Bewirtung im Hort der Werte
"Bürgerlicher
Lebensstil setzt eine finanzielle Grundsicherung voraus,
die heute nur den wenigsten Familien gegeben ist. Es ist
ja diese Zwischengeneration, die ihr Abitur im Westen mit
den Parolen »Null Bock« und »No future« gemacht hat, und
wenn sie von ihren eigenen (bürgerlichen) Eltern nicht
dazu getrieben wurden, ist es ihnen vor ihrer
Familiengründung einfach nicht darum gegangen, etwas
Bestimmtes zu erreichen in der so genannten Gesellschaft.
Einen Job kriegen ja, aber bitte ohne Affirmationszwang.
Werbung oder so, das wäre noch in den Neunzigern niemals
gegangen. Man wollte in latenter Kritikbereitschaft am
Rande stehen bleiben können, besser noch: eigene
»Projekte« machen, etwas mit Zielgruppenrelevanz, bloß
nichts Repräsentatives. Wobei nichts Kämpferisches in
dieser Verweigerung lag. Sondern lediglich der Wunsch,
weitgehend identisch zu sein mit dem, was man tat. Und
natürlich: das Fehlen eines überpersönlichen Ziels.
(Entsprechende östliche Biografien unterscheiden sich im
Weg und in der Motivlage, aber das Ergebnis ist
verblüffend oft das gleiche.)
Mit den Kindern nun brach das Realo-Denken ins Leben ein.
Angesichts der Notwendigkeit, nicht mehr nur sich selbst
über die Runden bringen und irgendwie auch Vorbild sein zu
müssen, schmolzen die geringen ideologischen, aber auch
die beträchtlichen formal-ästhetischen Vorbehalte gegen
die meisten lukrativen Tätigkeiten recht schnell. Dass
ebenjene (die lukrativen Tätigkeiten) seit Ende der
Neunziger in ungefähr der gleichen Geschwindigkeit selbst
hinwegschmelzen, tritt der tatsächlichen Eingliederung
dann allerdings ebenso entgegen wie der Umstand, dass man
als Kinderhauptverantwortliche(r) nur den kinderbetreuten
Teil des Tages dafür zur Verfügung hätte. Weswegen es mit
dem eigenen Garten bislang nichts geworden ist.
Trotzdem lässt sich sagen: Die Familiengründung hat zu
einer positiveren Einstellung zur Priorität des
Geldverdienens und damit letztlich zum System geführt.
Nicht umgekehrt."
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Es erstaunt angesichts
dieser Einschätzung wenig, wenn HABECK für ein Grundeinkommen
plädiert und der Szenebestseller
Wir nennen es Arbeit von
Holm FRIEBE und Sascha LOBO als Beispiel für die
Prekarisierung
der Arbeitsverhältnisse von Akademikern und
die Reize eines Lebens jenseits der Festanstellung genannt wird.
Die Verunsicherung in der neuen Mitte ist ja in den
letzten beiden Jahren nicht weniger geworden, sondern hat
deutlich zugenommen. Aber HABECK spricht mit
seinem Buch natürlich nicht nur diese
Generation
Umhängetasche, also die Speerspitze der
Langzeitadoleszenten, an.
Nicht nur für Mütter, sondern auch für
Väter gibt es nun das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie
Im Gegensatz zu DINKLAGE
führt HABECK die Kinderlosigkeit der Männer nicht auf
eine Verweigerungshaltung zurück, sondern auf die Widersprüche
und Erwartungen an die Vaterrolle. Das erste Kapitel seines
Buches ist deshalb einer Bestandsaufnahme gewidmet, die Väter
zwischen Geld, Zeit und Ansprüchen sieht. Männer
bleiben dann kinderlos, wenn sie erkennen müssen, dass ihre
Lebenssituation es nicht zulässt, ein guter Vater zu sein. Man
könnte sagen, dass inzwischen nicht nur an die Mütter, sondern
auch an die Väter höhere Anforderungen gestellt werden. Eine
solche Sicht ist durchaus plausibel. Dies hieße dann: nach der
Mutterschaft, bei der Elisabeth BECK-GERNSHEIM bereits in den
1980er Jahren in den hohen Anforderungen das eigentliche Problem sah, steht
nun auch die Vereinbarungsfrage von Beruf und Familie für die
Männer an. Diese
neue Situation ist die Konsequenz einer historischen Entwicklung,
die im Übergang vom Ethos der Industriegesellschaft zum Ethos
der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft auftritt. Die Akademisierung der Erwerbsarbeit ist erst durch
die Bildungsexpansion seit den 1960er Jahren in Gang gesetzt
worden. Und erst in den 1990er Jahren drängten Frauen derart
massenhaft in professionelle Berufe, dass die Rede von der Single-Gesellschaft
und neuerdings von der Generation Kinderlos
in den Mittelpunkt der familienpolitischen Debatte rücken konnte.
Im
zweiten Kapitel seines Buches zeichnet HABECK die historische
Entwicklung der Vaterschaft nach. Er kann dabei auf die
neuere Väterforschung zurückgreifen. Im Juni dieses Jahres
wurden diese neuen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung
auf single-generation.de bereits vorgestellt
. HABECK
geht es insbesondere um die Veränderungen des Vaterbildes im
Zusammenhang mit den jeweiligen gesellschaftlichen
Veränderungen. Diese Geschichte wird pointiert zugespitzt.
Angefangen bei der antiken Autorität des patriarchalen Vaters
führen die diversen
gesellschaftlichen Entwicklungen zur Untergrabung der
väterlichen Autorität. Es
ist sicherlich übertrieben, wenn behauptet wird, dass die
Wandlungen der letzten 40 Jahre bedeutsamer waren als jene der
ganzen letzten 200 Jahre. Wer es differenzierter haben möchte,
der muss schon wissenschaftliche Literatur, z.B. von Barbara
DRINCK ("Vatertheorien", 2005) zu Rate ziehen. Nichtsdestotrotz
ist diese Sichtweise anregend und bietet genügend Stoff für
hitzige Debatten. Es zeigt sich, dass z. B. nicht Mathias MATUSSEK die Rede von der vaterlosen Gesellschaft
erfunden hat und auch nicht Alexander MITSCHERLICH, sondern
bereits 1919 schrieb Paul FEDERN über die vaterlose
Gesellschaft.
Es ist sicher auch kein Zufall, dass dies in
genau jenem historischen Moment geschah als zum ersten Mal in
Deutschland der Geburtenrückgang zum Thema wurde
. Dieser Aspekt
bleibt nicht nur bei HABECK, sondern auch bei allen anderen
Sachbüchern der neueren Zeit unterbelichtet.
Zu
diskutieren wäre auch die Rolle der Individualisierung,
bei der HABECK zu sehr dem Soziologen Ulrich BECK aufsitzt.
Mittlerweile zeigt sich, dass so manche Sicht revidiert werden
muss, aber das schmälert nicht die Leistung von HABECK. Die
Darstellung der Geschichte kumuliert in der Behauptung, dass die
lange schwelende Krise der Vaterschaft Ende des 20. Jahrhunderts zum Ausbruch
gekommen ist.
Verwirrte Väter
"Die
niederländische Wissenschaftlerin Trudie Knijn sieht die
zwei Jahrhunderte alte Krise der Vaterschaft zum Ende des
20. Jahrhunderts zum Ausbruch kommen und zwar gerade
nicht, weil die Väter Opfer gesellschaftlicher
Transformationen sind, sondern weil sie sich zu
veränderten Rollen bekennen. Väter versuchen nicht mehr,
ihren Autoritätsverlust durch Schein-Mächtigkeit zu
kaschieren, sondern bekennen sich zu einem Weniger und
suchen sich eine neue Rolle, die wiederum eine neue, aber
dann ganz andere Autorität begründen kann. Wenn, wie Knijn
schreibt, Väter ein »Coming-out« durchmachen, dann
bedeutet das vor allen Dingen dreierlei: Erstens
betrachten sich Väter als subjektive Individuen, nicht als
Rollenfiguren, und versuchen, sich deshalb über ihre
eigenen Empfindungen und Erwartungen klar zu werden. »Was
ist ein guter Vater?« ist eine Frage, die in einer
emanzipierten Familie nicht mehr durch das Monatseinkommen
beantwortet werden kann. Zweitens bedeutet es, sich zu
diesem neuen Selbstverständnis auch öffentlich zu
bekennen, gegenüber seiner Partnerin wie gegenüber seinem
Chef, den Nachbarn, Freunden, den eigenen Eltern. Und
drittens bedeutet es, diesen Schritt gesellschaftliche
Normalität werden zu lassen."
(2008, S.97f.) |
Der Ausbruch der Krise ist
- wie weiter oben
bereits angesprochen - dem massenhaften Andrang der
Frauen in professionalisierte Berufe, aber auch in die
Medien geschuldet. Denn dies geschah in einem historisch extrem
kurzen Zeitraum, der mit mancherlei Überforderungen für beide
Geschlechter einherging.
Exkurs: Generation Kinderlos - oder: In
Siebenmeilenstiefeln vom gesellschaftlichen Gebärverbot zum
Gebärzwang
Die dauerhafte
Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen wurde in der
bevölkerungspolitischen Debatte der vergangenen Jahre
überschätzt. Selbst bei HABECK findet sich noch die Behauptung,
dass 40 % der Akademikerinnen kinderlos bleiben. Günter
KEIL & Gisela BRUSCHEK haben ihr Buch über Kinderlose auch
deswegen Generation Kinderlos genannt, weil
Akademikerinnen der Generation Golf besonders oft
kinderlos seien
. Seit
Dezember 2006 liegen aber erste Erkenntnisse über die
tatsächliche Dauerhaftigkeit der Kinderlosigkeit vor. Offenbar
ist die These besonders einleuchtend oder brauchbar für die
Durchsetzung spezieller Interessen, sodass sie auch in der
Wissenschaft bis vor kurzem die unhinterfragte Interpretationsfolie
für den demografischen Wandel blieb.
In
der aktuellen Juni-Ausgabe der Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie kritisiert der Soziologe
Walter BIEN vom Deutschen Jugendinstitut in München in einer
Rezension zweier Fachbücher zum demografischen Wandel die
verbreitete Praxis der Stimmungsmache mit tendenziösen
Äußerungen. Er plädiert dafür solche übertreibende Rhetorik zum
Gegenstand von Lehrveranstaltungen zu machen, um die
"angestrebte Wirkung mit dem Wirklichkeitsgehalt der angeführten
Thesen Stück für Stück zu vergleichen und zu bewerten". Sowohl
die allgemeine als auch die spezielle Kinderlosigkeit von
Akademikerinnen wird gemäß BIEN überschätzt.
"So werden die Zahlen für die Kinderlosigkeit des
Jahrgangs 1965 mit 31 Prozent angegeben (...). Laut
neuesten Angaben (Statistisches Bundesamt 2007:12) sind
sie deutlich niedriger (Jahrgänge 1962-1971: 23 Prozent
kinderlose Frauen) Leider liegen erstmals im Dezember 2007
verlässliche Zahlen aus der amtlichen Statistik zur
dauerhaften Kinderlosigkeit vor, da der Mikrozensus nur
die Zahl der Kinder im Haushalt erfasst und damit
Kinderlosigkeit nur die Abwesenheit von Kindern im
Haushalt beschreibt
(...).
Der Aufsatz von Susanne
Lang (in Barlösius/Schiek) über Kinder der Akademikerinnen
zitiert zwar einen skandalisierenden Wert von 42 Prozent
Kinderlosigkeit, relativiert ihn aber sofort durch eine
andere Schätzung von 25 Prozent. Die neuesten Zahlen
(Statistisches Bundesamt 2007:12) sprechen dann auch von
32 Prozent in den alten Bundesländern und 14 Prozent in
den neuen Bundesländern (Anteil der Akademikerinnen im
Alter von 40 - 70 Jahren ohne Kinder)."
(2008, S.423) |
Eine mögliche Erklärung
für das weit verbreitete Klischee der kinderlosen Karrierefrau
hat Antje SCHRUPP in ihrem Buch Methusalems Mütter
gegeben.
Demgemäß wurden Karrierefrauen lange Zeit gezwungen kinderlos zu
bleiben. Auch heute noch gilt die Karriereorientierung von
Frauen in manchen Kreisen und Altersgruppen als unvereinbar mit
einer Mutterschaft.
Methusalems Mütter
"Dass
uns das Bild der kinderlosen Karrierefrau so plausibel
scheint - auch wenn es überhaupt nicht der Realität
entspricht - liegt aber natürlich auch daran, dass dieses
Bild noch bis vor ganz kurzer Zeit zutreffend war. Früher,
in patriarchalen Zeiten, waren schließlich fast hundert
Prozent der Akademikerinnen kinderlos! Allerdings nicht
freiwillig. Als die Frauen im Zuge ihrer Emanzipation
Anfang des 20. Jahrhunderts auch höhere akademische Berufe
eroberten, als einige von ihnen anfingen, Jura, Medizin,
Theologie zu studieren, da war für den männlichen Teil der
Gesellschaft völlig klar, dass so eine Karriere mit
familiären Pflichten unvereinbar sei. In Preußen war bis
zur Weimarer Republik allen Beamtinnen der Zölibat
auferlegt, sobald sie heirateten, wurden sie entlassen;
ein Gesetz, das die Nationalsozialisten wieder einführten.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, noch bis in die 1970er
Jahre hinein, wurde in Deutschland erheblicher Druck auf
Frauen ausgeübt, nur ja nicht zusätzlich zu einer
ambitionierten Berufstätigkeit auch noch Mütter sein zu
wollen! Denn natürlich wären sie dann Rabenmütter, die
sich nicht um ihre Kinder kümmern könnten.
Bevölkerungspolitisch sah man darin kein Problem, denn
schließlich handelte es sich bei der studierten oder der
professionell ambitionierten Frau um eine sehr rare und
exzeptionelle Spezies, die zahlenmäßig nicht ins Gewicht
fiel und mit dem Rest ihrer Geschlechtsgenossinnen auch
nur wenig gemein hatte.
(2007, S.82f.) |
Für Antje SCHRUPP grenzt
es deshalb eher an ein Wunder, dass Karrierefrauen überhaupt so
viele Kinder bekommen. Angesichts des gravierenden
gesellschaftlichen Wertewandels, der in historisch kurzem
Zeitraum vom Gebärverbot zum Gebärzwang führte, ist das nur
allzu verständlich. Das Verständnis für diesen soziokulturellen
Wandel ist in der Gesellschaft immer noch nicht vorhanden.
Dimensionen väterlichen Engagements
HABECK legt in seinem Buch
einen Generationenbruch nahe. Die Generation Golf wäre
demnach die erste Generation, die die Herausforderung einer
Vaterschaft unter veränderten Bedingungen annimmt. Was es
bedeutet ein guter Vater zu sein, das ist nicht mehr festgelegt,
sondern das Ergebnis eines massenhaften Feldversuchs, bei dem ein
neues Bewusstsein entsteht. Die anschwellende Flut von
Vaterbüchern ist dann Ausdruck eines
Selbstverständigungsprozesses, der jedoch nicht unbedingt bei
jedem auf Verständnis trifft (z.B. Alex RÜHLE "Väter der
Karotte", SZ 13.10.2007) . Obwohl die meisten neuen
Reaktionäre Vertreter der 78er-Generation sind, zeigt das
Beispiel von Joachim BESSING (Rettet die Familie!), dass
junge Väter sich angesichts des Familienalltags auch nach der
Restauration alter Verhältnisse sehnen können.
In
seinem dritten Kapitel versucht HABECK das weite Feld des
väterlichen Engagements abzustecken. Im Gegensatz zu
Konservativen betont er dabei nicht die Biologie, sondern die
Wichtigkeit des sozialen Prozesses. In diesem Sinne können auch
kinderlose Männer eine wichtige Funktion im Leben von Kindern
einnehmen. Den Rollentausch beurteilt HABECK aus eigener
Erfahrung als Hausmann für Festangestellte skeptisch. In
Kombination mit einer freiberuflichen Tätigkeit, die gewisse
Spielräume lässt, scheint der Rollentausch eher vorstellbar. Es
zeigt sich also, dass sich angesichts der ausdifferenzierten
Arbeits- und Erwerbsgesellschaft keine verallgemeinernden
Patentrezepten anbieten, sondern gefragt sind Arrangements, die
der eigenen Lebens- und Arbeitssituation angepasst sind. Als
Vater von vier Söhnen bringt HABECK immer wieder eigene
Erfahrungen mit ein oder bezieht sich auf neue wissenschaftliche
Erkenntnisse, sodass man das Kapitel gewinnbringend lesen kann.
Die politische Gestaltung von
Rahmenbedingungen für familiäre Lebensweisen als Herausforderung
Im letzten Kapitel
formuliert HABECK politische Horizonte der Familien- und
Väterpolitik. Die familienpolitische Kontroverse der letzten
Jahrzehnte war immer auch mit der Frage verknüpft, was als
Familie betrachtet wird. HABECK geht mit seinem weiten
Familienbegriff über das hinaus, was die Grünen noch um die
Jahrtausendwende als Familie ansahen, und was damals auf
single-generation.de entsprechend kritisiert wurde.
Verwirrte Väter
"Wo
Menschen füreinander da sind - unabhängig von
Geschlechts-, Alters-, Abhängigkeitsverhältnissen, da sind
Familienverhältnisse. Vermutlich wird man eine gewisse
räumliche Gebundenheit unterstellen können, also so etwas
wie »gemeinsam leben«. Aber selbstverständlich kann es
auch engste Beziehungen auf Distanz geben. Vielleicht ist
die beste Antwort die, dass Familie da ist, wo man den
Alltag teilt und das mit der Perspektive einer gewissen
Dauer."
(2008, S.197f.) |
Der Soziologe Karl Otto
HONDRICH hat die Familie in ähnlicher Weise als Wahlfamilie
definiert
. Geteilter
Alltag, das sieht in
einer Gesellschaft, in der Fulda ein Vorort von Frankfurt ist
und die Angst um den Arbeitsplatz Flexibilität zum Zwang macht,
gewiss anders aus als in früheren Zeiten
. Inwiefern
wir gerade den Übergang in ein postmaterielles
Zeitalter erleben, das dürfte durchaus kontrovers diskutiert
werden.
Politikwissenschaftler wie Franz WALTER sprechen seit längerem von einem
Wandel des Wertewandels
. HABECK
plädiert für ein Grundeinkommen als familienpolitisches
Mittel. Damit konkurriert er mit einer Vielzahl
unterschiedlicher Modelle, die nicht immer miteinander zu
vereinbaren sind
. Im
Mittelpunkt stehen Fragen wie: Soll weiterhin die Ehe
subventioniert werden, statt das generelle Füreinandereinstehen?
Soll der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung forciert werden
oder auch die privaten Erziehungsleistungen von Eltern honoriert
werden? Welche Arbeitszeitmodelle sind einer egalitären
Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern am zuträglichsten?
Nicht jeder wird allen Vorschlägen von HABECK unumwunden
zustimmen. Aber grundlegende politische Entscheidungen auf
diesen Gebieten sind seit langem überfällig. Denn sie stehen
bereits seit Mitte der 1980er Jahre im Raum
.
Fazit: Robert Habeck legt mit seinem Buch über
die Krise der Vaterschaft einen konsequenten Gegenentwurf zu den
neuen Reaktionären vor
Seit dem Frühling der
Patriarchen im Jahr 2006 sind
nicht wenige Einwürfe erschienen. Viel war auch über einen neuen
Feminismus gesprochen worden. Nur die modernen Väter blieben
bislang seltsam blass. Mit dem Buch von HABECK ändert sich das
nun Gott sei Dank. Das Bild der Väter könnte sich in Zukunft
positiv ändern, wenn vermehrt moderne Väter wie HABECK die
familienpolitische Debatte prägen würden. Wenn
im Vorfeld des nächsten Bundestagswahlkampfes nicht mehr die
Bevölkerungspolitik, sondern wieder die Familienpolitik im Vordergrund
stehen würde, dann wäre für diese Gesellschaft viel gewonnen.
Das Buch von HABECK lässt hoffen.
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