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Thema des Monats

 
       
   

Verwirrte Väter

 
       
   

Robert Habeck sieht sowohl die Vaterschaft als auch die Erwerbs- und Arbeitsgesellschaft in der Krise und plädiert deshalb für eine neue Familien-, Frauen- und Väterpolitik (Teil 2)

 
       
     
       
   
     
 

Die männliche Ernährerrolle ist nicht die Lösung, sondern das Problem der Familiengründung

Im Zusammenhang mit der Einführung des Elterngeldes hat sich gezeigt, dass weibliche Familienernährer weiterhin die Ausnahme sind. HABECK sieht das Problem im Vaterbild von Mann und Frau, das zur Tradierung der alten Rollenklischees beiträgt.

Verwirrte Väter

"Aus eigener Erfahrung kann ich unterstreichen, dass jeder Mann, der Vater wird, und sei er noch so lebenslustig und experimentierfreudig, sich plötzlich einer großen, historisch ererbten, fast metaphysischen Verantwortung gegenübersieht, nämlich für seine Familie zu sorgen. Plötzlich und irgendwie überraschend ist es da, das große Gefühl, das vor allen Dingen Männer haben. Frauen weichen diesem Druck offensichtlich und statistisch nachweisbar aus, indem sie ihn ebenfalls auf den Mann übertragen. Beide Geschlechter verhalten sich angesichts existenzieller Ernährungsfragen analog der historischen Rollenmuster. Der theoretisch hochgehaltene Emanzipationsanspruch bricht dann schnell zusammen. Ich jedenfalls kenne eine Reihe von Paaren, in denen die Frau ihrem Partner nach der Geburt des Kindes unmissverständlich gesagt hat, dass jetzt die Zeit des Lotterlebens, der Minijobs und des Prekariats vorbei zu sein habe und die erste Vaterpflicht sei, Kohle ranzuschaffen. Und alle Frauen, die das sagten, waren selbständig, berufstätig und stark. Oft verdienten sie mehr als ihre Männer. Dennoch wurde die Geld-Verdiener-Frage bei den Herren der Schöpfung festgemacht. Und die nahmen sie willig auf. Moderne Väter erfordern offensichtlich auch moderne Frauen."
(2008, S.21f.)

Meike DINKLAGE, Jahrgang 1965, also nur 4 Jahre älter als HABECK, klagt in ihrem Buch Der Zeugungsstreik darüber, dass den kinderverweigernden Männern zu wenig Beachtung geschenkt wird. Sie hat diese Gruppe der Zeugungstreikler bei den 1960 bis 1970 Geborenen festgemacht, also den Altersgenossen von HABECK.

Der Zeugungsstreik

"Während die jüngeren Männer Studien zufolge wieder mehr Treue und Bindung suchen und eher bereit sind, sich zusammen mit der Frau für ein Kind zu engagieren, sind die Männer Mitte dreißig bis Mitte vierzig eine Art Zwischengeneration: Sie haben gelernt, dass Frauen im Berufsleben erfolgreiche Konkurrentinnen sind und klammern sich deshalb an ihre althergebrachte Rolle des Ernährers, um ihre letzte Domäne zu verteidigen.
Zugleich ist diese Generation auf der Suche nach sich selbst. »Diese Männer sind noch ganz den Selbstverwirklichungszielen der späten Siebziger verhaftet«, so der Psychologe Oskar Holzberg. »Und sie plagt die Vereinnahmungsangst: Da gibt es die Vorstellung vom Kind, das dem Mann die Luft zum Atmen nimmt.«"
(2005, S.27)

Das Buch von HABECK kann also auch als eine Antwort auf das Buch von Meike DINKLAGE und die daran anknüpfende Debatte gesehen werden. So hat z.B. Petra KOHSE in der taz vom 07. März 2006 diese männliche Zwischengeneration im rot-grünen Milieu von Akademikern und Freiberuflern verortet, die erst spät Kinder bekommen hat. KOHSE sieht hinter der Verbürgerlichung, die im Feuilleton unter dem Begriff "neue Bürgerlichkeit" läuft, eher eine "Familienimprovision". Wenn HABECK dafür plädiert, Vaterschaft nicht mehr als Rolle, sondern als Vaterarbeit zu sehen, dann haben wir hier den Schnittpunkt einer Kontroverse zwischen den Geschlechtern, die wohl noch einigen Zündstoff liefern dürfte. Aus der Sicht von KOHSE stellt sich das Problem der Übernahme der Ernährerrolle folgendermaßen dar:

Ich-Bewirtung im Hort der Werte

"Bürgerlicher Lebensstil setzt eine finanzielle Grundsicherung voraus, die heute nur den wenigsten Familien gegeben ist. Es ist ja diese Zwischengeneration, die ihr Abitur im Westen mit den Parolen »Null Bock« und »No future« gemacht hat, und wenn sie von ihren eigenen (bürgerlichen) Eltern nicht dazu getrieben wurden, ist es ihnen vor ihrer Familiengründung einfach nicht darum gegangen, etwas Bestimmtes zu erreichen in der so genannten Gesellschaft.
Einen Job kriegen ja, aber bitte ohne Affirmationszwang. Werbung oder so, das wäre noch in den Neunzigern niemals gegangen. Man wollte in latenter Kritikbereitschaft am Rande stehen bleiben können, besser noch: eigene »Projekte« machen, etwas mit Zielgruppenrelevanz, bloß nichts Repräsentatives. Wobei nichts Kämpferisches in dieser Verweigerung lag. Sondern lediglich der Wunsch, weitgehend identisch zu sein mit dem, was man tat. Und natürlich: das Fehlen eines überpersönlichen Ziels. (Entsprechende östliche Biografien unterscheiden sich im Weg und in der Motivlage, aber das Ergebnis ist verblüffend oft das gleiche.)
Mit den Kindern nun brach das Realo-Denken ins Leben ein. Angesichts der Notwendigkeit, nicht mehr nur sich selbst über die Runden bringen und irgendwie auch Vorbild sein zu müssen, schmolzen die geringen ideologischen, aber auch die beträchtlichen formal-ästhetischen Vorbehalte gegen die meisten lukrativen Tätigkeiten recht schnell. Dass ebenjene (die lukrativen Tätigkeiten) seit Ende der Neunziger in ungefähr der gleichen Geschwindigkeit selbst hinwegschmelzen, tritt der tatsächlichen Eingliederung dann allerdings ebenso entgegen wie der Umstand, dass man als Kinderhauptverantwortliche(r) nur den kinderbetreuten Teil des Tages dafür zur Verfügung hätte. Weswegen es mit dem eigenen Garten bislang nichts geworden ist.
Trotzdem lässt sich sagen: Die Familiengründung hat zu einer positiveren Einstellung zur Priorität des Geldverdienens und damit letztlich zum System geführt. Nicht umgekehrt."
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Es erstaunt angesichts dieser Einschätzung wenig, wenn HABECK für ein Grundeinkommen plädiert und der Szenebestseller Wir nennen es Arbeit von Holm FRIEBE und Sascha LOBO als Beispiel für die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse von Akademikern und die Reize eines Lebens jenseits der Festanstellung genannt wird. Die Verunsicherung in der neuen Mitte ist ja in den letzten beiden Jahren nicht weniger geworden, sondern hat deutlich  zugenommen. Aber HABECK spricht mit seinem Buch natürlich nicht nur diese Generation Umhängetasche, also die Speerspitze der Langzeitadoleszenten, an.

Nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter gibt es nun das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Im Gegensatz zu DINKLAGE führt HABECK die Kinderlosigkeit der Männer nicht auf eine Verweigerungshaltung zurück, sondern auf die Widersprüche und Erwartungen an die Vaterrolle. Das erste Kapitel seines Buches ist deshalb einer Bestandsaufnahme gewidmet, die Väter zwischen Geld, Zeit und Ansprüchen sieht. Männer bleiben dann kinderlos, wenn sie erkennen müssen, dass ihre Lebenssituation es nicht zulässt, ein guter Vater zu sein. Man könnte sagen, dass inzwischen nicht nur an die Mütter, sondern auch an die Väter höhere Anforderungen gestellt werden. Eine solche Sicht ist durchaus plausibel. Dies hieße dann: nach der Mutterschaft, bei der Elisabeth BECK-GERNSHEIM bereits in den 1980er Jahren in den hohen Anforderungen das eigentliche Problem sah, steht nun auch die Vereinbarungsfrage von Beruf und Familie für die Männer an. Diese neue Situation ist die Konsequenz einer historischen Entwicklung, die im Übergang vom Ethos der Industriegesellschaft zum Ethos der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft auftritt. Die Akademisierung der Erwerbsarbeit ist erst durch die Bildungsexpansion seit den 1960er Jahren in Gang gesetzt worden. Und erst in den 1990er Jahren drängten Frauen derart massenhaft in professionelle Berufe, dass die Rede von der Single-Gesellschaft und neuerdings von der Generation Kinderlos in den Mittelpunkt der familienpolitischen Debatte rücken konnte.

Im zweiten Kapitel seines Buches zeichnet HABECK die historische Entwicklung der Vaterschaft nach. Er kann dabei auf die neuere Väterforschung zurückgreifen. Im Juni dieses Jahres wurden diese neuen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung auf single-generation.de bereits vorgestellt . HABECK geht es insbesondere um die Veränderungen des Vaterbildes im Zusammenhang mit den jeweiligen gesellschaftlichen Veränderungen. Diese Geschichte wird pointiert zugespitzt. Angefangen bei der antiken Autorität des patriarchalen Vaters führen die diversen gesellschaftlichen Entwicklungen zur Untergrabung der väterlichen Autorität. Es ist sicherlich übertrieben, wenn behauptet wird, dass die Wandlungen der letzten 40 Jahre bedeutsamer waren als jene der ganzen letzten 200 Jahre. Wer es differenzierter haben möchte, der muss schon wissenschaftliche Literatur, z.B. von Barbara DRINCK ("Vatertheorien", 2005) zu Rate ziehen.  Nichtsdestotrotz ist diese Sichtweise anregend und bietet genügend Stoff für hitzige Debatten. Es zeigt sich, dass z. B. nicht Mathias MATUSSEK die Rede von der vaterlosen Gesellschaft erfunden hat und auch nicht Alexander MITSCHERLICH, sondern bereits 1919 schrieb Paul FEDERN über die vaterlose Gesellschaft.

Es ist sicher auch kein Zufall, dass dies in genau jenem historischen Moment geschah als zum ersten Mal in Deutschland der Geburtenrückgang zum Thema wurde . Dieser Aspekt bleibt nicht nur bei HABECK, sondern auch bei allen anderen Sachbüchern der neueren Zeit unterbelichtet.

Zu diskutieren wäre auch die Rolle der Individualisierung, bei der HABECK zu sehr dem Soziologen Ulrich BECK aufsitzt. Mittlerweile zeigt sich, dass so manche Sicht revidiert werden muss, aber das schmälert nicht die Leistung von HABECK. Die Darstellung der Geschichte kumuliert in der Behauptung, dass die lange schwelende Krise der Vaterschaft Ende des 20. Jahrhunderts zum Ausbruch gekommen ist.

Verwirrte Väter

"Die niederländische Wissenschaftlerin Trudie Knijn sieht die zwei Jahrhunderte alte Krise der Vaterschaft zum Ende des 20. Jahrhunderts zum Ausbruch kommen und zwar gerade nicht, weil die Väter Opfer gesellschaftlicher Transformationen sind, sondern weil sie sich zu veränderten Rollen bekennen. Väter versuchen nicht mehr, ihren Autoritätsverlust durch Schein-Mächtigkeit zu kaschieren, sondern bekennen sich zu einem Weniger und suchen sich eine neue Rolle, die wiederum eine neue, aber dann ganz andere Autorität begründen kann. Wenn, wie Knijn schreibt, Väter ein »Coming-out« durchmachen, dann bedeutet das vor allen Dingen dreierlei: Erstens betrachten sich Väter als subjektive Individuen, nicht als Rollenfiguren, und versuchen, sich deshalb über ihre eigenen Empfindungen und Erwartungen klar zu werden. »Was ist ein guter Vater?« ist eine Frage, die in einer emanzipierten Familie nicht mehr durch das Monatseinkommen beantwortet werden kann. Zweitens bedeutet es, sich zu diesem neuen Selbstverständnis auch öffentlich zu bekennen, gegenüber seiner Partnerin wie gegenüber seinem Chef, den Nachbarn, Freunden, den eigenen Eltern. Und drittens bedeutet es, diesen Schritt gesellschaftliche Normalität werden zu lassen."
(2008, S.97f.)

Der Ausbruch der Krise ist - wie weiter oben bereits angesprochen - dem massenhaften Andrang der Frauen in professionalisierte Berufe, aber auch in die Medien geschuldet. Denn dies geschah in einem historisch extrem kurzen Zeitraum, der mit mancherlei Überforderungen für beide Geschlechter einherging.

Exkurs: Generation Kinderlos - oder: In Siebenmeilenstiefeln vom gesellschaftlichen Gebärverbot zum Gebärzwang

Die dauerhafte Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen wurde in der bevölkerungspolitischen Debatte der vergangenen Jahre überschätzt. Selbst bei HABECK findet sich noch die Behauptung, dass 40 % der Akademikerinnen kinderlos bleiben. Günter KEIL & Gisela BRUSCHEK haben ihr Buch über Kinderlose auch deswegen Generation Kinderlos genannt, weil Akademikerinnen der Generation Golf besonders oft kinderlos seien . Seit Dezember 2006 liegen aber erste Erkenntnisse über die tatsächliche Dauerhaftigkeit der Kinderlosigkeit vor. Offenbar ist die These besonders einleuchtend oder brauchbar für die Durchsetzung spezieller Interessen, sodass sie auch in der Wissenschaft bis vor kurzem die unhinterfragte Interpretationsfolie für den demografischen Wandel blieb.

In der aktuellen Juni-Ausgabe der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie kritisiert der Soziologe Walter BIEN vom Deutschen Jugendinstitut in München in einer Rezension zweier Fachbücher zum demografischen Wandel die verbreitete Praxis der Stimmungsmache mit tendenziösen Äußerungen. Er plädiert dafür solche übertreibende Rhetorik zum Gegenstand von Lehrveranstaltungen zu machen, um die "angestrebte Wirkung mit dem Wirklichkeitsgehalt der angeführten Thesen Stück für Stück zu vergleichen und zu bewerten". Sowohl die allgemeine als auch die spezielle Kinderlosigkeit von Akademikerinnen wird gemäß BIEN überschätzt.

"So werden die Zahlen für die Kinderlosigkeit des Jahrgangs 1965 mit 31 Prozent angegeben (...). Laut neuesten Angaben (Statistisches Bundesamt 2007:12) sind sie deutlich niedriger (Jahrgänge 1962-1971: 23 Prozent kinderlose Frauen) Leider liegen erstmals im Dezember 2007 verlässliche Zahlen aus der amtlichen Statistik zur dauerhaften Kinderlosigkeit vor, da der Mikrozensus nur die Zahl der Kinder im Haushalt erfasst und damit Kinderlosigkeit nur die Abwesenheit von Kindern im Haushalt beschreibt
(...).
Der Aufsatz von Susanne Lang (in Barlösius/Schiek) über Kinder der Akademikerinnen zitiert zwar einen skandalisierenden Wert von 42 Prozent Kinderlosigkeit, relativiert ihn aber sofort durch eine andere Schätzung von 25 Prozent. Die neuesten Zahlen (Statistisches Bundesamt 2007:12) sprechen dann auch von 32 Prozent in den alten Bundesländern und 14 Prozent in den neuen Bundesländern (Anteil der Akademikerinnen im Alter von 40 - 70 Jahren ohne Kinder)."
(2008, S.423)

Eine mögliche Erklärung für das weit verbreitete Klischee der kinderlosen Karrierefrau hat Antje SCHRUPP in ihrem Buch Methusalems Mütter gegeben. Demgemäß wurden Karrierefrauen lange Zeit gezwungen kinderlos zu bleiben. Auch heute noch gilt die Karriereorientierung von Frauen in manchen Kreisen und Altersgruppen als unvereinbar mit einer Mutterschaft.

Methusalems Mütter

"Dass uns das Bild der kinderlosen Karrierefrau so plausibel scheint - auch wenn es überhaupt nicht der Realität entspricht - liegt aber natürlich auch daran, dass dieses Bild noch bis vor ganz kurzer Zeit zutreffend war. Früher, in patriarchalen Zeiten, waren schließlich fast hundert Prozent der Akademikerinnen kinderlos! Allerdings nicht freiwillig. Als die Frauen im Zuge ihrer Emanzipation Anfang des 20. Jahrhunderts auch höhere akademische Berufe eroberten, als einige von ihnen anfingen, Jura, Medizin, Theologie zu studieren, da war für den männlichen Teil der Gesellschaft völlig klar, dass so eine Karriere mit familiären Pflichten unvereinbar sei. In Preußen war bis zur Weimarer Republik allen Beamtinnen der Zölibat auferlegt, sobald sie heirateten, wurden sie entlassen; ein Gesetz, das die Nationalsozialisten wieder einführten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, noch bis in die 1970er Jahre hinein, wurde in Deutschland erheblicher Druck auf Frauen ausgeübt, nur ja nicht zusätzlich zu einer ambitionierten Berufstätigkeit auch noch Mütter sein zu wollen! Denn natürlich wären sie dann Rabenmütter, die sich nicht um ihre Kinder kümmern könnten. Bevölkerungspolitisch sah man darin kein Problem, denn schließlich handelte es sich bei der studierten oder der professionell ambitionierten Frau um eine sehr rare und exzeptionelle Spezies, die zahlenmäßig nicht ins Gewicht fiel und mit dem Rest ihrer Geschlechtsgenossinnen auch nur wenig gemein hatte.
(2007, S.82f.)

Für Antje SCHRUPP grenzt es deshalb eher an ein Wunder, dass Karrierefrauen überhaupt so viele Kinder bekommen. Angesichts des gravierenden gesellschaftlichen Wertewandels, der in historisch kurzem Zeitraum vom Gebärverbot zum Gebärzwang führte, ist das nur allzu verständlich. Das Verständnis für diesen soziokulturellen Wandel ist in der Gesellschaft immer noch nicht vorhanden.

Dimensionen väterlichen Engagements

HABECK legt in seinem Buch einen Generationenbruch nahe. Die Generation Golf wäre demnach die erste Generation, die die Herausforderung einer Vaterschaft unter veränderten Bedingungen annimmt. Was es bedeutet ein guter Vater zu sein, das ist nicht mehr festgelegt, sondern das Ergebnis eines massenhaften Feldversuchs, bei dem ein neues Bewusstsein entsteht. Die anschwellende Flut von Vaterbüchern ist dann Ausdruck eines Selbstverständigungsprozesses, der jedoch nicht unbedingt bei jedem auf Verständnis trifft (z.B. Alex RÜHLE "Väter der Karotte", SZ 13.10.2007) . Obwohl die meisten neuen Reaktionäre Vertreter der 78er-Generation sind, zeigt das Beispiel von Joachim BESSING (Rettet die Familie!), dass junge Väter sich angesichts des Familienalltags auch nach der Restauration alter Verhältnisse sehnen können.

In seinem dritten Kapitel versucht HABECK das weite Feld des väterlichen Engagements abzustecken. Im Gegensatz zu Konservativen betont er dabei nicht die Biologie, sondern die Wichtigkeit des sozialen Prozesses. In diesem Sinne können auch kinderlose Männer eine wichtige Funktion im Leben von Kindern einnehmen. Den Rollentausch beurteilt HABECK aus eigener Erfahrung als Hausmann für Festangestellte skeptisch. In Kombination mit einer freiberuflichen Tätigkeit, die gewisse Spielräume lässt, scheint der Rollentausch eher vorstellbar. Es zeigt sich also, dass sich angesichts der ausdifferenzierten Arbeits- und Erwerbsgesellschaft keine verallgemeinernden Patentrezepten anbieten, sondern gefragt sind Arrangements, die der eigenen Lebens- und Arbeitssituation angepasst sind. Als Vater von vier Söhnen bringt HABECK immer wieder eigene Erfahrungen mit ein oder bezieht sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sodass man das Kapitel gewinnbringend lesen kann.

Die politische Gestaltung von Rahmenbedingungen für familiäre Lebensweisen als Herausforderung

Im letzten Kapitel formuliert HABECK politische Horizonte der Familien- und Väterpolitik. Die familienpolitische Kontroverse der letzten Jahrzehnte war immer auch mit der Frage verknüpft, was als Familie betrachtet wird. HABECK geht mit seinem weiten Familienbegriff über das hinaus, was die Grünen noch um die Jahrtausendwende als Familie ansahen, und was damals auf single-generation.de entsprechend kritisiert wurde.

Verwirrte Väter

"Wo Menschen füreinander da sind - unabhängig von Geschlechts-, Alters-, Abhängigkeitsverhältnissen, da sind Familienverhältnisse. Vermutlich wird man eine gewisse räumliche Gebundenheit unterstellen können, also so etwas wie »gemeinsam leben«. Aber selbstverständlich kann es auch engste Beziehungen auf Distanz geben. Vielleicht ist die beste Antwort die, dass Familie da ist, wo man den Alltag teilt und das mit der Perspektive einer gewissen Dauer."
(2008, S.197f.)

Der Soziologe Karl Otto HONDRICH hat die Familie in ähnlicher Weise als Wahlfamilie definiert . Geteilter Alltag, das sieht in einer Gesellschaft, in der Fulda ein Vorort von Frankfurt ist und die Angst um den Arbeitsplatz Flexibilität zum Zwang macht, gewiss anders aus als in früheren Zeiten . Inwiefern wir gerade den Übergang in ein postmaterielles Zeitalter erleben, das dürfte durchaus kontrovers diskutiert werden. Politikwissenschaftler wie Franz WALTER sprechen seit längerem von einem Wandel des Wertewandels . HABECK plädiert für ein Grundeinkommen als familienpolitisches Mittel. Damit konkurriert er mit einer Vielzahl unterschiedlicher Modelle, die nicht immer miteinander zu vereinbaren sind . Im Mittelpunkt stehen Fragen wie: Soll weiterhin die Ehe subventioniert werden, statt das generelle Füreinandereinstehen? Soll der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung forciert werden oder auch die privaten Erziehungsleistungen von Eltern honoriert werden? Welche Arbeitszeitmodelle sind einer egalitären Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern am zuträglichsten? Nicht jeder wird allen Vorschlägen von HABECK unumwunden zustimmen. Aber grundlegende politische  Entscheidungen auf diesen Gebieten sind seit langem überfällig. Denn sie stehen bereits seit Mitte der 1980er Jahre im Raum .

Fazit: Robert Habeck legt mit seinem Buch über die Krise der Vaterschaft einen konsequenten Gegenentwurf zu den neuen Reaktionären vor

Seit dem Frühling der Patriarchen im Jahr 2006 sind nicht wenige Einwürfe erschienen. Viel war auch über einen neuen Feminismus gesprochen worden. Nur die modernen Väter blieben bislang seltsam blass. Mit dem Buch von HABECK ändert sich das nun Gott sei Dank. Das Bild der Väter könnte sich in Zukunft positiv ändern, wenn vermehrt moderne Väter wie HABECK die familienpolitische Debatte prägen würden. Wenn im Vorfeld des nächsten Bundestagswahlkampfes nicht mehr die Bevölkerungspolitik, sondern wieder die Familienpolitik im Vordergrund stehen würde, dann wäre für diese Gesellschaft viel gewonnen. Das Buch von HABECK lässt hoffen. 

 
     
 
       
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 19. August 2008
Update: 21. November 2018