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Einführung
In den letzten Jahren sind
die Väter mehr und mehr in den Blickpunkt der öffentlichen
Debatte geraten. In der bevölkerungspolitischen Debatte kam die
Rede vom "Zeugungsstreik" auf (z.B. Meike DINKLAGE
("Der Zeugungsstreik", 2005), die Belletristik entdeckte den
späten Vater (z.B. John von DÜFFEL "Beste Jahre", 2007), in Sachbüchern schrieben Väter über die
Vaterschaft (z.B. Eberhard RATHGEB "Schwieriges Glück", 2007) und in der familienpolitischen Debatte um das Elterngeld erregten sich
die Verfechter der traditionellen Familie über das
"Wickelvolontariat" als ungerechtfertigte staatliche Einmischung
in private Familienangelegenheiten.
Auch in den
Sozialwissenschaften hat das Thema mittlerweile Konjunktur. Gab
es in den 1970er Jahren nur 21 Publikationen zum Thema Vater, so
waren es in den 1980er Jahren bereits 123 und in den Jahren 2001
bis 2006 erschienen 185 Aufsätze, Beiträge und Monographien zu
Vätern.
Die
Familienforschung setzte die Väterforschung erst Ende der 1990er
Jahre auf die Agenda, obwohl dem Mann bereits seit Mitte der
1980er Jahre immer wieder eine verbale Aufgeschlossenheit
bei weitgehender Verhaltensstarre attestiert wurde. Damals -
nach einem steilen Absturz der Anzahl von Lebendgeborenen
in Westdeutschland
- entbrannte ein
Art Vorläuferdebatte um den demografischen Wandel, wie sie in
ähnlicher Form nach der Jahrtausendwende geführt wurde. Bärbel
DÖHRING & Brigitte KREß fassten die damalige Stimmung
folgendermaßen zusammen:
Zeugungsangst und Zeugungslust
"Nicht
unwesentlich (...) war das gesellschaftliche Klima, das
Frauen wieder alleine die Verantwortung für die
Fruchtbarkeit beider Geschlechter aufbürden möchte. Damit
sind Bestrebungen gemeint, Frauen wieder auf Familie
festzulegen und darüber ihre Förderung im Beruf zu
vernachlässigen und die Diskussion um eine Verschärfung
des Paragraphen 218, also die beabsichtigte Änderung der
Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die
Krankenkassen.
Wie
kontrovers wir solche Tendenzen und unsere Haltungen auch
diskutiert haben, wir fanden in unseren Fragen doch wieder
zusammen: Warum wird, wenn über Fruchtbarkeit und
Fortpflanzung geredet und gestritten wird, immer nur von
und über Frauen geredet, warum nicht über Männer und von
Männern?
(...).
Die »Unsichtbarkeit der Männer« löste bei uns nicht nur
Empörung darüber aus, daß viele Männer sich einer
verantwortlichen Entscheidung einfach entziehen, sondern
auch Unverständnis dafür, daß Männer ausgesprochen selten
versuchen, um ihr Kind zu kämpfen, wie man es von ihnen
als den »Mitproduzenten« eigentlich erwarten könnte.
Dies würde allerdings voraussetzen, daß sie ihren
entsprechenden Beitrag zur Erziehung des Kindes leisteten
und sich nicht nur als Ernährer der Familie begriffen."
(1986, S.13f) |
Ist dieser
"neue Vater", der bereits in den 1980er Jahren
vehement eingefordert wurde
, bis heute ein Phantom geblieben oder gibt es
ihn wirklich?
Der
von Tanja MÜHLING & Harald ROST herausgegebene Sammelband
Väter im Blickpunkt beleuchtet in 9 aufschlussreichen Beiträgen die
unterschiedlichen Facetten der Vaterschaft.
Die Entwicklung der Väterforschung und die
Debatte um die "neuen Väter" im deutschsprachigen Raum
Gudrun CYPRIAN gibt in
ihrem Beitrag einen Überblick über Methoden, Ergebnisse und
offene Fragen in der deutschsprachigen Väterforschung. Sie
beschreibt diese Forschung zur Vaterrolle als Reaktion auf
gesellschaftliche Veränderungen. CYPRIAN
unterscheidet vier Phasen der Beschäftigung mit Vätern, die in
Westdeutschland erst in den 1970er Jahren einsetzt. Es ging
zuerst um die Auswirkungen der Väterabwesenheit und die
negativen Folgen für die betroffenen Kinder. Danach rückte die
Bedeutung der Vater-Kind-Beziehung in den Mittelpunkt. Das
Bindungsverhalten gilt seitdem von der Qualität der
Eltern-Kind-Beziehung abhängig. In der dritten Phase wurde die
Familie als System betrachtet. Gegenwärtig befinden wir uns
gemäß CYPRIAN in der vierten Phase. Im Fokus steht nun die
differenzierte Beschreibung nichttraditionaler Familienformen. CYPRIAN
zeigt auf, wie sich im Rahmen dieser Forschungen ein
differenzierteres Vaterschaftskonzept entwickelt, wobei sich die
neueren Konzepte in erster Linie als Ergänzung oder Reaktion auf
das klassische Ernährer-Modell verstehen. In neueren Arbeiten
kommt dem Konzept Verantwortung eine zentrale Stellung zu, d.h.
gute Väter sind verantwortungsbewusste Väter. Anhand
eines sozialpsychologischen Phasenmodells von ZIMBARDO
beschreibt CYPRIAN die verschiedenen Einflussfaktoren im
Veränderungsprozess der Vaterrolle. Es wird deutlich gemacht,
dass sich der Wandel der Vaterrolle in einem gesellschaftlichen
Spannungsfeld vollzieht, der den Wandel der innerfamilialen
Beziehungen, Veränderungen am Arbeitsmarkt und Arbeitsplatz, die
Entwicklung des Sozialstaats und kulturelle Veränderungen im
Rahmen des Modernisierungsprozesses umfasst.
Seit
der zweiten Hälfte der 1970er Jahren entwickelt sich parallel
zur wissenschaftlichen Forschung eine öffentliche
Expertendebatte, d.h. es erscheint Ratgeberliteratur für Väter,
neue Zeitschriften etablieren sich und es entstehen Männer- bzw.
Vätergruppen sowie politische Interessenverbände. In diesem
Zusammenhang wird dann in den 1980er Jahren der Begriff "neuer
Vater" geprägt, der jedoch äußerst unscharf ist. Eine immer
wieder kehrende Frage dreht sich um die Geschlechterrollenidentät. Jörg BOPP bezeichnete eine Spezies
der neuen Väter als "Mappi", wenn sie möglichst viele typisch
weibliche Eigenschaften übernahmen. Nicht
zuletzt spiegelt sich der Wandel der Männerrolle auch im
Familienrecht wider. Vor allem das Kindschaftsreformgesetz aus
dem Jahr 1998 hat die Position des Vaters deutlich verändert.
Väterforschung im deutschsprachigen Raum
"Die
»personale Verantwortung«, die bis zur Reform bei
unverheirateten Paaren automatisch nur der Mutter zustand,
steht seitdem beiden Eltern zu. Im Falle der Trennung oder
Scheidung bleibt das gemeinsame Sorgerecht die Regel und
ein Elternteil muss erhebliche Gründe vorweisen, wenn ihm
das alleinige Sorgerecht zugesprochen werden soll, soweit
der andere Elternteil nicht zustimmt. (...). In den
meisten Scheidungsprozessen vor der Reform verlor der
Vater dagegen sein Sorgerecht."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.29) |
Die Väterforschung ist
gemäß CYPRIAN in Deutschland aufgrund der Abrechnung mit der
Nazizeit und die Kritik der Frauenbewegung bis in die jüngste
Zeit ideologisch stark belastet gewesen. Ob es nun um die
Verweigerung von Unterhaltszahlungen, Misshandlungen, Missbrauch
usw. geht: Väter hatten bislang ein schlechtes Image. Mit dem
Perspektivenwechsel vom abwesenden Vater zum anwesenden Vater
verband sich auch kein Imagewandel, sondern Vätern wurde
Dilettantismus im Umgang mit Kindern bescheinigt. Es
waren insbesondere zwei empirische Studien am Staatsinstitut
für Familienforschung an der Universität Bamberg, die
herausstellten, dass Väter besser als ihr Ruf sind und
insbesondere Restriktionen der Arbeitswelt einem stärkeren
Engagement der Väter entgegenstehen. CYPRIAN
zeigt in ihrem Beitrag, dass es im Zusammenhang mit der
Vaterrolle noch viele methodische und konzeptionelle
Unzulänglichkeiten und eine ganze Reihe offener Fragen gibt.
In
ihrem Beitrag Wandel der Geschlechterrollen und Väterhandeln
im Alltag stellt Daniela GRUNOW theoretische Konzepte der
Väterforschung vor. Im Mittelpunkt steht dabei die Konkurrenz
ökonomischer Theorien (am prominentesten ist der Ansatz von Gary
S. BECKER) und geschlechtsspezifischer Theorien familialer
Arbeitsteilung. Bei letzteren differenziert GRUNOW zwischen dem
Geschlechtsrollenansatz, Doing/Undoing Gender und dem
Identitätsformationsmodell. Am Beispiel der Zeitverwendung von
Vätern und Müttern zeigt GRUNOW die Defizite und blinden Flecken
dieser Ansätze auf.
Kinderwunsch und Übergang zur
Vaterschaft
Die
sozialwissenschaftliche Forschung zur Kinderlosigkeit setzte in
Deutschland verstärkt erst nach dem Pflegeurteil des
Bundesverfassungsgericht im April 2001 ein
. Kinderlose Männer
spielten in der öffentlichen Debatte um den demografischen
Wandel ab 2003 eine größere Rolle. Es war eine empirische
Studie von Christian SCHMITT über
Kinderlose Männer in
Deutschland aus dem Jahr 2004, die darauf aufmerksam machte, dass die
Kinderlosigkeit von Männern höher ist als die von gleichaltrigen
Frauen. Dies wurde populärwissenschaftlich als "Zeugungsstreik"
gedeutet, so auch ein Buchtitel von Meike DINSKLAGE. Die
Familienforschung hat das Thema gemäß ROST sogar erst im Jahr
2005 aufgegriffen. Die Ursache sieht er im Konservatismus der
Modellannahmen:
Der Kinderwunsch von Männern
"Die
Ursache dafür lag häufig in den zugrundeliegenden
bevölkerungswissenschaftlichen und familiensoziologischen
Theorien, die von einem traditionellen Familienmodell
ausging, d.h. dem Mann die Ernährerrolle und der Frau die
Familienrolle zuschrieben. Hinzu kam, dass Frauen als
»letzte Entscheidungsinstanz« im Prozess des generativen
Verhaltens betrachtet wurden."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.79) |
Neben diesen
theoriebedingten Gründen spielte aber auch die Datenlage eine
entscheidende Rolle. Die amtliche Statistik muss angesichts des
gesellschaftlichen Wandels in den letzten 30 Jahren als
hoffnungslos rückständig gelten. Sie verkörpert weitgehend immer
noch die Normen des golden Age of Marriage und behindert dadurch
eine angemessene Beschreibung moderner Lebensformen jenseits der
traditionellen Kernfamilie
. ROST
gibt in seinem Beitrag einen Überblick über neuere Forschungen
zum generativen Verhalten. Der Kinderwunsch wird im Spiegel
diverser empirischer Studien (Shell-Jugendstudie,
DJI-Familiensurvey, Bamberger Ehepaar-Panel) betrachtet. Eine
Kritik an gegenwärtigen Kinderwunschstudien fehlt leider
. Es
zeigt sich, dass für Männer ein Einkommen, mit dem eine Familie
ernährt werden kann, immer noch eine wesentliche Voraussetzung
einer Familiengründung ist:
Der Kinderwunsch von Männern
"Je
mehr die über 34-jährigen Männer verdienen, desto größer
ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit einer festen
Partnerin zusammenleben und Kinder haben. In der höchsten
Einkommensgruppe »2500 Euro und mehr« (Netto) gibt es nur
einen kleinen Anteil an Nicht-Vätern. Männer mit sehr
niedrigen Einkommen sind dagegen häufiger Singles und
kinderlos. In der Gruppe mit einem Nettoeinkommen »unter
1000 Euro« leben 39 % nicht in einer festen Partnerschaft
und nur 38 % leben zusammen mit Kindern."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.85f) |
ROST zeigt anhand des
Übergangs zur Vaterschaft, dass sich das generative Verhalten
von Männern nicht geändert hat, sondern dass es die veränderten
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind, die zu einem Aufschub
der Familiengründung geführt haben:
Der Kinderwunsch von Männern
"Der
Übergang zur Vaterschaft fand in der Vergangenheit in der
Regel in einer Altersphase statt, in der die Ausbildung
weitestgehend abgeschlossen, der Einstieg in den
Arbeitsmarkt vollzogen und die Paarbeziehung
institutionalisiert war. Der Anstieg des
durchschnittlichen Alters beim Übergang zur Vaterschaft
kann im Wesentlichen mit den längeren Zeiten für
Bildungsabschlüsse und damit verbunden einer späteren
beruflichen Etablierung erklärt werden. Dadurch kommt es
sowohl bei Frauen als auch bei Männern zu einer späteren
Familiengründung und der Anteil junger Väter nimmt ab."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.92) |
Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass für Männer eine stabile Partnerschaft und eine
sichere berufliche Situation wichtige Voraussetzungen für eine
Familiengründung sind.
Im
Gegensatz dazu vertritt Thomas GESTERKAMP in seinem Beitrag
Väter zwischen Laptop und Wickeltisch die These, dass in den
Großstädten und in akademischen Sozialmilieus eine
Vätergeneration heranwächst, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten
mit tradierten Geschlechterrollen bricht.
Zwischen Kind und Karriere
"tip:
Wie wünschen sich neue Väter ihre Vaterschaft?
Döge: Alle vorliegenden Studien zeigen eindeutig, dass
Väter eine Reduktion ihrer wöchentlichen Arbeitszeit
wünschen. Die neue Generation der männlichen
Führungskräfte hat eine andere Vorstellung von
Work-Life-Balance, als ihre Vorgängergeneration. Viele
Männer beklagen die Anwesenheitskultur in Unternehmen oder
Verwaltungen, also die Erwartung, dass der Mann sich
bevorzugt an seinem Arbeitsplatz aufhält, sei ein sehr
großes Hemmnis für ihre Familienorientierung."
(Peter Döge im Gespräch mit Eva Apraku
im tip-Magazin Nr.9 v. 19.04.2007) |
Dies mag zwar dem
Zeitgeist entsprechen wie er in diversen Magazinen propagiert
wird, steht bislang
jedoch noch im Widerspruch zu empirischen Befunden, wonach "neue
Väter" keinesfalls am häufigsten im akademischen Milieu zu
finden sind, sondern unter Facharbeitern, wie CYPRIAN an anderer
Stelle ausgeführt hat (S.42f.). GESTERKAMP ist der Meinung, dass
Männer die Verlierer des gesellschaftlichen Wandels sein werden und
fordert deshalb Schulungsmaßnahmen.
Väter zwischen Laptop und Wickeltisch
"Deregulierte
Arbeitsverhältnisse, prekäre Selbständigkeit, befristete
Jobs und erst recht Arbeitslosigkeit stellen die
traditionelle männliche Identität als Ernährer in Frage.
(...). Es liegt oft jenseits ihrer Vorstellungskraft, dass
sie als Verlierer des gesellschaftlichen Wandels demnächst
vielleicht weniger verdienen könnten als ihre gleich gut
oder besser qualifizierte Partnerinnen."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.109) |
Besser verdienende
Partnerinnen dürften jedoch auch in Zukunft für die Mehrzahl der
Männer die Ausnahme sein, insbesondere wenn zukünftig Frauen
vermehrt im Segment des "servicebasierten Wohlfahrtsstaates"
Arbeit finden.
Die Zeitverwendung von Vätern
Tanja MÜHLING widmet sich
ausführlich der Zeitverwendung von Vätern. Es zeigt sich dabei,
dass die amtliche Statistik Väter, die nicht mit ihren Kindern
zusammenleben, ignoriert. Familie ist da, wo Kinder leben, heißt
es selbst in Parteien, die sich als fortschrittlich bezeichnen.
MÜHLING schreibt dazu:
Wie verbringen Väter ihre Zeit?
"Gemeinsam
ist allen Datenquellen der amtlichen Statistik, dass
Männer, deren Kinder z.B. nach einer Scheidung der Eltern
nicht (mehr) mit ihnen zusammen wohnen, nicht als Väter
eingestuft werden können. Aus diesem Grund sind Vergleiche
der Zeitverwendungsstruktur von Vätern, die mit ihren
Kindern den Haushalt teilen, und Vätern, die nicht mit
ihren Kindern zusammen leben, leider nicht möglich, obwohl
dies gerade eine interessante Fragestellung wäre."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.126) |
Die amtliche Statistik
ermöglicht auch keine Unterscheidung zwischen leiblichen Vätern
und Stiefvätern, obwohl es zunehmend mehr Patchwork- bzw.
Stieffamilien gibt. Ob sich biologische und soziale Väter in
ihrem Engagement unterscheiden, lässt sich daher in
Mikrozensus-Erhebungen nicht feststellen.
Es
sind gemäß MÜHLING vor allem Zwei-Verdiener-Familien, die mit
Hilfe der Auslagerung von Hausarbeiten bzw.
Kinderbetreuung zeitliche Engpässe abfedern
.
Wie verbringen Väter ihre Zeit?
"Wenn
die Partnerin ebenfalls berufstätig ist, steigt der Anteil
der Familien, die bezahlte oder unbezahlte Hilfe bei der
Kinderbetreuung, der Gartenarbeit und den Putzarbeiten im
Haushalt annehmen. Zeitliche Engpässe bei der
innerfamilialen Arbeitsteilung lösen
Zwei-Verdiener-Familien häufig durch die Externalisierung
bestimmter Aufgaben."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.156) |
Der Politikwissenschaftler
Gösta ESPING-ANDERSEN begründet mit der gewünschten Zunahme
berufstätiger Mütter auf dem Arbeitsmarkt die Ausweitung eines
Niedriglohnsektors. Ziel ist ein sogenannter "servicebasierter
Wohlfahrtsstaat". Können sich
Familien dies nicht leisten, so gehen Zeitkonflikte zu Lasten
von Regenerationszeiten. Dirk
HOFÄCKER gibt einen systematischen Überblick über Hindernisse,
die dem Phänomen "neuer Vater" in verschiedenen europäischen
Staaten entgegenstehen. Arbeitsmarkt, Familienpolitik und
betriebliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familien
werden dabei unter die Lupe genommen.
Rainer
VOLZ beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Kluft zwischen
Wunsch und Wirklichkeit. Insbesondere den Bereich der Sauberkeit
sieht er als Einfallstor für die Retraditionalisierung der
Geschlechterverhältnisse, die mit der Familiengründung
einhergeht. Er bezieht sich dabei auf die Studie Die schmutzige
Wäsche von Jean-Claude KAUFMANN
.
Alleinerziehende Väter - eine schnell
wachsende Familienform
"Und plötzlich wird das Paar wieder denkbar"
"Peter Handke: Zu
Beginn war das unvorstellbar: Jemand wie ich, als Mann,
als Schriftsteller, mit einem zweijährigen Kind, in einer
beispielhaften bundesrepublikanischen Neubausiedlung - das
konnte ich nicht denken. Die ersten Monate sind wirklich
nur vergangen durch Morgen-und-Abend-werden-Lassen und
durch eine gewisse Energie zur schriftstellerischen
Routine; auch durch das Glück, daß ich gerade ein Buch in
Arbeit hatte, »Wunschloses Unglück«. Die großen
Schwierigkeiten fingen an mit der Frage: Wie ist man mit
einem Kind allein?"
(aus: Spiegel Nr.28, 1978) |
Die Zahl der
alleinerziehenden Väter mit minderjährigen Kindern ist in
Westdeutschland von 65.000 (1961) auf ca. 150.000 gestiegen.
Alleinerziehende Väter wie Peter HANDKE, also mit Kindern unter
3 Jahren, sind aber auch heute noch die Ausnahme. 94,3 % leben
bei alleinerziehenden Müttern und nur 5,7 % bei Vätern. Seit
der Reform des Kindschaftsrechts im Jahr 1998 ist jedoch das
alleinige Sorgerecht durch das gemeinsame Sorgerecht abgelöst
worden. Wie das in der Praxis ablaufen kann, hat Georg SCHÖNHERR
im Berliner Stadtmagazin tip geschildert:
Daddy Cool
"Vicky
und ich haben uns getrennt, als Niklas ein Jahr und neun
Monate alt war (...).
Eigentlich halte ich nicht viel von Bürokratie, aber ein
paar Wochen nach der Geburt hatte ich darauf bestanden,
dass wir uns vom Jugendamt eine Urkunde ausstellen ließen.
Diese Urkunde verbriefte, dass ich die gleichen Rechte
habe wie Vicky und wir uns die Sorge um Niklas teilen.
(...). Nach einer Phase flexibler und oft kurzfristig per
Telefon vereinbarter Kindübergaben, die in der Regel mit
Geschrei und Anschuldigungen und allgemeinem Chaos
einhergingen, einigten wir uns auf einen festen
Zweiwochen-Rhythmus. Vicky hatte sich umgehört, andere
machten das auch so und kamen ganz gut zurecht. Niklas
blieb nun fünf Tage bei mir und neun Tage bei Vicky. Zum
Ausgleich bekam Vicky das Kindergeld, und ich gab ihr noch
was dazu."
(tip-Magazin Nr.9 v. 19.04.2007) |
Gemäß MATZNER hat das neue
Kindschaftsrecht jedoch nicht dazu geführt, dass
nun Väter im gleichen Maße wie Mütter das
Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen bekommen.
Alleinerziehende Väter - eine schnell wachsende
Familienform
"Väter
haben es auch nach der Reform des Kindschaftsrechts noch
immer schwerer als Mütter, das Aufenthaltsbestimmungsrecht
zu bekommen, wenn die »Erziehungsfähigkeit« der Mutter
nach Auffassung von Jugendamt und Familiengericht nicht
eingeschränkt ist und sie selbst die Kinder aufziehen
möchte. Die jahrzehntelang normierte Sorgepflicht
zugunsten der Mütter (...) wirkt hier noch nach. Im
Zweifelsfall wird noch häufig die Mutter favorisiert, der
Vater soll zahlen und »bekommt« dafür ein »großzügiges«
Umgangsrecht."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.232) |
Die Bewertung von
Ein-Elternfamilien lässt sich am unterschiedlichen
Sprachgebrauch seit den 1950er Jahren ablesen. Von den
unvollständigen Familien zu den Alleinerziehenden war es ein
langer Weg. MATZNER
macht aber auch auf die Abgrenzungsprobleme aufmerksam.
Nicht jeder, der statistisch als Alleinerziehender (ein Begriff,
der erst 1990 eingeführt wurde) geführt wird, ist auch
alleinwohnend und auch nicht unbedingt alleinerziehend
. Der
Status "alleinerziehend" hat seine Vorteile. Städte werben mit
Fördergeldern, Kindergartenplätze sind einfacher zu bekommen.
Warum also sofort heiraten? Aus diesem Grunde unterscheiden
Forscher neuerdings zwischen "tatsächlich Alleinerziehenden" und
jenen, die eigentlich als Paare ohne Trauschein zusammenwohnen,
aber nicht zusammenwirtschaften. MATZNER geht auch ausführlich
auf die Unterschiede der Lebenssituation von alleinerziehenden
Müttern und Vätern ein.
Im
letzten Beitrag widmet sich Ruth LIMMER der Bedeutung des
getrenntlebenden Vaters für die psycho-soziale Entwicklung
seiner Kinder. LIMMER wendet sich gegen Ansätze, die die An- und
Abwesenheit von Vätern am Kriterium des Zusammenwohnens bzw.
Getrenntwohnens festmachen.
Mein Papa wohnt woanders
"Aus
der fehlenden physischen Präsenz des Vaters oder der
Mutter kann (...) nicht geschlossen werden, dass er/sie im
Leben des Kindes keine Rolle spielt. Der berufsmobile
Vater kann beispielsweise über Fernkommunikationsmittel
engen Kontakt halten und selbst in Fällen, in denen jeder
Kontakt abgerissen ist, kann der Vater in der psychischen
Realität des Kindes sehr präsent sein. Umgekehrt bedeutet
das Zusammenleben beider Eltern mit ihrem Kind nicht, dass
sie beide als Interaktionspartner verfügbar sind."
(aus: Väter im Blickpunkt 2007, S.243) |
Des Weiteren verdeutlicht
LIMMER in einem historischen Abriss die Weiterentwicklung der entwicklungspsychologischen Väterforschung. Es zeigt sich, dass
sich die Bedeutung von getrenntlebenden Vätern keineswegs
einheitlich darstellt. Sie hängt davon ab, ob ein Kind seinen
Vater kennen gelernt hat bzw. wie sich der Umgang nach der
Trennung/Scheidung zwischen Vater und Kind gestaltet. Es ist
weniger der zeitliche Umfang, sondern die Qualität der Beziehung
zwischen Vater und Kind entscheidend.
Fazit: Das Buch gibt einen guten Überblick über
den aktuellen Stand der Väterforschung
Das Buch Väter im
Blickpunkt zeigt, dass die Väterforschung im
deutschsprachigen Raum erst am Anfang steht. Männer sind das
vernachlässigte Geschlecht in der Familienforschung. Die
Beiträge geben einen guten Einblick in die unterschiedlichen
Forschungsfelder und Themen. Sowohl konzeptuelle als auch
methodische Restriktionen der bisherigen Väterforschung werden
aufgezeigt. Offene Fragen werden angesprochen und auf
unterbelichtete Aspekte wird hingewiesen. Jahrzehntelang hatten
Väter in Deutschland ein schlechtes Image. Der vorliegende Band
zeigt jedoch, dass die Väter besser sind als ihr Ruf. Es sind
insbesondere Hindernisse in der Arbeitswelt, eine
vorurteilsbeladene Rechtssprechung, eine mütterfixierte
Familienpolitik, aber auch Vorbehalte der Frauen, die einem stärkeren Engagement von Vätern in
Familien entgegenstehen.
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