März 2017
RAITH, Anne & Andreas NOLL (2017): Eine Kleinstadt in der Krise.
In Châlette-sur-Loing ist
die französische Krise zu spüren: hohe Arbeitslosigkeit, viel
Leerstand, wachsende Aggressionen. In der kommunistisch regierten
Kleinstadt fühlen sich viele Menschen von der Politik allein gelassen.
Einst mächtige Gewerkschaften verlieren an Boden - selbst Landwirte
wandern zum rechtsextremen Front National ab,
in: DeutschlandRadio v. 27.03.
"Der Leerstand wächst in der Stadt,
alteingesessene Bürger klagen über wachsende Aggressionen. Und dann
ist da noch der große Arbeitgeber, die Kautschukfabrik Hutchinson.
Jeder in Châlette kennt jemanden, der dort arbeitet. Doch die rund
1.400 Arbeiter und Angestellten fürchten um ihre Jobs",
berichten RAITH % NOLL über die
rund 12.500 Einwohner zählende Gemeinde Châlette-sur-Loing in der
Département Loiret, die von der Parti
Communiste Français (PCF) regiert wird.
RAITH, Anne & Andreas NOLL (2017): Wenn nicht nur die Straße, sondern
Politik eine Stadt spaltet.
Im südfranzösischen
Departement Var gibt es nur die Wahl zwischen rechts und extrem rechts
- die Linke ist quasi nicht mehr existent. Der Front National ist
entsprechend stark und stellt in mehreren Städten den Bürgermeister.
Was hat sich dadurch geändert?
in: DeutschlandRadio v. 30.03.
"Früher einmal war Le Luc eine
Arbeiterstadt. Als die Bauxitminen geschlossen wurden und die
Arbeitsplätze verloren gingen, begann der wirtschaftliche Niedergang",
zitieren RAITH & NOLL ein Mitglied
der örtlichen Bürgerinitiative als Gegenspieler zum FN-beherrschten
Rathaus der Stadt Le Luc im Département Var.
"Dass die Kleinstädte im Zentrum
sterben, weil außerhalb der Städte große Einkaufszentren entstehen,
das könne keiner verhindern",
zitieren RAITH & NOLL den
FN-Bürgermeister zu einem Problem, das viele Gemüter auch in anderen
kleineren und größeren französischen Gemeinden erregt.
April 2017
THIEL, Thomas (2017):
Aufschrei der Unberührbaren.
Lief Michel Foucault in seiner
Gouvernementalitätstheorie dem Neoliberalismus in die Arme - mit
gravierenden Folgen bis heute? Die Debatte um den Vordenker der
Identitätspolitik ist neu entflammt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.04.
"Nach der amerikanischen
Präsidentschaftswahl ist die Debatte neu entflammt, ob Foucault
(...) eine Blaupause jener Identitätspolitik vorgelegt hat, die
für die Sprachlosigkeit der akademischen Intelligenz vor der
Renaissance des Nationalismus verantwortlich ist",
schreibt Thomas THIEL, der den
Sammelband
Foucault and Neoliberalism, herausgegeben von Daniel ZAMORA
& Michael C. BEHRENT vorstellt, aber verschweigt, dass dieser
bereits Ende 2015 erschienen ist - und damit auch keine Reaktion auf
TRUMPs Sieg ist.
"Das Buch bettet Foucaults
Wende in das intellektuelle Panorama der siebziger Jahre, das in
Frankreich von verblassenden Revolutionshoffnungen und dem Bruch
vieler Intellektueller mit dem Marxismus geprägt ist. Foucault,
einest Mitglied der Kommunistischen Partei, die er nun abgrundtief
hasst, solidarisiert sich mit den Nouvelles Philosophes (...).
Foucault (...) verwirft im selben Atemzug den Staat und sucht nach
anderen Formen der Regierung. (...). Klassenkampf und
Verteilungsfragen verschwinden von der Tagesordnung. Die Agenda
setzt jetzt die Identitätspolitik: Rassismus, Exklusion,
Feminismus und sexuelle Befreiung. (...). Foucault (...) verwirft
die schwerfällige Staatstheorie und feiert das Freiheitspotential
des amerikanischen Neoliberalismus, der (...) ohne Zwang auskomme
(...) und ihm Anreize zur Selbstermächtigung zuliefere",
fasst THEIL das Wesen des Werks
von Michel FOUCAULT zusammen. Das Problem dabei ist nur, dass
FOUCAULT bereits tot war, als die Schattenseiten des Neoliberalismus
in den 1980er und 1990er Jahren deutlich wurden.
Außerdem - und das ist ganz
entscheidend - wird der Begriff der Identitätspolitik von THIEL und
den FOUCAULT-Kritikern verkürzt, denn Identitätspolitik ist kein
linkes Metier, sondern Politik der Mitte. Seit den 1990er Jahren
richtete sich die Identitätspolitik der Mitte in Deutschland gegen
Singles und Kinderlose. Im Zuge der Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme durchdrang sie viele Politikbereiche.
FOUCAULT wurde vor allem durch sein Konzept der Selbstsorge
vereinnahmt, um den - als paternalistisch gegeißelten Sozialstaat
abzubauen. Dieser
Umbau des Sozialstaats im Zeichen von Zivil- und
Dienstleistungsgesellschaft wurde bereits im Jahr 2001 auf
dieser Website problematisiert.
Richtig ist, dass FOUCAULTs
Sichtweise im Frankreich der 1980er und 1990er Jahre soziale
Aufsteiger wie Didier ERIBON ("Rückkehr
nach Reims") anzog. Die Identitätspolitik verdrängte die soziale
Frage, weil sie den damaligen Zeitgeist wiederspiegelte.
Sie ermöglichte Arbeiterkindern wie ERIBON den sozialen Aufstieg in
die intellektuelle Elite Frankreichs. Die jetzige Kritik
wiederum zeigt nur, dass sich der Zeitgeist gedreht hat - und zwar
nicht erst wegen dem Brexit oder TRUMP. Das sind Phänomene, die nur
noch die Ewiggestrigen wachrüttelten. Wer Augen hatte, um zu sehen,
der erkannte spätestens Mitte der 1990er Jahre in Deutschland,
welche fatalen Entwicklungen eingesetzt haben. Wenn es bei THIEL
heißt, dass FOUCAULT eine
"apologetische, zutiefst
unpolitische Nacherzählung des Neoliberalismus"
geliefert hat, dann gilt das umso
mehr für das deutsche Äquivalent der Individualisierungstheorie von
Ulrich BECK. Individualisierung ist die soziologische Bezeichnung
für Neoliberalismus. In den Lobpreisungen dieser
Wissenschaftsrichtung erscheint
Individualisierung als
Versprechen, während der bestrafende Staat der Hartzgesellschaft
ausgeklammert wird.
ERIBON, Didier (2017): Ein neuer Geist von '68.
Warum die Präsidentschaftswahl in
Frankreich uns vor Augen führt, in welcher Krise sich das linke Denken
befindet. Und wie wir es erneuern können,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 16.04.
Didier ERIBON ("Rückkehr nach
Reims") kritisiert in dem Artikel den sozialistischen
Präsidentschaftskandidaten Emanuel MACRON als neoliberalen Technokrat
und Jean-Luc MÈLANCHON als linken Populisten, die beide keine
Alternativen zu Marine Le PEN seien. Es wird uns jedoch kein Ausweg
aus dem Dilemma genannt, sondern lediglich eine linke Utopie, die für
den jetzigen Präsidentschaftswahlkampf irrelevant ist, weil sie keinem
Kandidaten zuordenbar ist. ERIBON ist in diesem Sinne Teil des
Problems der Linken und wohl deshalb so populär bei den deutschen
Mainstreammedien.
STROHSCHNEIDER, Tom (2017): Der Eribon-Effekt, Identitätspolitik und
die Linken.
Falsche Selbstbezichtigung, soziale
Frage: Anmerkungen zur Rezeption von »Rückkehr nach Reims« eine Woche
vor der Frankreich-Wahl,
in:
Neues Deutschland Online v. 16.04.
Tom STROHSCHNEIDER bezeichnet den
FAS-Text von Didier ERIBON zu Recht als ein "Dokument der
Ratlosigkeit". Das dies ganz in Ordnung sei, zeigt das ganze Ausmaß
der desolaten Lage der Linken in Deutschland. STROHSCHNEIDER
kritisiert außerdem die FAZ-Artikel
zu einem Sammelband über Michel FOUCAULT und die Kritik von Nancy FRASER am
"progressiven Neoliberalismus". Weigert sich aber Position zur
linken Politik zu beziehen. Angriff ist nicht immer die beste
Verteidigung, sondern zeigt nur die eigenen Defizite umso mehr. Von
anderen zu fordern, dass sie Roß und Reiter nennen sollen, dies aber
selber nicht zu tun, ist nicht weiterführend. Die Linke wird mit ihrer
Verweigerungshaltung scheitern. Wer soll eine Linke wählen, die gar
nicht weiß was sie will, sondern nur was sie nicht will? Die
Verteidigung der Identitätspolitik ist fadenscheinig, wenn sie mit
Beispielen aus anderen Ländern operiert, denn wie STROHSCHNEIDER
richtig sieht: Frankreich oder die USA sind nicht Deutschland. Nur
dahinter verstecken reicht nicht. Es heißt für die Linke Farbe zu
bekennen, statt sich in Ausflüchte retten zu wollen: Ich bin gar nicht
gemeint, sondern die anderen Linken (wer das ist, das weiß ich doch
nicht!) sind die Übeltäter.
WERNICKE,
Christian
(2017): Front normal.
Um Frankreichs Hauptstadt legt sich
ein Gürtel trister Kleinstädte. Wer hier lebt, hat oft keinen Job,
dafür aber große Wut auf eigentlich alles. Es ist das Terrain der
Verlierer, das Terrain der Marine Le Pen. Vom Wahlkampf in
Villers-Cotterêts,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 19.04.
"Seit
April 2014 regiert im Rathaus von Villers-Cotterêts ein
Parteifreund von Marine Le Pen, der Front-National-Chefin. Die
10.000 Einwohner große Stadt im Nordosten von Paris war damals
eine von landesweit elf Gemeinden, in denen der FN die Macht
erobert hat",
berichtet Christian WERNICKE über
die Stadt, die zum suburbanen Gürtel um die Hauptstadt Paris gehört.
"Soziologen nennen die
Kleinstädte und Siedlungen im Umkreis von 40 bis 80 Kilometern um
die französischen Metropolen herum das »periurbane Frankreich«. In
diesem Frankreich bauen sich die kleinen Leute ihre Fluchtburgen,
ein kleines Reihenhaus mit Garten, eine billige Mietwohnung. Hier
leben die »petite Blancs«, die angelernten Arbeiter und die
einfachen Angestellten. Die wählen mehr als andere Le Pen. Im
periurbanen Gürtel kommt der FN meist über 30 Prozent, manchmal
sogar über 40",
erklärt uns WERNICKE diese
No-go-Area für anständige Wohlstandsbürger. Das Frankreichbild
unserer Mainstreammedien zu den politischen Verhältnissen ist
schlicht: Die Guten wohnen in den Großstädten, die
Bedürftigen in den Banlieues (Vororten)
und die Bösen im ländlichen Raum oder in suburbanen Gemeinden. Die
Realität sieht anders aus: In allen Gebieten gibt es Gewinner und
Verlierer des globalen Finanzkapitalismus und die Segregation führt
nicht nur in Frankreich dazu, dass die geografischen Ungleichheiten
noch verstärkt werden.
"Rentner, ein Bauch wie eine
Kugel, roter Trainingsanzug - sagt: »wir wählen Front National«",
liefert uns WERNICKE auch gleich
noch das Medienbild eines Rentners im Unterschichtenlook, von dem
sich der anständige Bourgeois abhebt. Oder wie Kristof SCHREUF in
dem Song Bourgeois with guitar singt:
"Es ist mir egal für wen Ihr mich
haltet, Hauptsache für dünn"
OERTEL, Barbara (2017): Die
Stadt, sie schläft und stirbt.
Albi ist ein Traum in Backstein.
Sehr lebenswert findet Florian Jourdain, der deswegen hierherzog. Doch
der Stadtregierung ist es "scheißegal", dass das historische Herz
ausblutet, sagt Jourdain und organisiert Widerstand,
in:
TAZ v. 19.04.
Die taz, die längst zum linksliberalen
Mainstream gehört, beschäftigt sich anlässlich des französischen
Präsidentschaftswahlkampfes in einer mehrteiligen Reportageserie mit
Frankreich. Heute geht es um Albi:
"Hauptstadt des
südfranzösischen Départements Tarn in der Region Okzitanien mit
rund 49.000 Einwohnern."
Im Mittelpunkt steht die Kritik
von Florian JOURDAIN, die bereits im März in der New York Times
zu lesen war und
in Frankreich für Empörung sorgte. Nichts davon lesen wir in dem
sehr einseitigen Artikel von Barbara OERTEL. Die taz hängst sich
stolz an die einst glorreiche Zeitung Libération, die von
Didier ERIBON ("Rückkehr
nach Reims") zur Reaktion in Frankreich gezählt wird, die er für
den Rechtsruck verantwortlich macht:
"Libération, einer aus
dem Geist von 68 und mit der Unterstützung Sartres und Foucaults
gegründeten Zeitung. (...).
Ich blieb nicht lange bei dieser
Zeitung, die sich schon bald in einen der wichtigsten Vektoren der
in diesem Buch mehrfach beschriebenen konservativen Revolution
verwandeln sollte." (2016, S.224)"
Was die Libération für
Frankreich, ist die taz für Deutschland: Ein Hort der
neubürgerlichen Wende, wo ein akademisches Milieu (das sich auch aus
sozialen Aufsteigern rekrutiert, die ihre Herkunft als Makel
betrachten) verachtend auf die Arbeiterklasse herabblickt, weil ihr
Bild immer noch von der Nachkriegszeit geprägt ist.
JOURDAIN und seine Mitstreiter
werden zu Robin Hoods der Stadtentwicklung verklärt. Diese Art der
Ökologisierung gesellschaftlicher Probleme interessiert sich nicht
für die soziale Frage, sondern ist Interessenpolitik der
französischen Bobos, d.h. der akademischen Mittelschicht, die für
die Gentrifizierung der innenstadtnahen Wohngebiete verantwortlich
ist. Es ist deshalb nicht ohne Ironie, wenn sich diese Kämpfer gegen
das Ausbluten der Innenstädte einsetzen und die Suburbanisierung
beklagen. Sie sind jedoch Teil des Problems, statt deren Lösung!
Während
die Welt gerade den Wut-Rentner entdeckt hat, heißt es in
der taz:
"Viele Anwohner seien Rentner,
die nicht mehr die Kraft hätten, sich aufzulehnen."
RÜHLE, Alex (2017): Aufstieg
ausgeschlossen.
Der französische Schriftsteller
Édouard Louis spricht über die Scham der Armen und die Blindheit der
Reichen,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 20.04.
Alex RÜHLE interviewt den französischen
Bestsellerautor Éduard LOUIS, dessen Buch Das Ende von Eddy
zum Buch der Stunde erklärt wird. Im Gegensatz zu
Didier ERIBON
vertritt er die Meinung, dass
Marine Le PEN
gewählt werden könnte, wenn Emmanuel MACRON der Gegenkandidat wäre.
Scham ist für LOUIS ein Problem, weil sie Arme ihre Armut verleugnen
lässt und so die Verhältnisse zementiert würden. Er kritisiert die
"Mystifizierung der Armut" in den Filmen von Jean GENET, Pier Paolo
PASOLINI oder Ken LOACH. Von "authentischer" Armut will er nichts
wissen, schließlich musste er in seinem Armutsmilieu seine
Homosexualität verleugnen. Er beschreibt, dass sein Buch von einem
angesehenen Verlag abgelehnt wurde, weil das Bild der Armen seit
Emile ZOLA ein anderes sei:
"Die Ausgeschlossenen kommen in
Büchern und Filmen so wenig vor, dass dieser hochgebildete Mann
reinen Herzens glaubte, dass es diese Menschen schlichtweg nicht
gibt. Und diese sehen, dass der Prix Goncourt jedes Jahr an einen
bourgeoisen Autor geht, der über die Probleme der Bourgeoisie
schreibt. Also wissen sie, dass Literatur sie einfach nicht
angeht".
Man fühlt sich an den deutschen
Literaturbetrieb aus dem Jahr 2014 erinnert, als eine Debatte der
Literaturbetriebsangehörigen zum Schluss kam, dass es ganz in
Ordnung sei, dass der Literaturbetrieb mit der Gesellschaftsrealität
nichts zu tun hat und die Türsteher der reinen Literatur alles
verbannte, was literaturfremd war. LOUIS sieht sich als Teil einer
neuen Kulturbewegung:
"Die Texte von Geoffroy de
Lagasnerie. Die Texte von Sophie Calle. Die Filme von Xavier Dolan.
Wir inspirieren uns und versuchen, eine neue linke Debatte
mitzuentwerfen."
Es wird sich zeigen müssen,
inwiefern dies tatsächlich eine Erneuerungsbewegung ist. Die Rechte
von Minderheiten sollten genauso Ernst genommen werden wie die
soziale Frage. Aber was das konkret bedeutet, dafür bleiben die
Aktivisten dieser Sichtweise bislang die Antwort schuldig.
HANIMANN, Joseph (2017):
Demokratien sind in der Mitte eher lau.
Ist der Hass einfach nur auf Abwege
geraten? Frankreich streitet vor der Wahl über die Notwendigkeit eines
Linkspopulismus,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 20.04.
Joseph HANIMAN ist wenig informativ. Im Vordergrund
steht, welcher Prominente oder Intellektuelle welchen
Präsidentschaftskandidaten unterstützt. Etwas für Leute, die keinen
eigenen Standpunkt besitzen.
VEIEL, Axel (2017): Rechts oder gar nicht.
Wie im Örtchen Vendoeuvres geht es
vielen Menschen in der französischen Provinz: Sie fühlen sich vom
Fortschritt abgehängt und wollen von der Politik aus Paris nichts mehr
wissen. Bei der Präsidentschaftswahlen werden sie die Rechtspopulisten
Marine Le Pen wählen - oder gleich zu Hause bleiben,
in:
Frankfurter Rundschau v. 20.04.
Axel VEIEL berichtet über den 1.200 Einwohner
zählenden Ort Vendoeuvres im Department Indre. Im Gegensatz zu den
meisten Artikeln, die derzeit über den ländlichen Raum in Frankreich
geschrieben werden, ist das wirklich tiefste Provinz, über die nicht
einmal das deutsche Wikipedia viel zu berichten weiß. Für VEIEL hat
das Dorf noch, was anderen
Orten des zentralfranzösischen Departments bereits fehlt:
"ein Postamt, eine Arztpraxis,
zwei Metzgereien, einen Bäcker, ein Café, das zugleich auch Bar
ist."
Die Betonung liegt jedoch auf
noch, weshalb uns VEIEL mit einem Meinungsforscher vorrechnet, dass
der Front National von Geschäftsschließungen profitiert:
"Wenn sich die Post
zurückziehe, trage das dem FN ein Plus von durchschnittlich 3,4
Prozentpunkten ein. Mache ein Lebensmittelgeschäft dicht, seien es
2,5, im Fall einer Bank 2,3 und eines Restaurants 2,1
Prozentpunkte."
Man darf solch schlichte
Rechnungen getrost für Seemannsgarn halten, denn ländlicher Raum ist
nicht gleich ländlicher Raum. So hat z.B. eine Studie des
berüchtigten Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung über
die
Zukunft der Dörfer für Deutschland ergeben, dass die
Zufriedenheit von Dorfbewohnern nicht allein von der Infrastruktur
eines Ortes abhängt, sondern von dessen Einbindung in die
Infrastruktur der umliegenden Orte. So sind z.B. die Orte des
westdeutsche Vogelbergkreis. den Orten im ostdeutschen Kreis Greiz
in dieser Hinsicht unterlegen, obwohl beide Regionen ähnlich
schlecht dastehen. Wichtig ist jedoch, dass Verluste kompensiert
werden können. Politik, die das nicht berücksichtigt, wird
scheitern.
FINKENZELLER, Karin
(2017): Im Tal der traurigen Engel.
Frankreich: Arbeiter haben Marine Le
Pen groß gemacht. Sie stimmen nicht länger für die Sozialisten oder
Kommunisten, sie sind stramm rechts. Wie kam es dazu?
in:
Wirtschaftswoche Nr.17 v. 21.04.
Karin FINKENZELLER berichtet über Orte in
Lothringen wie Uckange oder Hayange, wo mit dem Niedergang von Eisen-
und Stahlindustrie der Front National gestärkt wird. Bei den Wählern
kommt es an, dass der FN gegen Einwanderer polemisiert, die die
Sozialkassen plündern. Einen Vorwurf, den in Deutschland auch die
FAZ und die Welt verbreiten, was deutlich macht, dass
Neoliberalismus und Nationalkonservatismus den Boden für den
Rechtspopulismus fruchtbar gemacht haben.
KLINGSIECK, Ralf
(2017): "Maul zu, Frau Merkel".
ND-Tagesthema Frankreich vor der
Wahl: Jean-Luc Mélenchon scheut vor harscher Kritik an Deutschland und
seiner neoliberalen Sparpolitik nicht zurück,
in:
Neues Deutschland v. 21.04.
PFEIFFER, Hermannus
(2017): Kranker
Mann Europas?
ND-Tagesthema Frankreich vor der
Wahl: Banken und Investoren warnen vor Mélenchon und Le Pen,
in:
Neues Deutschland v. 21.04.
SCHMID,
Bernard
(2017): Wahlen als Sprungbrett.
ND-Tagesthema Frankreich vor der
Wahl: Radikale Linke in Frankreich orientieren sich stärker auf
künftige soziale Kämpfe. Ihr KandidatInnen haben ohnehin keine
realistische Chance,
in:
Neues Deutschland v. 21.04.
Bernard SCHMID fasst unter dem
Begriff der "radikalen Linken" die trotzkistische Aktivistenpartei
Lutte Ouvrière (LO; Kandidatin: Nathalie ARTHAUD) und die Neue
Antikapitalistische Partei (NPA; Kandidat: Philippe POUTOU), ehemals
LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) zusammen.
EPSTEIN, Renaud (2017): Die
Missachtung der Banlieus.
Frankreich: Um die Großsiedlungen
hat sich Hollande nur wenig gekümmert. Auch die aktuellen
Präsidentschaftskandidaten haben für sie keine Rezepte,
in:
TAZ v. 21.04.
Der Politikwissenschaftler Renaud EPSTEIN stellt
uns Alnay-sous-Bois als typische Pariser Vorstadt vor. In
Deutschland würde man von einem sozialen Brennpunkt sprechen. In der
so genannten Banlieue sitzen aber auch die Wohlhabenden, z.B. in
Neuilly-sur-Seine. Nicht die Banlieues sind das Problem, sondern
die Segregation, was verdeckt wird, wenn EPSTEIN einfach nur
Durchschnittswerte (Arbeitslosigkeit, Armut) der Banlieues den
anderen Gebieten gegenüberstellt.
Den hohen Anteil von Nichtwählern
in den Banlieues erklärt EPSTEIN mit deren sozioökonomischen Status:
"Vor allem, weil dort eben
viele Zuwanderer leben, die kein Wahlrecht besitzen, ebenso wie
prekäre Bevölkerungsgruppen, die von diesem Recht weniger Gebrauch
machen als andere (...). Aber auch weil die linken Kandidaten
nicht mehr gehört werden. Man erinnert sich in den Siedlungen nur
zu gut an die gebrochenen Versprechungen von François Mitterand
und François Hollande."
Oder anders formuliert: Weil die
Wählerschaft in den Banlieues nach Meinung von Politik, Wissenschaft
und Medien nicht wahlentscheidend ist, werden diese Gruppen
vernachlässigt, was wiederum diesen politischen Trend verstärkt.
BAHNERS, Patrick (2017):
Wählt Deutschland?
Verblüffung über ein Orakel: Didier
Eribon in München,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.04.
Patrick BAHNERS erregt sich über eine
Veranstaltung mit Didier ERIBON, weil sich die Deutschen erdreisten
würden den Franzosen vorzuschreiben, wen sie zu wählen hätten:
"Wenn
Macron siege, könne Le Pen Präsidentin werden - in fünf Jahren.
Verblüfft schließen die Zuhörer Bekanntschaft mit einem
politischen Interessenkalkül, für das »Europa«, die Chiffre für
den Status quo, keinen alternativlosen Höchstwert darstellt."
TZERMIAS, Nikos (2017): Raue Sitten bei den "Schwarzfüssen"..
Der Front national schürt Ängste und
hat an der Côte d'Azür Erfolg damit - auch wegen der kolonialen
Vergangenheit in Algerien,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 21.04.
"Im Unterschied zu den
traditionell »roten« Regionen in dem von einer massiven
Deindustrialisierung geplagten Norden grub der Front national im
Süden nicht in erster Linie der Linken, sondern der traditionellen
Rechten das Wasser",
erklärt uns Nikos TZERMIAS, der
das südfranzösische Frejus mit seinen rund 53.000 Einwohnern als
Vorzeigestadt des Front National beschreibt:
"Fréjus gilt als ein
Schaufenster des Front national, hier will die Partei
demonstrieren, dass sie regierungsfähig ist. Nach dem 7.
Arrondissement von Marseille ist Fréjus die zweitgrösste der 12
Stadtgemeinden, die vom Front national regiert werden".
Als Grundlage der Herrschaft des
FN in Südfrankreich sieht TZERMIAS die so genannten Pieds-Noirs,
also die rund eine Million Algerienfranzosen, die nach dem
Algerienkrieg nach Frankreich flüchteten, und ihre Nachfahren.
BOPP, Lena (2017): Ein Akt
politischer Notwehr.
Wie konnte der Front National in
Frankreich gerade in der Arbeiterklasse so stark werden? Die Antwort
führt weit in die Familiengeschichten zurück, wie drei aktuelle Bücher
von Didier Eribon, Aurélie Filippetti und Edouard Louis zeigen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.04.
Lena BOPP stutzt die Bücher von Didier ERIBON,
Jahrgang 1953 ("Rückkehr nach Reims"), Aurélie FILIPPETTI, Jahrgang
1973 ("Das Ende der Arbeiterklasse"), und Edouard Louis, Jahrgang
1992 ("Das Ende von Eddy"), so zusammen, dass daraus ein Bild der
französischen Arbeiterklasse entsteht:
"Ihre Mütter waren Hausfrauen,
ihre Väter arbeiteten in »der Fabrik« oder fuhren als Bergarbeiter
in die Mine. Eine höhere Schulbildung hat kein Familienmitglied
jemals genossen. Im Gegenteil besuchte ein jeder nur so lange die
Schule, wie es Kindergeld dafür gab, und verließ sie sofort, um
seinerseits in die Fabrik und die Mine zu gehen, sobald das
möglich war."
Das mag der bürgerlichen
Familienidylle entsprechen, aber nicht der französischen Realität:
Die Frauen der Arbeiterklasse mussten dort vielfach auch in der
Fabrik schuften, was
bei Didier ERIBON anklingt. Ohne das Geld, das seine Mutter in
der Fabrik verdiente, hätte er gar nicht erst studieren können.
FILIPETTI war keineswegs ein
schlichtes Arbeiterkind wie uns BOPP weismachen möchte, sondern ihr
Vater war Bürgermeister einer lothringischen Kleinstadt, was mit den
Verhältnissen in denen ERIBON oder LOUIS aufwuchsen kaum zu
vergleichen ist. Ihr Familienroman Les Derniers Jours de la
Classe ouvrière ist bereits 2003, also lange vor dem Buch von
ERIBON erschienen, aber erst 2014 in Deutschland erschienen. Das
Buch En finir avec Eddy Bellegueule erschien erst 2014 und
wurde bereits ein Jahr später in Deutschland veröffentlicht. Allein
schon diese Daten zeigen, dass das Thema Rechtspopulismus in
Verbindung mit der Arbeiterklasse in Deutschland erst sehr spät
aufgegriffen wurde. Zudem spielt in den Büchern der beiden Franzosen
die Homosexualität und deren Anfeindung im Arbeitermilieu eine
zentrale Rolle, die bei BOPP und anderen ausgeblendet oder
unterbelichtet wird. Ihre Homosexualität mach sowohl ERIBON als auch
LOUIS zu Außenseitern in ihrem eigenen Milieu - eine Tatsache, die
bei der ganzen Diskussion um die soziale Frage ausgeblendet wird.
Damit wird auch die historische Dimension der Debatte
vernachlässigt, denn
die Gelegenheitsstrukturen für soziale Aufsteiger sind dem
gesellschaftlichen Wandel unterworfen. Dieser Wandel bleibt in
allen Berichten unberücksichtigt. Die politische Debatte bleibt
hinter der Dynamik der Realität zurück, wenn dieser Aspekt
ausgeblendet wird.
SCHUBERT, Christian (2017): Das tiefe Frankreich.
Gräben ziehen sich durch die
Republik, die am Sonntag wählt. Die Start-up-Unternehmen erblühen,
doch abseits der Städte verwelken die Regionen. Sie kämpfen gegen das
Vergessenwerden,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.04.
Christian SCHUBERTs Frankreichbild
kennt drei Facetten: das ländliche Frankreich ("France profonde"), das
anhand der Kleinstadt Guéret (Geschäftsschließungen im Stadtzentrum)
skizziert wird, die Großstadt
Amiens
(Werksschließungen) im Norden Frankreichs und die Metropole Paris (Start-up-Unternehmen).
Anhand ersterer wird der Niedergang der Sozialistischen Partei und der
Aufstieg des Links- und Rechtspopulismus veranschaulicht, Amiens
demonstriert den Niedergang der Republikaner und Paris wiederum soll
den Hoffnungsträger Emmanuel MACRON verkörpern.
QUATREMER, Jean (2017): Nur ein Stern im
Viergestirn.
Frankreich:
Europa ist das eigentliche Thema dieser Wahlen: Von den vier
Favoriten hat allein Emmanuel Macron die richtige Einstellung dazu,
in:
TAZ v. 22.04.
TULL, Claire-Lise (2017):
Denken für die nationale Sache.
Paris: Rechtsruck und reaktionärer
Diskurs unter Intellektuellen: der Zeitgeist in Frankreich,
in:
TAZ v. 22.04.
"Manche Publizisten, die früher
links einzuordnen waren, fordern den Schutz der nationalen
Identität oder prangern die linksliberale Elite an. Alain
Finkielkraut, Pascal Bruckner und Michael Onfray gehören dazu",
erklärt uns Claire-Lise TULL.
Früher, das ist sehr, sehr lange her. Alain FINKIELKRAUT
und Pascal BRUCKNER
gehören zu den neuen Philosophen, die in den 1980er Jahren die
neoliberale und neokonservative Wende einleiteten. Kulturpessimismus
will TULL erst in deren letzten Bücher entdeckt haben, obwohl die
Philosophen schon seit Jahrzehnten neubürgerlichen Distinktionsmüll
produzieren.
TULL hält den Rechtsruck der
"französischen Geisteselite" für belanglos, denn der Front National
rekrutiere seine Wähler unten denjenigen "mit niedrigem
Bildungsniveau". Diese Arroganz des neubürgerlichen Milieus könnte
sich bald auch in Deutschland als Problem erweisen.
"2002 veröffentlichte der
Essayist Daniel Lindenberg ein Pamphlet unter dem Titel »Der
Ordnungsruf. Eine Studie über die neuen Reaktionären«. Wenige
Monate zuvor stand Jean-Marie Le Pen überraschend in der Stichwahl
zum Amt des Staatschefs gegen Jacques Chirac. 2016 wurde
Lindenbergs Buch neu aufgelegt - mit dem Hinweis des Verlegers
»eine Vorwarnung«",
erklärt uns TULL, verschweigt
dabei jedoch wohlweislich, dass in diesem Buch BRUCKNER und
FINKIELKRAUT zu den neuen Reaktionären gezählt wurden, weshalb sie
von "Pamphlet" spricht. Auch Michel HOUELLEBECQ wird zu Recht diesen
neuen Reaktionären zugeordnet.
Wie kurzsichtig TULL
argumentiert, wird klar, wenn sie schreibt:
"Überwindung des
Links-rechts-Schemas (...) - ein Leitmotiv rechter und
neoreaktionärer Intellektueller."
Jenseits von Links und Rechts war
in den 1980er Jahre der Slogan der neuen Sozialdemokratie und der
Individualisierungsthese von Ulrich BECK, mit dem sich die neue
Mitte endgültig der Arbeiterklasse entledigte. Und es zeigt auch,
dass Neue Rechte und Neue Mitte mehr gemeinsam haben als
selbsternannte Linke glauben. Unter
Anthony GIDDENS wurde das als Dritter Weg propagiert. Man darf
sich also sehr über die Geschichtsvergessenheit von TULL wundern.
JOFFRIN, Laurent (2017): Es
ist das Ende einer Epoche.
Revue: Laurent Joffrin,
Chefredakteur der "Liberation" blickt zurück auf den merkwürdigsten
Wahlkampf, den heute lebende Franzosen je erlebt haben. Und der den
Beginn einer neuen Revolte markiert,
in:
TAZ v. 22.04.
Laurent JOFFRIN, Chefredakteur
des neoliberalen Mitte-Blatt mit einst großer Vergangenheit, erklärt
uns, was aus Sicht des neubürgerlichen Milieus Sache ist:
"Die beiden
Antisystemkandidaten - Le Pen und Mélenchon - sammeln in den
Umfragen genauso viele Stimmen wie Fillon und Macron, die
Vertreter einer sogenannten vernunftbasierten Politik",
zürnt JOFFRIN, der in den
Sozialisten die wahre Linke sieht, der sich die restliche Linke
unterzuordnen habe, stattdessen:
"Zerrissen zwischen Macron,
Hamon und Méllenchon droht Sektierertum".
Vor diesem Hintergrund malt
JOFFRIN eine düstere Zukunft:
"Wie in Italien und Spanien
wird die französische Sozialdemokratie eine lange Finsternis
erleben, obwohl sie die einzige Kraft ist, die die Linke in der
politischen Landschaft vereinigen kann."
Die Sozialisten haben seit Anfang
der 1980er Jahre ihren Frieden mit dem Neoliberalismus gemacht und
so zu den heutigen Verhältnissen beigetragen. Wie soll eine solche
Partei noch die Linke repräsentieren können? Selbstkritik?
Fehlanzeige!
23.04.2017 -
Erster Wahlgang der Präsidentschaftswahlen
CROLLY,
Hannelore
(2017): Die Hauptstadt der Marine Le Pen.
Kandidatin des Front National zeigt
sich am Wahltag als einzige Kandidatin nicht in Paris. Sie ist in
ihrem Wahlkreis, in der Kleinstadt Hénin-Beaumont. Der Ort dient Le
Pen zur Illustration ihrer Kritik an den Eliten,
in:
Welt v. 24.04.
"Die sozialen Probleme in der
früheren Bergbaustadt sind groß, 18 Prozent Arbeitslosigkeit
drücken aufs Gemüt, 20 Prozent der Bürger des Départements um
Hénin-Beaumont leben unter der Armutsschwelle. Das ist Rekord für
das französische Festland. Anders als im Saarland oder in
Nordrhein-Westfalen hat es die Zentralregierung versäumt, nach dem
Ende des Bergbaus in den Strukturwandel zu investieren. Nun
bekommt der Staat dafür die Quittung - in Form massiver
Stimmengewinne für die Rechtsextremen",
berichtet Hannelore CROLLY aus
der über 26.000 Einwohner zählenden nordfranzösischen Kleinstadt
nahe Belgien und Calais, das anders als z.B. die
südfranzösische Stadt Frejus, zur
deutschen Erzählung vom Rechtsruck der Arbeiterklasse passt. CROLLY
bezeichnet die Stadt als "Stammgebiet der Sozialisten". Die
Arbeiterklasse wählte gemäß Didier ERIBON ("Rückkehr
nach Reims") jedoch nicht die Sozialisten, sondern die
Kommunisten. Eine Analyse der Situation in Nordfrankreich bleibt
aber CROLLY schuldig, denn wichtiger als Fakten, sind die großen
Erzählungen!
WIEGEL, Michaela (2017):
Feindseligkeiten beim Marktbummel.
Nach der Wahl ist vor der Stichwahl:
Le Pens Mannschaft verliert keine Zeit, Macron anzugreifen. Der Sieger
der ersten Runde ist im Vorteil - das Land aber ist tief gespalten,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.04.
Michaela WIEGELs Wahlanalyse ist eher
grobschlächtig. Sie macht zwei Trennlinien aus:
"Eine Trennlinie verläuft
zwischen den großen urbanen Zentren, in denen Macron seine besten
Ergebnisse erzielte, und den kleinen und mittleren Kommunen, die
mehrheitlich für Le Pen stimmten. Eine zweite Grenze teilt den
Macron-begeisterten Westen vom Osten des Landes, der mehrheitlich
Schutz bei Le Pen sucht."
Die Großstädte Paris, Bordeux,
Lyon und Toulouse werden als Schutzwall gegen Le PEN beschrieben.
"Doch in den Gebieten in der
Peripherie der Großstädte, in denen sich die Bürger von den
Segnungen der Metropolen abgehängt fühlen, lag ihr Stimmergebnis
meist doppelt so hoch",
schreibt WIEGEL zum FN Genannt
werden die Départments Gironde (Bourdeaux), Rhône (Lyon) und
Haute-Garonne (Toulouse).
"Die geographische Teilung
Frankreichs in eine weltoffene, proeuropäische Atlantikfassade und
in eine abschottungswillige, vom industriellen Strukturwandel
besonders betroffene Osthälfte ist unübersehbar",
erklärt uns WIEGEL, die im FN
jedoch keine Partei der Jugend (18- bis 24-Jährige) sehen will. Bei
ihnen punktete Jean-Luc MÉLENCHON. Die beiden Volksparteien
(Sozialisten und Republikaner) werden als große Wahlverlierer
beschrieben.
SCHUBERT, Christian (2017): Macron und die Wette
auf die radikale Mitte.
Das alte Wechselspiel von Rechts und
Links könnte in Frankreich bald enden. Doch kann Macron das Land aus
der Krise führen?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.04.
STELTZNER, Holger (2017):
Hat Frankreich einen Reformer gewählt?
Kommentar: Macron muss für innere
Sicherheit und für einen Aufschwung der Wirtschaft sorgen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.04.
Gute Stimmung nach dem ersten
Wahlgang und Deutsche Wirtschaft hofft auf Stabilität durch
Macron lauten die FAZ-Schlagzeilen des Wirtschaftsteils.
"Ist Macron wirklich der
Reformer, zu dem er in Deutschland verklärt wird? Selbst wenn,
könnte sogar ein charismatischer und tatkräftiger Präsident
Frankreich kaum ohne das Parlament regieren. Er nach der Wahl zur
Nationalversammlung wird man wissen, ob er auch dort von einer
Mehrheit getragen wird.
Das Ringen mit dem Front National ist noch nicht zu Ende",
warnt Holger STELTZNER.
PETERSDORFF, Winand von
(2017): Von wegen ausgeblutet.
In Ländern wie Frankreich und den
Niederlanden ist die Mittelschicht sogar leicht gewachsen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.04.
Winand von PETERSDORFF präsentiert uns Ergebnisse
einer PEW-Untersuchung mit Daten aus den Jahren 1991 - 2010 und will
uns damit unsere "gefühlte" Ungleichheit widerlegen:
"In Frankreich, in den
Niederlanden und in Großbritannien wuchs die Mittelschicht
zwischen 1991 und 2010. In Deutschland, Italien, Spanien und in
den Vereinigten Staaten dagegen schrumpfte sie der Studie
zufolge."
Abgesehen davon, dass uns
PETERSDORFF eine "klassische Definition" präsentiert, obwohl es eine
solche gar nicht gibt, werden uns die genauen Daten und deren
Annahmen vorenthalten, sodass der Leser sich kein eigenes Bild
machen kann. Mit der Behauptung einer "klassischen Definition"
sollen Einwände und Hinterfragungen sozusagen im Handstreich
weggewischt werden. Was wollt Ihr dummen Leser denn? Weil ihm diese
Argumente dann doch zu mickrig erscheinen, legt er noch nach:
"Ein Schrumpfen der
Mittelschicht signalisiert nicht zwangsläufig sinkenden Wohlstand.
Im Gegenteil".
Das ist eine Beruhigungspille für
Leser, die PETERSDORFF bei seiner Interpretation der
Mittelschichtentwicklung nicht folgen wollen. Abstiegsgesellschaft?
Blödsinn! Die Einkommen sind gestiegen, jubelt PETERSORFF dreist.
Natürlich gab es immer Lohnzuwächse, aber was hat das mit Aufstieg
oder Abstieg zu tun, wie uns PETERSDORFF suggeriert? Das liegt
daran, dass eine Mittelschichtdefinition, die sich lediglich an
finanziellen Größen und nicht an der Berufsgliederung orientiert,
fragwürdig ist. Das aber wird unter den Tisch gekehrt!
KUHN, Philip
(2017): Gespaltene Republik.
47 Départments hat Le Pen gewonnen -
vor allem im Süden und Osten Frankreichs. Macrons Hochburg ist die
Hauptstadt Paris,
in:
Welt kompakt v. 25.04.
"Bemerkenswert ist die Anzahl
der Départments, in denen Le Pen gewonnen hat: Es sind insgesamt
47. Bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren war es mit dem
Départment Gard an der Mittelmeerküste nur ein einziges",
erklärt uns Philip KUHN den
Aufstieg des FN in Frankreich, der uns eine Umfrage von OpinionWay
präsentiert, wonach der FN die Mitte der Gesellschaft, also die
bürgerlichen Milieus erreicht habe. Die Angestellten des
öffentlichen Diensts haben nach dieser Umfrage mehrheitlich Le PEN
gewählt.MACRON wird uns als Mann der Hochgebildeten und Gutverdiener
vorgestellt. Im Gegensatz zur FAZ sind der Welt kompakt
alle Départmentnamen zu entnehmen - auch die Überseegebiete, die bei
der FAZ fehlen.
POSCHARDT, Ulf
(2017): Die permanente Transformation.
Revolution war gestern, Reformen
sind heute, Transformationen gehört die Zukunft. Wie de Kandidat
Emmanuel Macron der politischen Kultur in Europa eine futuristische
Freude beschert,
in:
Welt kompakt v. 25.04.
Ulf POSCHARDT betätigt sich als
Imagedesigner. Man kennt diese Art von popkulturellem Anstrich von
Politikern aus dem Jahr 2011,
als POSCHARDT Karl-Theodor Freiherr zu Guttenbergs Politikkarriere
damit vergeblich zu retten versuchte. Nun arbeitet POSCHARDT an einer
popkulturellen Aura von MACRON. Doch Pop war gestern!
SCHMIDT,
Robert
(2017): Dreht dem Bürgermeister doch einfach den Strom ab!
Die ehemalige Industriestadt Hayange
im Nordosten Frankreichs wird seit drei Jahren von einem
Front-National-Mann regiert. Der ist in der Wahl seiner Mittel nicht
zimperlich. Die Erfahrungen dort lassen ahnen, wie es im ganzen Land
unter einer Präsidentin Marine Le Pen zugehen könnte,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.04.
Robert SCHMIDT berichtet über die
rund 15.000 Einwohner zählende Kleinstadt Hayange in Lotringen, wo
ein FN-Bürgermeister regiert. Als typische FN-Wähler bzw. mit deren
Programm sympathisierende Menschen werden uns ein 65-jähriger
Rentner, ein gebürtiger Italiener, der schon Jahrzehnte in
Frankreich lebt, ein 57-Jähriger im Niedriglohnsektor, ein
Frührentner mit türkischen Wurzeln und ein junger arbeitsloser
Senegalese präsentiert.
Als Erklärung für den Aufstieg
des FN zitiert SCHMIDT aus dem Buch Mandala über Fensch von
Marc OLÉNINE, in dem der Niedergang der Industrie die Hauptrolle
spielt:
"Im Herbst 2011 wurde in
Hayange der letzte der einst mehr als ein Dutzend Hochöfen
abgeschaltet, heute stehen die Stahlmonster als schweigende
Mahnmale in der Innenstadt. Wenige Monate später, im Frühjahr es
darauffolgenden Jahres, gingen auch im benachbarten Florange nach
monatelangen Massenprotesten die letzten beiden »hauts fourneaux«
endgültig aus. Obwohl der Großteil der Stammbelegschaft fortan für
Arcelormittal Autometallteile herstellen konnte, wurden Hunderte
Arbeiter vorzeitig in Rente geschickt, Tausende Leiharbeiter
verloren ihren Job. Ein einschneidendes Ereignis, das laut Autor
Olénin »anfängliche Wut« in »blanken Hass« und »Frustration«
verwandelte",
erklärt uns SCHMIDT. Doch diese
Erklärung macht es sich entschieden zu einfach. Strukturwandel und
Arbeitslosigkeit sind kein Merkmal unserer Zeit, sondern z.B. im
Ruhrpott fand diese Entwicklung schon viel früher statt. Erst im
Zusammenhang mit dem Neoliberalismus und der Ideologie es
"aktivierenden Sozialstaats" entwickelt sich eine explosive
Gemengelage, in der sich Hackordnungen innerhalb der benachteiligten
und diskriminierten Bevölkerungsschichten entwickeln wie sie SCHMIDT
beschreibt. Christian BARON hat in seinem Buch Proleten Pöbel
Parasiten beschrieben wie in der deutschen Hartz-Gesellschaft
sich solche Hackordnungen innerhalb jener Bevölkerungsgruppen
ausbreiteten, die im Sozialstaatsdiskurs wahlweise als Unterschicht
oder Sozialschmarotzer gelten. In einem solchen Klima werden
Praktiken, die uns SCHMIDT für die FN-Stadt Hayange beschreibt
salonfähig. SCHMIDT spricht von "Kontroll- und
Repressionsmechanismen", mit denen der Bürgermeister Kritiker
kaltzustellen versucht. Auch in Frankreich gibt es z.B. Tafeln, die
keineswegs nur von Rechtpopulisten kritisiert werden. Sie verstoßen
gegen das Prinzip des aktivierenden Sozialstaats und werden deshalb
auch in Deutschland von jenen kritisiert, die mehr Kontrolle und
Repression befürworten. Der FN installiert in Frankreich sozusagen
eine Hartz-Gesellschaft "von unten" ohne die demokratischen Weihen,
die sie hierzulande genießt. Wer dies unter diesem Aspekt
betrachtet, der kann sich nicht einfach aus der Verantwortung
schleichen und den FN und seine Wähler die Schuld für die Missstände
zu geben, sondern er muss tiefer graben und die Gewaltherrschaft des
Neoliberalismus ins Visier nehmen. Populismus und Neoliberalismus
sind nur zwei Seiten einer Medaille. Der Rechtspopulismus wird nicht
verschwinden, indem man nur dessen Mittel kritisiert, aber ansonsten
in vielen ideologischen Aspekten übereinstimmt. Viele fragen sich
dann nur noch: Warum sollen wir die verweichlichte Variante wählen,
statt das harte Original.
Am Schluss zählt SCHMIDT noch
weitere Städte und Gemeiden auf, die in Frankreich bereits in der
Hand des FN sind: Villers-Cotterêts, Frejus, Hénin-Beaumont und
Mantes-la-ville bei Paris.
Bereits
vor drei Tagen berichtete Fabian FEDERL auf ZEIT online
in dem Artikel Lächerlich, aber trotzdem gefährlich über den
Bürgermeister von Hayange und die Situation im Tal von Fensch in
Lothringen:
"Fabien Engelmanns Stadt liegt
in einem Tal im Nordosten des Landes, Vallée de la Fensch, einst
Frankreichs Stahl- und Kohlezentrum, zwischen Belgien, Luxemburg
und dem Saarland. Dort gibt es zehn beinahe zusammengewachsene
Städte, insgesamt 70.000 Einwohner, wie ein Mini-Ruhrgebiet. Eine
davon ist Hayange. Am Rathaus weht die französische Flagge, die
europäische wurde am Tag von Engelmanns Amtsantritt eingeholt und
verstaut. An der Hauptstraße der 15.000-Einwohner-Gemeinde reihen
sich rechts und links geschlossene Bäckereien an geschlossene
Bekleidungsgeschäfte, leerstehende Tankstellen an mit Holzlatten
verrammelte Cafés.(...).
Von den 100.000 Arbeitsplätzen in der Vallée sind nicht einmal
mehr 500 übrig. Die Arbeitslosenquote liegt bei 16,4 Prozent.
Arbeiter, die früher unter Tage gingen oder in die Stahlwerke,
sind heute entweder Teil dieser Statistik, arbeiten in prekären
Dienstleistungsjobs oder pendeln, wie jeder Vierte im Tal, täglich
nach Luxemburg oder Belgien."
Dieses Szenario wird von FEDERL
jedoch konterkariert:
"Die Vallée ist aber keineswegs
arm. Die Region wächst sogar wieder. Die Menschen, die jenseits
der Grenze arbeiten, verdienen gut. Es gibt die
Autozulieferindustrie und die Petrochemie."
Oder anders formuliert: Was wollt
Ihr eigentlich, Euch geht es doch super. Ihr habt keinerlei Grund,
Euch verraten oder vergessen zu fühlen. Wer arbeitslos ist, der ist
selber schuld, weil er nicht flexibel genug ist, um sich einen
anderen Job zu suchen.
Die zwei Hauptakteure des FAZ-Artikels,
der FN-Bürgermeister und sein Widerpart Marc OLÉNINE kommen beide
aus der französischen Linken, während jedoch der FN-Mann eine
Arbeiterbiografie aufweist, gehört sein Widersacher zu den
erfolgreichen sozialen Aufsteigern. Er wird im ZEIT
Online-Artikel als "Dozent der Universität der Vallée"
bezeichnet. In einem
älteren Artikel der Schweizer WochenZeitung von Yves
WEGELIN wird er einmal als "Firmenberater" und ein anderes Mal als
"Kind einer Stahlarbeiterfamilie, der selber jedoch den «menschenfressenden
Maschinen» der Industrie durch ein Universitätsstudium entging"
bezeichnet. Der Aufstieg des FN in Frankreich kann also durchaus als
Symptom einer Krise der Linken gesehen werden.
REHBERG, Peter
(2017): "Wir brauchen ein Europa der sozialen Bewegungen".
Didier Eribon warnt, dass der
charmante Emmanuel Macron jene neoliberale Politik fortsetzt, die die
EU gespalten hat,
in:
Freitag Nr.17 v. 27.04.
RAETHER, Elisabeth & Gero von RANDOW
(2017): Ein Land steht kopf.
Fast alle wetten darauf, dass Marine
Le Pen die französische Präsidentschaftswahl verliert. Das könnte ein
Fehler sein,
in: Die ZEIT
Nr.18
v. 27.04.
Elisabeth RAETHER &
Gero von RANDOW wollen uns weismachen, dass Marine Le PEN bei der
Präsidentschaftswahl eine Chance hätte:
"Die Barriere gegen die
Rechtsradikale will nicht recht zustande kommen. An der Kundgebung zu
der SOS Racisme am Montagabend auf der Place de la République in Paris
einlud, nahmen bloß 200 Leute teil",
klagen sie, als ob Protestaktionen
das gleiche wären als Wahlen. Dann erklären uns
RAETHER & RANDOW, dass es unter den Republikanern, die sie als
"Konservative" und nicht als Rechte ausweisen, eine "einflussreiche
Vereinigung Sens commun" ("Gesunder Menschenverstand" gäbe, die den
Front National unterstütze, obwohl deren Wortführer mit dem FN nichts
am Hut haben. Die Basis solle jedoch Gefallen an Marion MARECHAL-Le
PEN
("wichtigste Vertreterin einer traditionalistischen, altkatholischen
Strömung innerhalb des FN") finden, die
2012 als jüngste Abgeordnete erstmals über den 3. Wahlkreis im
Département Vaucluse einzog.
Zum Schluss wird Jean-Luc MÉLENCHON
und France Insoumise ("Nationallinke") zum Feindbild aufgebaut:
"Immerhin haben viele Wähler, die
erst Le Pen favorisiert hatten, dann doch für Mélenchon gestimmt, und
die lassen sich vielleicht zurückgewinnen. Ein Sechstel jener, die für
den Linken votierten, will derzeit im zweiten Wahlgang für die
Ultrarechte stimmen. 37 Prozent wissen noch nicht, wie sie sich
verhalten werden: Vielleicht ist da noch mehr drin".
Und auch das kommende Fernsehduell
zwischen MACRON und Le PEN wird als Drohszenario aufgebaut.
Fazit: Alles in allem ist der
Artikel reine Verdummung, der einzig durch deutsche Interessen
bestimmt ist (Stichwort: AfD und EU), aber nichts mit den
tatsächlichen Machtverhältnissen in Frankreich zu tun hat.
BLUME, Georg
(2017): "Wir sind weiter als andere".
Der Meinungsforscher Jérôme Fourquet
erklärt, warum die französischen Wahlumfragen im Gegensatz zu denen in
den USA und England so treffsicher sind,
in: Die ZEIT
Nr.18
v. 27.04.
SANDER, Matthias (2017): Ein Dorf kämpft gegen seinen Untergang.
Investieren statt Trübsal blasen -
Besuch bei einem kreativen Bürgermeister hinter den Vogesen,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 28.04.
"Die Fabriken für Möbel,
Textilien und Eisenwaren sind weg. Nichts hat sie ersetzt.
Tourismus gibt es kaum. Die Arbeitslosigkeit im ländlichen
Département Vosges beträgt rund elf Prozent, einen Prozentpunkt
mehr als der Landesdurchschnitt. Solche Gegenden nennt der Geograf
und Bestseller-Autor Christophe Guilluy
das «periphere Frankreich» fern der blühenden Metropolen",
erzählt uns Matthias SANDER über
die rund 325 Einwohner zählende Gemeinde
Les Voivres im Vogesen-Department. SANDER beschreibt den
aussichtslosen Kampf des Bürgermeisters gegen die Strukturprobleme
im ländlichen Raum. Dass das "periphere Frankreich" jedoch nur fern
der blühenden Metropolen existiert, ist so nicht richtig, denn zu
diesem Frankreich gehört auch die Peripherie der Großstädte jenseits
der Vorstädte ("banlieues").
BALMER, Rudolf (2017): Die
republikanische Front bröckelt.
Analyse: Eine breite Allianz von
links bis konservativ gegen Le Pens Front National war in Frankreich
lange geradezu selbstverständlich. Doch jetzt ist dieser Cordon
sanitaire durchlässig geworden,
in:
TAZ v. 28.04.
Weil sich der Linke Jean-Luc Mélanchon bislang
weigert, eine Wahlempfehlung für den Neoliberalen Emmanuel MACRON
abzugeben, entrüstet sich Rudolf BALMER. Eine Analyse gibt es nicht,
sondern lediglich Moralismus. Bezeichnenderweise wird als einziges
französisches Meinungsmedium der Nouvel Observateur genannt,
der seit den 1980er Jahren den Neoliberalismus glorifiziert. Kann
man die soziale Frage aber damit kaltstellen, dass man die
Alternativlosigkeit des neoliberalen Kandidaten beschwört? Am Ende
könnte Didier ERIBON Recht behalten: MACRONs Sieg wird ein
Pyrrhussieg sein, der Frankreich noch tiefer in die Krise einer
gespaltenen Gesellschaft hineinführen wird.
Der Artikel Enthaltung, Macron,
Le Pen? von Barbara OERTEL bringt auch keine weiteren
Aufschlüsse darüber, wen die Wähler, die beim ersten Wahlfang
MÉLENCHON unterstützt haben, am 7. Mai wählen werden - falls sie
überhaupt zur Wahl gehen.
MACRON, Emmanuel & Michel
HOUELLEBECQ
(2017): "Abenteuer wagen".
Was haben sich der abgründigste
Schriftsteller und der größte Hoffnungsträger Frankreichs zu sagen?
Letztes Jahr trafen sich Michel Houellebecq und Emmanuel Macron. Wir
dokumentieren ihr Gespräch,
in:
Welt v. 29.04.
MINKMAR, Nils (2017):
Liberté, Égalité, Fragilité.
Frankreich: Vielfalt und Einheit,
Weltgeltung und Verzagtheit, die Zerbrechlichkeit des politischen
Systems, das sind die Themen, über die französische Intellektuelle
nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl diskutieren. Ein Besuch
in Paris,
in:
Spiegel Nr.18 v. 29.04.
Nils MINKMAR verlangt mehr deutsches Geld, um
mittels Geschichtspolitik Frankreichs Demokratie zu retten. Geht es
noch absurder?
BERNET, Luzi (2017): Urbane Kosmopoliten, ländliche
Banausen.
Von New York über Zürich bis Paris
und Istanbul feiern sich die Metropolen als Bollwerke der Aufklärung
und Zivilisation gegen das tumbe Umland. Das zeugt von
Überheblichkeit,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 29.04.
Mai 2017
MEISTER, Martina (2017): "Emmanuel Macron wird
Frankreich verraten".
Der Rivale von Marine Le Pen hat ein
Problem: Viele Linke in Frankreich verachten ihn. Dazu gehört auch der
Intellektuelle Emmanuel Todd,
in:
Welt v. 03.05.
JUNGLE
WORLD-Thema:
In Wahlgewittern.
Frankreich stimmt ab: Wo bleibt
der Widerstand? Der Einzug von Marine Le Pen in die zweite Runde
der Präsidentschaftswahl spaltet die französische Linke. Die
Ablehnung des liberalen Kandidaten Emmanuel Macron scheint bei
vielen stärker zu sein als die Angst vor einer neofaschistischen
Präsidentin. Warum die Gleichsetzung von Liberalismus und
Faschismus gefährlich ist, erfahren Sie auf den Thema-Seiten |
LATZ, Lukas (2017): Die Hauptstadt der Identitären.
Erwarten die Rechtsextremen in
Frankreich einen Sieg von Marine Le Pen? In Lyon, einer Hochburg der
Identitären Bewegung, will sich die rechtsextreme Szene nicht so
richtig festlegen. Eine Reportage,
in:
Jungle World Nr.18 v. 04.05.
HASGALL, Alexander (2017): Taktik und Nützlichkeit.
Jean-Luc Mélenchon wird vorgeworfen,
er stärke durch seine Weigerung, eine Wahlempfehlung abzugeben, den
Front National. Die "nützliche Stimme" für Emmanuel Macron könnte sich
aber als nicht sehr nützlich erweisen,
in:
Jungle World Nr.18 v. 04.05.
SCHMID, Bernard (2017): Die große Enthaltsamkeit.
Viele gehen davon aus, dass Emmanuel
Macron Marine Le Pen bei der französischen Präsidentschaftswahl
besiegen wird. Während die Regierungspläne des liberalen Macron noch
unbekannt sind, hat die rechtsextreme Le Pen bereits einen
Koalitionsvertrag für den Fall eines Sieges unterschrieben,
in:
Jungle World Nr.18 v. 04.05.
WINKEL, Detlef zum (2017): Die Linke gräbt am republikanischen Damm.
Nicht die Kritik an Emmanuel Macron
ist der Fehler, sondern die Verharmlosung und Unterschätzung des Front
National. Die Gleichsetzung von Liberalismus und Faschismus durch die
radikale Linke ist gefährlich,
in:
Jungle World Nr.18 v. 04.05.
MANZO, Sara Maria (2017): Leben am Abgrund.
Zu Frankreichs Wählern gehört ein
Heer junger Arbeitsloser - zum Beispiel in Carcassonne,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 04.05.
"Die Armutsquote ist mit 25
Prozent eine der höchsten des Landes.
Die Stadt (...) hat knapp 46.000 Einwohner, die Bevölkerungszahl
ist im Abnehmen begriffen. (...).
In ganz Frankreich haben 1,7 Millionen junge Menschen weder eine
Erwerbsarbeit, noch stehen sie in Ausbildung: das sind 15 Prozent
der 15- bis 29-Jährigen. Jeder vierte Arbeitslose ist unter 25
Jahre alt, einer von dreien kann keinen Abschluss vorweisen. Ein
Drittel der 15- bis 29-Jährigen arbeitet mit einem befristeten
Vertrag",
schildert Sara Maria MANZO die
Situation im südfranzösischen
Carcassonne. Vor diesem Hintergrund werden uns zwei Personen
vorgestellt: ein 20-jähriger Tschetschene, der eine Kaufmannslehre
macht und in einer Plattenbausiedlung am Rande von Le
Viguier-Saint-Jacques aufgewachsen ist:
"Die Plattenbausiedlung steht
auf der Liste der »Quartiers prioritaires«, das ist der
administrative Begriff für verwahrloste Stadtteile, in denen
Kriminalität zum Alltag gehört und Jugendliche wenig Aussichten
auf ein besseres Leben haben. Mehr als 60 Prozent der rund 1.800
Bewohner hier leben unter der Armutsgrenze, sie liegt für
Alleinstehende bei 1.008 Euro im Monat. Wer mit einem teuren Auto
vorfährt, bekommt in dieser Welt Respekt",
erklärt uns MANZO. Die Frau hat
dagegen Pferdepflegerin gelernt und ist der Liebe wegen in
Carcassonne gelandet.
"(W)er in Frankreich »nur« eine
Berufslehre macht, begibt sich auf den Weg ins Prekariat",
beschreibt MANZO die
Zukunftsaussichten der französischen Jugend ohne
Akademikerhintergrund. Die EU wird uns in Form eines Jugendprogramms
namens "Mission locale" als Wohltäterin vorgestellt - oder eher als
Tropfen auf den heißen Stein.
HEBEL, Stephan (2017):
Enthaltung ist nicht links.
Kommentar: Im parteiübergreifenden
Jubel über Macron darf die Frage nicht untergehen, für welches Europa
er wirklich steht. Dabei gilt aber auch: Passivität ist keine Option,
in:
Frankfurter Rundschau v. 05.05.
Spielte Stephan HEBEL
gestern in der Wochenzeitung Freitag noch den Fatalisten
("Kein Wechsel nirgends"),
so tritt er uns heute als Politpragmatiker entgegen: Von Martin
SCHULZ als Kanzler darf man wohl noch träumen können! HEBEL
kritisiert Didier ERIBON, der sich für eine Enthaltung im
Präsidentschaftsduell ausgesprochen hat. MACRON sei das kleinere
Übel.
"Frankreich wählt im Juni ein
neues Parlament. Die Mehrheit, die dabei herauskommt, wird einiges
mitzureden haben. Nur wer jetzt Le Pen verhindert, kann im Juni
dafür sorgen, dass ein demokratischer und europäisch denkender
Präsident von links unter Druck gerät",
behauptet HEBEL. Das ist nichts
anderes als die totale Kapitulation vor der neoliberalen Hegemonie.
Wer so argumentiert will partout nicht begreifen, dass die Zeiten
der Alternativlosigkeit vorbei sind. Selbst wenn Le Pen gewählt
würde, könnte sie immer noch im Juni durch die Parlamentswahlen
unter Druck gesetzt werden. Das Beispiel Donald TRUMP zeigt eher,
dass ein unbeliebter Präsident eine politische Mobilisierung
ermöglicht, die ansonsten nie möglich gewesen wäre. Die Neoliberalen
müssten dann aber endlich Farbe bekennen und könnten nicht mehr so
weiter machen wie bisher. Sie könnten sich nicht mehr auf ihrer
Fortschrittsrhetorik ausruhen und Almosen an die Arbeiterklasse
verteilen. Der französische Zentralismus, der ein viel größeres
Stadt-Land-Gefälle als in Deutschland erzeugt hat, müsste auf den
Prüfstand kommen. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass
Frankreich anders als Deutschland keinen HITLER hervorgebracht hat.
Eine starke Opposition im Parlament wäre allemal besser als ein
alternativloses Weiter-So. Wenn die EU mehr sein will als eine
Institution für die Globalisierungsgewinner, dann wäre es nun an der
Zeit zu handeln. Die Eliten sind uneinsichtig und denken nicht daran
ihre Strategie zu ändern. Sie reagieren nur auf Abwahl. Daran führt
kein Weg vorbei.
STROHSCHNEIDER, Tom
(2017): Anders als viele meiner linken Freunde.
Ist die Niederlage von Le Pen schon
sicher? Keineswegs, warnen Autoren wie Édouard Louis und Laurent Binet
- und stimmen für Macron,
in:
Neues Deutschland v. 05.05.
Noch vor dem ersten Wahlgang erklärte Édouard
LOUIS in der SZ:
"Man muss wählen gehen für den
Flüchtling, der abgeschoben wird, wenn Macron an die Macht kommt."
Jetzt erzählt uns Tom
STROHSCHNEIDER, dass er sich in einer italienischen Zeitung dafür
ausgesprochen hat MACRON zu wählen.
PANTEL, Nadia (2017): Im
roten Kreis.
In Marseille haben zuletzt sehr
viele Menschen die Linke gewählt. Jetzt wissen sie nicht, ob sie am
Sonntag nicht lieber zu Hause bleiben sollen, statt noch einmal zu
wählen. Ein Besuch bei Unentschlossenen und Verzweifelten,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 05.05.
"Der Politiker, dem in
Marseille zugetraut wird, Frankreich zu verändern, heißt Jean-Luc
Mélenchon. Der Gründer der linken Bewegung La France Insoumise,
das Unbeugsame Frankreich, bekam im Zentrum der Stadt 24,8
Prozent.
Die Abgehängten wählen Marine Le Pen? Hinter den Abgehängten
kommen noch diejenigen, die niemals angehängt waren: verarmte
Einwanderer. Auf den Karten, die zeigen, wie Frankreich zuletzt
gewählt hat, gibt es zwei rote, kleine Flecken:
Seine-Saint-Denis und Marseille. Die Banlieue gleich neben
Paris und Frankreichs zweitgrößte Stadt sind die einzigen Orte, in
denen Mélenchon gesiegt hat",
erklärt uns Nadia PANTEL. Zieht
man dagegen die
französische Website zur Präsidentschaftswahl zu Rate dann hat
Jean-Luc MÉLENCHON das
19. und
20. Arrondissement in Paris gewonnen. Das 1. bis 5., das 9. bis
15. und 18. Arrondissement in Paris ging an Emmanuel MACON, und das
6. bis 8., 16. und 17. Arrondissement in Paris gewann FILLON.
In
Marseille gewann MÉLENCHON die Arrondissements 1-5 und 14-16,
FILLON gewann die Arrondissements 6-9 und Marine Le PEN die
Arrondissements 10-13.
Was PANTEL beschreibt stimmt
nicht mit den Wahlergebnissen überein: MÉLENCHON gewann auch das
Department
Ariège und das Department
Dordogne. Aber diese Gebiete passen nicht ins Bild, das PANTEL
malt, denn es sind ländliche Gebiete ohne Großstädte.
HABERKORN,
Tobias
(2017): "Wenn Le Pen gewinnt gibt es Tote".
Warum fällt es den
Linksintellektuellen so schwer, Macron zu wählen? Ein Gespräch mit
Tristan Garcia, dem Wunderkind des neuen französischen Denkens,
in:
Welt v. 06.05.
Keine Schlagzeile scheint derzeit
zu absurd zu sein, um die Alternativlosigkeit von Emmanuel MACRON zu
verteidigen. Tobias HABERKORN präsentiert uns einen französischen
Popintellektuellen, der sich als Anhänger von Jean-Luc MÉLENCHON
präsentiert und MACRON als kleineres Übel wählen will. Er stilisiert
sich zu einem Mitglied der "progressiven Linken", ein inhaltsleerer
Modebegriff. Sein Slogan:
"Das Problem jeder Politik ist,
dass sie zum Erfolg immer zwei Dinge braucht: Idee und Identität."
GARCIA ist ein Anhänger der
Kulturlinken, der tatsächlich glaubt, dass er mit Popkultur
Frankreich vor dem FN retten könnte:
"Musik, Jugendslang, ein
bestimmter Kleidungsstil - die Codes der Jugendkultur, die für sie
erreichbar ist, kommen aus der Banlieue. Wer sich als Jugendlicher
davon abgrenzen will, der wählt - leider - den Front National. Ich
will die Situation der Einwandererkinder in den Banlieues gar
nicht beschönigen. Aber identitätspolitisch haben sie wenigstens
den Vorteil, dass sie sich auf eine Sprache, eine Musik, eine
Jugendkultur berufen können".
Der Glaube an die Allmacht von
Popkultur ist ein Irrweg, den die Popintellektuellen der
Single-Generation um Diedrich DIEDERICHSEN in den 1980er Jahren
verbreitet haben. In den 1990er Jahren waren die Kids dann plötzlich
nicht mehr alright und der Indiepop wurde zum Wegbereiter des
Neoliberalismus: Cool Britannia war everywhere. HipHop galt
dann als Gegenkultur der Unterschicht, bevor er von der
privilegierten Jugend vereinnahmt wurde. Christian BARON kritisiert
in seinem Buch
Proleten Pöbel Parasiten die Vereinnahmung der
Arbeiterkultur durch privilegierte Mittelschichtkids als Enteignung
der Identität der Arbeiterklasse.
"Die Linke muss es irgendwie
schaffen, dass in den unteren Schichten wieder ein
Identitätsbewusstsein entsteht, das sich auf progressiv
fortschrittliche Werte beruft",
erklärt uns GARCIA in Zeiten, in
denen Popkulturforschung zum akademischen Fach sozialer Aufsteiger
geworden ist, was GARCIA durchaus bewusst ist:
"Wenn ich als jemand, der eine
Unistelle hat, mit einem Arbeitslosen spreche, dann kann man mir
vorwerfen, dass ich »von oben herab« argumentiere, einfach
aufgrund meiner sozioökonomischen Identität. Das ist die Krux:
Jedes ideelle Argument kann mit Verweis auf die Identität des
Sprechers entwertet werden. Man muss also strategisch vorgehen und
die Begriffe austricksen."
Die Vereinnahmung der Popkultur
hat bekanntlich Ulf POSCHARD mit seiner Version, dass die FDP Pop
sei, auf ihre neoliberale Spitze getrieben. Pop hat als Mittel der
Abgrenzung längst ausgedient, seit sie ein Abschottungsmittel der
Neuen Mitte gegen die Benachteiligten wurde.
Das intensive Leben heißt ein Buch von GARCIA, das gerade
bei Suhrkamp erschienen ist. Intensität war ein Schlüsselbegriff der
Popintellektuellen um DIEDERICHSEN. In Deutschland gibt es
inzwischen sogar eine Nachtlebengeschichtsschreibung. Mit den neuen
sozialen Fragen hat solch eine Akademikerjugendforschung nichts zu
tun!
KUHN, Philip (2017): "Dann ist
die Grenze halt wieder zu".
Am Rhein profitieren Deutsche und
Franzosen von ihrer Nachbarschaft. Doch im Elsass wird Le Pen gewählt,
nebenan konservativ grün. Was ist da los?
in:
Welt v. 06.05.
Philip KUHN berichtet aus der keine 1.000
Einwohner zählenden Elsässischen Gemeinde Chalampé:
"Im Département Haut-Rhin und
Bas-Rhin lag Marine Le Pen jeweils mit 27 und 25 Prozent der
Stimmen vorn.
In Chalampé, nur einen Steinwurf von der deutschen Grenze
entfernt, war der Erfolg für Le Pen sogar noch größer: 30 Prozent
wählten im 1000-Einwohner-Ort die Rechtsnationalisten."
Nur durch eine Rheinbrücke
getrennt, liegt auf der deutschen Seite die 8.000-Einwohner-Gemeinde
Neuenburg, die von einem CDU-Bürgermeister regiert wird und von der
Grenzöffnung deutlich mehr profitiert als die französische
Nachbargemeinde:
"In Neuenburg herrscht
praktisch Vollbeschäftigung, auch in Chalampé ist die
Arbeitslosigkeit mit 6,5 Prozent für französische Verhältnisse
sehr gering. (...).
(I)n Neuenburg sind 700 Franzosen angestellt, das sind 15 Prozent
der Beschäftigten. Sie arbeiten im örtlichen Pflegeheim, einem
Pharmaunternehmen und bei einem Autozulieferer. Hinzu kommen noch
weitere 700 Elsässer, die jeden Tag in Neuenburg die »Geschäfte
leerkaufen«".
Die französische Bürgermeisterin
von Chalampé nennt als Grund für den Frust die Gebietsreform:
"Die Anfang 2006 beschlossene
Fusion mehrerer historisch und kulturell völlig unterschiedlicher
Regionen - dazu gehören neben dem Elsass auch Lothringen und die
Ardennen - zur Gesamtregion Grand Est habe den latenten Frust
verstärkt".
Gebietsreformen sind jedoch
keineswegs für sich allein kein Grund, sondern die Tatsache, dass
damit das Stadt-Land-Gefälle größer wird.
WERNICKE, Christian
(2017): 'Ein Restrisiko bleibt".
SZ-Wochenthema Die Wahl in
Frankreich: Warum der linke Politikforscher Gilles Finchelstein
eigentlich mit einem Scheitern der Populisten-Chefin rechnet - aber
sich doch nicht ganz sicher ist,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 06.05.
Nach Brexit und TRUMP sind unsere
Eliten im Panikmodus. Der Begriff "Restrisiko" ist uns allseits
bekannt aus der AKW-Debatte. Tschernobyl und Fukushima stehen für
das Restrisiko. Es ist ein Technokratenbegriff, der sagt: Im Grunde
haben wir alles im Griff, nur ein dummer Schmetterling oder der
Reissack, der in China umfällt, könnte unsere Ruhe stören. Im Fall
von Le PEN wäre das der Wähler oder gemäß FINCHELSTEIN der
Nicht-Wähler:
"Was als ein Restrisiko bleibt
ist, dass sie quasi aus Versehen gewählt wird - aus
Fahrlässigkeit. Wenn am Sonntag plötzlich 40 Prozent der Franzosen
zu Hause bleiben (...) haben wir ein Problem."
07.05.2017 -
Zweiter Wahlgang der Präsidentschaftswahlen
KLIMM, Leo (2017): Mission
Mehrheit.
Bis zur Parlamentswahl im Juni soll
sich Macrons Bewegung En Marche als tragfähiges Machtfundament
etablieren,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 09.05.
"49 Prozent der Franzosen, so
eine Erhegung des Institutes Kantar Sofres wünschen sich keine
eigene Mehrheit für Macron, sondern dass der Präsident gezwungen
wird, eine Regierung anderer Couleur zu ernennen. Schon jetzt
absehbar ist, dass der FN erstmals seit 1986 in Fraktionsstärke in
der Nationalversammlung vertreten sein wird. Und der linksradikale
Jean-Luc Mélenchon hat mit seiner Partei (...) sofort nach der
Präsidentenkür den Kampf um die Nationalversammlung eröffnet:
Macrons Politik bedeute »Krieg gegen soziale Errungenschaften
sowie ökologische Verantwortungslosigkeit«",
erklärt uns Leo KLIMM die
Ausgangslage vor der entscheidenden Wahl in Frankreich. Der FN hat
in der Stichwahl lediglich die Départements
Pax-de-Calais und
Aisne gewinnen können.
SYROVATKA, Felix
(2017): Gespaltenes Frankreich.
ND-Tagesthema Nach den
Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Macron gewann in den Städten und
mit Hilfe des Bildungsbürgertums. Der Norden und Geringverdiener
stimmten für Le Pen,
in:
Neues Deutschland v. 09.05.
ROTH, Eva (2017): Gar nicht so
schlecht.
ND-Tagesthema Nach den
Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Die Wirtschaft in Frankreich ist
über viele Jahre stärker gewachsen als in Deutschland - und bis
zuletzt war die Armutsquote niedriger als hierzulande,
in:
Neues Deutschland v. 09.05.
Eva ROTH weist darauf hin, dass bei der
Jugendarbeitslosenquote je nach Statistik entweder ein
Arbeitslosenanteil von 9 oder 24 Prozent ermittelt werden kann. Bei
letzterer Zahl bleiben die gleichaltrigen Studenten und Schüler außen
vor und lediglich die Erwerbspersonen gelten als Bezugsgruppe. Je mehr
Jugendliche als in einem Land studieren und auf Schulen gehen, desto
weniger spiegelt die letzte Zahl die Realität des Landes wider,
wodurch internationale Vergleiche leicht fehlinterpretiert werden
können.
VEIEL, Axel (2017): Einer
gegen alle.
Leidartikel: Kaum ist Emmanuel
Macron als Präsident gewählt, bläst ihm der Wind ins Gesicht. Kann er
Frankreich trotzdem reformieren?
in:
Frankfurter Rundschau v. 09.05.
"Macron hat 66 Prozent der
Stimmen verbucht. Hinzuzufügen wäre aber: der abgegebenen und
gültigen. Ein Drittel der Wähler hat sich verweigert, hat
ungültige, weiße oder gar keine Stimmzettel abgegeben. Ein
weiteres Drittel hat für die Rechtspopulistin Marine Le Pen
votiert",
erklärt uns Axel VEIEL, der vor
einer Totalblockade warnt, aber letztlich an einen Erfolg von MACRON
glauben will.
SCHUBERT, Christian (2017): Macrons Mann für Zahlen
und Ideen.
Menschen & Wirtschaft: Jean
Pisani-Ferry beriet schon mehr als einen Präsidentschaftskandidaten.
Jetzt hat es sein Schützling in den Elysée-Palast geschafft. Was
bedeutet das für den Ökonomen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.05.
TH/KU (2017): Macrons schwierige Mission.
Wachstumsschwäche, starrer
Arbeitsmarkt, mangelnd Wettbewerbsfähigkeit: Der künftige
Staatspräsident steht vor großen Herausforderungen. Helfen seine Pläne
bei der Überwindung der Probleme?
in:
Handelsblatt v. 10.05.
KOHLER,
Alexandra/KOLLY, Marie-José/WYSLING, Andres
(2017): Ein tief gespaltenes Land.
Der Westen Frankreichs tickt anders
als der Osten,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 10.05.
Während die deutschen Zeitungen
das Wahlergebnis des zweiten Wahlgangs von Emmanuell MACRON schnell
und oberflächlich abgehandelt haben, bietet die NZZ eine
detailliertere Analyse
MACRON bekam lediglich 44 Prozent
der Stimmen aller Wahlberechtigten. Le PEN bekam 22,4 Prozent. Aus
dieser Sicht sieht der Sieg dann keineswegs mehr so glänzend aus wie
es die zwei Drittel-Mehrheit weismachen möchte. Die Wahlbeteiligung
lag nur 1969 niedriger! Rückhalt in der Bevölkerung sieht anders
aus!
"Unter sozialen Aspekten fällt
vor allem ins Gewicht, dass Le Pen im ganzen Land bei Wählern aus
ärmeren Haushalten besonders gut abschneidet. Hier erreicht sie
laut dem Umfrageinstitut Ipsos zwei Drittel der Stimmen",
behaupten KOHLER/KOLLY/WYSLING.
Dies ist aber falsch, denn die Einkommenshöhe der Haushalte wurde
gar nicht erfragt, sondern lediglich die subjektive Einschätzung,
wie einer Grafik zu entnehmen ist. Jemand, der ein hohes Einkommen
erzielt, könnte genauso gut der Meinung sein, dass "er finanziell
nur knapp über die Runden kommt". Seriös wäre lediglich die die
Angabe von Einkommenshöhen gewesen.
Die MACRON-Hochburgen sind die
Großstädte und die Banlieues. Le PEN dagegen punktet im Umkreis von
100-200 km um Paris. Als FN-Hochburgen werden der Südosten und der
Nordosten beschrieben. Lediglich letztere entsprechen dem Bild, das
gerne von den FN-Wählern gezeichnet wird. Außerdem werden untypische
Ausnahmen vom allgemeinen Trend genannt.
KLINGSIECK, Ralf
(2017): Schlamassel in der Schlüsselfrage.
Frankreichs Kommunisten und Mélenchons Linksbewegung gehen getrennt in
die Parlamentswahl,
in:
Neues Deutschland v. 12.05.
Die einen übersetzen die Bewegung
von Jean-Luc MÉLENCHON mit "Das Unbeugsame Frankreich" ins Deutsche,
Ralf KLINGSIECK nennt sie "Das Aufsässige Frankreich", was wohl
seiner Sicht auf die Bewegung eher entspricht, denn er wirft
MÉLENCHON vor die Chancen der Linken bei den bevorstehenden Wahlen
zur Nationalversammlung zu schmälern:
"Im Ergebnis wird die bisher
schon bescheidene Vertretung der Kommunisten und von Mélenchons
Bewegung in der Nationalversammlung so zusammenschmelzen, dass sie
nicht einmal eine Parlamentsgruppe bilden können. Dafür müssen
mindestens 15 Abgeordnetensitze errungen werden und genau so viele
hatte in der bisherigen Nationalversammlung die Linksfront aus
Kommunisten und Mélenchons Partei der Linken - aber gemeinsam.
Dagegen kann es die rechtsextreme Front National, die bisher nur
zwei Abgeordnete aufzuweisen hatte, diesmal auf mehr als 50 Sitze
bringen und sich dann im Parlament als die einzige bedeutsame
Partei aufspielen, die in Opposition zu Macrons neoliberalen
Reformen die Interessen der arbeitenden Franzosen verteidigt."
BRUCKNER, Pascal (2017):
Peter Pan muss Härte zeigen.
Sein Wahlkampf bot vielen etwas.
Aber kann Emmanuel Macron das zerrissene Frankreich einen?
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 13.05.
Der Philosoph Pascal BRUCKNER beschreibt den
französischen Präsidenten MACRON als einen französischen Martin
SCHULZ, der Vagheit als Programm verkauft. Seine Formulierung "et en
même", d.h. und zugleich, erinnert an das Geschwafel der
Individualisierungsgurus in der Tradition von Ulrich BECK, der dem
entweder-oder der Lagerpolitik, das sowohl-als-auch der Neuen Mitte
entgegensetzte (ein typischer Epigone dieses Geschwafels ist z.B.
Claus LEGGEWIE). Für BRUCKNER soll MACRON vom Narzissten zum "Soldaten
der Demokratie" konvertieren und eine männliche Margaret THATCHER
werden, die sich nicht um Gewalt und Proteste schert, sondern
alternativlose Reformen durchsetzt.
ULRICH,
Stefan
(2017): Frühjahr des Frusts.
SZ-Wochenthema Europas neue
politische Landschaft: Enttäuschte Wähler und neue Konkurrenz machen
Sozialisten und Sozialdemokraten zu schaffen. Dabei wären die
Mitte-Links-Parteien besonders gefordert, um die großen Probleme zu
bewältigen,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 20.05.
Stefan ULRICH beschreibt den
Niedergang der sozialdemokratischen Parteien in Europa. Das sei aber
kein Grund, um nun umzudenken, sondern die SPD und ihre Genossen in
anderen Ländern seien eigentlich diejenigen, die aufgrund der
Problemlage an die Macht gehörten. Leider sind die potenziellen
Wähler nur zu dumm, um das zu erkennen. Oder mit den
schönfärberischen Worten von ULRICH:
"Nach Problemen muss die
Sozialdemokratie nicht lange suchen. Lösungen zu finden, die die
Menschen akzeptieren, wird jedoch mühsam."
Mühsam heißt lediglich die alte
Leier: Wegen der Globalisierung könne die soziale Frage nur noch
"europäisch und global" beantwortet werden. Solche Leerformeln
kennen wir seit Jahrzehnten, aber immer weniger glauben diesen
Beschwörungsformeln. Die soziale Frage kann nur über die Abwahl der
herrschenden Eliten im eigenen Lande führen, eine andere Sprache
kennen Eliten nicht. Welchen anderen Grund könnte es geben, dass sie
sich andere Lösungen ausdenken müssen, statt einfach weiter ihr
Mantra immer weiter zu verbreiten?
KLINGSIECK, Ralf (2017): Elf Männer, elf Frauen,
elf Politiker, elf Zivilisten.
Macron punktet mit seiner
pluralistischen Regierung,
in:
Neues Deutschland v. 20.05.
KLIMM, Leo
(2017): "Wir werden alles kaputtmachen".
Mitarbeiter einer französischen
Pleite-Fabrik drohen, ihren Betrieb zu sprengen. Der Kampf erinnert
Emmanuel Macron an die Realität im Land,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 22.05.
Leo KLIMM berichtet aus der ca.
5.200 Einwohner zählenden französischen Gemeinde La Souterraine im
Département Creuse. Ein dortiger Automobilzuliefererbetrieb mit 277
Beschäftigten steht vor der Pleite und wird deshalb bestreikt.
"Es ist schon das fünfte Mal
seit den Neunzigern, dass (...)(die) Firma im Insolvenzverfahren
steckt. In dieser Zeit schmolz der Umsatz und die Belegschaft
wurde halbiert - unter neun verschiedenen Eigentümern. (...).
Für die meisten Beschäftigten dort ist der Verlust der Jobs
gleichbedeutend mit Langzeitarbeitslosigkeit. Es gibt ja weit und
breit nichts für Facharbeiter in La Souterraine. Erst vor zwei
Jahren hat der deutsche Konzern Fresenius nicht weit von hier 280
Leute hinausgeworfen. (...). Macht GM&S dicht, sind mindestens 800
Familien betroffen",
berichtet KLIMM über die
Situation in La Souterraine, wo Jean-Luc MÉLENCHON den Widerstand
unterstützt. Selbst eine Rettung des Betriebs würde der Mehrheit der
Beschäftigten den Job kosten, meint KLIMM, der sich auf Zahlen eines
möglichen Investors stützt.
DEUTSCH-FRANZÖSISCHES INSTITUT (2017): Aufteilung der politischen
Linken bei den Wahlen zur Assemblée Nationale,
in:
dfi.de v. 30.05.
Juni 2017
DEUTSCH-FRANZÖSISCHES INSTITUT (2017): Aufteilung der politischen
Rechten bei den Wahlen zur Assemblée Nationale,
in:
dfi.de v. 02.06.
BUBROWSKI,
Helene
2017): Sie jubeln ihr zu.
Hénin-Beaumont war einmal eine
Hochburg der französischen Linken. Jetzt möchte Marine Le Pen den
Wahlkreis schon im ersten Durchgang gewinnen. Ihre Chancen sind gut,
obwohl sie für "ihre" Wähler konkret gar nichts tun will,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.06.
Helene BUBROWSKI liefert ein
wohlwohlendes Porträt der MACRON-Kandidatin Anne ROQUET, die in der
nordfranzösischen FN-Hochburg Hénin-Beaumont gegen die
Spitzenkandidatin antritt. Während sich die FAZ sonst einen
Dreck um die soziale Herkunft der Kandidaten schert, wenn sie nur
die richtige politische Richtung vertreten, dann dürfen sie auch aus
einem großbürgerlichen Elternhaus kommen. Wenn es um MACRON geht,
dann werden bildungsferne Leibwächter zu Wahlkampfheroen stilisiert:
"Ich hab mich angestrengt,
sonst könnte ich jetzt nicht in den Elysée gehen",
wird ein Kongolesischer
Leibwächter zitiert. Solche Sätze blenden die herrschenden
Machtstrukturen aus, denn Anstrengung oder gar Leistung zählt nicht,
sondern der richtige Habitus ist entscheidend, um in der Elite
geduldet zu werden.
Gerne wird auch das Märchen
traditioneller linker Hochburgen erzählt, in denen der FN nun stark
sei. Tatsächlich sind es immer Skandale von korrupten und unfähigen
Politikern wie in Hénin-Beaumont, die für einen Machtwechsel sorgen
- egal welcher Couleur.
Zuletzt stilisiert BUBROWSKI die
Regionalzeitung
La Voix du Nord, die eine ruhmreiche Vergangenheit
aufzuweisen hat, zum lokalen Kampfblatt gegen die "faschistischen"
Methoden des FN, die die Meinungsfreiheit bedrohen. Tatsächlich sind
die Methoden des FN wenig subtil im Gegensatz zu den "liberalen"
Methoden den politischen Gegner kaltzustellen. Man darf daran
erinnern, dass die Grünen in ihren Anfangszeiten in Deutschland
ähnlichen Repressalien der Medien ausgesetzt waren und heute sind
die meisten ihrer Vertreter kaum mehr vom bürgerlichen Mainstream zu
unterscheiden. Und auch Politiker der AfD wie Konrad ADAM oder
Alexander GAULAND waren entweder FAZ-Mitarbeiter oder
zumindest gern gesehene Gastautoren. Möglicherweise ist gerade die
Nähe zu Rechtspopulisten die Ursache solcher scharfen Abgrenzungen,
denn sonst könnte man auf den nahe liegenden Gedanken kommen, dass
die Unterschiede unwesentlich sind. Die sozialen Probleme werden in
dem Artikel, der in erster Linie Identitätspolitik betreibt, dagegen
nur kurz angerissen, aber mit einer gewaltigen Portion Ekel
präsentiert:
"In der ganzen Gegend ist die
Arbeitslosigkeit hoch und das Bildungsniveau niedrig. Die letzte
Kohlengrube hat 1990 dichtgemacht. Geblieben ist der Ruß an den
Fassaden der Häuser. Doch neue Arbeitsplätze wurden nicht
geschaffen. Die Immobilienpreise sind abgesackt. Nirgends in
Frankreich ist die Lebenserwartung geringer. Touristen verirren
sich nicht hierher. Es ist unmöglich ein Taxi aufzutreiben. In
Hénin-Beaumont, mit 26.000 Einwohnern die größte Stadt im Whlkreis,
hat das letzte Hotel der Stadt im Oktober geschlossen, das Gebäude
steht leer und beginnt zu verrotten. Am Eingang steht noch der
Preis für eine Nacht: 29 Euro. Der letzte Buchladen hat vor vier
Jahren geschlossen. Vor dem Secours Populaire, der die Ärmsten mit
Lebensmitteln und Kleidung versorgt, stehen die Leute Schlange. Es
stinkt nach Müll und Schweiß."
HANKE, Thomas (2017): French Connection in Marseille.
Zwar liegt Macrons Bewegung LREM in
allen Umfragen weit vorn. Dennoch wird die Parlamentswahl am 18. Juni
in vielen Wahlkreisen spannend wie ein Politthriller. In Marseille
etwa ist das Rennen völlig offen. Ein Ortsbesuch.,
in:
Handelsblatt Online v. 05.06.
"Der Showdown von French Connection 2 in der
französischen Hafenstadt ist ein Klassiker, und Marseille 42 Jahre
später immer noch Frankreichs Drogenmetropole. Am 18. Juni wird es am
Nordrand des Hafens ein neues Gefecht geben, weniger gewalttätig, aber
durchaus nicht friedlich. Hier ist der 4. Wahlkreis von Marseille, in
dem politische Urgewalten aufeinandertreffen: Jean-Luc Mélenchon, der
Linksaußen der französische Politik, Corinne Versini von Emmanuel
Macrons »La République en Marche« (LREM) und Patrick Menucci,
alteingesessener Sozialist und Inhaber des Mandats, um das nun
gerungen wird. Wie im Film gilt: Nur einer kann durchkommen",
stilisiert Thomas HANKE den
Wahlkampf im vierten Wahlkreis von Marseille zum Politthriller. Er
stellt uns vier Bevölkerungsgruppen vor, die im umkämpften Wahlkreis
von Bedeutung sind: Die etablierten Einheimischen, die Gentrifizierung
nicht als Problem sehen und den traditionellen Kandidaten der
Sozialisten unterstützen, die Aufstiegswilligen, an die sich
VERSINI (REM) wendet sowie die Migranten zumeist aus dem Maghreb und
die Komoren. Der FN ist dagegen in diesem Wahlkreis chancenlos, zumal
MÉLENCHON dort die Verlierer repräsentiert.
Daneben sorgt sich HANKE um zwei
designierte Minister in anderen Départements, die um ihren Einzug in
die Nationalversammlung bangen müssen:
"90 Kilometer im Norden von
Marseille kämpft Christophe Castaner, Minister und Regierungssprecher
in Macrons Kabinett, um seine politische Existenz. Wird er im Zweiten
Wahlkreis von Alpes-de-haute-Provence nicht gewählt, muss er
ausscheiden. Macron landete bei der Präsidentschaftswahl hier nur auf
dem dritten Platz. Und im zweiten Wahlkreis des Département Gard tritt
mit Marie Sara, einer
»Rejoneadora«,
Stierkämpferin zu Pferd, für LREM eine Frau ohne jede politische
Erfahrung gegen Gilbert Collard an, derzeit einer von zwei
Abgeordneten des Front National in der Nationalversammlung. (...).
Laut einer Umfrage vom Sonntag kann sie den Wahlkreis in der Stichwahl
am 18. Juni knapp gewinnen."
ALEMAGNA, Lilian (2017): Draußen vor der Tür.
Benoît Hamon sollte Präsident
Frankreichs werden. Doch er verlor und bangt nun sogar um sein
Abgeordnetenmandat. Seine Partei, die Sozialistische, ist zerstritten.
Also versucht er es ohne sie,
in:
TAZ v. 07.06.
KLINGSIECK, Ralf (2017):
Die andere Marine.
In Hénin-Beaumont fordert Marine
Tondelier von den Grünen Marine Le Pen heraus,
in:
Neues Deutschland v. 08.06.
Ralf KLINGSIECK stellt
im Gegensatz zur FAZ die Kandidatin der Grünen,
Marine TONDELIER, vor, die beim 1. Wahlgang
im 11. Wahlkreis des Departements Pas-de-Calais gegen 12 weitere
Kandidaten antritt, u.a. gegen Marine Le Pen (FN). Alle Kandidaten
der 577 Wahlkreise zur Nationalversammlung können auf der
Website des Innenministeriums abgerufen werden. TONDELIER wird von
KLINGSIECK als bekannteste Opponentin beschrieben. Zumindest jedoch
hat sie ein öffentlichkeitswirksames Buch ("Nouvelles du Front")
geschrieben.
BUBROWSKI, Helene (2017):
Gute Deutsche wie Karl Marx.
Die linke Hochburg Marseille mit
ihren Elendsvierteln wird zum Schlachtfeld Jean-Luc Mélenchons. Hier
will der linke Volkstribun die Sozialistische Partei bei den
Parlamentswahlen vernichtend schlagen - und ersetzen. Die
Konfrontation mit dem Front National meidet er hingegen, denn Marine
Le Pen fischt im gleichen Becken wie er,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.06.
Helene BUBROWSKI ist
vom Norden in den Süden Frankreichs gereist, eine Reise vom
Rechtspopulismus zum Linkspopulismus.
"Marseille. Die Sozialisten,
dort traditionell stark, sind bei den Präsidentschaftswahlen
abgestürzt. Der 65 Jahre alte Linkspopulist war in der Innenstadt
der klare Sieger. Am Sonntag will Mélenchon die Sozialisten schon
im ersten Wahlgang der Parlamentswahlen aus dem Rennen werfen.
Umfragen sehen ihn mit 35 Prozent an der Spitze, die Sozialisten
liegen demnach mit 13 Prozent hinter Républik en Marche
abgeschlagen auf dem dritten Platz. Mélenchons Kalkül: Wenn diese
Bastion fällt, ist der Untergang der Partei besiegelt",
berichtet BUBROWSKI. Mit nur 35
Prozent müsste MÉLENCHON in die Stichwahl, was uns die Reporterin
jedoch verschweigt.
MÉLENCHON tritt im
4. Wahlkreis des Départements Bouches-du-Rhône gegen 19
Kandidaten an. BUBROWSKI berichtet jedoch lediglich über Patrick
MENUCCI von den Sozialisten und Corinne VERSINI vom Républik en
Marche (REM).
VEIEL, Axel
(2017): Immer vorwärts.
Emanuel Macrons Bewegung LRM kann
bei den französischen Parlamentswahlen auf die absolute Mehrheit
hoffen,
in:
Frankfurter Rundschau v. 10.06.
"Das Institut
Ipsos prophezeit LRM in der am Sonntag stattfindenden ersten
Wahlrunde 31 Prozent der Stimmen und damit einen klaren Sieg. Auf
den Plätzen zwei bis fünf folgen die Republikaner (22 Prozent),
der rechtspopulistische Front National (18 Prozent), die linke
Bewegung Unbeugsames Frankreich (11,5 Prozent) und die Sozialisten
(8,5 Prozent). Wenn in der zweiten Runde am Sonntag drauf nur noch
antreten darf, wer in der ersten mehr als 12,5 Prozent der
Stimmberechtigten hinter sich gebracht hat, wird der Sieg wohl
noch deutlicher ausfallen. Mit 395 bis 425 der 577 Mandate kann
Macrons Bewegung rechnen, mit 289 hätte sie bereits die absolute
Mehrheit",
erläutert Axel VEIEL. Dabei ist
jedoch zu beachten, dass nicht die Durchschnittswerte der Parteien
für die 12,5 Prozent entscheidend ist, sondern der Anteil des
Kandidaten in jedem einzelnen Wahlkreis. Von daher könnte das
Ergebnis durchaus von der Prognose abweichen.
KLINGSIECK, Ralf (2017):
Bei diesen Wahlen ist fast alles anders.
In Frankreich entscheiden die
Parlamentswahlen über die Spielräume des neuen Präsidenten Macron,
in:
Neues Deutschland v. 10.06.
"Die Anzahl
der Kandidaten ist enorm. Landesweit sind es 7877, in manchen
Wahlkreisen stellen sich bis zu 27 Kandidaten zur Wahl. Sie wurden
von insgesamt 61 Parteien aufgestellt",
berichtet
Ralf KLINGSIECK, der hervorhebt, dass MACRON in "mehreren Dutzend
Wahlreisen" keine eigenen Kandidaten aufgestellt hat, sondern
kooperationsbereiten Politikern der Sozialisten und Republikaner das
Feld überlassen hat. Nicht alle, so meint KLINGSIECK könnten jedoch
ihren Parlamentssitz dadurch retten. Namentlich werden Najat
VALLAUD-BELKACEM und Nathalie KOSCIUSKO-MORZIET genannt. Zudem weist
KLINGSIECK darauf hin, dass bei dieser Nationalwahl erstmals
Bürgermeister nicht mehr gleichzeitig Abgeordnete sein dürfen, was
bisher bei 175 Abgeordneten der Fall war. MACRON setzt bei seinen
Kandidaten überwiegend auf Akademiker, während nur zwei Arbeiter
unter ihnen sind.
SCHMID,
Bernard
(2017): Jean-Luc Mélenchon zeigt klare Kante.
Linkspolitiker watscht Ex-Präsident
Hollande ab, grenzt sich von der Kommunistischen Partei ab und hat
gute Wahlchancen,
in:
Neues Deutschland v. 10.06.
Bernard SCHMID sieht für Jean-Luc
MÉLENCHON bessere Wahlchancen als für seine Partei:
"Laut Umfragen kann er mit rund
vierzig Prozent der Stimmen in der ersten Runde rechnen. Seine
Chancen auf das Abgeordnetenmandat stehen gut.
Jedoch ist Mélenchon einer der wenigen BewerberInnen seiner
Bewegung (...), die auf gute Wahlergebnisse bauen können.
Landesweit sieht es, unter den Bedingungen des geltenden
Mehrheitswahlrechts, da sehr viel kritischer aus. Zumal die
Ergebnisse für die LFI-Kandidaten in den vergangenen Wochen in den
Umfragen eher zurückgingen, von 15 bis 16 Prozent kurz nach der
Präsidentschaftswahl auf nun noch zwischen 11,5 und 13 Prozent.
Dazu trägt bei, dass viele der lokalen BewerberInnen nicht derart
bekannt sind wie Mélenchon, dessen AnhängerInnen bislang im
Parlament über keinen einzigen Sitz verfügten."
Wie wichtig die lokale
Verankerung der Kandidaten ist, zeigt SCHMID am Beispiel der
Kommunistischen Partei:
"Die französische KP bekommt
zwar in den Umfragen landesweit derzeit nur zwei bis drei Prozent,
doch weist sie örtlich stark verankerte Kandidatinnen auf, die als
BürgermeisterInnen oder bisherige Abgeordnete bekannt sind. (...).
Nur in 18 Wahlkreisen treten LFI und französische KP miteinander
an, sonst gegeneinander."
11.06.2017 -
Erster Wahlgang der Wahlen zur Nationalversammlung
AZ/DJ (2017): Les victimes d'un premier tour
fracassant.
De nombreuses figures politiques sont tombées. D'autres se
préparent à une problable défaite au second tour,
in:
Le Figaro v. 13.06.
Folgende prominente Politiker zählt
der Figaro, auf schon die beim ersten Wahlgang ausgeschieden sind:
- Benoît HAMON (SOC)
- Jean-Christoph CAMBADÉLIS (SOC)
- Cécile DUFLOT (GRÜNE)
- Pascal CHERKI (SOC)
- Patrick MENNUCCI (SOC)
- François LAMY
- Aurélie FILIPPETTI (SOC)
- Matthias FEKL (SOC)
- Élisabeth GUIGOU (SOC)
- Emmanuelle COSSE (Ex-EELV, Regierungsmitglied unter Manuel
VALLS)
- Christian ECKERT
- Jean GLAVANY (SOC)
- Christophe BORGEL (SOC)
-
Daniel VAILLANT (SOC; Ex-Minister)
- Henri GUAINO (UMP)
- Rama YADE (UMP)
- Nicolas BAY (FN)
-
Franck de La PERSONNE (FN; Schauspieler)
Folgende prominente Politiker, die den
zweiten Wahlgang erreicht haben, werden vom Figaro als
gefährdet eingestuft:
Die fettgedruckten Politiker spielten
in der deutschen Mainstreampresse keine Rolle (vgl.
hier).
DEUTSCH-FRANZÖSISCHES INSTITUT (2017): Ergebnisse der Parlamentswahlen
– Parteien im Umbruch,
in:
dfi.de v. 13.06.
Das Deutsch Französische Institut
erklärt den Begriff der "republikanischen Front" und nennt den
einzigen Wahlkreis, in dem das Zurückziehen eines Kandidaten im
zweiten Wahlgang zugunsten des Bestplatzierten Nicht-FN-Kandidaten
möglich wäre: Im
ersten Wahlkreis des Départements Aube (10) kamen die 3 Kandidaten
von REM, LR und FN auf die notwendigen Stimmen für den zweiten
Wahlgang.
In linken Kreisen wird jedoch nicht
nur das Zurückziehen eines Kandidaten, sondern bereits das Aussprechen
einer Empfehlung gegen den FN-Kandidaten als Beitrag zu einer
"republikanischen Front" betrachtet. Deshalb stand Jean-Luc MÉLENCHON
in den linksliberalen deutschen Medien (z.B. taz) unter
Beschuss.
HANKE, Thomas (2017): Mitten in der Revolution.
Emmanuel Macron hat bewiesen, dass
er Wahlen gewinnen kann. Jetzt muss er zeigen, dass er seine Macht
nutzen kann, um das Land zu reformieren,
in:
Handelsblatt v. 13.06.
Thomas HANKE zählt die Verlierer des ersten Wahlgangs auf und jene
Kandidaten von REM, die noch um ihren Sitz bangen müssen.
"Der Erfolg von La République en
Marche zeigt sich auch daran, dass die Bewegung in praktisch allen
Altersgruppen, soziologischen oder regionalen Kategorien, die stärkste
Kraft geworden ist. Die Jungwähler waren lange eine Domäne des FN, nun
sind sie bei En Marche - wenn sie sich nicht enthalten haben, was die
meisten vorzogen. Viele wurde philosophiert über das geografisch
geteilte Land. Der Osten sei FN-Land, genau wie die ländlichen Räume
und die Siedlungen ganz am Rande der Großstädte. Doch seit Sonntag ist
dies alles fest in der Hand von REM. Sogar die Arbeitslosen haben sich
überwiegend für die Macron-Kandidaten ausgesprochen. Nur bei den
Arbeitern liegt der FN vorn",
interpretiert HANKE Ergebnisse
einer Umfrage von Ipsos.
WERNICKE, Christian
(2017): Revolution auf schmaler Basis.
SZ-Tagesthema Die Wahl in
Frankreich: Paris erlebt einen Austausch der Polit-Elite. Doch Macrons
Rückhalt bei den Wählern ist nicht so stark, wie er scheint,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 13.06.
"32,3 Prozent, damit lagen die
Aspiranten von En Marche in 449 der landesweit 577 Wahlkreise auf dem
ersten Platz. Hinzu kommen mehr als 50 Wahlkreise, in denen entweder
der rechtsextreme Front National oder die linksradikalen »Unbeugsamen«
die erste Runde gewannen - und wo republikanische oder sozialistische
Wähler den Marschierern im zweiten Wahlgang zum Sieg verhelfen
dürften. Nur, 32,3 Prozent bei 51,3 Prozent Wahlverweigerung, das
bedeutet auch: Nicht einmal jeder sechste wahlberechtigte Franzose
(15,4 Prozent) hat Macrons Marschierern sein Vertrauen geschenkt",
meint Christian WERNICKE.
KLIMM, Leo (2017): Einsam im Parlament.
SZ-Tagesthema Die Wahl in
Frankreich: Warum der rechte Front National so schlecht abgeschnitten
hat,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 13.06.
KLINGSIECK, Ralf (2017): Haushoher Sieg für Macron.
ND-Tagesthema Parlamentswahl in
Frankreich: Aber nur 15 Prozent der Wahlberechtigten stimmen für
Partei des französischen Präsidenten,
in:
Neues Deutschland v. 13.06.
"KP und FI zusammen könnten knapp die Mindestzahl von 15 Sitzen für
die Bildung einer Fraktion erreichen",
meint Ralf KLINGSIECK, der sowohl für MÉLENCHON als auch für Le PEN
gute Siegchancen sieht. Ersterer will die Zeit zum entscheidenden
Wahlgang nutzen, um seine Anhängerschaft nochmals zu mobilisieren.
KLINGSIECK, Ralf (2017): Beispielloses Debakel.
ND-Tagesthema Parlamentswahl in
Frankreich: Sozialisten sind die größten Verlierer der Wahlen,
in:
Neues Deutschland v. 13.06.
Ralf KLINGSIECK berichtet darüber, dass man bei den Sozialisten die
Schuld am Niedergang bei MÉLENCHON sieht. Der Partei drohen
Spaltungen, z.B. wenn der Ex-Minister Jean-Marie Le GUEN eine neue
linke Sammelbewegung ausrufen will.
BALMER, Rudolf (2017): Heimlich, schnell und leise.
Programm: Der neue Präsident muss
die Gunst der Stunde nutzen, um seine Reformen durchzusetzen.
Widerstand formiert sich,
in: TAZ
v. 13.06.
BALMER, Rudolf (2017): Wer für Macrons Triumph bezahlt.
Verlierer: Das Ergebnis des ersten
Wahlgangs ist eine Sanktion für alle "Bisherigen". Die Vormacht von
Konservativen und Sozialisten ist Geschichte,
in: TAZ
v. 13.06.
WIEGEL, Michaela (2017): Scherbenhaufen mit einem Sieger.
Während Macrons Bewegung
triumphiert, herrscht bei den übrigen Parteien nach der Parlamentswahl
Bestürzung. Selbst Marine Le Pen droht in ihrer Partei Ungemach,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.06.
VEIEL, Axel
(2017): Keine Zeit für Triumphgefühle.
Der Sieg von Macrons Partei
übersteigt alle Erwartungen, doch sein Lager übt sich in Demut - zu
gering war die Wahlbeteiligung, zu heikel sind die anstehenden
Reformen,
in:
Frankfurter Rundschau v. 13.06.
MEISTER, Martina
(2017): Der französische Tsunami.
Der Wahlsieg der République en
Marche hat die etablierte politische Kaste fortgespült. nach den
Stichwahlen wird Emmanuel Macron fast nach Belieben regieren können,
in: Welt
v. 13.06.
"In 499 von
577 Wahlkreisen liegt Macrons junge Partei in Führung. (...).
Gewonnen hat allein die linksradikale France Insoumise von
Jean-Luc Mélenchon. Die Linksfront hat sehr viel besser als vor
fünf Jahren abgeschnitten, aber deutlich schlechter als ihr Chef
bei den Präsidentschaftswahlen",
berichtet Martina MEISTER, die
die niedrige Wahlbeteiligung kleinredet und fragt, ob man diese
"Logik der Verlierer" übernehmen darf? Natürlich nicht. MEISTER
sieht darin kein Zeichen einer politischen Krise, sondern
berechtigte Wahlmüdigkeit.
MEISTER, Martina
(2017): "Die Wähler sind zum Kotzen".
Unter den französischen
Wahlverlierern sind viele prominente Opfer. Die Reaktionen der
Betroffenen sind nicht immer souverän,
in: Welt
v. 13.06.
MEISTER, Martina
(2017): Alles auf Neuanfang.
Leitartikel: Im ersten Wahlgang der
Parlamentswahl haben die Franzosen ihre herrschende Klasse abgestraft.
Die Hälfte der Abgeordneten von Macrons Partei wird keine politische
Erfahrung mitbringen,
in: Welt
v. 13.06.
WIEGEL, Michaela (2017): Auf dem Marsch durch die Institutionen.
Im Ferienhaus der Macrons im
Strandbad La Touquet fiel die Entscheidung, eine neue Bewegung zu
gründen. Stieftochter Tiphaine Auzière war von Anfang an dabei. Ein
Gespräch im Wahlkampfbus,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.06.
Michaela WIEGEL arbeitet am Personenkult um
MACRON und an der Legendenbildung der Bewegung. WIEGEL verbindet ihr
Porträt der Stieftochter mit dem Ort
La Touquet im Département Pas-de-Calais, wo der Front National
stark vertreten ist.
"In La Touquet werden hohe
Quadratmeterpreise verlangt, ganz anders als im Rest des vom
Industriewandel besonders getroffenen Département".
Das einst mondäne Seebad, das nun
durch MACRON wieder Zulauf bekommen dürfte, ist eine Hochburg der
Republikaner (LR). Der Bürgermeister des Ortes trat gegen einen No
Name-Kandidaten von MACRON an und wurde von ihm im
4. Wahlkreis von Pas-de-Calais auf Platz 2 verwiesen. Der
FN-Kandidat ist dagegen ausgeschieden.
GARAT,
Jean-Baptiste
(2017): Chez les candidats Républicains, une
campagne menée à reculons.
Selon qu'ils affrontent un
prétendant LREM ou FN, Les Républicains doivent adapter leur discours.
Mais ils misent surtout sur la mobilisation d'un électorat qui a boudé
les urnes dimanche dernier,
in: Le Figaro
v. 16.06.
KLINGSIECK, Ralf
(2017): Macrons Bewegung wird großflächig abräumen.
Oppositionsparteien können
bestenfalls ihren Abstieg in Grenzen halten,
in:
Neues Deutschland v. 17.06.
Die Wahlkampfberichterstattung in den deutschen Medien ist
erschreckend spärlich und sehr einseitig, denn der Leser kann sich
kein eigenes Bild machen,
weil ihm kein Überblick verschafft
wird, sondern jeweils nur Ausschnitte, die die eigene Blase betrifft.
"Républik en Marche (...) kann mit
415 bis 460 der 577 Sitze in der Nationalversammlung rechnen. (...).
In 110 von landesweit 577 Wahlkreisen sind Kandidaten der
rechtsextremen Front National in die Stichwahl gekommen. Aber nur ganz
wenige von ihnen, darunter Marine Le Pen haben Aussicht, gewählt zu
werden",
erklärt uns Ralf KLINGSIECK, der
ansonsten nur noch näher auf die Wahlempfehlungen von Jean-Luc
MÉLENCHON von France Insoumise und die Probleme der Mobilisierung der
Wählerschaft anspricht:
"Überall ruft die linke wie die
rechte Opposition die Franzosen zur Wahlbeteiligung auf. Doch der
Erfolg dieser Mobilisierung dürfte sich in Grenzen halten, wenn etwa
traditionelle Linkswähler in ihrem Wahlkreis die Wahl zwischen einem
Ein-Marche-Kandidaten und einem Rechten haben. Dasselbe gilt mit
umgekehrten Vorzeichen auch für rechte Wähler."
Solche Aussagen sind für den Leser
unbrauchbar, wenn nicht Größenordnungen genannt werden, in denen das
jeweils der Fall ist. Dies aber würde journalistische Recherche
erfordern und nicht nur das Abschreiben aus französischen Zeitungen
wie das offenbar hierzulande Usus bei vielen deutschen
Wahlberichterstattern ist.
In der bürgerlichen Tageszeitung
Le Figaro, die den Wahlkampf aus dem Blickwinkel der rechten
Parteien betrachtet, wurde gestern ein Schaubild mit den 1.147
Kandidaten des zweiten Wahlkampf mit der Zuordnung zu den einzelnen
Parteien und politischen Gruppierungen veröffentlicht. Daraus ging
folgende Verteilung der Kandidaten auf die einzelnen Bündnisse (Nuances)
hervor:
Parteien und
politische Gruppierungen |
Anzahl der Kandidaten |
République en Marche
(REM) |
457 |
Moderne Demokraten (MoDem/MDM) |
62 |
Les Republicains (LR) |
263 |
Union des démocrates
et indépendants (UDI) |
35 |
Divers droite (DVD) |
22 |
Front National (FN) |
120 |
France Insoumise (FI) |
67 |
Parti
Communiste Français (PCF; COM) |
12 |
Parti Socialiste
(PS; SOC) |
65 |
Diverse gauche (DVG) |
18 |
Parti radical de
gauche (PRG) |
5 |
Sonstige |
23 |
Zählt man aber die Kandidaten
zusammen, kommt man nicht auf 1.147 (je 2 Kandidaten in 572
Wahlkreisen und 3 Kandidaten in einem Wahlkreis), sondern auf 1.149 Kandidaten. KLINGSIECK kommt auf 110 FN-Kandidaten, während der
Figaro dem FN 120
zuschreibt.
Ein zweites Schaubild stellte die
319 Duelle bzw. den einzigen Dreikampf für die Kandidaten der Rechten
dar. Aus der Übersicht sind die 319 Konstellationen ersichtlich:
Partei |
Gesamtzahl
Duelle |
Gegenpartei |
Anzahl |
LR |
262 |
|
LR |
REM |
199 |
LR |
MDM |
33 |
LR |
FN |
7 |
LR |
SOC |
7 |
LR |
REM und FN |
1 |
LR |
Linke Gruppierungen |
15 |
UDI/DVD |
57 |
|
UDI |
REM |
24 |
UDI |
MDM |
9 |
UDI |
FN |
3 |
UDI |
SOC |
1 |
DVD |
REM |
9 |
DVD |
MDM |
1 |
DVD |
FN |
1 |
UDI/DVD |
Linke Gruppierungen |
9 |
Auch bei diesem Schaubild ergeben
sich Unstimmigkeiten. Die UDI trägt allein 37 Duelle aus, obwohl sie
nur 35 Kandidaten besitzt. Die DVD wiederum kommt nur auf 20 Duelle,
obwohl ihnen 22 Kandidaten zugeschrieben wurden.
Die französische Zeitung Le Figaro
blendet die restlichen Duelle unter Linken jenseits der Sozialisten
und zwischen der Linken und REM/MDM aus. Da im ersten Wahlgang nur 4
Wahlkreise mit absoluter Mehrheit gewonnen werden konnten, gibt es 573
Duelle, d.h. es gibt 254 Duelle ohne Beteiligung der Parteien aus dem
rechten Spektrum.
Die liberale Tageszeitung Le
Monde hat am Mittwoch 104 Wahlkreise präsentiert, in denen es
morgen zu spannenden Duellen kommt, weil dort die Differenzen im
ersten Wahlgang weniger als 5 Prozent betragen haben. In 86
Wahlkreisen müssen sich REM/MDM ihren Gegnern stellen, denen die Sorge
der Zeitung gilt. Auch Le Monde bietet also keinen
Gesamtüberblick über alle Duelle.
KUCHENBECKER, Tanja
(2017): Angst vor zu viel Macrons im Parlament.
Frankreichs Präsident kann bei den
Wahlen auf eine Dreiviertelmehrheit hoffen. Die Opposition warnt,
in:
Tagesspiegel v. 17.06.
18.06.2017 -
Zweiter Wahlgang der Wahlen zur Nationalversammlung
KLINGSIECK, Ralf (2017): Klar gesiegt.
ND-Tagesthema Parlamentswahl in
Frankreich: Macrons erdrückende Mehrheit bleibt allerdings aus,
in:
Neues Deutschland v. 20.06.
KLINGSIECK, Ralf (2017): "Die Gnadenfrist für
Macron ist schon abgelaufen".
ND-Tagesthema Parlamentswahl in
Frankreich: Dominique Reynié über den Ausgang der französischen
Parlamentswahl und das Verhältnis der Franzoschen zur Autorität,
in:
Neues Deutschland v. 20.06.
WIEGEL, Michaela (2017):
Siegen verpflichtet.
Macron und seinem Premierminister
liegt am Tag nach dem Sieg jedes Triumphgehabe fern. Feiern will man
erst in fünf Jahren - wenn die Reformen auch verwirklicht sind,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.06.
"Nur 26 Prozent der jungen Franzosen zwischen 18 und 25 Jahren gaben
im zweiten Wahlgang ihre Stimme ab. Besonders niedrig lag die
Wahlbeteiligung mit nur 31 Prozent auch bei den Arbeitern. Beide
Wählergruppen, die jungen Franzosen und die Arbeiter, hatten bei den
Präsidentenwahlen noch massiv für die Rechtspopulisten des Front
National (FN) und die Linkspopulisten von La France Insoumise (LFI)
gestimmt",
schreibt Michaela WIEGEL und wirft
damit Linke und Rechte in einen Topf. Im Gegensatz zum Front National
konnte France Insoumise seine Wähler besser mobilisieren.
WIEGEL zählt alle
Kabinettsmitglieder auf, die sich zur Wahl stellten und alle gewählt
wurden: Christophe CASTANER, Bruno Le MAIRE, Richard FERRAND, Annick
GIRARDIN, Marielle de SARNEZ und Mounir MAHJOUBI.
"Alle sechs planen, ihre Nachrücker
in die Nationalversammlung zu entsenden",
erzählt uns WIEGEL noch unbedarft
vor dem Ausscheiden von FERRAND und SARNEZ aus
dem Kabinett.
Bei der Sitzverteilung in der
Nationalversammlung sind die Schaubilder jeweils von den politischen
Einstellungen geprägt. In der FAZ werden die 18 UDI und die 6
DVD-Abgeordneten unter dem Label ("UDI und andere Konservative" zu 24
Abgeordneten zusammengefasst. KLINGSIECKs Artikel fasst dagegen die 18
Abgeordneten von UDI und die 113 Republikaner zu 131Sitzen zusammen.
Das Handelsblatt wiederum fasst die Sitze von REM und MoDem zu
350 zusammen. France Insoumise, Kommunisten, Front National werden
unter Sonstige summiert, die damit auf 85 Abgeordnete kommen. Die
taz fasst Republikaner, UDI und DVD zu 137 Abgeordnete zusammen.
PS/PRG/DVG werden mit 44 Abgeordneten gerechnet. Der Tagesspiegel
zählt zu den 44 auch noch die Grünen mit einem Abgeordneten dazu.
Übersicht: Vergleich
der Schaubilder verschiedener Tageszeitungen vom 20. Juni zur
Sitzverteilung in der Nationalversammlung |
|
SONSTIGE |
FI |
COM |
SOZ |
RDG |
DVG |
ECO |
MDM |
REM |
DVD |
UDI |
LR |
FN |
|
10 |
17 |
10 |
29 |
3 |
12 |
1 |
42 |
308 |
6 |
18 |
113 |
8 |
FAZ |
10 |
17 |
10 |
29 |
16 |
42 |
308 |
24 |
113 |
8 |
HB |
85 |
29 |
|
350 |
|
113 |
|
ND |
26 |
17 |
|
45 |
350 |
|
131 |
8 |
TAZ |
11 |
27 |
44 |
|
350 |
137 |
8 |
TSP |
26 |
17 |
|
45 |
350 |
|
131 |
8 |
|
Abk.: Parteien
siehe
hier; HB = Handelsblatt; TSP = Tagesspiegel; ND = Neues
Deutschland |
BALMER, Rudolf (2017): Emmanuel Macron kann jetzt durchregieren.
Frankreich: Die Partei des
Präsidenten, La République en Marche, verfügt nach dem zweiten
Wahlgang über die absolute Mehrheit der Sitze in der
Nationalversammlung. Marine Le Pen erobert eins von acht Mandaten für
den FN. Wahlbeteiligung bei 43 Prozent,
in:
TAZ v. 20.06.
MEIER, Albrecht (2017): Starker Mann mit Schwächen.
Dem französischen Staatschef Macron
droht kein Widerstand des Parlaments. Der Sieg seiner Partei hat aber
einen Makel: die schwache Wahlbeteiligung,
in:
Tagesspiegel v. 20.06.
KUCHENBECKER, Tanja (2017): Sozialisten liegen am Boden.
Bei der Parlamentswahl haben die
französischen Sozialisten eine schwere Schlappe erlitten. Ihre Zukunft
ist unklar,
in:
Handelsblatt v. 20.06.
WIEGEL, Michaela (2017): Erst das Amt, dann die Moral.
Präsident Macron war angetreten, um
die politischen Sitten zu erneuern. Doch seine Regierung wird von
Affären eingeholt. Eine Ministerin hat ihren Rückzug angekündigt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.06.
Die Wahlen zur Nationalversammlung
sind kaum vorbei, da wird MACRONs Bündnis von den Skandalen der
Vergangenheit heimgesucht. Die Partei von Justizminister François
BAYRON, die 42 Mandate erhielt, steht nun im Mittelpunkt von
Ermittlungen der Justiz. Hat MACRON den Bock zum Gärtner gemacht? Wie
soll ein Gesetz zur "Wiederherstellung des Vertrauens in die Politik"
ausgerechnet von jenem Minister auf den Weg gebracht werden, der
selber im Zwielicht steht?
BALMER, Rudolf/SANDER, Matthias/WYSLING, Andres (2017): Marschierer
übernehmen die Macht.
Ein Grossteil der alten Garde ist
aus Frankreichs Nationalversammlung ausgeschieden,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 21.06.
BALMER/SANDER/WYSLING betreiben Personenkult in Sachen von
République en Marche
und stellen schillernde Antipolitiker vor wie den Mathematiker Cédric
VILLANI, die Wirtschaftsanwältin Lastitia AVIA:
"Ärgerlich findet sie bloss, dass
junge Französinnen und Franzosen, die wie sie früher in
Banlieue-Quartieren leben, sie bereits als Arrivierte betrachten",
beschreiben
BALMER/SANDER/WYSLING ihre Selbstdarstellung, die auf berechtigte
Fremdzuschreibungen trifft. Denn als erfolgreiche Akademikerin zählt
die 31-Jährige zur oberen Mittelschicht, auch wenn ihre Eltern nach
Frankreich eingewandert sind.
Ausführlich wird beschrieben wie es
dazu kam, dass die Ex-Reprublikanerin Nathalie KOSCHKUSCHKO-MORIZAT,
die sich als Fan von MACRON verstand, ihre Ambitionen auf ein
Abgeordnetenmandat begraben musste. Sie scheiterte im
2.
Pariser Wahlkreis
am REM-Kandidaten, der hinter MACRONs Rücken aufgestellt worden war.
Die einstige Stierkämpferin Marie SARA scheiterte knapp am
Front-National-Kandidaten im
2. Wahlkreis des Départements Gard. Auch die Sozialistin Myriam EL
KHOMRI, deren Vorstellungen zur Liberalisierung des Arbeitsrechts
MACRON gefielen, weshalb sie keinen REM-Gegenkandidaten zu fürchten
hatte, scheiterte im
18. Pariser Wahlkreis am republikanischen Kandidaten. Besonders
hervorgehoben wird, dass "die rechte Hand" von Le PEN in seinem
Forbacher Wahlkreis scheiterte.
GARAT, Jean-Baptiste & Marion MOURGUE (2017): Le
jour où Les Républicains ont explosé.
Un nouveau groupe "Républicains
constructifs, UDI et indépendants" est né mercredi à l'Assemblée,
in:
Le Figaro v. 22.06.
REZAGUI, Insaf (2017): Alle lieben Macron.
Ich nicht!
Weshalb es sich lohnt, für die Sozialistische Partei Frankreichs zu
kämpfen, die kurz vor dem Zusammenbruch steht,
in:
Die ZEIT Nr.26 v. 22.06.
WALTHER, Rudolf (2017): Generalstreik der Wähler.
Frankreich: Präsident Macron hat
eine sichere Basis im Parlament, weniger im Volk,
in:
Freitag Nr.25 v. 22.06.
VEIEL, Axel (2017): Emmanuel Macron sortiert weitere Minister aus.
Abtrünnige aus den Reihen der
Konservativen und der Zentrumspartei springen Frankreichs Präsident
zur Seite,
in:
Frankfurter Rundschau v. 22.06.
KLIMM, Leo (2017): Minister-Domino in Paris.
Eine politische Formalie gerät zu
Macrons erster Kabinettskrise,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 22.06.
KLINGSIECK, Ralf (2017): "Ein Viertel der
Regierung fällt".
Ministerrücktritte zwingen
Frankreichs Präsidenten zu umfassender Regierungsumbildung,
in:
Neues Deutschland v. 22.06.
HANKE, Thomas (2017): Macron sucht neue Balance.
Es sollte eine technische
Kabinettsumbildung werden. Doch Skandale zwingen Frankreichs
Präsidenten, die Gewichte neu auszutarieren,
in:
Handelsblatt v. 22.06.
GOAR, Matthieu
(2017): La droite divorce, de guerre lasse.
Thierry Solère a annoncé la création
d'un groupe parlementaire distinct du réste des députés Les
Républicains,
in: Le Monde v. 23.06.
BESSE DESMOULIÈRES, Raphaëlle
(2017): Communistes et "insoumis" feront groupe à part à l'Assemblée.
Le PCF dit pouvoir compter sur
quatre députés ultramarins, avec lesquels il est en train de finaliser
un accord, en sus des onze élus,
in: Le Monde v. 23.06.
MEISTER, Martina (2017): Macrons Machiavellismus.
Leidartikel: Die Revolution frisst
gern ihre eigenen Kinder. Mit einem Schlag verliert die neue
französische Reformregierung drei Minister. So schnell geht es, wenn
man die Politik einem Moraltest unterzieht,
in:
Welt v. 23.06.
BACHSTEIN, Andrea (2017): Macrons Befreiungsschlag.
Der französische Präsident
präsentiert ein neues Kabinett, aus dem mehrere belastete Minister
weichen mussten,
in:
Süddeutsche
Zeitung v. 23.06.
ULRICH, Stefan (2017): Ein Mann, ein Wort.
Kommentar: Frankreich,
in:
Süddeutsche
Zeitung v. 23.06.
VEIEL, Axel
(2017): Kabinett mit Unbekannten.
Macrons neue Ministerinnen sind
bislang kaum öffentlich in Erscheinung getreten,
in:
Frankfurter Rundschau v. 23.06.
BALMER, Rudolf (2017): Fachkompetenz an Bord geholt.
Emmanuel Macron stellt sein
Kabinett um,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 23.06.
MEISTER, Martina (2017): Macrons Geheimwaffe.
Sylvie Goulard ist Frankreichs neue
Verteidigungsministerin. Sie nennt Deutschland einen "idealen
Partner" - und will ein neues Sicherheitsbündnis für Europa
schaffen,
in:
Cicero, Juli