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"WARUM KÖNNEN
WIR BLOSS NIE
Nie
Geliebt werden?"
(Michel Houellebecq "Suche nach
Glück", 2000)
Der Artikel
Todesangst an der Käsetheke (Spiegel
Nr.36 v. 04.09.2000) klingt wie eine
Vorankündigung von HOUELLEBECQs
Lyrikband
Suche nach Glück,
der gerade bei DuMont erschienen ist. Im ersten
Gedicht des Bandes
Einkaufszentrum
- November heißt es:
Suche nach Glück
"Als erstes bin ich in eine Tiefkühltruhe
gestolpert/Ich fing an zu weinen und hatte etwas
Angst/Irgendwer maulte, ich würde die Stimmung
vermiesen/Um normal zu wirken, ging ich lieber
weiter/(...)/Ich brach vor der Käsetheke
zusammen".
(2000, S.7) |
In dem Gedicht
L'Amour, L'Amour
nennt HOUELLEBECQ sein Publikum:
Suche nach Glück
"Ich wende
mich an alle, die nie jemand geliebt hat/Die nie
zu gefallen wussten/Ich wende mich an die, die im
befreiten Sex nicht vorkommen/Im rohen
Sinnengenuss".
(2000, S.35) |
HOUELLEBECQ wendet sich an
alte
Junggesellen, sozialschwache
Kriegerwitwen und alte Jungfern
("So viele Herzen"),
also jene Single-"Gruppen", die in den
modernen Single-Klischees vom alleinlebenden
Yuppie und swinging Single
ausgeklammert sind. HOUELLEBECQ macht sich zum
Fürsprecher der Ausgegrenzten. Er gehört damit
zur neuen
Elite der Entschleuniger
im Sinne von Peter GLOTZ.
HOUELLEBECQs
Gedichte sind nichts für labile Zeitgenossen.
Sie entwickeln einen Sog, dem man sich schwerlich
entziehen kann. Die Hoffnung auf Erlösung im
Irgendwo nimmt nur wahr, wer Distanz bewahren
kann. HOUELLEBECQ zelebriert das Leiden. In einer
Welt, in der das Leiden nur in isolierten
gesellschaftlichen Bereichen vorkommen darf -
oder in den Medien, die schon längst nicht mehr
aufrütteln, sondern zusätzlich betäuben, da
sind Dichter geradezu gezwungen zu immer
drastischeren Mitteln zu greifen, um überhaupt
noch ins Mark zu treffen. Die Alltagsszenen, die
HOUELLEBECQ schildert, sind Ausdruck eines
Verzweifelten, der stillgestellt werden soll,
sich aber damit nicht abfinden kann.
Unversöhnt heißt das zweite Gedicht. Es beschreibt
vordergründig das Verhältnis zum Vater, aber es
ist gleichzeitig die zentrale Haltung zur Welt:
Hass. HOUELLEBECQ
spitzt Konflikte zu, wo andere sie mühsam
verschleiern wollen. Ferien, der Inbegriff
autonomer Zeit, wird bei HOUELLEBECQ Eine
tote Zeit. Ein weißes Loch, das sich im
Leben breit macht. Familien kommen nur noch in
der Schrumpfform vor ("Sanfte
Überlagerung der Hügel").
Die Paarbeziehung wird nur noch in der letzten
Phase vor der Trennung wahrgenommen ("Nachmittag
voll falscher Freude").
Im Gegensatz zu seinen
beiden Romanen
Ausweitung
der Kampfzone und
Elementarteilchen
ist HOUELLEBECQ in seinen Gedichten unfähig zur Nostalgie (so auch der
Titel eines Gedichts). Es fehlt die Verklärung
der Kleinfamilie. Die Sehnsucht drückt sich
stattdessen in romantisierender Mystik aus. Es
gibt keine richtige Existenz im falschen
Diesseits.
Die Gedichte
werden ihr Publikum finden. Das scheint gewiss.
Man muss sich jedoch fragen, warum es so weit
kommen konnte. HOUELLEBECQ ist nicht die Lösung
und schon gar nicht der Erlöser, aber er ist ein
Symptom. Den Nährboden für HOUELLEBECQ hat der sozialpolitische Diskurs um die
Single-Gesellschaft seit Beginn der 1990er
Jahre geschaffen. Wer Singles gegen Familien
ausspielt, indem er Singles generell zu
Modernisierungsgewinnern hochstilisiert, der darf
sich nicht wundern, dass die Modernisierungsverlierer
unter den Singles eine neue Identität
suchen. HOUELLEBECQs Leser sind jedoch nicht
primär die Ausgegrenzten, sondern eine
Elite
der Entschleuniger, deren Unbehagen sich
in einer Suche nach einem deutschen HOUELLEBECQ
ausdrückt (siehe
Blätter
für deutsche und internationale Politik, November 1999;
taz
v. 26.08.2000).
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