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Kommentar

 
       
   

Alice Schwarzer

 
       
   
Gebärstreik
Sterben die Deutschen aus?
in: Emma, Juli/August 2001
 
       
   
     
 

Kommentar

Alice SCHWARZER möchte gerne der Boss der Frauengewerkschaft sein, die per Gebärstreik die Arbeitsbedingungen der Frauen verbessern möchte. Der gegenwärtige Geburtenstand ist aber nicht das Ergebnis eines Gebärstreiks, den die Frauenbewegung organisiert hätte. Die Frauenbewegung schreibt sich Erfolge zu, an denen sie so gut wie gar keinen Anteil hat. Der gegenwärtige Geburtenrückgang ist nichts anderes als die Folge des Geburtenrückgangs von 1964 bis 1978. Selbst ein Baby-Boom wie in den 1950er Jahren würde diesen Trend nicht umkehren können. Der Trend kehrt sich erst dann um, wenn die Kohorten ab 1978 Mütter werden.

Familienpolitik kann durch Kosmetik (z.B. erhöhtes Kindergeld) diese Auswirkungen zu vertuschen suchen, indem potenzielle Mütter dazu ermuntert werden, die Geburt eines gewünschten Kindes um ein paar Jahre vorzuziehen. Am Trend selbst, ändert sich nichts. Der Babyboom der Wirtschaftswunderjahre zeigt vielmehr, dass die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt einen viel größeren Einfluss auf die Anzahl der kinderlosen Frauen hat, als alle anderen Faktoren.

SCHWARZER weist zwar auf die gute Infrastruktur bei der Kinderbetreuung in Ostdeutschland hin, ohne jedoch zu erwähnen, dass Ostdeutschland das beste Beispiel dafür ist, dass zwischen Kinderlosigkeit und guter Infrastruktur kein direkter Zusammenhang bestehen muss. In Ostdeutschland ist die Geburtenrate seit 1989 wesentlich niedriger als in Westdeutschland - trotz der besseren Betreuungsstruktur. Auch hier ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt der entscheidendere Faktor.

Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen

"Gerade die Hausfrauen bekommen die wenigsten Kinder. Die Euroskala der Relation zwischen Frauenerwerbstätigkeit und Geburtenrate enthüllt eine Sensation: Je berufstätiger die Frauen sind, um so mehr Kinder bekommen sie - und je weniger berufstätig sie sind, um so weniger Kinder",

meint SCHWARZER. Über die Kinderzahl pro Hausfrau sagt dieser Internationale Vergleich überhaupt gar nichts aus! Es werden hier sozusagen zwei verschiedene Sachverhalte unzulässigerweise vermengt. Aus dem internationalen Vergleich ist weder zu ersehen, ob die Frauen teilzeitbeschäftigt oder vollbeschäftigt sind, ob sie im Agrarsektor, in der Industrie oder im Dienstleistungssektor beschäftigt sind. Sind diese europäischen Länder deshalb überhaupt vergleichbar? Wie sah die demographische Struktur dieser Länder in den letzten 50 Jahren aus? SCHWARZER unterstellt wie so viele andere, dass diese Faktoren keinerlei Rolle spielen. Der gesellschaftliche Wandel ist in diesen Ländern jedoch durchaus unterschiedlich verlaufen.

Ein wichtiger Punkt in der Argumentation ist der behauptete Arbeitskräftemangel. Dies ist auch der entscheidende Punkt und nicht die Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie. Die Lösung der Vereinbarkeitsproblematik ist abhängig von der jeweiligen strukturellen und konjunkturellen Arbeitsmarktsituation und nicht umgekehrt.

Der Niedergang der Frauenbewegung in den 1970er Jahren fiel nicht zufällig mit einer veränderten Arbeitsmarktlage zusammen, sondern war vom Ende der Vollbeschäftigung und dem Beginn der Massenarbeitslosigkeit mit bedingt. Wer wie SCHWARZER Bevölkerungspolitik als Frauenpolitik betreiben möchte, der ist von den ökonomischen Verhältnissen direkt abhängig. Die Rede vom "Gebärstreik" versucht diese Abhängigkeit zu negieren. SCHWARZERs "Gebärstreik" ist jedoch nichts als ein Papiertiger...

Die weiteren Artikel der Titelgeschichte

SCHWARZER, Alice (2001): Nach außen emanzipiert. Nach innen abhängig.
Sie sind ein emanzipiertes junges Paar, und es ging auch lange gut - bis, ja bis die beiden Kinder kamen. Heute findet Anna die Lage nur noch "entwürdigend",
in: Emma, Juli/August

KOPPETSCH, Cornelia (2001): Emanzipierte Frauen vertuschen am meisten.
Sieh an. Niemand vertuscht die Ungleichheit im Haushalt so eifrig wie - emanzipierte Frauen. Wollen sie damit die Männer über die Gleichheit im Beruf hinwegtrösten?,
in: Emma, Juli/August

Cornelia KOPPETSCH hat nach dem Vorbild von Jean-Claude KAUFMANNs Buch  Schmutzige Wäsche die häusliche Arbeitsteilung des "egalitären Paares" Paul und Beate analysiert. KOPPETSCH geht es um die "Gleichheitsfiktion" in emanzipierten Beziehungen. Die Prämisse ist dabei, dass der Mann sich der Hausarbeit zu entziehen sucht, während die Frau ihre Mehrarbeit zusätzlich vor sich selbst rechtfertigen muss. Dieses Muster wirkt heutzutage jedoch antiquiert und ist in den Paarbeziehungen der Neuen Mitte schon längst ad akta gelegt worden. In der Dienstleistungsgesellschaft wird der Geschlechterkonflikt mitsamt der Hausarbeit ausgelagert. Die Generation Golf ist da pragmatischer als die übrig gebliebenen 1970er-Jahre-Emanzen (siehe hierzu Simone ODIERNA).

BUSCHHEUER, Else (2001): Der arme Vater und die Rabenmutter.
Else Buschheuer arbeitet im Fernsehen und schreibt Bücher ("Masserberg"). Und sie hat eine Tochter. Die ist heute 15. Und lebt beim Vater. Dabei gehören die Kinder doch zur Mutter! Oder?
in: Emma, Juli/August

Else BUSCHHEUER liefert einen Erfahrungsbericht über den Wechsel vom Leben mit Tochter zum Leben ohne Tochter und die damit verbundenen Selbstzweifel, Rechtfertigungszwänge und Lügen.

NÜRNBERGER, Christian (2001): Die Karrieremutter und der Hausmann.
Als Erstes, dachte ich, werde ich ein Buch über mein Leben als Hausmann und Vater schreiben. Seht her, werde ich Alice Schwarzer und den anderen mitteilen: Hier bin ich, der neue Mann, ein Held unserer Zeit!
in: Emma, Juli/August

Offensichtlich gibt es bei Emma (und nicht nur hier) ein Problem: Die Artikelschreiber sind Teil der Medienbranche und gehören damit zu einem Milieu, das für die Gesamtgesellschaft wenig repräsentativ ist, aber dafür wenigstens die besten Möglichkeiten besitzt "Politik in eigener Sache" zu betreiben und es gibt Einblicke in die Familien der Neuen Mitte.

Christian NÜRNBERGER ist kein freiwilliger neuer Vater, sondern hat sich erst dazu entschlossen, nachdem seine berufliche Perspektive nicht mehr ganz so rosig aussah. Positiv gewendet: "Aussteigen. Vater werden!". Der Autor beschwert sich wie Paul-Hermann GRUNER über das negative Image von neuen Vätern, aber das war wohl nicht das Hauptproblem:

Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen

"Nach einem Jahr hatte ich vom Hausmännerdasein die Nase voll. Wir engagierten Putzfrauen, Babysitter, au-Pair-Mädchen und überhaupt alles, was man so braucht, und ich atmete auf. Endlich konnte ich wieder meinem Vergnügen nachgehen, meinem Beruf, wenn auch weiter von zu Hause aus."

Nicht nur die Lösung der Geschlechterfrage, auch die Lösung der Kinderfrage wird heutzutage in der Neuen Mitte pragmatisch der Dienstleistungsgesellschaft anvertraut...

LESSMANN, Ulla (2001): Jeder fünfte Mann will Teilzeit arbeiten.
Jetzt können auch Männer Teilzeit arbeiten. Zumindest theoretisch. Denn die ist seit dem 1. Januar ein Rechtsanspruch. Na denn,
in: Emma, Juli/August

  • Die Überschrift ist irreführend! Es geht nicht um Männer, sondern nur um die Untergruppe der Väter.

EMMA (2001): 5 nach 12. Und worauf wartet Vater Staat?
Mikrosoziologen sind zuständig für das Funktionieren in der kleinsten Zelle: für Bräuche, Sitten oder Gefühle von Menschen. Prof. Hans Bertram lehrt Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin. Und er findet das Verhalten der Geschlechter in Deutschland total gestrig,
in: Emma, Juli/August

Der Soziologe Hans BERTRAM fordert Solidarleistungen von allen:

Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen

"Die Gesellschaft muss von allen ihren Mitgliedern die zeitlich gleiche Solidarleistung für die Gesellschaft verlangen - mindestens fünf Jahre -, und die muss jedes Mitglied in seinem Lebenslauf unterbringen oder aber eine entsprechende Kürzung seiner Rente hinnehmen."

BERTRAM plädiert damit für eine zivilgesellschaftliche Lösung, die nicht auf Freiwilligkeit, sondern auf Zwang beruht.

SCHENK, Herrad (2001): Mutterliebe Oder: Muttie ist die Dümmste.
Die moderne 24-Stunden-Mutter ist neu in der Menschheitsgeschichte. Und sie ist eine Reaktion auf die Frauenbewegung. Belegt Herrad Schenk,
in: Emma, Juli/August

Die Soziologin Herrad SCHENK behauptet, dass sich Frauen seit den 1970er Jahren entweder für oder gegen Kinder entscheiden können. Die "Neue Mütterlichkeit" der 1980er Jahre ist mit einem neuen Mutterkult einhergegangen:

Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen

"Frauen können heute leben, wie sie wollen - aber nur, solange sie keine Kinder haben. Entschließen sie sich aber, Mütter zu werden - dann sind sie mehr denn je der Mutter-Ideologie unterworfen."

Der gegenwärtige, extrem an den kindlichen Bedürfnissen orientierte Erziehungsstil führt nach SCHENK dazu, dass "man nur ein einziges Kind unter drei Jahren" betreuen kann. Diese Aufwertung der Mütterlichkeit ist für SCHENK die Folge der Wahlfreiheit und dem damit verbundenen Rechtfertigungszwang. Im Gegensatz zu Barbara VINKEN, die den Mutterkult kulturhistorisch herleitet, argumentiert SCHENK hier sozialpsychologisch. Der Mutterkult, d.h. die Überzeugung für das eigene Kind unersetzlich zu sein, könnte nach SCHENK aber auch eine kompensatorische Funktion im Zusammenhang mit der Belastung von Müttern haben.

 
     
 
       
   

weiterführender Link

 
       
     
       
   
 
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 01. Juli 2001
Stand: 17. Januar 2019