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Familienstand Single
"In
einer Frauenzeitschrift habe sie neulich
gelesen - so fährt sie mit schriller Stimme
fort -, für über 40-Jährige sei die
Wahrscheinlichkeit gering, eine dauerhafte
Partnerschaft einzugehen. »Erschreckend
gering!« Die Panik in der weiblichen Stimme
lässt alle Wartenden aufhorchen. »Laut
Statistik tippe ich eher zweimal
hintereinander einen Sechser im Lotto, als
einen Mann zu finden.« Die Frau schweigt.
die Menge grient." |
Frühlingserwachen
beim FOCUS!
Single-Leid
interessiert immer, sagt man sich beim Focus und
probt mit der Coverstory den Einstieg in den
Internetbezahldienst wie er beim Spiegel bereits
seit einigen Wochen praktiziert wird. Die 50 Cents sind
nur gut ausgegeben, wenn man erstens die
technischen Voraussetzungen zum Lesen der
PDF-Datei - also einen Acrobat-Reader - besitzt
und zweitens zu den drei Gruppen
gehört, die mit der Coverstory bedient
werden:
1) Unzufriedene in Paarbeziehungen, die das
Singleleid als Identitätsstütze benötigen.
2) Yuppiefrauen, die sich als Pioniere des
Singlelebens fühlen dürfen und
3) unfreiwillige Partnerlose, die entweder
masochistisch veranlagt sind oder "News you
can use" vom Blatt für die Infoelite
erwarten.
Mit einer
aktuellen Umfrage veraltete Daten aufgepeppt
Der Focus
hat sich die Sache etwas kosten lassen (aber auch
nicht zu viel!) und das Münchner
Meinungsforschungsinstitut INFO Infratest
beauftragt, das Singleleid zu erkunden. "504
Deutsche zwischen 18 und 64 Jahren, die ledig,
geschieden, verwitwet sind oder seit langem
getrennt leben" haben die Meinungsforscher
befragt. Repräsentativ
scheint das nicht zu sein, denn sonst hätte man
es erwähnt, denn wer verschweigt schon
Qualitätsmerkmale der Sozialforschung
freiwillig? Die Autorin ist
jedenfalls von den Umfrageergebnissen selbst
nicht überzeugt, wenn sie ihren eigenen
Ansichten widersprechen ("Denn
gelegentlicher Sex, auf den angeblich 38 Prozent
trotzdem nicht verzichten müssen").
Neudefinition
des Single-Daseins
Erstaunlich
- oder wieder auch nicht - ist die Tatsache, dass
Singles für die Umfrage als
Unverheiratete definiert werden.
Singles werden also im Gegensatz zu Ehe und
traditioneller Familie gesehen. Das passende
Interview mit Edmund STOIBER gibt es im gleichen
Heft. Die
Parole
"Zurück zur traditionellen Familie"
ist implizite Richtschnur, nach der die Autorin
ihre Story aufgebaut hat. Und das so geschickt,
dass sie das Thema Kinderwunsch von Singles erst
gar nicht behandeln muss. Das Problem wird
vorverlagert: Die Partnersuche wird
als als
DAS Problem der Unverheirateten geschildert.
Mit keinem Wort wird darauf hingewiesen, dass
viele Unverheiratete glückliche Partnerschaften
führen.
Das Defizit
der Sozialforschung und seine Konsequenzen
Das Ausmaß
der Partnerlosigkeit in Deutschland ist bis heute
noch nicht erforscht. Es gibt keine einzige
aktuelle repräsentative Studie über dieses
Thema. Dies ist bezeichnend für die Ignoranz
gegenüber Singles. Stattdessen wird
suggeriert, dass das Ausmaß der Partnerlosigkeit
seit den 1950er Jahren gestiegen sei. Beweisen kann
das keiner! Die Neudefinition bleibt in dem
Artikel zudem folgenlos, denn alle
repräsentativen Daten beziehen sich auf
Einpersonenhaushalte, aber nicht auf die
Unverheirateten, über die im Artikel
angeblich berichtet werden soll. Ausgeblendet wird
jene große Gruppe von Partnerlosen, die nicht
alleine lebt, sondern im Mehrpersonenhaushalt (z.B.
Alleinerziehende oder Nesthocker).
Die
Verwechslung von Alleinwohnen und
Partnerlosigkeit
Familienstand Single
"Aus dem als
Verschnaufpause geplanten Intermezzo nach
einer gescheiterten Liebe entwickelt sich
häufig eine stabile Lebensform: Fast die
Hälfte bleibt länger als sechs Jahre ohne
Partner, so die Statistik. Viele bleiben es
für immer," |
behauptet
Katrin SACHSE. Diese Angaben stammen (wird nicht
ausgewiesen) aus dem Buch
Die
"Single-Gesellschaft" von Stefan
HRADIL, der in dem Artikel mehrfach zitiert wird.
Obgleich es in Deutschland kompetentere
Single-Forscher gibt, wird gerne auf HRADILs
Sekundärstudie aus dem Jahre 1995
zurückgegriffen, natürlich ohne die
Fragwürdigkeit der Aussagen zu erwähnen, die
HRADIL selbst im Buch beschreibt:
Die "Single-Gesellschaft"
"Die bislang verfügbaren
Daten erlauben es noch nicht, die Grundfrage
nach der Dauer des Single-Daseins exakt zu
beantworten. Hierzu sind
Längsschnittuntersuchungen notwendig. Dafür
kommt als einzige Datenquelle in Deutschland
nur das 'Sozioökonomische Panel' in Frage.
Dieses reicht jedoch erst 8 Jahre zurück.
Unsere Auswertungen zeigen, daß von den
Singles des Jahres 1991
- die Hälfte (47 %) schon mindestens 6 Jahre
lang allein lebte,
- ein weiteres Fünftel (18 %) schon 4-5
Jahre lang Singles war und
- nochmal ein Fünftel (20 %) immerhin schon
2-3 Jahre lang einen Einpersonenhaushalt
führte.
- Nur 15 % aller im Jahre 1991 anzutreffenden
Singles waren fürs erste 'Kurzzeitsingles'
und lebten erst 1 Jahr oder weniger
allein."
(1995, S.27) |
HRADIL
bezieht sich mit diesen Aussagen jedoch auf die
Dauer
des Alleinwohnens und nicht auf die
Dauer
der Partnerlosigkeit, wie die Autorin
das auslegt. Diesem Aspekt widmet
sich HRADIL auf den Seiten 40 - 43 des Buchs.
Seine Angaben in dem dortigen Abschnitt sind
jedoch unbrauchbar, weil es zum damaligen
Zeitpunkt keine repräsentative Untersuchungen zu
diesem Thema gab. Erst im Jahre 1996
erschien die Publikation Familie an der
Schwelle zum neuen Jahrtausend. Wandel und
Entwicklung familialer Lebensformen, die von
Walter BIEN herausgegeben wurde. Darin befinden
sich erste Auswertungen der Längsschnittstudie
Familiensurvey des Deutschen Jugendinstitut (DJI),
in der die Lebensformen von 1988 und 1994
verglichen wurden. Im Gegensatz zum
Sozioökonomischen Panel (zur Problematik siehe
Notburga OTT & Ulrich PÖTTER 1994) wurden
nicht nur die Haushaltsformen, sondern die
Netzwerke und damit auch haushaltsübergreifenden
Partnerschaften wie "Living
apart together", "Fernbeziehungen"
bzw. "Distanzbeziehungen"
erfasst. Dieser repräsentative Familiensurvey
ist bis heute die einzige Datenquelle geblieben,
die solch weitgehenden Aussagen zum Thema
Partnerlosigkeit machen kann. Ein Trauerspiel der
deutschen Sozialforschung! In dem genannten Buch
heißt es:
Familie an der Schwelle zum neuen Jahrtausend
"Eine
noch wenig untersuchte Variante stellen
Partnerschaften in getrennten Haushalten dar,
deren Mitglieder bisher in der amtlichen
Statistik und in der Sozialforschung in der
Regel als Alleinlebende eingestuft worden
sind. Diese Fehldiagnose und die daraus
resultierende zahlenmäßige Überschätzung
von Alleinlebenden und Alleinerziehenden
lieferten Nahrung für Spekulationen in der
Öffentlichkeit über eine vermeintlich
zunehmende Singularisierung oder gar
Atomisierung der Gesellschaft."
(1996, S.27) |
Mit dem
Thema Partnerschaften von Alleinlebenden hat sich
vor allem ein Mainzer Kollege von HRADIL, der
Soziologe Norbert F. SCHNEIDER beschäftigt,
dessen Studie zum Thema Berufsmobilät und Lebensform bereits
letztes Jahr vorgestellt wurde und dieses Jahr unter dem Titel
Mobil, flexibel, gebunden publiziert wird. In dem Beitrag Partnerschaften
mit getrennten Haushalten in den neuen und alten
Bundesländern aus dem Jahre 1996 belegt er,
dass solche Partnerschaften weit verbreiteter sind
als das unverheiratete Zusammenwohnen. Da jedoch
nur zwei Erhebungen des Familiensurveys durchgeführt
wurden, sind die Aussagen über die Dauerhaftigkeit von solchen
Partnerbeziehungen weiterhin mehr oder weniger spekulativ. Bis
das Gegenteil bewiesen werden kann, könnte man also auch mit
gutem Gewissen behaupten, dass solche Partnerschaften unter
Umständen langlebiger sind als jedes partnerschaftliche
Zusammenwohnen oder auch Heiratsbeziehungen. Hier besteht
dringender Forschungsbedarf. Eines ist jedenfalls
gewiss: Die offiziellen Statistiken
überschätzen das Ausmaß der Partnerlosigkeit
in Deutschland.
Singleforscher
kommen nicht zu Wort oder werden unzulässig
verkürzt widergegeben
Während
HRADIL mit seinen veralteten Daten ausgiebig zu
Wort kommt und Ronald HITZLER, von dem mir
überhaupt keine Forschungen zum Thema bekannt
sind - wenn man nicht gerade die Untersuchungen
über Jugendszenen dazu rechnen möchte - dann
bleibt nur die Dissertation
Sind Singles
anders als die anderen? von Beate KÜPPER, die demnächst
erscheint. Die
Aussagen von KÜPPER sollen jedoch nur noch einmal das
illustrieren, was der Artikel sowieso beweisen soll: Singles
haben zu hohe Ansprüche an Partnerschaften.
Die
Yuppiefrau als Pionier des Singlelebens
Überzeugte
Singles sind allenfalls Yuppiefrauen:
Familienstand Single
"Soziologen würden die attraktive Frau als
den typischen 'swinging Großstadt-Single'
bezeichnen: aktiv, ungebunden, fröhlich,
selbstbewusst, immer auf Achse, in jedem Land
Bekannte für jedes Bedürfnis die richtige
Telefonnummer." |
Als Prototyp wird der
Medienyuppie
präsentiert, den die 32jährige Journalistin
Christiane NADOL verkörpern soll, die mit ihrem
Cabrio abgebildet ist. Ulf POSCHARDT, der
gerade das Buch Über Sportwagen
veröffentlicht hat, wäre das männliche Pendant
dieses Typus - aber das passt nicht zur im
Artikel vertretenen (post-)feministischen
Ideologie des weiblichen Singlepioniers.
Der
männliche Frust-Single
Männliche
Singles sind Frust-Singles. Dazu wird der
48jährige geschiedene und allein Erziehende
Dennis STIERS präsentiert, dessen Ressentiments
als "Typologie der Single-Frau"
angepriesen wird. Wer
nur schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht hat, der wird kaum
mehr als über das Repertoire der "beziehungsunfähigen
Single-Frau" verfügen
. Diese
Erkenntnis besitzt offensichtlich auch Frau SACHSE, wenn sie
schreibt: "Die Interpretation dieser Gesetze gelingt
Außenstehenden meist besser als den Betroffenen."
News you can
use
Der Focus
ist ja nicht nur das Blatt für die Info-Elite,
sondern bietet auch Hilfe zur Selbsthilfe und
Lebensberatung. "Der
Kontaktmarkt wächst ständig" heißt das
Credo. Warum, das wird nicht hinterfragt, sondern
psychologisiert. Man braucht nämlich
gar keine Stereotypen wie Beziehungsunfähigkeit
oder Anspruchsinflation, um dieses Wachstum zu
erklären. Dazu genügt ein Blick auf den
demografischen
Wandel: Die längere Lebenserwartung hat
dazu geführt, dass nicht mehr die Kindheit oder
Jugend, sondern das mittlere Lebensalter und
demnächst das Alter dominiert
. Endete früher
die Beziehung durch den Tod des Lebenspartners,
so ist heute die Trennung mit der Konsequenz des anschließenden Singlelebens die Normalität. Der Focus stellt
einige Profiteure des Boommarkts
vor, z.B. den Soziologen Thorsten WERGES, der in
Bonn die Agentur herzen.de gegründet hat und
sich mit seinem Team - ansonsten arbeitslos
gewordener Akademiker - der schwer vermittelbaren
Singles annimmt. Stephan BISSART darf ein paar
allgemeine Flirttipps ausplaudern und der Stadtforscher Hartmut
HÄUßERMANN, der in den 1980er Jahren die
Yuppisierung der
Altbauquartiere anprangerte, darf der
Yuppiefrau Mut machen:
Familienstand Single
"Der Traum von Christiane Nadol, den
Lebensabend mit Freunden unter einem Dach zu
verbringen, werde keine Vision bleiben. »Wenn
die soziale Homogenität der Bewohner stimmt,
funktioniert so etwas«, glaubt der
Wissenschaftler." |
Die Panik
der Singlefrau
Zum
Abschluss - seit Mitte der 1980er Jahre so etwas
wie das Muss eines jeden Artikels über das
Singleleid - noch die neueste Abwandlung des Eloise SALHOLZ-Klassikers über die
Heiratschancen der Singlefrau:
Familienstand Single
"In
einer Frauenzeitschrift habe sie neulich
gelesen - so fährt sie mit schriller Stimme
fort -, für über 40-Jährige sei die
Wahrscheinlichkeit gering, eine dauerhafte
Partnerschaft einzugehen. »Erschreckend
gering!« Die Panik in der weiblichen Stimme
lässt alle Wartenden aufhorchen. »Laut
Statistik tippe ich eher zweimal
hintereinander einen Sechser im Lotto, als
einen Mann zu finden.« Die Frau schweigt.
Die Menge grient." |
Noch
wesentlich geringer als die Heiratschancen einer
Frau um die 40, sind lediglich die Chancen im
Focus einen gut recherchierten Bericht über die
Lebensverhältnisse von Unverheirateten zu
finden.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
Die
Single-Debatte ist längst in eine Sackgasse geraten. Dies
wird in diesem Buch u.a. der Individualisierungsthese des
Münchner Soziologen Ulrich Beck angelastet.
Das Buch
sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte
verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine
neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der
Demografiepolitik. |
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