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Das Jahr 2002 im Spiegel der
Medien
1) Singles
und Politik
Das familienpolitische Jahr war
geprägt durch den Bundestagswahlkampf, der am 22. September
durch einen knappen Sieg der rot-grünen Koalition entschieden
wurde. Konnte man in den vergangenen Jahren noch von
einzelnen Kampagnen gegen Singles sprechen, so war das Jahr 2002
durch eine permanente familien- bzw. sozialpolitische Debatte
gekennzeichnet. Singles mussten nicht mehr als Sozialschmarotzer
angegriffen werden. Es besteht mittlerweile Konsens darüber,
dass das Single-Dasein als Partner- und Kinderlosigkeit ein
unfreiwilliger Zustand ist.
Vor diesem Hintergrund wird eine Familienpolitik
betrieben, deren zentrale Zielgruppe die unfreiwillig
kinderlose Karrierefrau ist. Gleichzeitig ist diese
familienfreundliche Politik in ihren Auswirkungen
singlefeindlich. Nach der Bundestagswahl wurden mit der
Hartz-Reform und der Bahnpreisreform zwei
singlefeindliche Reformen beschlossen, die einen kleinen
Vorgeschmack auf das Jahr 2003 geben.
Seit dem 15.12. gilt bei der Bahn ein
Preissystem, das flexible Alleinreisende diskriminiert. Wer
flexibel sein muss - und Singles werden durch die Hartz-Reform
zur erhöhten Mobilität gezwungen - wird von der Bahn zusätzlich
bestraft. Die Mitfahrzentralen, die eingerichtet wurden, um
das teure Alleinreisen zum günstigen Gruppentarif zu
ermöglichen, könnte man böswillig als sozialpädagogischen
Disziplinierungsversuch bezeichnen, der aus unsozialen
Egoisten soziale Gruppenmenschen machen soll.
Ab Januar 2003 gelten die verschärften
Zumutbarkeitsregelungen für allein stehende Arbeitslose.
Welche Konsequenzen diese Hartz-Reform haben wird, das wird erst
im Laufe des Jahres genauer sichtbar werden. Das Jahr 2003 wird allgemein als Jahr der
Entscheidung bezeichnet. Es stehen einschneidende Reformen
im System der sozialen Sicherungssysteme an. Der soziale
Druck auf Kinderlose wird dadurch weiter erhöht werden. Die Bevölkerungswissenschaft ist inzwischen zur
heimlichen Leitwissenschaft für sozialpolitische Reformen
geworden und die Enttabuisierung der Bevölkerungspolitik
wird von der Neuen Mitte vehement vorangetrieben.
Die Debatten um höhere Beiträge für Kinderlose
bei der Pflege- und Rentenversicherung geben die Richtung für
die weiteren Reformen vor.
2) Singles
in der Gesellschaft
Schluss mit Lustig sollte bereits im Jahr 2001
sein. Das Ende der Spaßgesellschaft wurde herbei
geschrieben. Aber erst die
Jobkrise der Generation Golf
im Sommer versetzte der Spaßgesellschaft einen ersten Dämpfer.
Die Generation Golf geriet als Generation arbeitslos
auf die Titelseiten der Neue-Mitte-Presse. Arbeitslosigkeit war
plötzlich zum Akademikerproblem geworden und jene, die bisher
das Arbeitslosenproblem ignoriert hatten, schrieben fortan über
ihre eigene drohende Arbeitslosigkeit. Singles waren nicht mehr die allseits beneideten
Karrieristen, sondern familiäre Bindungen schützten plötzlich
vor der Entlassung.
Pop war fortan megaout und das Label
Anti-Pop
kam in Fahrt. Nach der Bundestagswahl stand die
Novemberrevolution scheinbar kurz bevor. Die neue
Bescheidenheit kam jedoch dazwischen und das
Weihnachtsgeschäft musste noch retten, was zu retten war. Mit dem Aufstieg des Begriffs
"Generationengerechtigkeit" wurde der Krieg der Generationen
gepusht. Dahinter soll die Tatsache verschwinden, dass die
Ungleichheit innerhalb einer Generation zunimmt.
Die geschlechtsspezifische Polarisierung der
Alleinlebenden wird allmählich ein Thema. Während weibliche
Alleinlebende im mittleren Lebensalter eher zur Gruppe der
Karrierefrauen gehören, müssen die Männer im mittleren
Lebensalter zu den Modernisierungsverlierern gezählt werden.
3) Singles
in TV, Film und Literatur
Das Kinojahr brachte mit About a Boy
den Themenwechsel. Nicht mehr die Partnerschaft, sondern die
Elternschaft steht im Zentrum. Im deutschen Fernsehen laufen zwar noch die
US-Yuppie-Serien Ally McBeal und Sex
and the City. In den USA wurde jedoch zuerst das Ende von
Ally McBeal beschlossen und mittlerweile steht auch das Ende
der beliebten Serie um die vier New Yorker Single-Frauen fest.
Die Single-Fan-Gemeinde wurde durch
die Schwangerschaft der SatC-Hauptdarstellerin Sarah Jessica
PARKER erschüttert. Die Punk-Band Fehlfarben
brachte den diesjährigen Trend mit dem Song Der Club der
schönen Mütter auf den Punkt.
Weltweit bestimmten Mütter
wie Liz HURLEY, Kylie MINOGUE, Kate MOSS und Sarah Jessica
PARKER die Schlagzeilen. Die Bestseller-Autorin
Katja KULLMANN, die mit dem Buch Generation Ally im Februar
die Frauen der Generation Golf ansprach, sieht sich
darin als kinderlose Karrierefrau von zwei Seiten bedroht:
Generation Ally
"Wir Frauen
der Generation Ally dachten, wir wären die Superfrauen, wir
dachten, an uns käme keiner vorbei. Stattdessen fragt man sich
jetzt bloß, auf welcher Seite man steht: auf der Seite der
neurotischen, moppeligen, ungeschickten Allys, Bridgets und
Ankes - oder im Lager der prallen, feuchten, willigen Ramonas,
Veronas und Jennys. Gegen Ende der Pubertät hatten wir
angenommen, die Zeit der Schlampen und Luder sei vorbei, wir
glaubten, sie hätten keine Chance mehr, wir nahmen außerdem an,
nur die organisierten Feministinnen hätten ein Problem mit ihrem
Selbstwertgefühl - und jetzt haben wir selbst eins." |
Die Zeit der
selbstbewussten, kinderlosen Karrierefrauen ist vorbei. Die
"Mir gehört die Welt"-Attitüde ist bei den 30jährigen dem
Eingeständnis eines Politikdefizits gewichen. Das Gefühl des
Ausgebremstwerdens ist die Konsequenz der Souveränitätsfalle,
die politisches Handeln als Option ablehnt:
Generation Ally
"Protest wäre
nötig, ein lauter Streik statt einem stillen. Aber das ist nicht
unser Gebiet, damit kennen wir uns nicht sehr gut aus, die
Vorstellung bereitet uns Bauchschmerzen. Wir wollen gar nicht so
genau wissen, dass es uns genauso geht wie Hunderttausenden, wir
werden den Teufel tun und öffentlich darauf hinweisen, dass wir
Teil einer Masse sind." |
Katja
KULLMANN ist inzwischen einen Schritt weiter. Sie schreibt
neuerdings auch in der Zeitschrift Emma. Der
Buchmarkt wird von Büchern für die Zielgruppe der ungewollt
kinderlosen Frauen überschwemmt. Das Buch
Leben ohne
Kinder von Christine CARL ist hier die Ausnahme von der
Regel.
Bei
der Literatur zu Singlemännern ist Michel HOUELLEBECQ zum
Wegbereiter geworden und hat inzwischen auch in Deutschland
vereinzelt Nachahmer gefunden, die die Einsamkeit des
Großstadtsingles thematisieren. Hierzu gehört z.B. Wolfgang
SCHÖMELs Die Schnecke.
Das
Medienereignis des Jahres war jedoch wieder einmal HOUELLEBECQ
höchstpersönlich. Mit Plattform bestimmte er die Debatte. Man
darf darauf gespannt sein, was das Jahr 2003 bringen wird. Das
Thema ist noch lange nicht ausgereizt. Der Singlemann als
Modernisierungsverlierer steht immer noch zur Entdeckung an.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der
"Single-Gesellschaft"
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
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