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2008
Der gebürtige Schweizer
Christoph NEIDHART, Jahrgang 1954, ist seit letztem Jahr
Japan-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. Er beschreibt in dem
Buch den Aufstieg der ostasiatischen Länder.
SCHOETTLI, Urs (2008): Japans
Reichtum beruht auf Selbstbeschränkung.
Disziplin und Verzicht in einer modernen Konsumgesellschaft,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 26.01.
JOFFE, Josef (2008): Im
Rentnerparadies.
Japans Zukunft sieht "alt" aus. Mehr als ein Fünftel der
Bevölkerung ist älter als 65 Jahre. Architekten und Tüftler bereiten
sich auf die neuen Kunden vor. Doch kann die Wirtschaft den
Arbeitskräftemangel bewältigen? Und wie soll das Land mit Chinas
Aufstieg umgehen?
in: Die ZEIT Nr.19 v. 30.04.
"Jenseits seiner brillanten
Gadget-Kultur, die der europäischen um Jahre voraus ist, sieht
Japans Zukunft »alt« aus. »Im Jahre 1998«, referiert der Demograf
Matsutani Akihiko, »wurde Japan zur ältesten Gesellschaft der
Welt.« Wann ist eine Gesellschaft »alt«? Wenn die über 65-Jährigen
14 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Japan liegt heute bei über
20; Deutschland braucht dazu noch ein Jahrzehnt. Die
Lebenserwartung steigt: 85 bei Frauen, 78 bei Männern (aha, Opa
fehlt im »Haus der Zukunft«, weil er schon bei den Vorfahren
weilt). Die Geburtenrate ist so niedrig wie die deutsche.
In Japan aber schrumpft die Bevölkerung seit drei Jahren – und
deren arbeitender Teil seit sieben. 2050 werden dem Arbeitsmarkt
20 Millionen fehlen, derweil der Altenanteil bei 40 Prozent liegen
wird. Der Forscher rechnet vor, was das bedeutet: »Negatives
Wachstum wird in ein paar Jahren die Norm sein in einer Nation,
die bis vor Kurzem der Schrittmacher der westlichen Welt war.«
Denn ohne Arbeitskräfte kein Wachstum",
zitiert Josef JOFFE einen
japanischen Bevölkerungsforscher. Dazu wird ein Schaubild mit der
Überschrift Die Pyramide steht kopf. Schon 2050 werden etwa 40
Prozent der Japaner Senioren sein präsentiert. Die japanische
Pyramidenform des Jahres 1950 entspricht ungefähr derjenigen des
Jahres 1910 in Deutschland. Dies zeigt deutlich die Rasanz,
mit der Japan - im Vergleich zu
Deutschland - die Bevölkerungsentwicklung durchläuft.
COULMAS, Florian (2008): Muttersprache: Japanisch.
Roboter sind nicht länger Spielzeug, sie werden in unserem Leben
eine immer grössere Rolle spielen,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 15.05.
NEIDHART, Christoph (2008): Wettlauf ums Karrierekind.
SZ-Serie Familienfoto (2): In Japan widmen sich viele Mütter mit
Leib und Seele ihren Kindern. Mütter, die allerdings arbeiten,
obwohl sie nicht müssten, gelten als Egoistinnen,
in: Süddeutsche Zeitung v. 29.07.
"Okinawa ist die ärmste
Präfektur Japans, aber auch die, wo die Menschen am längsten leben
und die meisten Kinder bekommen", berichtet
Florian COULMAS.
NAKANISHI, Kanako (2008): Mama und Papa suchen eine Braut.
In Japan wohnen viele Erwachsene noch bei ihren Eltern, die gern
bei der Partnerwahl behilflich sind,
in:
Welt v.
08.11.
COULMAS, Florian (2008): Die Grenzen des Reichtums.
Glück hat Konjunktur, doch wird es durch seine konsumgestützte
Verwirklichung immer schaler – in Japan und anderswo auf der Welt,
in:
Neue Zürcher
Zeitung v. 24.11.
SERRA, Jakob Strobel y (2008): Das Paradies kann warten.
Nirgendwo auf der Welt werden die Menschen so alt wie in Japan.
Das kann kein Zufall sein. Eine Suche nach dem Geheimnis der
Langlebigkeit,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 04.12.
SCHOETTLI, Urs (2008): Die Treue der Senioren.
Schauplatz Japan: Ältere Leute wollen seriös informiert sein –
die Presse profitiert vom demografischen Wandel,
in: Neue Zürcher Zeitung
v. 13.12.
GÜCKEL, Bernhard (2008): Warum gibt
es im Reich der aufgehenden Sonne immer weniger Kinder?
Fertilität in Japan,
in:
BIB-Mitteilung,
Heft 3 v. 15.12.
2009
GEBHARDT, Lisette (2009): Gefolterte Häschen.
Wie sich japanische Girlie-Schriftstellerinnen die Traurigkeit
vom Leib schreiben,
in:
Neue Zürcher
Zeitung v. 27.01.
KOLONKO, Petra (2009): Paro bringt
die Alten zum Lächeln.
Japan ist die am stärksten alternde Gesellschaft. Das führt zu
einem enormen Pflegebedarf. Zum Glück sind die Japaner
technikverliebt,
in:
Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 08.03.
MATZIG, Gerhard (2009): Naomi, Heidi und HRP-4C.
Japan schickt eine Roboterin als Super-Model auf den Laufsteg,
in: Süddeutsche Zeitung
v. 17.03.
FRITZ, Martin (2009): Sick in Japan.
Eifrig, fleißig, strebend: das ist das Klischee von Japanern.
David Schumann ist Punk, pflegt ein proletarisches Macho-Image und
ist Topmodel in Tokio. Wie passt das zusammen?
in: TAZ v. 06.04.
Martin FRITZ porträtiert den deutschen
Punker David SCHUMANN, dessen Japan-Bild u. a. von Haruki
MURAKAMIs Romanen beeinflusst wurde und der nun die
Tokyo Diaries veröffentlicht hat, in dem er über sein Leben in
Tokio schreibt.
KERNECK, Barbara (2009): Soziale Unterschiede machen krank.
Menschen in Skandinavien und Japan geht es im Vergleich zu
anderen Staaten relativ gut. Grund dafür sind die geringen sozialen
Unterschiede,
in: TAZ v. 17.04.
SCHOETTLI, Urs (2009): Wer soll denn noch Möbel kaufen?
Die Wirtschaftskrise, die Japan heimsucht, ist auch die Krise
einer Gesellschaft in der Altersfalle,
in:
Neue Zürcher
Zeitung v. 05.05.
Demografischer Notstand und
parasitäre
Singles sind die beiden Eckpunkte der Japan-Berichterstattung von
Urs SCHOETTLI.
TAGLINGER, Harald (2009): Roboterfräulein für Vereinsamte.
Natürlich aus Japan kommt ein Roboter, der mit seinen weiblichen
Formen so manchem Programmierer in langen Nächten Gesellschaft
leisten soll,
in: Telepolis v. 06.07.
BRANDNER, Judith (2009): No more Sex?
Schlangen von Männern vor den Trash-Sexshops, die eheliche
Beischlaffrequenz statistisch am unteren Ende. Dazu eine starke
Überalterung und die niedrigste Geburtenrate der Welt. Japan im
Zeitalter der Entvölkerung,
in: Die Presse v. 18.07.
RÜ (2009): Krankes Japan.
Kann eine Gesellschaft krank sein? Durchaus, wie der Blick nach
Japan zeigt. Drei Symptome, die darauf hindeuten: Karoshi,
Hikikomori, Parasito Shinguru,
in: Frankfurter Rundschau v. 29.08.
KOLONKO, Petra (2009): Japan.
Mehr als 40.000 sind über 100 Jahre alt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.09.
BIERMANN, Kai (2009): Land der Alten und Singles.
Japan vergreist rapide. Seine Gesellschaft ist verunsichert, die
Einkommen sinken, alte Werte verschwinden - und die Menschen finden
nicht mehr zusammen,
in: Zeit Online v. 10.12.
2010
COULMAS, Florian (2010): Der müde Samurai.
Die Japaner sind erschöpft - Sie sind alt geworden,
in:
Neue Zürcher
Zeitung v. 09.04.
FRITZ, Martin (2010): Mord wegen Internet.
Wenn Höhlenmenschen ausrasten,
in:
Frankfurter
Rundschau v. 20.04.
GEBHARDT, Lisette (2010): Nach Einbruch der Dunkelheit.
Zeitgenössische japanische Literatur im Zeichen des Prekären,
EB-Verlag
Die Japanologin Lisette GEBHARDT
berichtet in dem Buch über japanische Literatur zur prekären
Situation der Jungen in Japan und beschreibt die neuen
Sozialfiguren, die die öffentliche Debatte hervorgebracht hat:
"Betrachtet man die Prekarität
in Japan, so entdeckt man zunächst neue Soziotypen. Unter NEET
versteht man Jugendliche ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz,
denen man mangelnde Motivation und Orientierung vorhält. Freeter
arbeiten in Jobs, die keine soziale Absicherung bieten, Hikikomori
meint isolierte Soziophobiker, die sich in ihre Zimmer einsperren.
Internetcafé-Flüchtlinge (nettokafê nanmin) oder
McDonald‘s-Flüchtlinge (makku nanmin) sind wohnsitzlose
Freeter; diese halten sich als Gestrandete in diesen Lokalitäten
bis zum frühen Morgen auf. So stellt das Internetcafé, das seinen
Kunden eine kleine Kabine mit Netzzugang sowie Toiletten auf dem
Gang und Gemeinschaftsduschen bietet, eine neue nomadische
Lebensweise des urbanen Japan dar"
(in: Frankfurt Forschung, Heft 1, 2011, S.46f.)
Die 1990er Jahre in Japan
werden als "verlorene Dekade" beschrieben:
"War die Bubble- Phase der
1980er Jahre die Zeit, in der man Luxus genoss, wusste man auch
damals schon um den Preis, den der Höhenfl ug forderte. Das
Platzen der Blase war das Ergebnis einer exzessiven
Spekulationswelle und führte schließlich die japanischen
Geldinstitute an den Rand des Abgrunds. Im Buch Yutakasa to wa
nanika (dt. Armes Japan: Die Schattenseite des
Wirtschaftsgiganten), das 1989 zum Bestseller wurde, denkt die
Wirtschaftswissenschaftlerin Teruoka Itsuko über die dunklen
Seiten des Lebens im Wirtschaftswunderland nach – geistige
Erschöpfung, Tod durch Überarbeitung, Entfremdung der
Familienmitglieder, Mangel an individuellen Freiräumen. Sie kommt
zu dem Schluss: »Wir Japaner haben, indem wir ausschließlich in
die Wirtschaft investierten, alles weitere über Bord geworfen.« (Teruoka
1991: 21). Nach dem Platzen der Blase im Jahr 1990 setzte die
»Verlorene Dekade« ein."
(in: Frankfurt Forschung, Heft 1, 2011, S.46f.)
Und so wie nach der
Jahrtausendwende die deutsche
Generation Golf zur verlorenen Generation stilisiert wurde,
wird das in den Nuller Jahren auch in Japan praktiziert. Hier
stellt sich - wie für Deutschland auch - wer die Gewinner und wer
die Verlierer tatsächlich sind. Der Generationenbegriff ist
ungeeignet, um die soziale Ungleichheit einer Gesellschaft zu
erhellen.
FRITZ, Martin (2010): Japan sucht die Hundertjährigen.
Vermisst: Weder Behörden noch nahe Verwandte wissen, wo Japans
Supersenioren leben. Immer mehr Hochbetagte leben und sterben
einsam. Nun ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft,
in: Frankfurter Rundschau v.
16.08.
Japan galt in Deutschland bislang als Land
der gesunden Hochaltrigen und als Vorbild für den Umgang mit alten
Menschen. Dieses Bild muss nun offenbar korrigiert werden.
KOLONKO,
Petra (2010): Kaiserreich der Karteileichen.
In keinem Land gibt es mehr Hundertjährige als in Japan. Aber
viele von ihnen sind schon lange tot - und die Rente wird weiter
gezahlt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.08.
Im Jahr 2004 erregte Frank
SCHIRRMACHER Deutschland mit seinem Bestseller
Das Methusalem-Komplott
Aufsehen. Die Welt werde aufgrund der Alterung der westlichen
Gesellschaften in einen Ausnahmezustand versetzt.
Ein neues Buch der Zeit-Redakteure
Manuel J. HARTUNG & Cosima SCHMITT mit dem programmatischen Titel
Die
netten Jahre sind vorbei
beschwört aufgrund der so genannten
Babyboomer-Generation einen
Generationenkrieg. Was ist dran an dieser Behauptung? Im neuen
Herbstthema wird auf dieses Thema eingegangen, denn offensichtlich
hat
SCHIRRMACHER die Probleme der USA auf Deutschland projiziert,
obwohl unsere Gesellschaft viel geringere Probleme mit den
Babyboomern bekommen wird.
Die Ökonomen EBERSTADT & GROTH
zeigen in dem NZZ-Aritkel aufgrund einer Prognose der
United Nations Population Division (UNPD) das finanzielle
Ausmaß, in dem die OECD-Länder durch die Alterung im Jahr 2030
betroffen sein werden (Staatsverschuldung gemessen am
Bruttoinlandsprodukt).
Im Artikel werden die Probleme
der Länder Deutschland, Italien Frankreich, Japan und der USA
näher betrachtet.
Weder Frankreich
(300 %), das mit einem tollen Geburtenniveau trumpfen kann
(hier wird kritisiert, dass unklar ist, wie sich die Geburtenraten
ethnisch zusammensetzen), noch
die
ebenfalls mit einem Babyboom gesegnete USA (300 %),
erst recht
nicht
Japan (600 %), dessen Alterungssprobleme seit langem bekannt sind,
sondern Deutschland (200 %) und Italien (200 %) stehen relativ gut
da.
Da es den beiden Ökonomen um
eine Einführung eines demografischen Stresstests geht, ist die
Lage natürlich in allen Ländern ernst. Auch wenn - entgegen den
Behauptungen der Wissenschaftler - solche Prognosen mit großen
Problemen behaftet sind, so lassen sich doch Trends erkennen. Die
genannten Trends stimmen im Großen und Ganzen mit den auf dieser
Website seit Jahren betonten Annahmen zu den tatsächlichen
Problemen verschiedener Länder überein.
TAN, Daniela (2010): Neue Männer braucht das Land.
Ein etwas anderer Blick auf
die prekäre demografische Situation Japans: Dass Japan die
Avantgarde der Überalterung bildet, hat man in den
industrialisierten Staaten im Hinblick auf die eigenen Perspektiven
mit Sorge zur Kenntnis genommen. Viel ist dabei von der
Gebärverweigerung junger Frauen die Rede, doch welche Rolle spielen
die Männer?
in: Neue Zürcher
Zeitung v. 02.11.
WAGNER, Wieland (2010): "Dann geht Nippon unter".
Das Wunderland der siebziger und achtziger Jahre verzweifelt an
seiner Dauerkrise. Jobs werden abgebaut, Renten gekürzt, Firmen
wandern ab. Auch der Zusammenhalt der Generationen löst sich auf,
in: Spiegel Nr.46 v. 15.11.
Beim SPIEGEL gibt es
eine wundersame Vermehrung der über Hundertjährigen in Japan.
WAGNER schreibt:
"Nach einer eiligen Überprüfung fand die
Regierung heraus, dass im ganzen Inselreich mehr als 234 000
über Hundertjährige verschollen und vermutlich längst
verstorben sind."
Noch im August meldete Spiegel
Online und auch andere Zeitungen dagegen:
"Japan ist bekannt für seine extrem hohe
Lebenserwartung. Im vergangenen September gab es im ganzen
Land rund 40.000 Menschen, die mehr als hundert Jahre alt
waren."
Davon wurden gerade einmal
rund 200 Menschen vermisst. Wie bitte können eigentlich
234.000 über Hundertjährige verschollen sein, wenn es im
ganzen Land gerade einmal 40.000 über Hundertjährige gibt? Die
hohe Zahl wurde offenbar von der Agentur APA verbreitet. So
liest man bereits
im September
von über 230.000 vermissten Menschen.
Der
Spiegel berichtete
1986, dass in
Japan 1963 erst 153 über Hundertjährige lebten und sich diese
Zahl bis 1986 auf 1851 erhöhte. In der
FAZ kann man bei
Petra KOLONKO nachlesen wie rasant die Anzahl in den letzten Jahren
gestiegen ist:
"Die
Zahl der Über-Hundertjährigen ist in den vergangenen Jahren
schnell gewachsen. Im Jahr 2003 waren es nur 20.000, 2007
waren es 30.000, und 2009 wurden schon 40.399 Hochbetagte
gezählt. Die staatliche Rentenkasse scheint diesen Zahlen
nun nicht mehr zu trauen – und hat eine Untersuchung in
Auftrag geben."
Die 234.000 über
Hundertjährigen, die jetzt in den Melderegistern gefunden sein
sollen, würden eigentlich diese jemals in Japan gelebten über
Hundertjährigen übersteigen. Der Zahl von 234.000 kommt man
näher, wenn man bei Petra KOLONKO weiter liest:
"Vielleicht
ist aber auch die Klage über den Verfall der sozialer Bande
zu übertrieben, wenn sich als Trend bestätigt, was jetzt an
behördlicher Schlamperei aus Osaka bekannt wurde. Dort
musste die Stadtverwaltung zugeben, dass 5125 Personen, die
jetzt über 125 Jahre alt wären, noch in den Melderegistern
geführt werden. Unter ihnen sei ein Mann, der im Jahr 1857
geboren wurde."
Rechnet man diese Zahl für
die Stadt Osaka auf Japan hoch, dann kommt man auf solche
Zahlen. Aber offenbar stammen doch die Daten über die lebenden
über Hundertjährigen aus ganz anderen Quellen als die 234.000
Vermissten aus den Melderegistern. Wir hätten es dann mit zwei
verschiedenen Sachverhalten zu tun, die in den Artikeln
vermengt werden. Was
soll also mit der hohen Zahl suggeriert werden? Zumal die
Datenlage auch noch mit kriminellen Fallbeispielen vermischt
wird. Existieren in Japan so viele über Hundertjährige, weil
ihre Angehörigen weiter Rente kassieren möchten und deshalb
den Tod verschweigen? Haben sich die Alten nach Unbekannt
zurückgezogen? Oder ist die Anzahl der 40.000 aufgrund
fehlerhafter statistischer Dokumentation überhöht? Die
Berichte über die Hochbetagten in Japan bringen letztendlich
wenig Licht in dieses Dunkel.
KOLONKO, Petra (2010):
Eine Prüfung, die kaum jemand schafft.
Die Einwanderungspolitik in Japan ist rigide. Dabei schrumpft die
Bevölkerung. Und der Fachkräftemangel ist groß,
in:
Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 12.12.
GERMIS, Carsten
(2010): Die Präsidentin.
Im Porträt: Yoshiko Shinohara - Sie ist die mächtigste Frau
Japans Als andere Japanerinnen noch Blumen banden und Tee kochten,
gründete sie ihr eigenes Unternehmen,
in:
Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung v. 12.12.
2011
Philip BRASOR berichtet aus Japan, das
vom
"Altersbeben" viel dramatischer betroffen ist als Deutschland.
Mit dem Zensus 2010 geriet die steigende Zahl von
Einpersonenhaushalten und die schrumpfende Bevölkerung in den
medialen Fokus.
"The number of households is
increasing while population is declining, which means that there
are a lot more single-person households than there were 10 years
ago and there will be even more 10 years from now. In fact,
experts predict that single-person households will be the dominant
demographic in a short time, and many if not most of them will be
occupied by lonely old people, presumably with no families to fall
back on, thus placing even greater strain on an already
overburdened social welfare system",
schreibt BRASOR. Bereits seit Ende der 1990er wird in Japan von "parasitären
Singles" gesprochen (vgl.
Masahiro
YAMADA 1999).
Während der Begriff "parasitäre
Singles" eigentlich Nesthocker meint, geht es nun um
Einpersonenhaushalte und nicht mehr um bei den Eltern lebende
Singles.
BRASOR fasst die im letzten Jahr
entbrannte öffentliche Debatte um die "vergreisende" japanische
Gesellschaft und den Wohlfahrtsstaat zusammen, wobei männliche
Singles als Problemfall beschrieben werden.
KEUCHEL, Jan (2011): Fit und fleißig.
In Japan
startet die Rente mit 69 Jahren,
in: Tagesspiegel v. 06.03.
Rente mit 69 in Japan? Dies ist
natürlich eine gezielte Falschmeldung, die eher mit der
Wunschvorstellung der Bundesbank für das Rentenalter in
Deutschland zusammenhängt. Ob die Japaner tatsächlich so
viel gesünder sind als die Deutschen, das ist angesichts
statistischer Mängel fraglich.
SCHOETTLI, Urs (2011): Auch die Toten gehören zur Gemeinschaft.
Vom Umgang
mit der Vergänglichkeit in Japan,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 30.03.
MURAMATSU, Naoko & Hiroko AKIYAMA Urs (2011): Japan: Super-Aging
Society Preparing for the Future,
in: The Gerontologist Nr.4
Naoko MURAMATSU & Urs AKIYAMA
beschreiben den Geburtenrückgang und nicht die Erhöhung der
Lebenserwartung als das demografische Hauptproblem Japans:
"The critical contributor to
population aging, however, is rapidly declining fertility. The
relatively brief post-World War II baby boom (1947–1949) ended
when the government loosened abortion laws and encouraged family
planning and birth control to prevent overpopulation. The total
fertility rate declined from 4.54 births per woman in 1947 rather
quickly to 2.04 in 1957 (National Institute of Population and
Social Security Research, 2010b). When the first baby boomers
reached child-bearing ages, the second baby boom (1971–1974)
occurred but without changing the number of births per woman."
Der Nachkriegs-Babyboom in
Japan mag kurz gewesen sein, was jedoch außer Acht lässt, dass die
Geburtenrate in Japan vor dem zweiten Weltkrieg wesentlich höher
lag als in anderen Babyboom-Ländern. In Japan ereignete sich
deshalb ein
Absturz der Geburtenrate von 4,5 auf 2 Kinder pro Frau innerhalb
eines Jahrzehnts. Andere Autoren wie
Florian KOHLBACHER
sprechen von den
japanischen
Babyboomern. KOHLBACHER fasst darunter die Geburtsjahrgänge
1947-1949 in einer engen, bzw. die Geburtsjahrgänge 1947-1951 in
einer weiten Definition.
COULMAS, Florian (2011): Wenn sich der Wasserkocher sorgt.
In Japan trifft die Lust an
technischen Neuerungen auf fehlenden Sinn für Privatheit – eine
Erkundung im halböffentlichen Raum,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 18.06.
GHELLI, Fabio (2011): Schluss mit niedlich.
Geisha?
Girlie? Nein: Weltmeisterin! Japans Fußballerinnen formen in ihrem
Land ein neues Frauenbild. Das ist auch dringend nötig,
in: Tagesspiegel v. 20.07.
HAARHOFF, Heike (2011): Ressource Alter.
Pflege: Ob in Japan oder
Frankreich, in einigen Ländern werden betagte Menschen bereits als
Bereicherung wahrgenommen, nicht nur als Problem,
in: TAZ v. 16.09.
GERMIS, Carsten (2011): Das älteste Land der Welt.
Bald schon wird jeder vierte
Japaner älter als 65 Jahre sein. Das verändert auch die
Wirtschaft. Die Gefahr ist groß, dass sich die Menschen in
Stagnation und Deflation einrichten, weil es für wohlhabende
Senioren bequem ist,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.10.
GERMIS, Carsten (2011): Junge Japaner scheuen Ehe und Kinder.
Abschreckendes Beispiel für die
anderen entwickelten Industriestaaten,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 04.10.
GERMIS, Carsten
(2011): Geborgen bei der Mama-san.
Japans
Männer haben es schwer. Der Druck im Büro ist groß, in der Familie
haben sie nichts zu melden. Sie flüchten sich in kleine Kneipen zu
älteren Damen, den Mama-san,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 30.10.
2012
MESSMER, Susanne (2012): Der kindliche Glamour des Protests.
Subkultur:
Seit Fukushima ist die japanische Alternativszene im Auftrieb. Ein
Streifzug durch Tokio,
in:
TAZ v. 10.03.
HIJIYA-KIRSCHNEREIT, Irmela (2012): Ohne Zukunft glücklich.
In Japan
macht ein soziologisches Buch Furore, das auf die Krise der
Gegenwart eine lebenskluge Antwort zu geben scheint,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
30.03.
TAN, Daniela (2012): Mutter sei Dank.
Die
japanischen Frauen zwischen Anerkennung und Alltagsbelastung,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
11.05.
SCHEFFER, Ulrike (2012):
Japan, Land des Schwächelns.
Wie uns die Zeiten ändern: Seit zehn Jahren steckt Japan in der
Krise - und findet kein Rezept gegen den Niedergang,
in:
Tagesspiegel Online v. 23.06.
RÖTZER, Florian (2012): Japans Bevölkerung schrumpft.
In Japan
haben sinkende Geburten- und Bevölkerungszahlen Rekordniveau
erreicht,
in: Telepolis v. 08.08.
GERMIS, Carsten
(2012): Glückliche Jugend im Land der Hoffnungslosigkeit
Immer
weniger junge Japaner finden feste Jobs. Ein Soziologe konstatiert
dennoch eine zufriedene Generation,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.08.
TAN, Daniela (2012): Wie man in Japan die Jahreswende begeht.
Aufbruch zum
Leben: Unter dem Firnis der (post)modernen Industrie- und
Informationsgesellschaft lebt in Japan eine Zeit weiter, die tief
vom Glauben an die Naturgewalten und ihre Rhythmen geprägt war.
Selbst junge Leute wenden sich heute vermehrt der shintoistischen
Tradition zu,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
21.12.
MAAK, Niklas (2012):
Ungewohnte Nähe.
Die heilige
Kleinfamilie gibt es nicht mehr: Japanische Architekten bauen
Häuser für die Familien der Zukunft,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 23.12.
2013
SCHOETTLI, Urs (2013): Die neuen Asiaten. Ein
Generationenwechsel und seine Folgen Verlag Neue Zürcher Zeitung
Urs SCHOETTLI, Jahrgang 1948
und Korrespondent der NZZ, berichtet über drei Generationen in
Asien (1930-1945Geborene, 1946-1970Geborene und nach 1970
Geborene).
KLINGHOLZ, Reiner & Gabriele VOGT (2013): Demografisches Neuland.
Schneller noch als Deutschland muss Japan Antworten auf eine
schrumpfende und alternde Gesellschaft finden, Berlin-Institut für
Bevölkerung und Entwicklung, Discussion Paper 11, Juni
SCHÄFER, Frank (2013): Die Zukunft ist ein Projekt von gestern.
Sehnsuchtsorte: Der
Schriftsteller William Gibson, Visionär der virtuellen Realität,
legt einen tollen Essayband vor: "Misstrauen Sie dem
unverwechselbaren Geschmack" versammelt luzide Zeitdiagnosen aus
vier Jahrzehnten,
in:
TAZ v. 29.06.
Frank SCHÄFER hebt
insbesondere den Essay Glänzende Schlammkugeln hervor, in
dem japanische Nerds
(Otakus) von William GIBSON zu Rebellen stilisiert werden:
"In seinem Essay »Glänzende
Schlammkugeln«
erzählt er von zwei erstaunlichen Modeerscheinungen des
zeitgenössischen Japans. Junge Menschen, vor allem Männer,
lassen sich aus der Welt fallen, verbergen sich bisweilen
jahrelang in ihren Zimmern, sogar vor ihren engsten
Familienangehörigen, in totaler Einsamkeit, ohne dabei
psychische Krankheitssymptome wie Agoraphobie oder Depression
an den Tag zu legen. Etwa zur gleichen Zeit hört Gibson von
den titelgebenden, ursprünglich von Kindern gefertigten
glänzenden Schlammkugeln (jap. Hikaru Dorodango), die durch
ständiges Rollen in der Hand einen tiefen, an alte Keramik
erinnernden Glanz bekommen. Ein enormes Medienecho macht sie
zu quasikultischen Objekten. (...). Die Einsamen
»sind
ebenfalls mit der Schaffung von Dorodango beschäftigt. Ihr
gewähltes Material: das Leben selbst.«
Hier haben wir die idealisierte, auf die Spitze getriebene,
die Zen-Version des Nerds, den japanischen Otaku. Für Gibson
ist er eine Art Rebell, der sich bewusst fernhält von den
Waren- und Informationsströmen, die ihn unablässig umspülen,
der mit äußerstem Einsatz sein Steckenpferd reitet, nämlich
auf Kosten der Vielfalt des Lebens und seiner sozialen
Existenz. Vielleicht gibt es deshalb auch so viele
Verkaufsautomaten in Tokio, die für sich
»eine
geheime Stadt der Einsamkeit«
bilden. Sie ermöglichen es,
»tagelang
jeden Blickkontakt mit anderen Menschen aus dem Weg zu gehen«.
Gibson vermeidet jede Pathologisierung dieses Typus, denn mit
einer Soziophobie hat das gar nichts zu tun. Es ist ein Spiel,
sie bringen ihr Leben auf Hochglanz."
LILL, Felix (2013): Eine Puppe gegen die Einsamkeit.
Die drittgrößte Volkswirtschaft
der Welt kämpft mit einer rasch alternden Gesellschaft. Roboter
als Helfer in der Altenpflege sind in Japan daher schon längst
Realität geworden,
in: Die Presse
v. 30.06.
FEDERMAIR, Leopold (2013): Je zivilisierter, desto einsamer.
Kinderlosigkeit wird in Japan
immer mehr zum Malaise. Doch damit steht das Land nicht allein.
Die Zeugungslust schwindet mit wachsendem Wohlstand. Trotz der
medialen Sexualisierung der Lebenswelt scheint den Menschen die
Lust auf Sex zu vergehen. Könnte dies an einem Übermass an
zivilisatorischer Zähmung liegen?
in: Neue
Zürcher Zeitung
v. 05.08.
GERMIS, Carsten (2013): Das geht nicht gut aus.
Japan ist eines der reichsten
Länder der Erde - und eines der verzagtesten. Was passiert, wenn
in überalterten Gesellschaften der Pessimismus strukturell wird?
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 11.10.
HAWORTH, Abigall (2013): Sekkusu Shinai Shokogun.
Das heißt Zölibatsyndrom: Viele
junge Menschen wollen keinen Sex mehr und verweigern die Ehe,
in:
Freitag Nr.45
v. 07.11.
MÜHLBAUER, Peter (2013): "Zölibatssyndrom" in Japan.
Bei Unter-40-Jährigen sinkt
nicht nur das Interesse an Beziehungen, sondern auch an Casual
Sex,
in:
Telepolis
v. 11.11.
Peter MÜHLBAUER berichtet
über das "Zölibatssyndrom" in Japan, das im
Herbst 2012 anlässlich einer Umfrage erfunden wurde.
Obgleich Sex und Fortpflanzung in den Industriestaaten
weitgehend entkoppelt sind, wird
fehlender bzw.
zu viel Sex gerne mit der Bevölkerungsentwicklung in
Zusammenhang gebracht. Da Japan mit Deutschland zusammen zu
jenen Staaten gehören, die wahlweise "vergreisen" oder
"aussterben", werden solche Storys gerne aufgegriffen.
Nachdem die Marie-Claire-Autorin
Abigall HAWORTH
im britischen Observer einen Story-Cocktail aus
bevölkerungspolitischer Hysterie, Krise der feministischen
Karrierefrau und fehlender Sex- bzw. Beziehungsunerfahrenheit
präsentiert hat, macht das Zöllibatssyndrom nun weltweit
Karriere, u.a. jetzt auch in Deutschland, wo
der Freitag schon letzte Woche eine Magerversion des
britischen Observer-Artikels ins Deutsche übersetzt hat.
SIMON, Violetta
(2013): Allein zu zweit.
Fotoserie mit fiktiver Freundin:
Wenn Pärchen und Familien zu Weihnachten zusammenrücken, fühlen
sich viele Singles noch alleinstehender. Ein japanischer Fotograf
hat seine Einsamkeit in einer Bilderserie dargestellt und sich
damit eine Menge neuer Freunde gemacht,
in:
sueddeutsche.de v.
06.12.
2014
GERMIS, Carsten
(2014): Frauenmacht aus Yokohama.
Japans
Regierung will mehr Frauen in Managementpositionen und sorgt
zunächst für die Kinderbetreuung,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 11.01.
LILL, Felix (2014): Japans Frauen im Hintertreffen.
Ungelobtes Land: In kaum einer
reichen Nation machen Frauen so selten Karriere wie in Japan.
Dabei werden sie dringend gebraucht. Doch Beruf und Familie sind
nur schwer vereinbar,
in:
Die Presse am Sonntag v.
02.03.
HENK, Malte (2014): Jugend ohne Sex.
Dossier: Eine Meldung in der
Zeitung: Den jungen Japanern fehlt das Interesse an der Liebe. Kann
das sein? Porträt einer verunsicherten Landes, in dem die Alten
herrschen und die Gefühle erstarren. Ist Japans Gegenwart unsere
Zukunft?
in:
Die ZEIT Nr.24 v. 05.06.
Bei Malte
HENK erfahren wir wenig über Japan, aber viel über die deutsche
Seele im Zeitalter der Demografiepolitik. Persönlicher
Ausgangspunkt seiner Recherche war nach eigenen Angaben eine
Reportage im britischen Observer
vom Oktober 2013, der bereits kurz danach - gekürzt - ins
Deutsche übersetzt wurde. Kein Sex mehr, fragte aber
bereits Die Presse 4 Jahre zuvor besorgt über Japans
Zukunft.
Demographisierung heißt der
Begriff für jenen Blick, der sich nicht für eine Gesellschaft
interessiert, sondern langfristige
Bevölkerungsvorausberechnungen zum Ausgangspunkt eines
geschichtskonservativen Zukunftsentwurf macht. Nicht ein
Spektrum möglicher Zukünfte, sondern der Entwurf einer einzigen
Zukunft, in diesem Fall ein endzeitliches Szenario, in dem eine
Gerontokratie der Jugend jegliche Zukunft raubt, beherrscht
damit unser Denken.
"Jugend (...). Recherche
über eine Randgruppe. Sie handelt von Einsamkeit",
fasst HENK seinen
Endzeitbericht zusammen. Hikikomoris, ein soziales Phänomen, das
in den internationalen Medienberichten über Japan dominant ist,
wird mit diesem demografischen Wandel in Verbindung gebracht.
Weitere
Sozialfiguren, die international im Umlauf sind, ist der
Freeter (Freiberufler, Prekariat), die Verliererhündin und der
Parasiten-Single.
"Die Geschichte (...)
beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg als innerhalb einiger Jahre
so viele Kinder zur Welt kamen wie nie zuvor und nie wieder
danach",
schreibt HENK im Stile der
typisch deutschen Babyboomer-Phraseologie, die wir dieses Jahr
zur Genüge präsentiert bekommen. Nur mit Japan hat das nichts zu
tun. Es gab in Japan keinen Babyboom in unserem Sinne, sondern
der
Baby-Boom war ein Absturz der Geburtenrate von über 4,5
Geburten pro gebärfähiger Frau in den 1940er Jahren auf um die 2
Geburten in den 1960er Jahren, wobei im Ausnahmejahr 1966 die
Geburtenrate sogar auf ca. 1,6 fiel - ein Wert, der erst 1990
wieder unterschritten wurde.
In Deutschland dagegen fing der Geburtenrückgang bereits ca. 50
Jahre früher an.
In Deutschland erfährt man
über Japans demografische Entwicklung so gut wie nichts, weil
nur jene Entwicklung in den Blick gerät, die für Deutschland und
andere westliche Industriestaaten typisch ist. Die Differenzen
dagegen werden tabuisiert, weil sie die Konsensfiktion des
demografischen Wandels, den globale Organisationen wie z.B. die
OECD herstellen, stören, indem sie aufzeigen, dass nationale -
und auch innernationale - Entwicklungen durchaus verschieden
verlaufen können. HENK nutzt diese Differenzen, um Japans
Entwicklung als durchaus wahrscheinlich auch für Deutschland -
trotz aller NOCH bestehenden Differenzen - darzustellen:
"Noch fallen die
Unterschiede ins Auge. Anders als in Japan darf in Deutschland
ein Lebenslauf brüchig sein und ein Freiberufler eine Freundin
haben. Anders als die Japaner akzeptieren die meisten
Deutschen Einwanderer, um den Rückgang der Einwohnerzahl
auszugleichen. Und anders als Japan ist Deutschland keine
Insel, sondern liegt inmitten eines Kontinents, der immer mal
wieder in Unordnung gerät. Noch ist die Zukunft bei uns nicht
an ihr Ende gekommen - was Japan durchlebt, ist nicht das
zwangsläufige Ergebnis jenes Geschehens, das demografischer
Wandel heißt.
Es ist nur eine Möglichkeit. Aber eine, die vielleicht sehr
nahe ist."
Wie weit fortgeschritten die
Demographisierung gesellschaftlicher Probleme ist, wird
deutlich, wenn HENK über den Wandel des Deutschen Instituts für
Japanstudien schreibt:
"In Tokio gibt es ein
Deutsches Institut für Japanstudien, gegründet in den
achtziger Jahren, um den Unternehmen der Bundesrepublik dieses
erstaunliche Land zu erklären, dessen Konzerne damals die
Weltmärkte beherrschten. Heute analysieren sie an diesem
Institut die vergreisende Gesellschaft - und sie glauben, dass
auch dies für Deutschland interessant sein könnte.
Die Forscher erwarten, dass demnächst ein japanisches Wort in
die deutsche Sprache gelangt, vielleicht sogar in den Duden,
so wie einst Karoshi - Tod durch Überarbeitung. Der neue
Kandidat fes Instituts, ein Exportprodukt des japanischen
Stillstands, heißt Kodokushi - Tod in Einsamkeit."
HENK konstruiert einen
Zusammenhang zwischen demografischem Wandel und ökonomischer
Stagnation, der typisch für den geschichtskonservativen
Demographismus ist, eine Ideologie, die die nationalkonservative
Bevölkerungswissenschaft prägt, deren prominentester Vertreter
Herwig BIRG ist. Der Begriff "Eiszeit" soll zudem verdeutlichen,
dass dieser Stillstand auch Auswirkungen auf das soziale
Zusammenleben hat:
"Als Ende der achtziger
Jahre das begann, was in Japan die »Eiszeit« heißt, als die
Börsenkurse einfroren und das japanische Wirtschaftswunder
erstarrte, da sank auch die soziale Temperatur. (...). Kaum
ein Festangestellter über vierzig verlor seine Stelle. Dafür
entstand eine Serviceökonomie aus Zeitarbeit, Leiharbeit,
Teilzeitarbeit, eine Parallelwirtschaft fast ohne Aussicht auf
sozialen Aufstieg. Sie ist die Heimat jedes zweiten jungen
Japaners."
Der neoliberale
Demographismus (Christian RADEMACHER) stellt einen engen
Zusammenhang zwischen Bevölkerungsrückgang, ökonomischem
Niedergang und mangelnder Generationengerechtigkeit bzw.
Altenherrschaft (Gerontokratie) her. Hauptvertreter dieser
Position in Deutschland ist der Ökonom Hans-Werner SINN.
Die japanische Katastrophe im
März 2011 mit Erdbeben, Tsunami und Super-Gau im Atomkraftwerk
Fukushima wird von HENK nur einmal erwähnt, weil sie im
Sinnzusammenhang der Demographismen, d.h. von Ideologien, die im
demografischen Wandel vorzugsweise einen Fluch sehen, keine
Rolle spielt. Vor allem passt die Katastrophe nicht zu dem Bild
des Wohlstands, das HENK zeichnet:
"Die Kinder der Eiszeit
sind die erste Generation eines Industrielandes, der es nicht
besser gehen wird als der Generation ihrer Eltern. Sie sind
aber auch die Ersten, die keine Not leiden, wenn sie keine
Arbeit finden und kaum eigenes Geld verdienen. Die Eltern
haben so viel Wohlstand erschuftet, dass für alle etwas übrig
bleibt."
In Deutschland hat Mercedes
BUNZ dafür den Begriff "Urbane Penner" geprägt. Wäre HENK nicht
nach Tokio gegangen, sondern in die Präfektur Fukushima, wie
wäre dann wohl sein Bild ausgefallen? Tokio steht für die
globalisierte, urbane Mittelschicht und ihre Eliten - dazu
gehört auch der japanische Schriftsteller Haruki MURAKAMI:
"Sein früher
romantisch-verklärtes Japanbild ist nach jetzt über drei
Jahren Aufenthalt in Tokio nicht mehr kratzerfrei. Die Romane
von Haruki Murakami sowie die Filme von Takeshi Kitano und
Shunji Iwai hatten den Teenager und Studenten für die
japanische Kultur begeistert und ihn zum Japanischlernen
motiviert. Inzwischen musste Schumann feststellen, wie
unkritisch die japanische Gesellschaft sich selbst wahrnimmt.
»Mir war nicht klar, wie sehr Murakami in Japan ein
Außenseiter ist«, sagt er nachdenklich",
heißt es in einem
Porträt eines Deutschen, der in Tokio
lebt, und in dem die Kluft zwischen globalisiertem Japanbild
und der Kultur der einheimischen Bevölkerung zur Sprache kommt.
"Ayako, die
Beziehungsschauspielerin. Henry, der ewige Single aus der
Vorstadt. Yuri, die Heiratsjägerin. Hikaru, der von einem
Leben im Einreiher träumt. Sie wohnen alle in derselben Stadt.
Aber sie werden einander wohl nie begegnen",
schreibt HENK über das
Personal, das seine Story bevölkert. Sie alle könnten auch einem
Roman oder dem neuen Kurzgeschichtenband Männer ohne Frauen
von Haruki MURAKAMI stammen.
Menschen ohne Beziehungserfahrung (Absolute Beginners) sind
spätestens seit Michel HOUELLEBECQs Roman
Ausweitung der Kampfzone
ein Thema mit steigendem Aufmerksamkeitspotenzial. Ist dies nur
eine Frage der Demographie (Heiratsengpass) oder eher eines des
Geschlechtsrollenwandels und seiner Probleme (Schüchternheit)
oder der sozioökonomischen Lage (Hartz IV) oder welche Faktoren
spielen bei diesem wenig erforschten, dafür aber medial
präsenten Thema eine Rolle? HENK stellt es simplifizierend in
den Zusammenhang des demografischen Wandels, also der
Demographie und seinem geschichtskonservativen Denkmuster, das
den Bevölkerungsrückgang mit ökonomischem Niedergang
gleichsetzt.
Dem widerspricht auch nicht,
dass HENK die Sicht des japanischen Bevölkerungswissenschaftler
Fumihiko NISHI und den
Umgang der
japanischen Massenmedien mit den Problemen der Jugend (HENK
schreibt nicht über Jugendliche, sondern über die Postadoleszenz
um die 30Jähriger) kritisiert, weil diese Sicht von HENK der
Demographisierung gesellschaftlicher Probleme geschuldet ist.
TAN, Daniela
(2014): Land ohne Kinder.
Japan will die Frauen fördern, doch
das soziokulturelle Umfeld steht ihrer Emanzipation entgegen,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 26.06.
"Im Jahr 2050 werden nach
derzeitigen Prognosen 70 Prozent der japanischen Bevölkerung
über dem Pensionsalter stehen. In ländlichen Gegenden Japans ist
der demografische Niedergang bereits deutlich spürbar. Die
Jungen ziehen weg, die Infrastruktur verfällt und damit die
Anziehungskraft für Neuzuzüger. Im April wurde im Parlament
deshalb laut über Möglichkeiten nachgedacht, wie Frauen zur
Geburt verpflichtet werden könnten. Angesichts der Tatsache,
dass solch eine Gesetzgebung in massivem Widerspruch zur
persönlichen Freiheit stünde, sind solche Vorstösse chancenlos.
Doch dass solch ein Szenario überhaupt in Betracht gezogen
wurde, ist erschreckend. Es muss über andere Anreize für junge
Leute nachgedacht werden, die eine Familie gründen wollen",
meint Daniela TAN. 70 Prozent
Rentneranteil 2050 in Japan? Das gehört ins Reich der Märchen.
Die Demographisierung gesellschaftlicher Probleme trübt unsere
Wahrnehmung, weil sie dazu führt, dass jede Horrorzahl eher
geglaubt wird als realistische Darstellungen. Nach
UN Prognosen
aus dem Jahr 2002 wird für die Bevölkerungsgruppe 60 + ein
Anteil von 42 % angegeben. Das ist weit weg von den 70 Prozent
für 65-Jährige und Ältere, die TAN angibt.
BELZ, Nina (2014): Japans Männer suchen die neue Frau.
Der Regierungschef hat das
wirtschaftliche Potenzial der Frauen entdeckt - seine Pläne und die
Realität klaffen jedoch weit auseinander,
in: Neue
Zürcher Zeitung
v. 24.07.
GERMIS, Carsten
(2014): Woran Karrieren japanischer Frauen scheitern.
Regierungschef Abe will Frauen
den Weg zu besseren Karrierechancen öffnen, doch er findet dabei
nur wenig Verbündete,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 13.08.
POSSEMEYER, Ines (2014): Die Rettung Japans
ist weiblich.
Falls es nicht schon zu spät ist.
Die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde kämpft gegen den
Bevölkerungsschwund. Mit teils merkwürdigen Methoden,
in:
Geo Nr.12, Dezember
"Ich bin nach Japan
gefahren, weil uns dieses Land ein Stück voraus ist. Schon
seit zwei Jahrzehnten lebt es vor, was Europa gerade
kennenlernt: Nullwachstum, Deflation, die mit Abstand höchste
Staatsschuldenquote der Welt. Die Krise wird befeuert durch
die Bevölkerungsentwicklung: Japan ist der
»Ground Zero der
Demografie«, so der Demografie-Experte Richard Jackson:
Nirgendwo ist die Bevölkerung älter und schrumpft sie
schneller. Setzt sich dieses »demografische Endspiel«
ungebremst fort, wird Japan in den nächsten 50 Jahren fast ein
Drittel seiner Einwohnerschaft verlieren. Auf jedes Baby kommt
dann ein Hundertjähriger - die schon heute am schnellsten
wachsende Altersgruppe",
beschreibt Ines POSSEMEYER
ihre Motivation. Man könnte das auch als ekelhaften
Katastrophentourismus bezeichnen. Richard JACKSONs markige
Rhetorik entspricht derjenigen von Herwig BIRG. Die zitierten
Begriffe stammen aus dem Newsletter
Japan’s Demographic End Game des Center for
Strategic & International Studies (CSIS) vom 21. November
2013. Dort heißt es:
"Thanks to its chronically
low fertility rate, world-record life expectancy, and aversion
to migrants, Japan is ground zero for global aging. The
youngest of the developed countries as recently as the
mid-1970s, Japan is now the oldest—and its age wave will
continue to roll in for decades to come. By 2050, the
proportion of Japanese who are 65 or older is on track to
reach 39 percent, up from 23 percent in 2010 and only 9
percent in 1980, when Japan Inc. seemed poised to conquer the
global economy. Meanwhile, Japan’s population, which is
already contracting, will enter a precipitous decline,
shrinking by over a half by the end of the century."
Demografen überschätzen
gewöhnlich den Einfluss von Bevölkerungsentwicklungen, während
sie den gesellschaftlichen Wandel, der damit einhergeht
unterschätzen. Im Jahr 2003 erschien der Report
The Demographic Dilemma: Japan’s Aging Society. Darin
spielte Paul S. HEWITT den JACKSON-Part, während, während John
C. CAMPBELL und Chikako USUI den Einfluss der Politik und des
sozialen Wandels hervorhoben.
Für Deutschland hat
Christian RADEMACHER gezeigt, dass es durchaus sinnvoll ist,
nicht irgendwelchen weithergeholten Vorbildern nachzueifern,
sondern jene Ressourcen zu nutzen, die von Gemeinde zu Gemeinde,
von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich sind.
Stattdessen werden Strategien verfolgt, die solche Unterschiede
leugnen. Können wir von Japan lernen? Wenn überhaupt, dann nur,
indem wir die Verschiedenheit von Deutschland und Japan
berücksichtigen. POSSEMEYER entführt uns jedoch nicht in ein
Land, das wir kennenlernen könnten, sondern man fühlt sich eher
wie in einem zweiten Deutschland, das sich lediglich durch ein
paar fremde Begriffe unterscheidet.
"Für eigenständige Frauen
wie die Praktikumsvermittlerin Atsuko Horie gibt es zu wenige
potenzielle ikumen; anderen fehlt schlicht die Zeit
fürs Dating. So geschieht das, was wir aus Europa kennen:
Männer und Frauen heiraten immer später oder gar nicht mehr.
Mit einem fundamentalen Unterschied: Bei uns funktionieren
Familien längst auch ohne Trauschein, in Nordeuropa wird jedes
zweite Kind
»unehelich« geboren. Aber
nicht in Japan. Keine Heirat heißt: keine Kinder.
»In Europa sind veränderte Heiratszahlen Ausdruck einer
veränderten Intimität, in Japan Zeichen eines kompletten
Mangels«, so die Soziologin Emiko Ochiai. Die Hälfte aller
Unverheirateten bis Mitte 30 sind Singles.
Und ein Viertel hatte noch nie Sex",
erklärt uns POSSEMEYER.
Man wundert sich höchstens über die Naivität solcher
Beschreibungen. Kennen wir nicht aus Deutschland die Debatte
über die Akademikerin, die keinen Mann abbekommt? Hatte man
nicht noch Anfang des Jahrtausends hierzulande die
Kinderlosigkeit der Akademikerinnen überschätzt, weil die
Statistik aufgrund der Eheorientierung und dem Trend zur späten
Elternschaft einem Fehlschluss unterlag?
In der Debatte zum
Aussterben der Deutschen gab es in den 1970er Jahren das
Argument, dass es an zuviel Sex lag, während inzwischen zu wenig
Sex schuld sein soll.
In der Reportage werden
zudem unterschiedliche Single-Begriffe verwendet. Singles sind
demnach entweder Ledige oder Alleinlebende.
"Japan hat heute eine
der höchsten Single-Raten weltweit. In jedem dritten Haushalt
lebt nur noch eine Person, in Tokio sogar in jedem zweiten.
Die Zahl der allein lebenden Senioren hat sich hier in den
letzten 30 Jahren versechsfacht, nirgendwo altert derzeit die
Bevölkerung schneller als in der Metropole.
In der Provinz ist dieser Prozess schon fast abgeschlossen",
erläutert POSSEMEYER.
Diese Single-Raten entsprechen den deutschen, während die von
POSSEMEYER hochgelobten skandinavischen Staaten noch höhere
Raten zu verzeichnen haben. Aufgrund der sog. Kriegerwitwen war
die Zahl der alleinlebenden Frauen in Deutschland schon immer
hoch und die deutschen Metropolen verjüngen sich derzeit eher
als dass sie altern.
D er
Soziologe
Akira
OHNO
hat
gemäß
POSSEMEYER
für
Japan
den
Begriff
der "marginalen
Dörfer" geprägt, die er folgendermaßen definiert:
"Mehr als die Hälfte der
Einwohner sind mindestens 65 Jahre alt, das Gemeinschaftsleben
ist fast erloschen."
2010 sollen 10.000 Orte in
Japan dieser Definition entsprechen, wobei der Begriff des
erloschenen Gemeinschaftsleben äußerst schwammig ist. Außerdem
wird zwischen "alter" und "ultra-alter Gesellschaft"
unterschieden:
"Ein Viertel der
Bevölkerung Japans ist heute schon älter als 65 Jahre.
Damit ist diese Gesellschaft keine
»alte«
mehr, sondern weltweit die erste »ultra-alte«.
Deutschland wird - an zweiter Stelle - im Jahr 2025
folgen, das kinderreichere
Frankreich
erst 2053."
Warum gerade bei 25 % der
Übergang stattfinden soll, das wird nicht erläutert. Solche
Unterscheidungen haben wohl eher aufmerksamkeitsökonomische
Bedeutung als dass sie etwas Substantielles über eine
Gesellschaft aussagen. Geht man z.B. wie der Demograf Sergei
SCHERBOV von einem dynamischen, statt von einem statischen
Altersbegriff aus, dann sind solche Unterscheidungen noch
fragwürdiger.
"Die Pflege der Alten, das
war für die Regierung eine Aufgabe der
»professionellen Hausfrau«.
Jetzt bleibt dem Land kaum mehr als ein Jahrzehnt, sich auf
das »2025-Problem« vorzubereiten: Dann werden die Babyboomer
der Nachkriegsjahre 75 Jahre alt sein, jeder Vierte
pflegebedürftig.
Eine Lösung ist auch hier nicht in Sicht. Eine Million
Pflegekräfte werden 2025 fehlen, mehr als in jedem anderen
Industrieland."
In Japan fand der Babyboom früher statt als in Deutschland und
er war im Gegensatz zu Deutschland weit umfangreicher.
Allein von daher ist ein einfacher Vergleich der Länder nicht
sehr weiter führend. Während Deutschland zumindest in den alten
Bundesländern von der Zuwanderung profitiert, entspricht der
Ausländeranteil im Osten eher demjenigen von Japan.
"Knapp die Hälfte aller
Männer arbeitet bereits heute über das 65. Lebensjahr hinaus,
Bauern sind im Schnitt 70. Und im Dorf Tokonabe packen in
einem alten Lagerhaus Frauen an großen tischen frische Paprika
ab, die jüngst ist 80, die älteste 89",
beschreibt POSSEMEYER die
Situation in Japan, die die Forderungen nach "lebenslanger
Arbeit" schmackhaft machen sollen. Zum Schluss wird es dann noch
nostalgisch: In den "ländlichen Ruinen" soll das neue Japan
entstehen:
"»Immer mehr Japaner
sorgen sich um den Verlust ihrer Kultur«, beobachtet der
britische Japanologe Peter Matanle. Er hofft, dass gerade die
Rückbesinnung auf Traditionen und Natur möglich wird, ein
besseres Leben jenseits von Leistungs- und Karrieredenken.
Dafür hat er ein neues Wort erfunden: die
Entvölkerungsdividende."
Man wird sehen wie sich
Japan tatsächlich weiterentwickelt.
DORBRITZ, Jürgen (2014): Deutschland und Japan: Ein demografischer
Vergleich,
in:
Bevölkerungsforschung Aktuell, Nr.6 v. 10.12.
Gerne werden die Unterschiede
zwischen Japan und Deutschland verschwiegen. Typisch sind Bücher wie
das Pamphlet
Das Methusalem-Komplott von Frank SCHIRRMACHER,
in denen das "Altersbeben" undifferenziert dargestellt wird.
Dagegen macht Jürgen DORBRITZ auf die Unterschiede aufmerksam, die
regelmäßigen Lesern von single-dasein.de und
single-generation.de bereits seit Jahren bekannt sind:
"Der Alterungsprozess in
Japan ist aber weiter vorangeschritten, da die Lebenserwartung
höher ist und
der Babyboom in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg früher
begonnen hatte und eine höhere Dimension erreichte. Daher
werden die Babyboomer früher und zahlreicher in das Rentenalter
eintreten. Hinzu kommt, dass Japan kaum Zuwanderung zulässt und
damit zunächst die Alterung abfedernden Effekte entfallen."
Missverständlich erscheinen
jedoch die Passagen zu Heirat und Kinderlosigkeit:
"Darüber hinaus bestehen
weitere Unterschiede insbesondere beim generativen Verhalten. Der
auffälligste von ihnen ist die starke Verknüpfung von Ehe und
Geburt der Kinder. Während sich in Deutschland dieser Zusammenhang
lockert, sind in Japan nur ca. 2 % der Frauen bei der Geburt ihrer
Kinder nicht verheiratet. Die Erstheiratshäufigkeit ist in Japan
höher als in Deutschland. Wer aber nicht heiratet, bleibt auch
kinderlos. Ehe- und Kinderlosigkeit ist in Japan negativ besetzt,
während dies in Deutschland eine breite soziale Akzeptanz findet."
Es gibt keinen direkten
Zusammenhang zwischen Ehe- und Kinderlosigkeit. Die niedrige
Geburtenrate in Deutschland ist in erster Linie durch den starken
Rückgang der kinderreichen Familien verursacht - und dieser fand
bereits in den 1960er Jahren statt.
In Japan lag die Geburtenrate im Jahr 2012 bei 1,41 Kindern pro
gebärfähiger Frau, also auf dem gleichen Niveau wie in
Deutschland. Dies zeigt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen
Heiratshäufigkeiten einen Rückschluss auf die Geburtenrate zulassen.
2015
WAGNER, Wieland (2015): Die Fremden.
Japan: Junge Frauen und Männer
kapseln sich ab von der Gesellschaft und leben noch als Erwachsene
bei den Eltern. Begegnungen mit
"Hikikomori",
in: Spiegel v. Nr.2
v. 05.01.
NEIDHART, Christoph
(2015): Abwärts mit Abe,
in:
IP Länderreport Japan, März - Juni
SCHAD-SEIFERT, Annette
(2015): Womenomics,
in:
IP Länderreport Japan, März - Juni
DORBRITZ, Jürgen & Gabriele VOGT (2015):
Rasanter demografischer Wandel – Deutschland und Japan im Vergleich,
in:
Bevölkerungsforschung Aktuell
Nr. 4
v. 28.07.
Der
Artikel von Jürgen DORBRITZ &
Gabriele VOGT beschränkt sich leider nicht auf die Faktenlage,
sondern versucht die Entwicklung der beiden Länder theoretisch
einzuordnen, d.h. statt eines Vergleichs der
Bevölkerungsentwicklung beider Länder dominiert die
Interpretation der Entwicklung.
"Das christlich geprägte
Deutschland ebenso wie das von konfuzianischen Werten
dominierte Japan erleben beide extreme Kinderlosigkeit und
ausgeprägte Alterung",
schreiben die DORBRITZ &
VOGT.
Ein Schaubild zeigt jedoch nur die Entwicklung der Geburtenrate
(TFR). Nur ein kurzer Abschnitt erwähnt die Kinderlosigkeit
in beiden Ländern:
"Die Anteile nichtehelich
geborener Kinder sind mit 2,15 % (2010) in Japan extrem
niedrig. In Deutschland werden gegenwärtig etwas mehr als ein
Drittel aller Kinder von unverheirateten Frauen zur Welt
gebracht. Für Japan gilt, dass Ehelosigkeit zu Kinderlosigkeit
führt und damit das Geburtenniveau begrenzt wird.
Hara (2008: 42) gibt die Kinderlosigkeit für den
Geburtsjahrgang 1960 mit 12,7 % an und verweist darauf, dass
für den Jahrgang 1970 ein Wert von 30 % erwartet wird. Als
häufigsten Grund für Kinderlosigkeit geben die japanischen
Frauen an, dass kein geeigneter Partner verfügbar sei (Hara
2008: 53). Für Frauen ab Mitte 30, die unverheiratet und
kinderlos sind, ist der Begriff
»Makeinu« geprägt worden, was so viel wie »im Kampf
geschlagener Hund« bedeutet.
In Deutschland ist die hohe Kinderlosigkeit (Geburtsjahrgang
1970: 21,9 %) vor allem durch die Situation im früheren
Bundesgebiet zu erklären."
Von Deutschland wissen wir,
dass das
Niveau der Kinderlosigkeit bis Ende der Nuller Jahre weit
überschätzt wurde, weil von einem engen Zusammenhang
zwischen Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit ausgegangen wurde.
Kinderlosigkeit wurde nicht statistisch erfasst, sondern
lediglich geschätzt als Haushalte ohne Kinder. Über die
Glaubwürdigkeit der japanischen Statistik zur Kinderlosigkeit
werden wir jedoch nicht informiert.
Betrachtet man den von
DORBRITZ & VOGT zitierten Aufsatz
Increasing Childlessness in Germany and Japan: Toward a
Childless Society? von Toshihiko HARA, dann wird
deutlich wie alt die hier vorgestellten Daten tatsächlich sind:
Sie stammen aus einer Erhebung von 2005. Da die Erhebung alle 5
Jahre stattfindet, müssten inzwischen zumindest Daten aus dem
Jahr 2010, wenn nicht gar aus dem Jahr 2015 vorliegen. Auch in
Japan scheint Kinderlosigkeit nicht erhoben, sondern nur
geschätzt zu werden:
"If one assumes that
nevermarried women remaining single at ages 45–49 are
childless, then childlessness has increased from 4.4% for the
1935 cohort to 8.2% for the 1960 cohort, progressively. By
adjusting the proportion of childlessness in married women to
the proportion based on the total population of women and then
adding the proportion of never-married women, approximately,
one can estimate childlessness of the women in sum. According
this rough estimation, childlessness in Japan increased from
7.5% for the 1935 cohort to 12.7% for the 1960 cohort. It’s
still lower than the 21.8% in Western Germany but higher than
the 5.9% in Eastern Germany for the 1960 cohort." (2008,
S.45f.)
HARA vermutete aufgrund der
Fortschreibung der Paritätsverteilung von Geburten, dass die
Kinderlosigkeit bei japanischen Frauen zukünftig höher sein wird
als in Deutschland:
"According to the
assumption of the parity distribution in the latest population
projections for Japan (December 2005) by NIPSSR (2007b),
childlessness will increase from 12.7% for the 1955 cohort up
to 30% for the 1970 cohort, beyond the present level in
Germany, and reach 37.4% for the 1985 cohort. On the other
side, the share of women with two children is estimated to
decline from 47.1% to 36%, and finally to 33.1%. In other
words, childless women will comprise the largest female cohort
in Japan in the future." (2008, S.48)
Von Deutschland wissen wir
inzwischen, dass der
Frauenjahrgang 1970 keineswegs die
geschätzten ein Drittel Kinderlosen erreichte. DORBRITZ &
VOGT beziffern den Anteil auf 21,9 %. Es bleibt also abzuwarten,
ob die japanischen Schätzungen nicht ebenfalls zu hoch sind.
Das Fazit von DORBRITZ & VOGT
ist eher vage gehalten und gibt - abgesehen von ein paar Zahlen
zum Anteil über 65-Jähriger - lediglich Trends wieder:
"Beide Bevölkerungen
gehören zu den ältesten der Welt. In Japan verläuft der
Alterungsprozess allerdings schneller als in Deutschland und
ist weiter vorangeschritten (...). Das liegt daran, dass
erstens die japanischen Babyboomer früher geboren wurden,
daher älter als die deutschen sind und damit früher in das
Rentenalter eintreten. Zweitens verzeichnet Japan eine höhere
Lebenserwartung als Deutschland, wodurch der Alterungsprozess
beschleunigt wird. Drittens verfügt Japan nicht über eine
Zuwanderung, die Alterungseffekte mildern könnte.
Die Unterschiede im Alterungsprozess veranschaulichen die
Anteile der Personen, die 65 Jahre oder älter sind: 1990 war
der Anteil in Deutschland mit 15,3 % noch höher als in Japan
(12,1 %). Im Jahr 2012 betrug der Anteil in Japan bereits 24,2
%, während in Deutschland nur ein Anstieg auf 21,1 % zu
verzeichnen war.
Eine weitere Besonderheit Japans ist, dass die Alterung der
Bevölkerung von einem einsetzenden Schrumpfungsprozess
begleitet wird. Beide, die natürliche Bevölkerungsbilanz und
die Wanderungsbilanz, haben seit kurzem negative Vorzeichen.
Für Deutschland werden zwar auch Rückgänge der
Bevölkerungszahl prognostiziert, diese wurden bisher aber fast
immer durch eine starke Zuwanderung verhindert."
SCHNABL, Lena
(2015): Ganz allein.
Der "schönste Tag im Leben": Japanerinnen wie Naho Hishide wollen
sich nicht mehr binden. Heiraten wollen sie dennoch. Ein Reisebüro
macht es möglich und richtet Hochzeiten aus. "Solo-Hochzeiten",
in: Das Magazin, September
KITTLITZ, Alard von (2015): Stillgestanden.
Ein Tanzverbotsgesetz hat die eins legendäre Clubkultur Japans
zerstört. In Tokio feiert nur noch eine kleine Undergroundszene und
kämpft gegen das konservative Establishment. Clubben und Tanzen, das
bedeutet in Japan heute wieder: Protest!
in: Neon, September
SHIMADA, Shingo
(2015): Das vierte Lebensalter in Japan.
Kulturelle und gesellschaftliche
Rahmenbedingungen,
in: Aus Politik und
Zeitgeschichte Nr. 38-39 v. 14.09.
Mittlerweile ist "allgemein
bekannt, dass die
japanische Gesellschaft mit demselben Problem konfrontiert
ist, ja, dass ihr Problem angesichts der rasanten Entwicklung
sogar wesentlich verschärft ist. Japan wird als
»Testfeld für eine neue, bislang völlig unbekannte Gesellschaft«
bezeichnet. Und es stellt sich die pragmatische Frage, was man von
den Versuchen auf diesem experimentellen Feld lernen kann.
Die Autoren Rainer Klingholz und Gabriele Vogt beantworten sie
negativ, was mir etwas leichtfertig und einfach erscheint.
Zwar mag diese Einschätzung auf den ersten Blick nachvollziehbar
sein, weil die japanische Gesellschaft, wie später gezeigt wird,
auf der sozialpolitisch-institutionellen Ebene auf diese tief
greifende Veränderung nicht gut vorbereitet ist. Doch wenn man den
Blick auf die grundsätzlichen theoretischen Probleme der
gesellschaftlichen Fürsorge allgemein richtet, gibt es eine Fülle
von Anregungen, die man den japanischen Erfahrungen entnehmen
kann. Zumal Deutschland und Japan mit derselben Herausforderung
konfrontiert sind: Wie kann man die steigende Zahl
pflegebedürftiger alter Menschen so lange wie möglich in ihrer
gewohnten Umgebung leben lassen, und wie kann man ein
menschenwürdiges Sterben ermöglichen?", meint Shingo SHIMADA.
"Der Anstieg der
Alterslasten ist in Deutschland - was so manchen überraschen
dürfte - weitaus geringer als in Industrieländern, die noch in
den 1940er und 1950er Jahren hohe Geburtenraten aufwiesen und
deren Baby-Boom nun gewaltige Probleme aufwirft. Ausgerechnet
die USA, bekanntlich mit einer bestandserhaltenden Geburtenrate
gesegnet, und - weniger überraschend - Japan, werden bereits
weitaus früher und wesentlich heftiger vom Altersbeben betroffen
sein. Wie diese beiden Länder den demografischen Wandel
bewältigen werden, das wird auch die deutsche Debatte in den
nächsten Jahren stark beeinflussen",
hieß es dazu bereits
vor 8 Jahren auf der Website single-generation.de.
TAN, Daniela (2015): Wissen, wann es genug ist.
Die von ihrem prekären ökonomischen
Status gebeutelte japanische Jugend sucht eine Neuorientierung in
einer Ethik und Ästhetik des Verzichts. Der Gedanke, dass weniger mehr
ist, übt auf immer breitere Kreise eine grosse Faszination aus,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 20.11.
Wann wird für uns Europäer in
Japan ein neuer Trend ausgerufen? Spätestens, wenn es ein Buch in
der New York Times auf Platz 1 der Bestsellerliste geschafft
hat und dadurch andere Autoren im Lichte des Bestsellers vermarktet
werden, so könnte man den Artikel von Daniela TAN interpretieren.
Ist das jedoch ein Artikel über Japans Jugend oder über einen Trend,
dem international der Weg bereitet werden soll?
Die neue Bescheidenheit der
Jugend ist ein immer wiederkehrender Trend, man blicke z.B. nur
zurück auf die deutsche Debatte Anfang des Jahrtausends. Hat sich die
Simplify your Life-Methode erschöpft und soll sie nun mittels
Exotik aus Fernost wieder reanimiert werden? Der Trend erinnert eher
an das Motto: Mache aus der Not eine Tugend! Dies war bereits das
Erfolgsprinzip beim Bestseller
Wir nennen es Arbeit, bei dem das Minimalismus-Prinzip auf
dem Arbeitsmarkt eingeführt wurde. Prekariat statt Festanstellung.
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