[ Übersicht der Themen des Monats ] [ Rezensionen ] [ Homepage ]

 
       
   

Singles in Japan

 
       
   

Japanische Singles und gesellschaftlicher Wandel in den Medien (Teil 2: 2008 - 2015)

 
       
   
1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979
1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
 
       
   

2008

NEIDHART, Christoph (2008): Die Kinder des Konfuzius. Was Ostasien so erfolgreich macht, Herder Verlag

Der gebürtige Schweizer Christoph NEIDHART, Jahrgang 1954, ist seit letztem Jahr Japan-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. Er beschreibt in dem Buch den Aufstieg der ostasiatischen Länder.

SCHOETTLI, Urs (2008): Japans Reichtum beruht auf Selbstbeschränkung.
Disziplin und Verzicht in einer modernen Konsumgesellschaft,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 26.01.

JOFFE, Josef (2008): Im Rentnerparadies.
Japans Zukunft sieht "alt" aus. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ist älter als 65 Jahre. Architekten und Tüftler bereiten sich auf die neuen Kunden vor. Doch kann die Wirtschaft den Arbeitskräftemangel bewältigen? Und wie soll das Land mit Chinas Aufstieg umgehen?
in: Die ZEIT Nr.19 v. 30.04.

"Jenseits seiner brillanten Gadget-Kultur, die der europäischen um Jahre voraus ist, sieht Japans Zukunft »alt« aus. »Im Jahre 1998«, referiert der Demograf Matsutani Akihiko, »wurde Japan zur ältesten Gesellschaft der Welt.« Wann ist eine Gesellschaft »alt«? Wenn die über 65-Jährigen 14 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Japan liegt heute bei über 20; Deutschland braucht dazu noch ein Jahrzehnt. Die Lebenserwartung steigt: 85 bei Frauen, 78 bei Männern (aha, Opa fehlt im »Haus der Zukunft«, weil er schon bei den Vorfahren weilt). Die Geburtenrate ist so niedrig wie die deutsche.
In Japan aber schrumpft die Bevölkerung seit drei Jahren – und deren arbeitender Teil seit sieben. 2050 werden dem Arbeitsmarkt 20 Millionen fehlen, derweil der Altenanteil bei 40 Prozent liegen wird. Der Forscher rechnet vor, was das bedeutet: »Negatives Wachstum wird in ein paar Jahren die Norm sein in einer Nation, die bis vor Kurzem der Schrittmacher der westlichen Welt war.« Denn ohne Arbeitskräfte kein Wachstum",

zitiert Josef JOFFE einen japanischen Bevölkerungsforscher. Dazu wird ein Schaubild mit der Überschrift Die Pyramide steht kopf. Schon 2050 werden etwa 40 Prozent der Japaner Senioren sein präsentiert. Die japanische Pyramidenform des Jahres 1950 entspricht ungefähr derjenigen des Jahres 1910 in Deutschland. Dies zeigt deutlich die Rasanz, mit der Japan - im Vergleich zu Deutschland - die Bevölkerungsentwicklung durchläuft. 

COULMAS, Florian (2008): Muttersprache: Japanisch.
Roboter sind nicht länger Spielzeug, sie werden in unserem Leben eine immer grössere Rolle spielen,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 15.05.

NEIDHART, Christoph (2008): Wettlauf ums Karrierekind.
SZ-Serie Familienfoto (2): In Japan widmen sich viele Mütter mit Leib und Seele ihren Kindern. Mütter, die allerdings arbeiten, obwohl sie nicht müssten, gelten als Egoistinnen,
in: Süddeutsche Zeitung v. 29.07.

COULMAS, Florian (2008): Zwischen Japan und Amerika.
Okinawa – die bittere Idylle einer Insel im Ostchinesischen Meer,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 06.11.

"Okinawa ist die ärmste Präfektur Japans, aber auch die, wo die Menschen am längsten leben und die meisten Kinder bekommen", berichtet Florian COULMAS.

NAKANISHI, Kanako (2008): Mama und Papa suchen eine Braut.
In Japan wohnen viele Erwachsene noch bei ihren Eltern, die gern bei der Partnerwahl behilflich sind,
in:
Welt v. 08.11.

COULMAS, Florian (2008): Die Grenzen des Reichtums.
Glück hat Konjunktur, doch wird es durch seine konsumgestützte Verwirklichung immer schaler – in Japan und anderswo auf der Welt,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 24.11.

SERRA, Jakob Strobel y (2008): Das Paradies kann warten.
Nirgendwo auf der Welt werden die Menschen so alt wie in Japan. Das kann kein Zufall sein. Eine Suche nach dem Geheimnis der Langlebigkeit,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 04.12.

SCHOETTLI, Urs (2008): Die Treue der Senioren.
Schauplatz Japan: Ältere Leute wollen seriös informiert sein – die Presse profitiert vom demografischen Wandel,
in: Neue Zürcher Zeitung
v. 13.12.

GÜCKEL, Bernhard (2008): Warum gibt es im Reich der aufgehenden Sonne immer weniger Kinder?
Fertilität in Japan,
in:
BIB-Mitteilung, Heft 3 v. 15.12.

2009

GEBHARDT, Lisette (2009): Gefolterte Häschen.
Wie sich japanische Girlie-Schriftstellerinnen die Traurigkeit vom Leib schreiben,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 27.01.

KOLONKO, Petra (2009): Paro bringt die Alten zum Lächeln.
Japan ist die am stärksten alternde Gesellschaft. Das führt zu einem enormen Pflegebedarf. Zum Glück sind die Japaner technikverliebt,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 08.03.

MATZIG, Gerhard (2009): Naomi, Heidi und HRP-4C.
Japan schickt eine Roboterin als Super-Model auf den Laufsteg,
in: Süddeutsche Zeitung
v. 17.03.

FRITZ, Martin (2009): Sick in Japan.
Eifrig, fleißig, strebend: das ist das Klischee von Japanern. David Schumann ist Punk, pflegt ein proletarisches Macho-Image und ist Topmodel in Tokio. Wie passt das zusammen?
in: TAZ v. 06.04.

Martin FRITZ porträtiert den deutschen Punker David SCHUMANN, dessen Japan-Bild u. a. von  Haruki MURAKAMIs Romanen beeinflusst wurde und der nun die Tokyo Diaries veröffentlicht hat, in dem er über sein Leben in Tokio schreibt.

KERNECK, Barbara (2009): Soziale Unterschiede machen krank.
Menschen in Skandinavien und Japan geht es im Vergleich zu anderen Staaten relativ gut. Grund dafür sind die geringen sozialen Unterschiede,
in: TAZ v. 17.04.

SCHOETTLI, Urs (2009): Wer soll denn noch Möbel kaufen?
Die Wirtschaftskrise, die Japan heimsucht, ist auch die Krise einer Gesellschaft in der Altersfalle,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 05.05.

Demografischer Notstand und parasitäre Singles sind die beiden Eckpunkte der Japan-Berichterstattung von Urs SCHOETTLI.

TAGLINGER, Harald (2009): Roboterfräulein für Vereinsamte.
Natürlich aus Japan kommt ein Roboter, der mit seinen weiblichen Formen so manchem Programmierer in langen Nächten Gesellschaft leisten soll,
in: Telepolis v. 06.07.

BRANDNER, Judith (2009): No more Sex?
Schlangen von Männern vor den Trash-Sexshops, die eheliche Beischlaffrequenz statistisch am unteren Ende. Dazu eine starke Überalterung und die niedrigste Geburtenrate der Welt. Japan im Zeitalter der Entvölkerung,
in: Die Presse v. 18.07.

RÜ (2009): Krankes Japan.
Kann eine Gesellschaft krank sein? Durchaus, wie der Blick nach Japan zeigt. Drei Symptome, die darauf hindeuten: Karoshi, Hikikomori, Parasito Shinguru,
in: Frankfurter Rundschau v. 29.08.

KOLONKO, Petra (2009): Japan.
Mehr als 40.000 sind über 100 Jahre alt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.09.

BIERMANN, Kai (2009): Land der Alten und Singles.
Japan vergreist rapide. Seine Gesellschaft ist verunsichert, die Einkommen sinken, alte Werte verschwinden - und die Menschen finden nicht mehr zusammen,
in: Zeit Online v. 10.12.

2010

NEUBAUER, Michael (2010): Japan und die Senioren: Alt, älter, einfallsreich,
in: Badische Zeitung v. 30.01.

COULMAS, Florian (2010): Der müde Samurai.
Die Japaner sind erschöpft - Sie sind alt geworden,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 09.04.

FRITZ, Martin (2010): Mord wegen Internet.
Wenn Höhlenmenschen ausrasten,
in:
Frankfurter Rundschau v. 20.04.

GEBHARDT, Lisette (2010): Nach Einbruch der Dunkelheit. Zeitgenössische japanische Literatur im Zeichen des Prekären, EB-Verlag

Die Japanologin Lisette GEBHARDT berichtet in dem Buch über japanische Literatur zur prekären Situation der Jungen in Japan und beschreibt die neuen Sozialfiguren, die die öffentliche Debatte hervorgebracht hat:

"Betrachtet man die Prekarität in Japan, so entdeckt man zunächst neue Soziotypen. Unter NEET versteht man Jugendliche ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, denen man mangelnde Motivation und Orientierung vorhält. Freeter arbeiten in Jobs, die keine soziale Absicherung bieten, Hikikomori meint isolierte Soziophobiker, die sich in ihre Zimmer einsperren. Internetcafé-Flüchtlinge (nettokafê nanmin) oder McDonald‘s-Flüchtlinge (makku nanmin) sind wohnsitzlose Freeter; diese halten sich als Gestrandete in diesen Lokalitäten bis zum frühen Morgen auf. So stellt das Internetcafé, das seinen Kunden eine kleine Kabine mit Netzzugang sowie Toiletten auf dem Gang und Gemeinschaftsduschen bietet, eine neue nomadische Lebensweise des urbanen Japan dar"
(in: Frankfurt Forschung, Heft 1, 2011, S.46f.)

Die 1990er Jahre in Japan werden als "verlorene Dekade" beschrieben:

"War die Bubble- Phase der 1980er Jahre die Zeit, in der man Luxus genoss, wusste man auch damals schon um den Preis, den der Höhenfl ug forderte. Das Platzen der Blase war das Ergebnis einer exzessiven Spekulationswelle und führte schließlich die japanischen Geldinstitute an den Rand des Abgrunds. Im Buch Yutakasa to wa nanika (dt. Armes Japan: Die Schattenseite des Wirtschaftsgiganten), das 1989 zum Bestseller wurde, denkt die Wirtschaftswissenschaftlerin Teruoka Itsuko über die dunklen Seiten des Lebens im Wirtschaftswunderland nach – geistige Erschöpfung, Tod durch Überarbeitung, Entfremdung der Familienmitglieder, Mangel an individuellen Freiräumen. Sie kommt zu dem Schluss: »Wir Japaner haben, indem wir ausschließlich in die Wirtschaft investierten, alles weitere über Bord geworfen.« (Teruoka 1991: 21). Nach dem Platzen der Blase im Jahr 1990 setzte die »Verlorene Dekade« ein."
(in: Frankfurt Forschung, Heft 1, 2011, S.46f.)

Und so wie nach der Jahrtausendwende die deutsche Generation Golf zur verlorenen Generation stilisiert wurde, wird das in den Nuller Jahren auch in Japan praktiziert. Hier stellt sich - wie für Deutschland auch - wer die Gewinner und wer die Verlierer tatsächlich sind. Der Generationenbegriff ist ungeeignet, um die soziale Ungleichheit einer Gesellschaft zu erhellen.  

FEDERMAIR, Leopold (2010): Leben im japanischen Winter.
Wie man die Krise zur Lebensform macht,
in: Neue Zürcher Zeitung v.
28.07.

FRITZ, Martin (2010): Japan sucht die Hundertjährigen.
Vermisst: Weder Behörden noch nahe Verwandte wissen, wo Japans Supersenioren leben. Immer mehr Hochbetagte leben und sterben einsam. Nun ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft,
in: Frankfurter Rundschau v.
16.08.

Japan galt in Deutschland bislang als Land der gesunden Hochaltrigen und als Vorbild für den Umgang mit alten Menschen. Dieses Bild muss nun offenbar korrigiert werden.

KOLONKO, Petra (2010): Kaiserreich der Karteileichen.
In keinem Land gibt es mehr Hundertjährige als in Japan. Aber viele von ihnen sind schon lange tot - und die Rente wird weiter gezahlt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.08.

Nicholas EBERSTADT & Hans GROTH (2010): Demografischer Stress in der entwickelten Welt.
Die Folgen der Alterung von Gesellschaften für die Staatsfinanzen werden oftmals unterschätzt,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 06.09.

Im Jahr 2004 erregte Frank SCHIRRMACHER Deutschland mit seinem Bestseller Das Methusalem-Komplott Aufsehen. Die Welt werde aufgrund der Alterung der westlichen Gesellschaften in einen Ausnahmezustand versetzt.

Ein neues Buch der Zeit-Redakteure Manuel J. HARTUNG & Cosima SCHMITT mit dem programmatischen Titel Die netten Jahre sind vorbei beschwört aufgrund der so genannten Babyboomer-Generation einen Generationenkrieg. Was ist dran an dieser Behauptung? Im neuen Herbstthema wird auf dieses Thema eingegangen, denn offensichtlich hat SCHIRRMACHER die Probleme der USA auf Deutschland projiziert, obwohl unsere Gesellschaft viel geringere Probleme mit den Babyboomern bekommen wird.

Die Ökonomen EBERSTADT & GROTH zeigen in dem NZZ-Aritkel aufgrund einer Prognose der United Nations Population Division (UNPD) das finanzielle Ausmaß, in dem die OECD-Länder durch die Alterung im Jahr 2030 betroffen sein werden (Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt).

Im Artikel werden die Probleme der Länder Deutschland, Italien Frankreich, Japan und der USA näher betrachtet. Weder Frankreich (300 %), das mit einem tollen Geburtenniveau trumpfen kann (hier wird kritisiert, dass unklar ist, wie sich die Geburtenraten ethnisch zusammensetzen), noch die ebenfalls mit einem Babyboom gesegnete USA (300 %), erst recht nicht Japan (600 %), dessen Alterungssprobleme seit langem bekannt sind, sondern Deutschland (200 %) und Italien (200 %) stehen relativ gut da.

Da es den beiden Ökonomen um eine Einführung eines demografischen Stresstests geht, ist die Lage natürlich in allen Ländern ernst. Auch wenn - entgegen den Behauptungen der Wissenschaftler - solche Prognosen mit großen Problemen behaftet sind, so lassen sich doch Trends erkennen. Die genannten Trends stimmen im Großen und Ganzen mit den auf dieser Website seit Jahren betonten Annahmen zu den tatsächlichen Problemen verschiedener Länder überein.

TAN, Daniela (2010): Neue Männer braucht das Land.
Ein etwas anderer Blick auf die prekäre demografische Situation Japans: Dass Japan die Avantgarde der Überalterung bildet, hat man in den industrialisierten Staaten im Hinblick auf die eigenen Perspektiven mit Sorge zur Kenntnis genommen. Viel ist dabei von der Gebärverweigerung junger Frauen die Rede, doch welche Rolle spielen die Männer?
in: Neue Zürcher Zeitung v. 02.11.

WAGNER, Wieland (2010): "Dann geht Nippon unter".
Das Wunderland der siebziger und achtziger Jahre verzweifelt an seiner Dauerkrise. Jobs werden abgebaut, Renten gekürzt, Firmen wandern ab. Auch der Zusammenhalt der Generationen löst sich auf,
in: Spiegel Nr.46 v. 15.11.

Beim SPIEGEL gibt es eine wundersame Vermehrung der über Hundertjährigen in Japan. WAGNER schreibt:

"Nach einer eiligen Überprüfung fand die Regierung heraus, dass im ganzen Inselreich mehr als 234 000 über Hundertjährige verschollen und vermutlich längst verstorben sind."

Noch im August meldete Spiegel Online und auch andere Zeitungen dagegen:

"Japan ist bekannt für seine extrem hohe Lebenserwartung. Im vergangenen September gab es im ganzen Land rund 40.000 Menschen, die mehr als hundert Jahre alt waren."

Davon wurden gerade einmal rund 200 Menschen vermisst. Wie bitte können eigentlich 234.000 über Hundertjährige verschollen sein, wenn es im ganzen Land gerade einmal 40.000 über Hundertjährige gibt? Die hohe Zahl wurde offenbar von der Agentur APA verbreitet. So liest man bereits im September von über 230.000 vermissten Menschen.

Der Spiegel berichtete 1986, dass in Japan 1963 erst 153 über Hundertjährige lebten und sich diese Zahl bis 1986 auf 1851 erhöhte. In der FAZ kann man bei Petra KOLONKO nachlesen wie rasant die Anzahl in den letzten Jahren gestiegen ist:

"Die Zahl der Über-Hundertjährigen ist in den vergangenen Jahren schnell gewachsen. Im Jahr 2003 waren es nur 20.000, 2007 waren es 30.000, und 2009 wurden schon 40.399 Hochbetagte gezählt. Die staatliche Rentenkasse scheint diesen Zahlen nun nicht mehr zu trauen – und hat eine Untersuchung in Auftrag geben."

Die 234.000 über Hundertjährigen, die jetzt in den Melderegistern gefunden sein sollen, würden eigentlich diese jemals in Japan gelebten über Hundertjährigen übersteigen. Der Zahl von 234.000 kommt man näher, wenn man bei Petra KOLONKO weiter liest:

"Vielleicht ist aber auch die Klage über den Verfall der sozialer Bande zu übertrieben, wenn sich als Trend bestätigt, was jetzt an behördlicher Schlamperei aus Osaka bekannt wurde. Dort musste die Stadtverwaltung zugeben, dass 5125 Personen, die jetzt über 125 Jahre alt wären, noch in den Melderegistern geführt werden. Unter ihnen sei ein Mann, der im Jahr 1857 geboren wurde."

Rechnet man diese Zahl für die Stadt Osaka auf Japan hoch, dann kommt man auf solche Zahlen. Aber offenbar stammen doch die Daten über die lebenden über Hundertjährigen aus ganz anderen Quellen als die 234.000 Vermissten aus den Melderegistern. Wir hätten es dann mit zwei verschiedenen Sachverhalten zu tun, die in den Artikeln vermengt werden.

Was soll also mit der hohen Zahl suggeriert werden? Zumal die Datenlage auch noch mit kriminellen Fallbeispielen vermischt wird. Existieren in Japan so viele über Hundertjährige, weil ihre Angehörigen weiter Rente kassieren möchten und deshalb den Tod verschweigen? Haben sich die Alten nach Unbekannt zurückgezogen? Oder ist die Anzahl der 40.000 aufgrund fehlerhafter statistischer Dokumentation überhöht? Die Berichte über die Hochbetagten in Japan bringen letztendlich wenig Licht in dieses Dunkel.

KOLONKO, Petra (2010): Eine Prüfung, die kaum jemand schafft.
Die Einwanderungspolitik in Japan ist rigide. Dabei schrumpft die Bevölkerung. Und der Fachkräftemangel ist groß,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 12.12.

GERMIS, Carsten (2010): Die Präsidentin.
Im Porträt: Yoshiko Shinohara - Sie ist die mächtigste Frau Japans Als andere Japanerinnen noch Blumen banden und Tee kochten, gründete sie ihr eigenes Unternehmen,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 12.12.

NEIDHART, Christoph (2011): Erlaubt, aber unmöglich.
Japanische Politikerin schockt ihr Land mit Retortenbaby,
in: Süddeutsche Zeitung v. 08.01.

2011

BRASOR, Philip (2011): Japan's tribe of lonely people continues to grow,
in: Japan Times v. 16.01.

Philip BRASOR berichtet aus Japan, das vom "Altersbeben" viel dramatischer betroffen ist als Deutschland. Mit dem Zensus 2010 geriet die steigende Zahl von Einpersonenhaushalten und die schrumpfende Bevölkerung in den medialen Fokus.

"The number of households is increasing while population is declining, which means that there are a lot more single-person households than there were 10 years ago and there will be even more 10 years from now. In fact, experts predict that single-person households will be the dominant demographic in a short time, and many if not most of them will be occupied by lonely old people, presumably with no families to fall back on, thus placing even greater strain on an already overburdened social welfare system",

schreibt BRASOR. Bereits seit Ende der 1990er wird in Japan von "parasitären Singles" gesprochen (vgl. Masahiro YAMADA 1999). Während der Begriff "parasitäre Singles" eigentlich Nesthocker meint, geht es nun um Einpersonenhaushalte und nicht mehr um bei den Eltern lebende Singles. 

BRASOR fasst die im letzten Jahr entbrannte öffentliche Debatte um die "vergreisende" japanische Gesellschaft und den Wohlfahrtsstaat zusammen, wobei männliche Singles als Problemfall beschrieben werden.

KEUCHEL, Jan (2011): Fit und fleißig.
In Japan startet die Rente mit 69 Jahren,
in: Tagesspiegel v. 06.03.

Rente mit 69 in Japan? Dies ist natürlich eine gezielte Falschmeldung, die eher mit der Wunschvorstellung der Bundesbank für das Rentenalter in Deutschland zusammenhängt. Ob die Japaner tatsächlich so viel gesünder sind als die Deutschen, das ist angesichts statistischer Mängel fraglich.

SCHOETTLI, Urs (2011): Auch die Toten gehören zur Gemeinschaft.
Vom Umgang mit der Vergänglichkeit in Japan,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 30.03.

MURAMATSU, Naoko & Hiroko AKIYAMA Urs (2011): Japan: Super-Aging Society Preparing for the Future,
in: The Gerontologist Nr.4

Naoko MURAMATSU & Urs AKIYAMA beschreiben den Geburtenrückgang und nicht die Erhöhung der Lebenserwartung als das demografische Hauptproblem Japans:

"The critical contributor to population aging, however, is rapidly declining fertility. The relatively brief post-World War II baby boom (1947–1949) ended when the government loosened abortion laws and encouraged family planning and birth control to prevent overpopulation. The total fertility rate declined from 4.54 births per woman in 1947 rather quickly to 2.04 in 1957 (National Institute of Population and Social Security Research, 2010b). When the first baby boomers reached child-bearing ages, the second baby boom (1971–1974) occurred but without changing the number of births per woman."

Der Nachkriegs-Babyboom in Japan mag kurz gewesen sein, was jedoch außer Acht lässt, dass die Geburtenrate in Japan vor dem zweiten Weltkrieg wesentlich höher lag als in anderen Babyboom-Ländern. In Japan ereignete sich deshalb ein Absturz der Geburtenrate von 4,5 auf 2 Kinder pro Frau innerhalb eines Jahrzehnts. Andere Autoren wie Florian KOHLBACHER sprechen von den japanischen Babyboomern. KOHLBACHER fasst darunter die Geburtsjahrgänge 1947-1949 in einer engen, bzw. die Geburtsjahrgänge 1947-1951 in einer weiten Definition.

COULMAS, Florian (2011): Wenn sich der Wasserkocher sorgt.
In Japan trifft die Lust an technischen Neuerungen auf fehlenden Sinn für Privatheit – eine Erkundung im halböffentlichen Raum,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 18.06.

GHELLI, Fabio (2011): Schluss mit niedlich.
Geisha? Girlie? Nein: Weltmeisterin! Japans Fußballerinnen formen in ihrem Land ein neues Frauenbild. Das ist auch dringend nötig,
in: Tagesspiegel v. 20.07.

HAARHOFF, Heike (2011): Ressource Alter.
Pflege: Ob in Japan oder Frankreich, in einigen Ländern werden betagte Menschen bereits als Bereicherung wahrgenommen, nicht nur als Problem,
in: TAZ v. 16.09.

GERMIS, Carsten (2011): Das älteste Land der Welt.
Bald schon wird jeder vierte Japaner älter als 65 Jahre sein. Das verändert auch die Wirtschaft. Die Gefahr ist groß, dass sich die Menschen in Stagnation und Deflation einrichten, weil es für wohlhabende Senioren bequem ist,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.10.

GERMIS, Carsten (2011): Junge Japaner scheuen Ehe und Kinder.
Abschreckendes Beispiel für die anderen entwickelten Industriestaaten,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 04.10.

GERMIS, Carsten (2011): Geborgen bei der Mama-san.
Japans Männer haben es schwer. Der Druck im Büro ist groß, in der Familie haben sie nichts zu melden. Sie flüchten sich in kleine Kneipen zu älteren Damen, den Mama-san,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 30.10.

2012

MESSMER, Susanne (2012): Der kindliche Glamour des Protests.
Subkultur: Seit Fukushima ist die japanische Alternativszene im Auftrieb. Ein Streifzug durch Tokio,
in:
TAZ v. 10.03.

HIJIYA-KIRSCHNEREIT, Irmela (2012): Ohne Zukunft glücklich.
In Japan macht ein soziologisches Buch Furore, das auf die Krise der Gegenwart eine lebenskluge Antwort zu geben scheint,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 30.03.

TAN, Daniela (2012): Mutter sei Dank.
Die japanischen Frauen zwischen Anerkennung und Alltagsbelastung,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 11.05.

SCHEFFER, Ulrike (2012): Japan, Land des Schwächelns.
Wie uns die Zeiten ändern: Seit zehn Jahren steckt Japan in der Krise - und findet kein Rezept gegen den Niedergang,
in:
Tagesspiegel Online v. 23.06.

RÖTZER, Florian (2012): Japans Bevölkerung schrumpft.
In Japan haben sinkende Geburten- und Bevölkerungszahlen Rekordniveau erreicht,
in: Telepolis v. 08.08.

GERMIS, Carsten (2012): Glückliche Jugend im Land der Hoffnungslosigkeit
Immer weniger junge Japaner finden feste Jobs. Ein Soziologe konstatiert dennoch eine zufriedene Generation,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.08.

TAN, Daniela (2012): Wie man in Japan die Jahreswende begeht.
Aufbruch zum Leben: Unter dem Firnis der (post)modernen Industrie- und Informationsgesellschaft lebt in Japan eine Zeit weiter, die tief vom Glauben an die Naturgewalten und ihre Rhythmen geprägt war. Selbst junge Leute wenden sich heute vermehrt der shintoistischen Tradition zu,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 21.12.

MAAK, Niklas (2012): Ungewohnte Nähe.
Die heilige Kleinfamilie gibt es nicht mehr: Japanische Architekten bauen Häuser für die Familien der Zukunft,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 23.12.

2013

SCHOETTLI, Urs (2013): Die neuen Asiaten. Ein Generationenwechsel und seine Folgen Verlag Neue Zürcher Zeitung

Urs SCHOETTLI, Jahrgang 1948 und Korrespondent der NZZ, berichtet über drei Generationen in Asien (1930-1945Geborene, 1946-1970Geborene und nach 1970 Geborene).

KLINGHOLZ, Reiner & Gabriele VOGT (2013): Demografisches Neuland. Schneller noch als Deutschland muss Japan Antworten auf eine schrumpfende und alternde Gesellschaft finden, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Discussion Paper 11, Juni

SCHÄFER, Frank (2013): Die Zukunft ist ein Projekt von gestern.
Sehnsuchtsorte: Der Schriftsteller William Gibson, Visionär der virtuellen Realität, legt einen tollen Essayband vor: "Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack" versammelt luzide Zeitdiagnosen aus vier Jahrzehnten,
in:
TAZ v. 29.06.

Frank SCHÄFER hebt insbesondere den Essay Glänzende Schlammkugeln hervor, in dem japanische Nerds (Otakus) von William GIBSON zu Rebellen stilisiert werden:

"In seinem Essay »Glänzende Schlammkugeln« erzählt er von zwei erstaunlichen Modeerscheinungen des zeitgenössischen Japans. Junge Menschen, vor allem Männer, lassen sich aus der Welt fallen, verbergen sich bisweilen jahrelang in ihren Zimmern, sogar vor ihren engsten Familienangehörigen, in totaler Einsamkeit, ohne dabei psychische Krankheitssymptome wie Agoraphobie oder Depression an den Tag zu legen. Etwa zur gleichen Zeit hört Gibson von den titelgebenden, ursprünglich von Kindern gefertigten glänzenden Schlammkugeln (jap. Hikaru Dorodango), die durch ständiges Rollen in der Hand einen tiefen, an alte Keramik erinnernden Glanz bekommen. Ein enormes Medienecho macht sie zu quasikultischen Objekten. (...). Die Einsamen »sind ebenfalls mit der Schaffung von Dorodango beschäftigt. Ihr gewähltes Material: das Leben selbst.« Hier haben wir die idealisierte, auf die Spitze getriebene, die Zen-Version des Nerds, den japanischen Otaku. Für Gibson ist er eine Art Rebell, der sich bewusst fernhält von den Waren- und Informationsströmen, die ihn unablässig umspülen, der mit äußerstem Einsatz sein Steckenpferd reitet, nämlich auf Kosten der Vielfalt des Lebens und seiner sozialen Existenz. Vielleicht gibt es deshalb auch so viele Verkaufsautomaten in Tokio, die für sich »eine geheime Stadt der Einsamkeit« bilden. Sie ermöglichen es, »tagelang jeden Blickkontakt mit anderen Menschen aus dem Weg zu gehen«. Gibson vermeidet jede Pathologisierung dieses Typus, denn mit einer Soziophobie hat das gar nichts zu tun. Es ist ein Spiel, sie bringen ihr Leben auf Hochglanz."

LILL, Felix (2013): Eine Puppe gegen die Einsamkeit.
Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt kämpft mit einer rasch alternden Gesellschaft. Roboter als Helfer in der Altenpflege sind in Japan daher schon längst Realität geworden,
in: Die Presse
v. 30.06.

FEDERMAIR, Leopold (2013): Je zivilisierter, desto einsamer.
Kinderlosigkeit wird in Japan immer mehr zum Malaise. Doch damit steht das Land nicht allein. Die Zeugungslust schwindet mit wachsendem Wohlstand. Trotz der medialen Sexualisierung der Lebenswelt scheint den Menschen die Lust auf Sex zu vergehen. Könnte dies an einem Übermass an zivilisatorischer Zähmung liegen?
in: Neue Zürcher Zeitung
v. 05.08.

GERMIS, Carsten (2013): Das geht nicht gut aus.
Japan ist eines der reichsten Länder der Erde - und eines der verzagtesten. Was passiert, wenn in überalterten Gesellschaften der Pessimismus strukturell wird?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.10.

HAWORTH, Abigall (2013): Sekkusu Shinai Shokogun.
Das heißt Zölibatsyndrom: Viele junge Menschen wollen keinen Sex mehr und verweigern die Ehe,
in:
Freitag Nr.45 v. 07.11.

MÜHLBAUER, Peter (2013): "Zölibatssyndrom" in Japan.
Bei Unter-40-Jährigen sinkt nicht nur das Interesse an Beziehungen, sondern auch an Casual Sex,
in:
Telepolis v. 11.11.

Peter MÜHLBAUER berichtet über das "Zölibatssyndrom" in Japan, das im Herbst 2012 anlässlich einer Umfrage erfunden wurde. Obgleich Sex und Fortpflanzung in den Industriestaaten weitgehend entkoppelt sind, wird fehlender bzw. zu viel Sex gerne mit der Bevölkerungsentwicklung in Zusammenhang gebracht. Da Japan mit Deutschland zusammen zu jenen Staaten gehören, die wahlweise "vergreisen" oder "aussterben", werden solche Storys gerne aufgegriffen.

Nachdem die Marie-Claire-Autorin Abigall HAWORTH im britischen Observer einen Story-Cocktail aus bevölkerungspolitischer Hysterie, Krise der feministischen Karrierefrau und fehlender Sex- bzw. Beziehungsunerfahrenheit präsentiert hat, macht das Zöllibatssyndrom nun weltweit Karriere, u.a. jetzt auch in Deutschland, wo der Freitag schon letzte Woche eine Magerversion des britischen Observer-Artikels ins Deutsche übersetzt hat.

SIMON, Violetta (2013): Allein zu zweit.
Fotoserie mit fiktiver Freundin: Wenn Pärchen und Familien zu Weihnachten zusammenrücken, fühlen sich viele Singles noch alleinstehender. Ein japanischer Fotograf hat seine Einsamkeit in einer Bilderserie dargestellt und sich damit eine Menge neuer Freunde gemacht,
in:
sueddeutsche.de v. 06.12.

2014

GERMIS, Carsten (2014): Frauenmacht aus Yokohama.
Japans Regierung will mehr Frauen in Managementpositionen und sorgt zunächst für die Kinderbetreuung,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 11.01.

LILL, Felix (2014): Japans Frauen im Hintertreffen.
Ungelobtes Land: In kaum einer reichen Nation machen Frauen so selten Karriere wie in Japan. Dabei werden sie dringend gebraucht. Doch Beruf und Familie sind nur schwer vereinbar,
in:
Die Presse am Sonntag v. 02.03.

HENK, Malte (2014): Jugend ohne Sex.
Dossier: Eine Meldung in der Zeitung: Den jungen Japanern fehlt das Interesse an der Liebe. Kann das sein? Porträt einer verunsicherten Landes, in dem die Alten herrschen und die Gefühle erstarren. Ist Japans Gegenwart unsere Zukunft?
in:
Die ZEIT Nr.24 v. 05.06.

Bei Malte HENK erfahren wir wenig über Japan, aber viel über die deutsche Seele im Zeitalter der Demografiepolitik. Persönlicher Ausgangspunkt seiner Recherche war nach eigenen Angaben eine Reportage im britischen Observer vom Oktober 2013, der bereits kurz danach - gekürzt - ins Deutsche übersetzt wurde. Kein Sex mehr, fragte aber bereits Die Presse 4 Jahre zuvor besorgt über Japans Zukunft.

Demographisierung heißt der Begriff für jenen Blick, der sich nicht für eine Gesellschaft interessiert, sondern langfristige Bevölkerungsvorausberechnungen zum Ausgangspunkt eines geschichtskonservativen Zukunftsentwurf macht. Nicht ein Spektrum möglicher Zukünfte, sondern der Entwurf einer einzigen Zukunft, in diesem Fall ein endzeitliches Szenario, in dem eine Gerontokratie der Jugend jegliche Zukunft raubt, beherrscht damit unser Denken. 

"Jugend (...). Recherche über eine Randgruppe. Sie handelt von Einsamkeit",

fasst HENK seinen Endzeitbericht zusammen. Hikikomoris, ein soziales Phänomen, das in den internationalen Medienberichten über Japan dominant ist, wird mit diesem demografischen Wandel in Verbindung gebracht. Weitere Sozialfiguren, die international im Umlauf sind, ist der Freeter (Freiberufler, Prekariat), die Verliererhündin und der Parasiten-Single.

"Die Geschichte (...) beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg als innerhalb einiger Jahre so viele Kinder zur Welt kamen wie nie zuvor und nie wieder danach",

schreibt HENK im Stile der typisch deutschen Babyboomer-Phraseologie, die wir dieses Jahr zur Genüge präsentiert bekommen. Nur mit Japan hat das nichts zu tun. Es gab in Japan keinen Babyboom in unserem Sinne, sondern der Baby-Boom war ein Absturz der Geburtenrate von über 4,5 Geburten pro gebärfähiger Frau in den 1940er Jahren auf um die 2 Geburten in den 1960er Jahren, wobei im Ausnahmejahr 1966 die Geburtenrate sogar auf ca. 1,6 fiel - ein Wert, der erst 1990 wieder unterschritten wurde. In Deutschland dagegen fing der Geburtenrückgang bereits ca. 50 Jahre früher an.

In Deutschland erfährt man über Japans demografische Entwicklung so gut wie nichts, weil nur jene Entwicklung in den Blick gerät, die für Deutschland und andere westliche Industriestaaten typisch ist. Die Differenzen dagegen werden tabuisiert, weil sie die Konsensfiktion des demografischen Wandels, den globale Organisationen wie z.B. die OECD herstellen, stören, indem sie aufzeigen, dass nationale - und auch innernationale - Entwicklungen durchaus verschieden verlaufen können. HENK nutzt diese Differenzen, um Japans Entwicklung als durchaus wahrscheinlich auch für Deutschland - trotz aller NOCH bestehenden Differenzen - darzustellen:  

"Noch fallen die Unterschiede ins Auge. Anders als in Japan darf in Deutschland ein Lebenslauf brüchig sein und ein Freiberufler eine Freundin haben. Anders als die Japaner akzeptieren die meisten Deutschen Einwanderer, um den Rückgang der Einwohnerzahl auszugleichen. Und anders als Japan ist Deutschland keine Insel, sondern liegt inmitten eines Kontinents, der immer mal wieder in Unordnung gerät. Noch ist die Zukunft bei uns nicht an ihr Ende gekommen - was Japan durchlebt, ist nicht das zwangsläufige Ergebnis jenes Geschehens, das demografischer Wandel heißt.
Es ist nur eine Möglichkeit. Aber eine, die vielleicht sehr nahe ist."

Wie weit fortgeschritten die Demographisierung gesellschaftlicher Probleme ist, wird deutlich, wenn HENK über den Wandel des Deutschen Instituts für Japanstudien schreibt:

"In Tokio gibt es ein Deutsches Institut für Japanstudien, gegründet in den achtziger Jahren, um den Unternehmen der Bundesrepublik dieses erstaunliche Land zu erklären, dessen Konzerne damals die Weltmärkte beherrschten. Heute analysieren sie an diesem Institut die vergreisende Gesellschaft - und sie glauben, dass auch dies für Deutschland interessant sein könnte.
Die Forscher erwarten, dass demnächst ein japanisches Wort in die deutsche Sprache gelangt, vielleicht sogar in den Duden, so wie einst Karoshi - Tod durch Überarbeitung. Der neue Kandidat fes Instituts, ein Exportprodukt des japanischen Stillstands, heißt Kodokushi - Tod in Einsamkeit."

HENK konstruiert einen Zusammenhang zwischen demografischem Wandel und ökonomischer Stagnation, der typisch für den geschichtskonservativen Demographismus ist, eine Ideologie, die die nationalkonservative Bevölkerungswissenschaft prägt, deren prominentester Vertreter Herwig BIRG ist. Der Begriff "Eiszeit" soll zudem verdeutlichen, dass dieser Stillstand auch Auswirkungen auf das soziale Zusammenleben hat:

"Als Ende der achtziger Jahre das begann, was in Japan die »Eiszeit« heißt, als die Börsenkurse einfroren und das japanische Wirtschaftswunder erstarrte, da sank auch die soziale Temperatur. (...). Kaum ein Festangestellter über vierzig verlor seine Stelle. Dafür entstand eine Serviceökonomie aus Zeitarbeit, Leiharbeit, Teilzeitarbeit, eine Parallelwirtschaft fast ohne Aussicht auf sozialen Aufstieg. Sie ist die Heimat jedes zweiten jungen Japaners."

Der neoliberale Demographismus (Christian RADEMACHER) stellt einen engen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsrückgang, ökonomischem Niedergang und mangelnder Generationengerechtigkeit bzw. Altenherrschaft (Gerontokratie) her. Hauptvertreter dieser Position in Deutschland ist der Ökonom Hans-Werner SINN.

Die japanische Katastrophe im März 2011 mit Erdbeben, Tsunami und Super-Gau im Atomkraftwerk Fukushima wird von HENK nur einmal erwähnt, weil sie im Sinnzusammenhang der Demographismen, d.h. von Ideologien, die im demografischen Wandel vorzugsweise einen Fluch sehen, keine Rolle spielt. Vor allem passt die Katastrophe nicht zu dem Bild des Wohlstands, das HENK zeichnet:

"Die Kinder der Eiszeit sind die erste Generation eines Industrielandes, der es nicht besser gehen wird als der Generation ihrer Eltern. Sie sind aber auch die Ersten, die keine Not leiden, wenn sie keine Arbeit finden und kaum eigenes Geld verdienen. Die Eltern haben so viel Wohlstand erschuftet, dass für alle etwas übrig bleibt."

In Deutschland hat Mercedes BUNZ dafür den Begriff "Urbane Penner" geprägt. Wäre HENK nicht nach Tokio gegangen, sondern in die Präfektur Fukushima, wie wäre dann wohl sein Bild ausgefallen? Tokio steht für die globalisierte, urbane Mittelschicht und ihre Eliten - dazu gehört auch der japanische Schriftsteller Haruki MURAKAMI:

"Sein früher romantisch-verklärtes Japanbild ist nach jetzt über drei Jahren Aufenthalt in Tokio nicht mehr kratzerfrei. Die Romane von Haruki Murakami sowie die Filme von Takeshi Kitano und Shunji Iwai hatten den Teenager und Studenten für die japanische Kultur begeistert und ihn zum Japanischlernen motiviert. Inzwischen musste Schumann feststellen, wie unkritisch die japanische Gesellschaft sich selbst wahrnimmt. »Mir war nicht klar, wie sehr Murakami in Japan ein Außenseiter ist«, sagt er nachdenklich",

heißt es in einem Porträt eines Deutschen, der in Tokio lebt, und in dem die Kluft zwischen globalisiertem Japanbild und der Kultur der einheimischen Bevölkerung zur Sprache kommt.

"Ayako, die Beziehungsschauspielerin. Henry, der ewige Single aus der Vorstadt. Yuri, die Heiratsjägerin. Hikaru, der von einem Leben im Einreiher träumt. Sie wohnen alle in derselben Stadt. Aber sie werden einander wohl nie begegnen",

schreibt HENK über das Personal, das seine Story bevölkert. Sie alle könnten auch einem Roman oder dem neuen Kurzgeschichtenband Männer ohne Frauen von Haruki MURAKAMI stammen.

Menschen ohne Beziehungserfahrung (Absolute Beginners) sind spätestens seit Michel HOUELLEBECQs Roman Ausweitung der Kampfzone ein Thema mit steigendem Aufmerksamkeitspotenzial. Ist dies nur eine Frage der Demographie (Heiratsengpass) oder eher eines des Geschlechtsrollenwandels und seiner Probleme (Schüchternheit) oder der sozioökonomischen Lage (Hartz IV) oder welche Faktoren spielen bei diesem wenig erforschten, dafür aber medial präsenten Thema eine Rolle? HENK stellt es simplifizierend in den Zusammenhang des demografischen Wandels, also der Demographie und seinem geschichtskonservativen Denkmuster, das den Bevölkerungsrückgang mit ökonomischem Niedergang gleichsetzt.

Dem widerspricht auch nicht, dass HENK die Sicht des japanischen Bevölkerungswissenschaftler Fumihiko NISHI und den Umgang der japanischen Massenmedien mit den Problemen der Jugend (HENK schreibt nicht über Jugendliche, sondern über die Postadoleszenz um die 30Jähriger) kritisiert, weil diese Sicht von HENK der Demographisierung gesellschaftlicher Probleme geschuldet ist.

TAN, Daniela (2014): Land ohne Kinder.
Japan will die Frauen fördern, doch das soziokulturelle Umfeld steht ihrer Emanzipation entgegen,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 26.06.

"Im Jahr 2050 werden nach derzeitigen Prognosen 70 Prozent der japanischen Bevölkerung über dem Pensionsalter stehen. In ländlichen Gegenden Japans ist der demografische Niedergang bereits deutlich spürbar. Die Jungen ziehen weg, die Infrastruktur verfällt und damit die Anziehungskraft für Neuzuzüger. Im April wurde im Parlament deshalb laut über Möglichkeiten nachgedacht, wie Frauen zur Geburt verpflichtet werden könnten. Angesichts der Tatsache, dass solch eine Gesetzgebung in massivem Widerspruch zur persönlichen Freiheit stünde, sind solche Vorstösse chancenlos. Doch dass solch ein Szenario überhaupt in Betracht gezogen wurde, ist erschreckend. Es muss über andere Anreize für junge Leute nachgedacht werden, die eine Familie gründen wollen",

meint Daniela TAN. 70 Prozent Rentneranteil 2050 in Japan? Das gehört ins Reich der Märchen.

Die Demographisierung gesellschaftlicher Probleme trübt unsere Wahrnehmung, weil sie dazu führt, dass jede Horrorzahl eher geglaubt wird als realistische Darstellungen. Nach UN Prognosen aus dem Jahr 2002 wird für die Bevölkerungsgruppe 60 + ein Anteil von 42 % angegeben. Das ist weit weg von den 70 Prozent für 65-Jährige und Ältere, die TAN angibt.

BELZ, Nina (2014): Japans Männer suchen die neue Frau.
Der Regierungschef hat das wirtschaftliche Potenzial der Frauen entdeckt - seine Pläne und die Realität klaffen jedoch weit auseinander,
in: Neue Zürcher Zeitung
v. 24.07.

GERMIS, Carsten (2014): Woran Karrieren japanischer Frauen scheitern.
Regierungschef Abe will Frauen den Weg zu besseren Karrierechancen öffnen, doch er findet dabei nur wenig Verbündete,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.08.

POSSEMEYER, Ines (2014): Die Rettung Japans ist weiblich.
Falls es nicht schon zu spät ist. Die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde kämpft gegen den Bevölkerungsschwund. Mit teils merkwürdigen Methoden,
in:
Geo Nr.12, Dezember

"Ich bin nach Japan gefahren, weil uns dieses Land ein Stück voraus ist. Schon seit zwei Jahrzehnten lebt es vor, was Europa gerade kennenlernt: Nullwachstum, Deflation, die mit Abstand höchste Staatsschuldenquote der Welt. Die Krise wird befeuert durch die Bevölkerungsentwicklung: Japan ist der »Ground Zero der Demografie«, so der Demografie-Experte Richard Jackson: Nirgendwo ist die Bevölkerung älter und schrumpft sie schneller. Setzt sich dieses »demografische Endspiel« ungebremst fort, wird Japan in den nächsten 50 Jahren fast ein Drittel seiner Einwohnerschaft verlieren. Auf jedes Baby kommt dann ein Hundertjähriger - die schon heute am schnellsten wachsende Altersgruppe",

beschreibt Ines POSSEMEYER ihre Motivation. Man könnte das auch als ekelhaften Katastrophentourismus bezeichnen. Richard JACKSONs markige Rhetorik entspricht derjenigen von Herwig BIRG. Die zitierten Begriffe stammen aus dem Newsletter Japan’s Demographic End Game des Center for Strategic & International Studies (CSIS) vom 21. November 2013. Dort heißt es:

"Thanks to its chronically low fertility rate, world-record life expectancy, and aversion to migrants, Japan is ground zero for global aging. The youngest of the developed countries as recently as the mid-1970s, Japan is now the oldest—and its age wave will continue to roll in for decades to come. By 2050, the proportion of Japanese who are 65 or older is on track to reach 39 percent, up from 23 percent in 2010 and only 9 percent in 1980, when Japan Inc. seemed poised to conquer the global economy. Meanwhile, Japan’s population, which is already contracting, will enter a precipitous decline, shrinking by over a half by the end of the century."

Demografen überschätzen gewöhnlich den Einfluss von Bevölkerungsentwicklungen, während sie den gesellschaftlichen Wandel, der damit einhergeht unterschätzen. Im Jahr 2003 erschien der Report The Demographic Dilemma: Japan’s Aging Society. Darin spielte Paul S. HEWITT den JACKSON-Part, während, während John C. CAMPBELL und Chikako USUI den Einfluss der Politik und des sozialen Wandels hervorhoben.

Für Deutschland hat Christian RADEMACHER gezeigt, dass es durchaus sinnvoll ist, nicht irgendwelchen weithergeholten Vorbildern nachzueifern, sondern jene Ressourcen zu nutzen, die von Gemeinde zu Gemeinde, von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich sind. Stattdessen werden Strategien verfolgt, die solche Unterschiede leugnen. Können wir von Japan lernen? Wenn überhaupt, dann nur, indem wir die Verschiedenheit von Deutschland und Japan berücksichtigen. POSSEMEYER entführt uns jedoch nicht in ein Land, das wir kennenlernen könnten, sondern man fühlt sich eher wie in einem zweiten Deutschland, das sich lediglich durch ein paar fremde Begriffe unterscheidet.

"Für eigenständige Frauen wie die Praktikumsvermittlerin Atsuko Horie gibt es zu wenige potenzielle ikumen; anderen fehlt schlicht die Zeit fürs Dating. So geschieht das, was wir aus Europa kennen: Männer und Frauen heiraten immer später oder gar nicht mehr. Mit einem fundamentalen Unterschied: Bei uns funktionieren Familien längst auch ohne Trauschein, in Nordeuropa wird jedes zweite Kind »unehelich« geboren. Aber nicht in Japan. Keine Heirat heißt: keine Kinder.
»In Europa sind veränderte Heiratszahlen Ausdruck einer veränderten Intimität, in Japan Zeichen eines kompletten Mangels«, so die Soziologin Emiko Ochiai. Die Hälfte aller Unverheirateten bis Mitte 30 sind Singles.
Und ein Viertel hatte noch nie Sex",

erklärt uns POSSEMEYER. Man wundert sich höchstens über die Naivität solcher Beschreibungen. Kennen wir nicht aus Deutschland die Debatte über die Akademikerin, die keinen Mann abbekommt? Hatte man nicht noch Anfang des Jahrtausends hierzulande die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen überschätzt, weil die Statistik aufgrund der Eheorientierung und dem Trend zur späten Elternschaft einem Fehlschluss unterlag?

In der Debatte zum Aussterben der Deutschen gab es in den 1970er Jahren das Argument, dass es an zuviel Sex lag, während inzwischen zu wenig Sex schuld sein soll.

In der Reportage werden zudem unterschiedliche Single-Begriffe verwendet. Singles sind demnach entweder Ledige oder Alleinlebende.

"Japan hat heute eine der höchsten Single-Raten weltweit. In jedem dritten Haushalt lebt nur noch eine Person, in Tokio sogar in jedem zweiten. Die Zahl der allein lebenden Senioren hat sich hier in den letzten 30 Jahren versechsfacht, nirgendwo altert derzeit die Bevölkerung schneller als in der Metropole.
In der Provinz ist dieser Prozess schon fast abgeschlossen",

erläutert POSSEMEYER. Diese Single-Raten entsprechen den deutschen, während die von POSSEMEYER hochgelobten skandinavischen Staaten noch höhere Raten zu verzeichnen haben. Aufgrund der sog. Kriegerwitwen war die Zahl der alleinlebenden Frauen in Deutschland schon immer hoch und die deutschen Metropolen verjüngen sich derzeit eher als dass sie altern.

Der Soziologe Akira OHNO hat gemäß POSSEMEYER für Japan den Begriff der "marginalen Dörfer" geprägt, die er folgendermaßen definiert:

"Mehr als die Hälfte der Einwohner sind mindestens 65 Jahre alt, das Gemeinschaftsleben ist fast erloschen."

2010 sollen 10.000 Orte in Japan dieser Definition entsprechen, wobei der Begriff des erloschenen Gemeinschaftsleben äußerst schwammig ist. Außerdem wird zwischen "alter" und "ultra-alter Gesellschaft" unterschieden:

"Ein Viertel der Bevölkerung Japans ist heute schon älter als 65 Jahre.
Damit ist diese Gesellschaft keine
»alte« mehr, sondern weltweit die erste »ultra-alte«. Deutschland wird - an zweiter Stelle - im Jahr 2025 folgen, das kinderreichere Frankreich erst 2053."

Warum gerade bei 25 % der Übergang stattfinden soll, das wird nicht erläutert. Solche Unterscheidungen haben wohl eher aufmerksamkeitsökonomische Bedeutung als dass sie etwas Substantielles über eine Gesellschaft aussagen. Geht man z.B. wie der Demograf Sergei SCHERBOV von einem dynamischen, statt von einem statischen Altersbegriff aus, dann sind solche  Unterscheidungen noch fragwürdiger.

"Die Pflege der Alten, das war für die Regierung eine Aufgabe der »professionellen Hausfrau«. Jetzt bleibt dem Land kaum mehr als ein Jahrzehnt, sich auf das »2025-Problem« vorzubereiten: Dann werden die Babyboomer der Nachkriegsjahre 75 Jahre alt sein, jeder Vierte pflegebedürftig.
Eine Lösung ist auch hier nicht in Sicht. Eine Million Pflegekräfte werden 2025 fehlen, mehr als in jedem anderen Industrieland."

In Japan fand der Babyboom früher statt als in Deutschland und er war im Gegensatz zu Deutschland weit umfangreicher. Allein von daher ist ein einfacher Vergleich der Länder nicht sehr weiter führend. Während Deutschland zumindest in den alten Bundesländern von der Zuwanderung profitiert, entspricht der Ausländeranteil im Osten eher demjenigen von Japan.

"Knapp die Hälfte aller Männer arbeitet bereits heute über das 65. Lebensjahr hinaus, Bauern sind im Schnitt 70. Und im Dorf Tokonabe packen in einem alten Lagerhaus Frauen an großen tischen frische Paprika ab, die jüngst ist 80, die älteste 89",

beschreibt POSSEMEYER die Situation in Japan, die die Forderungen nach "lebenslanger Arbeit" schmackhaft machen sollen. Zum Schluss wird es dann noch nostalgisch: In den "ländlichen Ruinen" soll das neue Japan entstehen:

"»Immer mehr Japaner sorgen sich um den Verlust ihrer Kultur«, beobachtet der britische Japanologe Peter Matanle. Er hofft, dass gerade die Rückbesinnung auf Traditionen und Natur möglich wird, ein besseres Leben jenseits von Leistungs- und Karrieredenken. Dafür hat er ein neues Wort erfunden: die Entvölkerungsdividende."

Man wird sehen wie sich Japan tatsächlich weiterentwickelt.

DORBRITZ, Jürgen (2014): Deutschland und Japan: Ein demografischer Vergleich,
in: Bevölkerungsforschung Aktuell, Nr.6 v. 10.12.

Gerne werden die Unterschiede zwischen Japan und Deutschland verschwiegen. Typisch sind Bücher wie das Pamphlet Das Methusalem-Komplott von Frank SCHIRRMACHER, in denen das "Altersbeben" undifferenziert dargestellt wird. Dagegen macht Jürgen DORBRITZ auf die Unterschiede aufmerksam, die regelmäßigen Lesern von single-dasein.de und single-generation.de bereits seit Jahren bekannt sind:

"Der Alterungsprozess in Japan ist aber weiter vorangeschritten, da die Lebenserwartung höher ist und der Babyboom in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg früher begonnen hatte und eine höhere Dimension erreichte. Daher werden die Babyboomer früher und zahlreicher in das Rentenalter eintreten. Hinzu kommt, dass Japan kaum Zuwanderung zulässt und damit zunächst die Alterung abfedernden Effekte entfallen."

Missverständlich erscheinen jedoch die Passagen zu Heirat und Kinderlosigkeit:

"Darüber hinaus bestehen weitere Unterschiede insbesondere beim generativen Verhalten. Der auffälligste von ihnen ist die starke Verknüpfung von Ehe und Geburt der Kinder. Während sich in Deutschland dieser Zusammenhang lockert, sind in Japan nur ca. 2 % der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder nicht verheiratet. Die Erstheiratshäufigkeit ist in Japan höher als in Deutschland. Wer aber nicht heiratet, bleibt auch kinderlos. Ehe- und Kinderlosigkeit ist in Japan negativ besetzt, während dies in Deutschland eine breite soziale Akzeptanz findet."

Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Ehe- und Kinderlosigkeit. Die niedrige Geburtenrate in Deutschland ist in erster Linie durch den starken Rückgang der kinderreichen Familien verursacht - und dieser fand bereits in den 1960er Jahren statt. In Japan lag die Geburtenrate im Jahr 2012 bei 1,41 Kindern pro gebärfähiger Frau, also auf dem gleichen Niveau wie in Deutschland. Dies zeigt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Heiratshäufigkeiten einen Rückschluss auf die Geburtenrate zulassen.

2015

WAGNER, Wieland (2015): Die Fremden.
Japan: Junge Frauen und Männer kapseln sich ab von der Gesellschaft und leben noch als Erwachsene bei den Eltern. Begegnungen mit "Hikikomori",
in: Spiegel v. Nr.2 v. 05.01.

IP-LÄNDERREPORT-Thema: Japan.
Land des Schwächelns

NEIDHART, Christoph (2015): Abwärts mit Abe,
in:
IP Länderreport Japan, März - Juni

SCHAD-SEIFERT, Annette (2015): Womenomics,
in:
IP Länderreport Japan, März - Juni

DORBRITZ, Jürgen & Gabriele VOGT (2015): Rasanter demografischer Wandel – Deutschland und Japan im Vergleich,
in: Bevölkerungsforschung Aktuell Nr. 4 v. 28.07.

Der Artikel von Jürgen DORBRITZ & Gabriele VOGT beschränkt sich leider nicht auf die Faktenlage, sondern versucht die Entwicklung der beiden Länder theoretisch einzuordnen, d.h. statt eines Vergleichs der Bevölkerungsentwicklung beider Länder dominiert die Interpretation der Entwicklung.

"Das christlich geprägte Deutschland ebenso wie das von konfuzianischen Werten dominierte Japan erleben beide extreme Kinderlosigkeit und ausgeprägte Alterung",

schreiben die DORBRITZ & VOGT. Ein Schaubild zeigt jedoch nur die Entwicklung der Geburtenrate (TFR). Nur ein kurzer Abschnitt erwähnt die Kinderlosigkeit in beiden Ländern:

"Die Anteile nichtehelich geborener Kinder sind mit 2,15 % (2010) in Japan extrem niedrig. In Deutschland werden gegenwärtig etwas mehr als ein Drittel aller Kinder von unverheirateten Frauen zur Welt gebracht. Für Japan gilt, dass Ehelosigkeit zu Kinderlosigkeit führt und damit das Geburtenniveau begrenzt wird. Hara (2008: 42) gibt die Kinderlosigkeit für den Geburtsjahrgang 1960 mit 12,7 % an und verweist darauf, dass für den Jahrgang 1970 ein Wert von 30 % erwartet wird. Als häufigsten Grund für Kinderlosigkeit geben die japanischen Frauen an, dass kein geeigneter Partner verfügbar sei (Hara 2008: 53). Für Frauen ab Mitte 30, die unverheiratet und kinderlos sind, ist der Begriff »Makeinu« geprägt worden, was so viel wie »im Kampf geschlagener Hund« bedeutet.
In Deutschland ist die hohe Kinderlosigkeit (Geburtsjahrgang 1970: 21,9 %) vor allem durch die Situation im früheren Bundesgebiet zu erklären."

Von Deutschland wissen wir, dass das Niveau der Kinderlosigkeit bis Ende der Nuller Jahre weit überschätzt wurde, weil von einem engen Zusammenhang zwischen Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit ausgegangen wurde. Kinderlosigkeit wurde nicht statistisch erfasst, sondern lediglich geschätzt als Haushalte ohne Kinder. Über die Glaubwürdigkeit der japanischen Statistik zur Kinderlosigkeit werden wir jedoch nicht informiert.

Betrachtet man den von DORBRITZ & VOGT zitierten Aufsatz Increasing Childlessness in Germany and Japan: Toward a Childless Society? von Toshihiko HARA, dann wird deutlich wie alt die hier vorgestellten Daten tatsächlich sind: Sie stammen aus einer Erhebung von 2005. Da die Erhebung alle 5 Jahre stattfindet, müssten inzwischen zumindest Daten aus dem Jahr 2010, wenn nicht gar aus dem Jahr 2015 vorliegen. Auch in Japan scheint Kinderlosigkeit nicht erhoben, sondern nur geschätzt zu werden:

"If one assumes that nevermarried women remaining single at ages 45–49 are childless, then childlessness has increased from 4.4% for the 1935 cohort to 8.2% for the 1960 cohort, progressively. By adjusting the proportion of childlessness in married women to the proportion based on the total population of women and then adding the proportion of never-married women, approximately, one can estimate childlessness of the women in sum. According this rough estimation, childlessness in Japan increased from 7.5% for the 1935 cohort to 12.7% for the 1960 cohort. It’s still lower than the 21.8% in Western Germany but higher than the 5.9% in Eastern Germany for the 1960 cohort." (2008, S.45f.)

HARA vermutete aufgrund der Fortschreibung der Paritätsverteilung von Geburten, dass die Kinderlosigkeit bei japanischen Frauen zukünftig höher sein wird als in Deutschland:

"According to the assumption of the parity distribution in the latest population projections for Japan (December 2005) by NIPSSR (2007b), childlessness will increase from 12.7% for the 1955 cohort up to 30% for the 1970 cohort, beyond the present level in Germany, and reach 37.4% for the 1985 cohort. On the other side, the share of women with two children is estimated to decline from 47.1% to 36%, and finally to 33.1%. In other words, childless women will comprise the largest female cohort in Japan in the future." (2008, S.48)

Von Deutschland wissen wir inzwischen, dass der Frauenjahrgang 1970 keineswegs die geschätzten ein Drittel Kinderlosen erreichte. DORBRITZ & VOGT beziffern den Anteil auf 21,9 %. Es bleibt also abzuwarten, ob die japanischen Schätzungen nicht ebenfalls zu hoch sind. 

Das Fazit von DORBRITZ & VOGT ist eher vage gehalten und gibt - abgesehen von ein paar Zahlen zum Anteil über 65-Jähriger - lediglich Trends wieder:

"Beide Bevölkerungen gehören zu den ältesten der Welt. In Japan verläuft der Alterungsprozess allerdings schneller als in Deutschland und ist weiter vorangeschritten (...). Das liegt daran, dass erstens die japanischen Babyboomer früher geboren wurden, daher älter als die deutschen sind und damit früher in das Rentenalter eintreten. Zweitens verzeichnet Japan eine höhere Lebenserwartung als Deutschland, wodurch der Alterungsprozess beschleunigt wird. Drittens verfügt Japan nicht über eine Zuwanderung, die Alterungseffekte mildern könnte.
Die Unterschiede im Alterungsprozess veranschaulichen die Anteile der Personen, die 65 Jahre oder älter sind: 1990 war der Anteil in Deutschland mit 15,3 % noch höher als in Japan (12,1 %). Im Jahr 2012 betrug der Anteil in Japan bereits 24,2 %, während in Deutschland nur ein Anstieg auf 21,1 % zu verzeichnen war.
Eine weitere Besonderheit Japans ist, dass die Alterung der Bevölkerung von einem einsetzenden Schrumpfungsprozess begleitet wird. Beide, die natürliche Bevölkerungsbilanz und die Wanderungsbilanz, haben seit kurzem negative Vorzeichen. Für Deutschland werden zwar auch Rückgänge der Bevölkerungszahl prognostiziert, diese wurden bisher aber fast immer durch eine starke Zuwanderung verhindert."

SCHNABL, Lena (2015): Ganz allein.
Der "schönste Tag im Leben": Japanerinnen wie Naho Hishide wollen sich nicht mehr binden. Heiraten wollen sie dennoch. Ein Reisebüro macht es möglich und richtet Hochzeiten aus. "Solo-Hochzeiten",
in: Das Magazin, September

KITTLITZ, Alard von (2015): Stillgestanden.
Ein Tanzverbotsgesetz hat die eins legendäre Clubkultur Japans zerstört. In Tokio feiert nur noch eine kleine Undergroundszene und kämpft gegen das konservative Establishment. Clubben und Tanzen, das bedeutet in Japan heute wieder: Protest!
in: Neon, September

AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE-Thema: Hochbetagt

SHIMADA, Shingo (2015): Das vierte Lebensalter in Japan.
Kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen,
in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 38-39 v. 14.09.

Mittlerweile ist "allgemein bekannt, dass die japanische Gesellschaft mit demselben Problem konfrontiert ist, ja, dass ihr Problem angesichts der rasanten Entwicklung sogar wesentlich verschärft ist. Japan wird als »Testfeld für eine neue, bislang völlig unbekannte Gesellschaft« bezeichnet. Und es stellt sich die pragmatische Frage, was man von den Versuchen auf diesem experimentellen Feld lernen kann. Die Autoren Rainer Klingholz und Gabriele Vogt beantworten sie negativ, was mir etwas leichtfertig und einfach erscheint. Zwar mag diese Einschätzung auf den ersten Blick nachvollziehbar sein, weil die japanische Gesellschaft, wie später gezeigt wird, auf der sozialpolitisch-institutionellen Ebene auf diese tief greifende Veränderung nicht gut vorbereitet ist. Doch wenn man den Blick auf die grundsätzlichen theoretischen Probleme der gesellschaftlichen Fürsorge allgemein richtet, gibt es eine Fülle von Anregungen, die man den japanischen Erfahrungen entnehmen kann. Zumal Deutschland und Japan mit derselben Herausforderung konfrontiert sind: Wie kann man die steigende Zahl pflegebedürftiger alter Menschen so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung leben lassen, und wie kann man ein menschenwürdiges Sterben ermöglichen?", meint Shingo SHIMADA.

"Der Anstieg der Alterslasten ist in Deutschland - was so manchen überraschen dürfte - weitaus geringer als in Industrieländern, die noch in den 1940er und 1950er Jahren hohe Geburtenraten aufwiesen und deren Baby-Boom nun gewaltige Probleme aufwirft. Ausgerechnet die USA, bekanntlich mit einer bestandserhaltenden Geburtenrate gesegnet, und - weniger überraschend - Japan, werden bereits weitaus früher und wesentlich heftiger vom Altersbeben betroffen sein. Wie diese beiden Länder den demografischen Wandel bewältigen werden, das wird auch die deutsche Debatte in den nächsten Jahren stark beeinflussen",

hieß es dazu bereits vor 8 Jahren auf der Website single-generation.de.

TAN, Daniela (2015): Wissen, wann es genug ist.
Die von ihrem prekären ökonomischen Status gebeutelte japanische Jugend sucht eine Neuorientierung in einer Ethik und Ästhetik des Verzichts. Der Gedanke, dass weniger mehr ist, übt auf immer breitere Kreise eine grosse Faszination aus,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 20.11.

Wann wird für uns Europäer in Japan ein neuer Trend ausgerufen? Spätestens, wenn es ein Buch in der New York Times auf Platz 1 der Bestsellerliste geschafft hat und dadurch andere Autoren im Lichte des Bestsellers vermarktet werden, so könnte man den Artikel von Daniela TAN interpretieren. Ist das jedoch ein Artikel über Japans Jugend oder über einen Trend, dem international der Weg bereitet werden soll?

Die neue Bescheidenheit der Jugend ist ein immer wiederkehrender Trend, man blicke z.B. nur zurück auf die deutsche Debatte Anfang des Jahrtausends. Hat sich die Simplify your Life-Methode erschöpft und soll sie nun mittels Exotik aus Fernost wieder reanimiert werden? Der Trend erinnert eher an das Motto: Mache aus der Not eine Tugend! Dies war bereits das Erfolgsprinzip beim Bestseller Wir nennen es Arbeit, bei dem das Minimalismus-Prinzip auf dem Arbeitsmarkt eingeführt wurde. Prekariat statt Festanstellung.

 
       
   
1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979
1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
 
       
   

weiterführende Links

 
       
   

Das Single-Dasein in Japan: 2016 - heute
Übersicht - Themen des Monats

 
       
   
 
   

Bitte beachten Sie:
single-generation.de ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Internetseiten

 
   
 
   

 [ Übersicht der Themen des Monats ] [ Rezensionen ] [ Homepage ]

 
   
 
   
© 2002-2019
Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt am: 13. Januar 2002
Update: 21. Januar 2019