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Kommentierte Bibliografie (Teil 6: 2017 -
2018)
2017
DAHLKAMP,
Siliva/HÜLSEN, Isabell/MÜLLER, Ann-Katrin/SEITH, Anne (2017):
Reden ist Geld.
Familie: In kaum einem
anderen EU-Land hält sich die klassische Rollenverteilung so
beharrlich wie in Deutschland: Er verdient das Geld, sie kümmert
sich um die Familie. Das ist gefährlich, für Männer und für
Frauen,
in:
Der Spiegel Nr. v.
14.01.
"Weil die Rentenansprüche
aus der Ehezeiten nur »abgeleitete Ansprüche« sind,
informiert die Rentenkasse in ihrer jährlichen
Renteninformation (...). nicht über die individuellen
Rentenerwartungen, die sich aus der Ehe ergeben" (2016,
S.89),
kritisiert Kristina
VAILLANT in dem Buch
Die verratenen Mütter. Wie die Rentenpolitik Frauen in die
Armut treibt. Es verwundert zudem, dass die
Journalistinnen zwar das 2014 erschienene Buch
Die verratene Generation von BYLOW & VAILLANT, aber
nicht das aktuelle Buch zitieren. Offenbar, weil dort die
Situation noch stärker dramatisiert wird:
"Rund die Hälfte der
westdeutschen Frauen der Jahrgänge 1962 bis 1966 wird einer
Studie zufolge mit einer Rente unter 600 Euro im Monat leben
müssen. Sie sind existenziell abhängig von ihrem Partner -
oder arm.",
wird uns erklärt. Wie kommt
diese Zahl zustande? Bei BYLOW & VAILLANT heißt es:
"Über sechseinhalb
Millionen Frauen sind heute zwischen 45 und 55 Jahre alt
(...). Etwa ein Drittel von ihnen, das sind über zwei
Millionen Frauen, werden voraussichtlich eine Rente von
maximal 600 Euro bekommen." (2014, S.60)
Die Autorinnen verweisen
dabei auf die schon 2012 erschienene Studie
Die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen im mittleren
Lebensalter von Barbara RIEDMÜLLER & Ulrike
SCHMALRECK, die in ihrer Studie die Geburtsjahrgänge 1962 bis
1966 untersucht haben. BYLOW & VAILLANT haben diese Zahlen
einfach auf die Jahrgänge 1958 bis 1968 übertragen. Wie, das
verschweigen sie uns. Was jedoch noch gravierender ist:
RIEDMÜLLER & SCHMALRECK differenzieren in ihrer Studie bei den
westdeutschen Babyboomerinnen zwischen 7 Lebensverläufen.
Daraus greifen sich sowohl VAILLANT als auch die
Spiegel-Journalistinnen nur jene wenigen heraus, die besonders
stark betroffen sind, gleichzeitig aber nur eine Minderheit
dieser Babyboomer-Frauen betrifft.
"Die »Bildungsstarke« mit
langen Ausbildungszeiten, hohem Qualifikationsniveau und
guter Arbeitsmarktintegration sowie die
»Langzeitarbeitslose« mit langen und häufigen Phasen der
Arbeitslosigkeit. Diese beiden Typen zählen unter der
Kohorte zu den kleinsten Gruppen mit einem Anteil von 6 bzw.
7%. Den quantitativ stärksten Typ mit 21% bildet die
Vollzeiterwerbstätige. (...). Neben der höheren
Erwerbsorientierung der Babyboomerinnen zeigt sich bei ihnen
ein Bedeutungsverlust an reinen Hausfrauenbiografien. Mit
einem Anteil von 19% sind unter den Babyboomerinnen weniger
Familienorientierte zu finden, als unter den älteren Frauen
(25%). Im Vergleich zu der älteren Kohorte hat sich der
Anteil der Zwei-Phasen Frauen unter den jüngeren Frauen fast
verdoppelt (von 9% auf 16%). Den siebten Biografietyp bildet
die Mischerwerbstätige. Jede neunte Babyboomerin gehört
diesem Cluster an (11%)"
(2012, S.39f.),
beschreiben RIEDMÜLLER&
SCHMALRECK die Biografie-Typen der Babyboomer-Frauenjahrgänge
1962-1966. Die Journalistinnen verfälschen also diesen Befund
dahingehend, dass sie den Typus Bildungsstarke zum Typus
Langzeitarbeitslos bzw. Hausfrauenbiografie stilisieren, indem
den Babyboomer-Frauen zum einen schlechte Arbeitsmarktchancen
und zum anderen lange Babypausen andichten, obwohl die Studie
andere Interpretationen nahe legt: Akademikerinnen gehören
überwiegend zu den Gewinnerinnen und nicht zu den
Verliererinnen.
Während uns die
westdeutschen Frauen als Problemfall beschrieben werden, heißt
es dagegen bei RIEDMÜLLER & SCHMALRECK, dass gerade den
ostdeutschen Frauen das größere Altersarmutsrisiko droht:
"Unter den hier
untersuchten Kohorten weisen die ostdeutschen
Babyboomerinnen die stärkste Arbeitsmarktorientierung auf.
Gleichzeitig sind sie dadurch stärker als die gleichaltrigen
westdeutschen Frauen von Arbeitslosigkeit betroffen und
damit auf Transfereinkommen angewiesen. Etwa jede sechste
Babyboomerin der neuen Länder zählt zum Typ der
Lang-zeitarbeitslosen. Sowohl das eigene Einkommen als auch
das bedarfsgewichtete Haushalts-einkommen dieser Frauen ist
alarmierend gering. So dass für diesen Typ ein erhöhtes
Armutsrisiko besteht."
(2012, S.56)
Die Studie, auf die sich
die Journalistinnen berufen, widerspricht sogar fundamental
der öffentlichen Debatte. Vor allem kinderlose Frauen der
Babyboomer sind bei der gesetzlichen Rente benachteiligt:
"Kinderreiche Frauen der
Geburtsjahrgänge 1947 bis 1951 erzielen 15,1 Rentenpunkte.
Der Wert für kinderlose Frauen liegt dagegen deutlich höher
bei 21,4 Entgeltpunkten. Bei den Babyboomerinnen erreichen
hingegen die Frauen mit drei und mehr Kindern trotz kürzere
Dauer der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung die
höchste Anzahl an persönlichen Entgeltpunkte (25,7) und
erzielen damit das höchste prognostizierte Renteneinkommen.
Dennoch würde dies aktuell einer geringen Rente von rund 700
Euro 20 entsprechen. Babyboomerinnen ohne Kinder erzielen
dagegen nur 22,2 Entgeltpunkte (610 Euro). Für die
Babyboomerinnen deuten die Daten daraufhin, dass die Anzahl
der Kinder sich rentensteigernd auswirkt."
(2012, S.62)
Dabei muss berücksichtigt
werden, dass durch die 2014 erhöhte Mütterrente sich die
Situation der Geburtsjahrgänge 1947 bis 1951 verbessert hat,
auch wenn sie immer noch nicht gleich gestellt sind. Die
durchschnittliche Rentenhöhe wird also nicht - wie uns
suggeriert wird, durch die Zahl der Kinder gedrückt, sondern
im Gegenteil durch die niedrigeren Renten der kinderlosen
Babyboomer-Frauen.
Nimmt man die Studie zum
Ausgangspunkt und nicht deren Falschdarstellung, dann zeigt
sich einmal mehr, wie Studien im Interesse der oberen
Mittelschicht missbraucht werden.
ASTHEIMER, Sven
(2017): Wer schuftet für die Babyboomer?
Migranten stellen die
Demographie auf den Kopf. Leichter wird es dadurch nicht,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 15.03.
Sven ASTHEIMER kommt
noch einmal auf den Demografiebericht der Bundesregierung zu sprechen, in dem
die Bevölkerungsvorausberechnungen der vergangenen Jahrzehnte
radikal infrage gestellt werden, weil sich sowohl die
Zuwanderung als auch die Geburtenrate nicht an die bisherigen
Annahmen der Bevölkerungswissenschaftler gehalten hat.
Auch
in der Welt war man aufgrund einer weniger
weitreichenden Aktualisierung der Bevölkerungsvorausberechnung
entsetzt, weil damit die neoliberale Argumentation zu
kollabieren droht. Auch ASTHEIMER versucht nun die neoliberale
Argumentation zu retten, indem er auf Unsicherheiten verweist.
Dies hätte bislang auch schon gegolten, interessierte
Neoliberale jedoch nie! Sie pochten lieber auf die
Alternativlosigkeit ihrer Horrorszenarien. Wie fadenscheinig
das ist, zeigt sich am Ende, wenn ASTHEIMER wieder die
Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung
fordert und damit droht, dass sonst die Elite auswandert.
Solche Drohungen kennen wir zuhauf von Konrad ADAM, ehemaliger
FAZler, der nun bei der AfD seine Keule schwingt!
PLICKERT, Philip (2017): Bremst die
Überalterung das Wirtschaftswachstum?
Ökonomen warnen vor
Stagnation - doch eine neue Studie sieht einen Ausweg durch
Automatisierung,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 18.04.
Philip
PLICKERT verspricht Aufklärung über die Sicht der Ökonomen auf
den demografischen Wandel, ein Thema, das die Welt
bereits am Samstag einseitig in dramatisierender Absicht
präsentiert hat.
"Bundesbankpräsident Jens
Waldmann hat vor einiger Zeit den Satz des Demographen
Herwig Birg zitiert, die Gesellschaft gleiche immer mehr
einem Ruderboot mit einer schrumpfenden Zahl an Ruderern und
immer mehr Passagieren. Viele langfristige Prognosen gehen
von künftig weniger Wachstum aus, weil die demographische
Basis ungünstiger wird."
Schon die
Ruderboot-Metapher ist mehr als albern. Seit wann sind das
Passagierschiffe? Richtiger wäre es von einer Galeere zu
sprechen, denn bei der Demografisierung gesellschaftlicher
Probleme geht es um Krieg und Ausbeutung.
"(Das) Schlagwort
»säkulare Stagnation« (ist) schon fast 70 Jahre alt. Geprägt
hat es der Keynesianer Alvin Hansen 1938 in seiner Rede als
Präsident der American Economic Association (AEA)",
erklärt uns PLICKERT die
Begriffsherkunft. Bekanntlich ist der Keynesianismus das
Gegenteil vom Neoliberalismus, was nicht verhindern konnte,
dass das Schlagwort die Seiten gewechselt hat.
"In den kommenden Jahren
gehen die Babyboomer in Rente. Das könnte die Wirtschaft
ausbremsen, so die Pessimisten. Doch eine
neue Studie des MIT-Ökonomen Daron Acemoglu und seines
Kollegen Pascual Restrepo von der Boston University stellt
diese These radikal in Zweifel. Die empirischen Daten aus
einer großen Zahl von Ländern zeigten überhaupt keinen
Zusammenhang zwischen Alterung und Wirtschaftswachstum pro
Kopf",
erklärt uns PLICKERT die
optimistische Sicht auf den demografischen Wandel. Als Ursache
wird die Kompensation des demografischen Wandels durch die
Automatisierung genannt. Zum Schluss revidiert PLICKERT diese
Sicht wieder durch eine andere Studie:
"Eine
2016 veröffentlichte Studie von Nicole Maestas (Harvard
Medical School) sowie Kathleen Mullen und David Powell
(beide Rand Corporation) kam zu einem anderen Ergebnis."
Im Gegensatz zur Welt
kann sich hier der Leser ein eigenes Bild machen, denn was die
Auswirkungen betrifft, wird der demografische Wandel gerne
ideologisch vereinnahmt.
FICHTER,
Alina (2017): Die Alten kommen.
Silicon Valley: Das Silicon
Valley sortierte bislang ältere Mitarbeiter aus. Das könnte sich
nun ändern. Denn Start-ups entdecken die Generation der
Babyboomer als neue Kunden für technische Produkte,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
19.04.
MÜLLENDER, Bernd (2017): Mitten unter
uns.
Reportage: Die Stadt Aachen
veranstaltet Trauerfeiern für vereinsamt Verstorbene: ohne
Familie, ohne Angehörige, manche auch ohne Freunde - aber mit
einem letzten Würdevollen Gedenken,
in:
TAZ v. 03.05.
MARTELL, Conrad Lluis (2017): Ein Job
ist ein Job.
Spanien: Wer unter 35 Jahre
alt ist, lebt häufig in prekären Verhältnissen und muss mit
einem 800-Euro-Gehalt glücklich und zufrieden sein,
in:
Freitag v. 04.05.
Conrad
Lluis MARTELL hält sich nicht lange mit den "wirklich Armen"
in Spanien auf, sondern widmet sich den Klagen der jungen
Erwachsenen in der Mittelschicht, deren
Lebensstilvorstellungen mit jenen unserer Akademikerjugend in
Deutschland identisch ist. Und wie in Deutschland wird ein
Generationenkrieg inszeniert:
"Als die Blase platzte
und die Krise einsetzte, waren die großen Leidtragenden
nicht die Babyboomer (die heute 50- bis 70-Jährigen), die
das überkommende Modell mitverantwortet und davon profitiert
hatten, sondern ihre Söhne und Töchter."
SCHREIBER, Birgit
(2017): Und
was kommt nun?
Die starken Frauen der Babyboomer-Generation gehen in
Rente. Sie haben die Frauenbewegung mitgetragen, neue
Beziehungs- und Familienrollen gelebt, waren selbstverständlich
berufstätig - werden sie auch das Alter revolutionieren?
in:
Psychologie Heute, Juni
GREIVE, Martin & Peter THELEN
(2017): Die Rente ist sicher - bis 2030.
Mit einem milliardenschweren
Reformkonzept für die Rente will SPD-Kanzlerkandidat Martin
Schulz seine Partei aus dem Umfragetief vor der Bundestagswahl
führen,
in:
Handelsblatt v. 08.06.
Erstaunlich ist, dass uns
nun verkündet wird, dass die Babyboomer erst ab 2028 in Rente
gehen. Noch vor rund einem Jahrzehnt hieß es allenthalben,
dass der Kollaps des Rentensystems bald bevorstehe, weil die
Babyboomer spätestens 2020 in Rente gehen. Offenbar können
sich die Babyboomer-Rentner in Luft auflösen.
"Ab 2010 gehen die
Babyboomer in Rente, und spätestens 2020, wahrscheinlich
aber schon früher, werden die Rentenbeiträge deutlich über
20 Prozent steigen. Da die Älteren nicht nur zahlreicher
werden, sondern auch länger leben und im hohen Alter immer
besser medizinisch versorgt werden, steigen die Beiträge für
Krankenkassen und Pflegeversicherung. Die Beitragsquote wird
50 Prozent übersteigen - ein Wert, der jeden Arbeitsmarkt
austrocknen lässt",
verkündete uns z.B. Michael
FABRICIUS noch
im Juli 2009 in der Welt am Sonntag.
KAUFMANN, Stephan (2017): Die Kinder
der Krise.
Die Generation Y, auch
Millennials genannt, leidet unter einem hohen Maß an
wirtschaftlicher Unsicherheit. Angst vor dem Verlust des
Arbeitsplatzes, vor Altersarmut sowie Krieg und Terror bestimmt
ihre Gedankenwelt,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 01.07.
Stephan
KAUFMANN (Artikel in der Berliner Zeitung
hier) mixt die Situation in Frankreich, USA und
Großbritannien zu einem globalen Generationen-Cocktail
zusammen:
"Man nennt sie Generation
Y oder Millennials - jene, die zwischen 1980 und der
Jahrtausendwende geboren wurden. Ihr Arbeitsleben und ihre
Finanzen unterscheiden sich deutlich von vorangegangenen
Generationen. Ihnen hat der Internationale Währungsfonds
(IWF) eine eigene Analyse gewidmet. »Millennials in den
entwickelten Industriestaaten begannen ihr Berufsleben
während des schlimmsten globalen Abschwungs seit der Großen
Depression«, so der IWF. Und sie haben mit einer ganzen
Reihe von Risiken zu kämpfen: unsichere Einkommen, unsichere
Jobs, unsichere Altersvorsorge. Unsicheres Leben."
Tatsächlich handelt es sich
bei der Analyse um den Artikel
Playing Catch-up von Lisa DETTLING & Joanne W. HSU in
der Zeitschrift Finance & Development, Ausgabe Juni
2017, die vom IWF herausgegeben wird. Das Themenheft widmet
sich den
Millennials and the Future of Work. Darin befinden
sich auch andere zitierte Autoren wie Nagwa RIAD und Arun
SUNDARARAJAN Die Untersuchung von DETTLING & HSU bezieht sich
nicht auf die Generation Y in den Industriestaaten, sondern
nur auf die USA. KAUFMANN jedoch suggeriert dagegen, dass die
Situation hierzulande gleich sei:
"Im Durchschnitt hat die
Generation Y in den entwickelten Ökonomien ein 40 Prozent
geringeres Vermögen als die Baby Boomer oder die Generation
X zu ihrer Zeit, errechnet der IWF. Ein Grund dafür sei,
dass die jungen Menschen heute seltener Immobilien erwerben
können als früher. Gleichzeitig kommen auf sie höhere Kosten
für Bildung zu, insbesondere in Ländern wie den Vereinigten
Staaten. Als Folge »starten Millennials ihr Berufsleben mit
wesentlich höheren Schulden als junge Erwachsene früherer
Generationen«, stellt der IWF fest. Das verschärft ein
weiteres Problem der Jungen: die Sicherung des Alters. »Die
Renten-Landschaft hat sich dramatisch geändert, seit die in
den Sechzigern Geborenen ihr Berufsleben begannen«, so der
Fonds. Die meisten Staaten hätten die Rentenleistungen
gekürzt. Folge: drohende Altersarmut."
Dagegen heißt es bei
DETTLING & HSU hinsichtlich der USA:
"Millennials, Gen Xers,
and baby boomers all experienced the economic turmoil of the
Great Recession. But because each cohort was at a different
stage, the recession affected each differently. Compared
with the two previous generations, millennials had fewer
assets and thus lower exposure to financial losses during
the crisis (...). And after the Great Recession, millennials
and Gen Xers began accumulating wealth again, while baby
boomer net worth has stalled. Although millennials have less
wealth than their baby boomer parents at the same age, the
median millennial’s net worth increased more than 40 percent
between 2010 and 2013, and they still have much of their
working lives ahead to recover further and continue to
accumulate wealth. If millennials do eventually decide to
buy homes or put away a nest egg for retirement, they may
have the chance to begin when markets are on an upward
trajectory, allowing them to reap the gains of future
economic growth."
Während KAUFMANN
Pessimismus hineinschreibt, sehen DETTLING & HSU dagegen die
zukünftigen Chancen. Eine Einordnung von Stefan SELL findet
sich
hier.
ARAB,
Adrian
(2017): Rente? Echt jetzt?
Ich bin erst 20 und soll
schon fürs Alter vorsorgen. Weil die Rente nicht mehr sicher
ist. Wieso haben wir so etwas nicht in der Schule gelernt? In
die Unterrichtspläne gehört mehr Wirtschaft,
in: Welt
v. 22.07.
Adrian ARAB hält Beamte für
weltfremd. Da fragt man sich höchstens, warum er dann dem
Beamten Bernd RAFFELHÜSCHEN nachplappert? Wer über das
Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern schreibt,
sollte sich vorher über die Fakten informieren und nicht
Vorurteile in die Welt setzen:
"die Babyboomer, haben
weniger Kinder geboren, als seinerzeit ihre Eltern. Daher
müssen schon heute immer weniger Arbeitnehmer immer mehr
Rentner finanzieren",
meint der 20-jährige
Volontär.
Das Verhältnis lag 2010 bei 1,81 und 2015 bei 1,92. In
diesen Zahlen des Nachhaltigkeitsfaktors wird das
Verhältnis exakter abgebildet als im Altenquotient, der
für das Rentensystem - im Gegensatz zur Arbeitsmarktlage und
der sozialpolitischen Gesetzgebung - eine geringere Bedeutung
hat als ihm in den Medien gerne zugeschrieben wird.
Ausgewiesen wird dieses
Verhältnis erst seit dem Jahr 2003. Würde man die Angabe
dieses Faktors bis ins Jahr 1957 als Pflichtangabe einführen,
dann wäre eine Beurteilung der Entwicklung des demografischen
Faktors für die Rentenversicherung für alle ersichtlich. Da
dies nicht geschieht, kann jeder Dahergelaufene Unsinn über
die Bedeutung des Altenquotienten für die Rentenversicherung
erzählen.
Fazit: Vor der Einführung
eines Schulfachs Wirtschaft, das nur die Interessen des
Finanzkapitalismus im Auge hat, wäre die politische Bildung
mit einer Aufklärung über die Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme und deren fatalen Folgen
hinsichtlich der Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft
notwendig!
ENZ, Werner (2017): Die AHV gerät bald in
Schieflage.
Die Rentenreform 2020
verursacht mittelfristig hohe Zusatzkosten vor allem für die
Jungen - ein Faktencheck,
in:
Neue Zürcher Zeitung
v. 14.08.
"Bekanntlich lässt sich
die Ausgabenseite ziemlich genau schätzen, weil die
Anspruchsberechtigten in der Zahl und mit Jahrgang bekannt
sind. Die Babyboomer werden in den späten zwanziger Jahren
gehäuft in Rente gehen, was den Quotienten zwischen Aktiven
und Rentenbezügern schnell verschlechtern wird",
erklärt uns Werner ENZ. In
Deutschland sollen die Babyboomer dagegen schon Anfang der
20er Jahre das Rentensystem belasten, obwohl doch das
Renteneintrittsalter in Deutschland höher liegt. Zudem ist
auch in der Schweiz der Jahrgang 1964 mit 112.890 Geburten der
geburtenstärkste Jahrgang.
Betrachtet man die
Babyboomer als jene Jahrgänge mit mehr als 99.000 Geburten pro
Jahr, dann wären dies die Geburtsjahrgänge 1961 - 1970. Im
Jahr 1960 waren es 94.372 Lebendgeborene und 1971 nur noch
96.261. Daraus folgt, dass die Babyboomer bereits jetzt das
Alterssicherungssystem der Schweiz belasten und nicht erst in
10 Jahren.
Bekanntlich lassen jedoch
Neoliberale auch jene Faktoren weg, die nichts mit der
Demografie zu tun haben und die dennoch entscheidend die
Entwicklung der Alterssicherung prägen, was in Deutschland
besonders deutlich wird.
HOFFMANN, Catherine (2017): Merkels Nein.
Rente mit 70 - das ist im
Wahlkampf kein Hit. Also ist Angela Merkel dagegen. Kommen wird
sie aber, nur später,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
06.09.
Wann die Babyboomer in Rente
gehen, das liegt im Belieben der Medien, die uns ständig neue
Zahlen präsentieren. Für die einen gehen die Babyboomer schon
heute in Rente, für die nächsten zwischen 2020 und 2030, für
HOFFMANN gehen sie nun sogar zwischen 2030 und 2040 in Rente und
das bei einem Babyboom, der in kaum einem Industriestaat
mickriger ausgefallen ist als in Deutschland. Bereits diese
Uneinigkeit zeigt, dass die Demografie als Ideologie dient, die
je nach Belieben argumentativ eingesetzt werden kann. Es wundert
deshalb kaum, dass die Glaubwürdigkeit der Mainstreammedien im
freien Fall ist.
GAUTO,
Anna/HEIDE, Dana/RICKENS, Christian/STRATMANN, Klaus (2017):
Wünsch dir was!
Beim TV-Duell präsentierten
sich Kanzlerin Merkel und Herausforderer Martin Schulz als
Vertreter der Generation Stillstand. Höchste Zeit, dass die
Jugend mit einer eigenen Reformagenda für eine andere Zukunft
kämpft,
in:
Handelsblatt v. 08.09.
Welche Jugend kämpft da?
Alte neoliberale Säcke! Christian RICKENS (Jahrgang 1971),
Klaus STRATMANN (Jahrgang 1964), Anna GAUTO (Jahrgang 1980).
Wen wundert es da, dass Alte Säcke vorwiegend Alte Säcke
zitieren? Die Babyboomer besetzen inzwischen die Schaltstellen
in Medien, Wissenschaft und Politik. Jugend, das war einmal
die Postadoleszenz unter 25 Jahren. Die hatten aber noch nie
viel zu melden im Medienmainstream.
"Es ist unmöglich, über
die drohende Diktatur der Grauen in Deutschland zu sprechen,
ohne sich an jener Generation abzuarbeiten, die zwischen
1945 und 1965 zur Welt gekommen ist, in den kinderreichen
Jahren, bevor der Pillenknick die Geburtenrate einbrechen
ließ. Die sogenannten Babyboomer sind viele",
erzählen uns die Alten
Säcke. Schon die Definition der Babyboomer als 1945 - 1965
Geborene mutet sehr merkwürdig an: Im Jahr 1946 wurden in
Deutschland nur 921.677 Kinder geboren. Im Jahr 1971 waren es
dagegen 1.013.396 Lebendgeborene. Wenn man also die 1946
Geborenen zu den Babyboomern zählt, dann gehört dazu auch noch
der Jahrgang RICKENS! Warum sprechen die Autoren also von den
Babyboomern als ob sie nicht dazugehören würden? Es entbehrt
nicht einer gewissen Schizophrenie wenn die Babyboomer
angeklagt werden, aber die eigene Rolle dabei ausgeblendet
wird. Hinzu kommt, dass Geburtenboom und Geburtenrate zwei
Phänomene sind, die nur bedingt etwas miteinander zu tun
haben, denn der Babyboom war zu einem großen Teil dem
Nachholen von Kindern durch die Kriegsgeneration geschuldet.
Und noch etwas: In keinem anderen Industrieland war der
Geburtenboom mickriger als in Deutschland, was im
Umkehrschluss bedeutet, dass auch die Probleme hierzulande
geringer sind als anderswo, z.B. Japan mit seinem gewaltigen
Geburtencrash. Aus diesem Grund altert Deutschland wesentlich
langsamer als Japan.
Im Jahr 2050 fällt Deutschland vom heutigen Rang 2 auf 19
zurück, während Japan dann immer noch Platz 1 einnimmt. 18
Länder altern dann schneller als Deutschland. Wieso ist dies
kein Thema? Ganz einfach: gute Nachrichten sind schlechte
Nachrichten für Neoliberale!
Der Babyboomer Clemens
FUEST (Jahrgang 1968) fordert eine Agenda 2025. Eine Studie
hat gerade ergeben, dass Clemens FUEST eine miserable
Reputation als Forscher besitzt (11 Punkte von 500
möglichen!), währenddessen er von deutschen Medien und Politik
maximal möglichst hofiert wird. Der Soziologe Oliver NACHTWEY
("Die Abstiegsgesellschaft") sieht die Jugend sich in Richtung
Sozialismus bewegen. Der "Jung"unternehmerlobbyist Hubertus
PORSCHEN polemisiert gegen die Rentnerrepublik und Wolfgang
GRÜNDINGER ("Alte-Säcke-Politik") fordert Kinder an die Urnen!
Innovativ ist nichts davon.
SCHWEIZER
MONAT-Sonderdruck:
Bye- bye, Babyboomers.
Der
abstrakte demographische Wandel und seine ganz konkreten
Auswirkungen |
GRÜNENFELDER, Peter & Daniel
MÜLLER-JENTSCH (2017): Es wird ernst mit dem demographischen
Wandel!
Die grosse
Pensionierungswelle der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge
zwischen 1945 und 1964 hat begonnen. Mit der Verabschiedung der
Babyboomer aus dem aktiven Arbeitsleben tritt der
gesellschaftliche Alterungsprozess in seine entscheidende Phase,
in:
Schweizer Monat, Sonderdruck Juni
"Bevor die sich daraus
ergebenden Folgen und Probleme beschrieben werden, sollte
zwischen zwei verschiedenen Abgrenzungen der Babyboomerjahrgänge
unterschieden werden. Gemäss gängiger Definitionen zählen zu den
Babyboomern die Geburtsjahrgänge 1945 (Ende des Zweiten
Weltkriegs) bis 1964 (als der Höchststand der Geburten erreicht
wurde und der Pillenknick einsetzte).
Eine sinnvollere (wenn auch unübliche) Abgrenzung der
Babyboomergeneration wären die zehn geburtenstarken Jahrgänge
vor und nach dem Pillenknick (1961–1971). (...). Besonders
heikel wird es aus gesellschaftlicher Sicht, wenn diese
Jahrgänge das Rentenalter erreichen bzw. ein Alter, in dem viele
pflegebedürftig werden (ca. 80 Jahre)" (2017, S.4),
begründen Peter GRÜNFELDER &
Daniel MÜLLER-JENTSCH ihre abweichende Definition der
Babyboomer-Generation in der Schweiz mit dem
Abgrenzungskriterium Kohortenstärke. Im Beitrag wird jedoch in
erster Linie trotzdem die gängige Babyboomer-Definition benutzt,
die von der Kriegsgeneration (1925 - 1945) und den Nachfolgern
der Generation X (1965 - 1980), Generation Y (1981 - 1999) und
Millianials (ab 2000) abgegrenzt wird.
Das Bundesamt für Statistik (BfS)
hat für die Jahre 1940 bis 1975 folgende Zahlen zu
Lebendgeborenen und Geburtenrate ermittelt:
Tabelle:
Anzahl der Lebendgeborenen und Geburtenrate in der
Schweiz
1940 - 1975 |
Jahr |
Anzahl
Lebendgeborene |
Geburtenrate (TFR) |
Notwendige
Geburtenrate
zum Elternersatz |
1940 |
64.115 |
1,82 |
2,26 |
1941 |
71.926 |
2,05 |
2,24 |
1942 |
78.875 |
2,27 |
2,23 |
1943 |
83.049 |
2,40 |
2,23 |
1944 |
85.627 |
2,50 |
2,24 |
1945 |
88.522 |
2,60 |
2,23 |
1946 |
89.126 |
2,62 |
2,23 |
1947 |
87.724 |
2,56 |
2,21 |
1948 |
87.763 |
2,54 |
2,19 |
1949 |
85.308 |
2,44 |
2,18 |
1950 |
84.776 |
2,40 |
2,16 |
1951 |
81.903 |
2,30 |
2,16 |
1952 |
83.549 |
2,32 |
2,15 |
1953 |
83.029 |
2,29 |
2,15 |
1954 |
83.741 |
2,28 |
2,14 |
1955 |
85.331 |
2,30 |
2,14 |
1956 |
87.912 |
2,35 |
2,13 |
1957 |
90.823 |
2,41 |
2,13 |
1958 |
91.421 |
2,40 |
2,12 |
1959 |
92.973 |
2,42 |
2,12 |
1960 |
94.372 |
2,44 |
2,12 |
1961 |
99.238 |
2,53 |
2,12 |
1962 |
104.322 |
2,60 |
2,12 |
1963 |
109.993 |
2,67 |
2,12 |
1964 |
112.890 |
2,68 |
2,11 |
1965 |
111.835 |
2,61 |
2,11 |
1966 |
109.738 |
2,52 |
2,11 |
1967 |
107.417 |
2,41 |
2,11 |
1968 |
105.130 |
2,30 |
2,11 |
1969 |
102.520 |
2,19 |
2,11 |
1970 |
99.216 |
2,10 |
2,10 |
1971 |
96.261 |
2,04 |
2,10 |
1972 |
91.342 |
1,91 |
2,10 |
1973 |
87.518 |
1,81 |
2,10 |
1974 |
84.507 |
1,73 |
2,09 |
1975 |
78.464 |
1,61 |
2,09 |
|
Quelle:
Bundesamt für Statistik (BfS), Tabellen zur
Fruchtbarkeit:
Zusammengefasste Geburtenziffern (Stand 28.09.2017),
Lebendgeborene aus
Natürliche Bevölkerungsbewegung 1871-2015 |
Das Bundesamt für Statistik
der Schweiz gibt statt der Nettoreproduktionsrate jene
Geburtenrate an, die für den Generationenerhalt notwendig ist.
Dies wird auch als Bestandserhaltungszahl bezeichnet. Von 1942
bis 1970 waren die zusammengefassten Geburtenziffern in der
Schweiz
bestandserhaltend.
Definiert man die Jahrgänge
1945 bis 1964 als Babyboomer, dann ist ein Geburtenanstieg keine
notwendige Bedingung für die Zugehörigkeit. Auch eine bestimmte
Kohortenstärke ist keine notwendige Bedingung, denn sonst
müssten zumindest die Jahrgänge 1965 bis 1969 dazu gehören. Auch
das Bestandserhaltungskriterium ist nicht entscheidend.
Der Vorschlag von GRÜNFELDER
& MÜLLER-JENTSCH zielt dagegen auf die Kohortenstärke ab. Die
Jahrgänge 1961 bis 1971umfassen jeweils mehr als 95.000
Geburten. Man könnte die Grenze auch bei 90.000 Lebendgeburten
ziehen, dann wären die Babyboomer die Jahrgänge 1957 - 1972. In
gewisser Weise sind diese Abgrenzungen willkürlich und werden
auch nicht wissenschaftlich begründet.
Die
Allianz-Studie aus dem Jahr 2014 zählt die Jahrgänge 1946
bis 1968 zu den Babyboomern. Auch diese Abgrenzung lässt nicht
wirklich eine nachvollziehbare Systematik erkennen. Weder die
Kohortenstärken noch die Entwicklung der Geburtenraten
rechtfertigen die Abgrenzung.
Im Vereinigten Königreich wird von zwei Babyboom-Generationen
gesprochen, weil der Babyboom zwei Gipfel aufweist. Auch in
der Schweiz wäre diese Sichtweise möglich, denn 1946 gab es
einen ersten Höchstwert, der nur knapp unter demjenigen von 1964
liegt.
EILFORT, Michael (2017): Bonbons für Ältere, bittere Pillen für
die Zukunft?
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 14.09.
Der neoliberale
Arbeitgeberlobbyist Michael EILFORT phantasiert von einem
Rentenwahlkampf. "Alle nach 1966 Geborenen" werden von ihm zu
den Verlierern stilisiert, obwohl diese erst nach 2033 in Rente
gehen werden, falls nicht seine Gesinnungsgenossen dafür sorgen
werden, dass dies erst mit 2036 geschieht. Verlierer werden ganz
sicher nicht Geburtsjahrgänge sein, sondern die Armen unter den
Jungen, die die Zeche für die Reichen zahlen werden, deren
Anwalt EILFORT ist. In 15 Jahren werden sich die 1966 Geborenen
als Ältere beschimpfen lassen müssen, weil sie die Bonbons
kassieren. Man kann diese neoliberale Leier weiter schreiben bis
in alle Ewigkeiten - falls dann vom heutigen
Alterssicherungssystem überhaupt noch etwas übrig ist!
SCHMERGAL, Cornelia u.a. (2017): Sicherheit und Wut.
Die nächste Regierung steht
vor großen Herausforderungen: für bessere Schulden und
Universitäten, bei dem digitalen Umbau der Wirtschaft und der
Reform Europas,
in:
Spiegel Nr.38 v.
16.09.
Der Spiegel
verkündet uns das übliche neoliberale Programm. Zum
demografischen Wandel fallen ihnen deshalb die immer gleichen
dummen Klischees ein:
"Alternde Gesellschaften
gelten als weniger innovativ und risikofreudig. Ihre
Sozialsysteme ächzen, weil die jungen Beitrags. In
Deutschland wird es ab 2025 ernst, wenn die Babyboomer in
den Ruhestand gehen und die Pillenknick-Generationen für
deren Rente aufkommen müssen",
behaupten die Spiegel-Autoren.
Die Babyboomer werden hier nicht wie üblich als
"geburtenstarke Jahrgänge" definiert, sondern im Zusammenhang
mit der "Pillenknick-Generation". Die Grafik zur
Altersverteilung im Jahr 2030 aber zeigt etwas ganz anderes:
Die Pillenknick-Generation der 50- bis 60-Jährigen wird
gefolgt von einem Erwerbstätigenberg der 40- bis 50-Jährigen.
Zudem verschweigt der Spiegel, welcher Variante der
Bevölkerungsvorausberechnung die Grafik entspricht. Seriös ist
eine solche Berichterstattung nicht, sondern demagogisch.
Schließlich vernachlässigen alle bislang veröffentlichten
Bevölkerungsvorausberechnungen den Geburtenanstieg der letzten
Jahre.
Fazit: Die
"Babyboomer-Generation" ist eine neoliberale Fiktion, die sich
im Laufe der letzten Jahrzehnte ständig gewandelt hat - immer
angepasst an die aktuellen Bevölkerungsvorausberechnungen:
"Die vielen Zuwanderer,
die in den vergangenen Jahren nach Deutschland drängten,
haben zwar das große Schrumpfen gemildert. Doch die
Bevölkerung altert weiter",
heißt die aktuelle Devise.
Wir warten also besser auf die nächste und übernächste Devise,
denn die Bevölkerungsvorausberechnungen altern noch schneller
als die deutsche Bevölkerung. Im internationalen Vergleich
altert Deutschland weniger stark als andere Länder.
Was heute noch als das "junge Europa" gilt, wird 2050 das
wahrhaft "alte Europa" sein!
ARNETT,
George & Dorothea SIEMS (2017): Zeit läuft für die Senioren.
Wählerschaft altert rasant -
und die Parteien reagieren. In ihren Programmen bedienen sie vor
allem die Generation 50 plus. Allerdings tragen die jungen
Wähler eine Mitschuld an ihrer politischen Vernachlässigung,
in:
Welt v. 16.09.
Am Anfang steht der vom
Beamten Roman HERZOG geprägte Begriff "Rentnerdemokratie", den
Neoliberale gerne aufgreifen, obwohl sie ansonsten mit Beamten
nichts zu tun haben wollen. Es herrscht also geradezu eine
neoliberale Doppelmoral, wenn einerseits Beamte verteufelt
werden, nur um andererseits auf deren Expertise umso williger
zurückzugreifen!
Diesmal werden
"Demografieexperten" statt "Rentenexperten" zitiert. Wer aber
keine Namen nennen kann, der sollte schweigen. Alles andere
ist unseriös!
Dreist ist es zudem wie im
Laufe des Artikels die gegenübergestellten Bevölkerungsgruppen
wechseln, um das Ausmaß der angeblichen Verzerrung des
Wählerwillens dramatisieren zu können.
Die Babyboomer-Generation
wird als Kohorte der 1955 bis 1969 Geborenen definiert. 1955
wurden 1.113.408 Kinder geboren, 1969 waren es 1.142.366.
Diese Abgrenzung hat etwas Willkürliches. Sie könnte genauso
gut bei 1947 (1.028.656) bis 1971 (1.013.396) liegen, und
damit alle Jahrgänge umfassen, in denen mehr als 1 Million
Kinder geboren wurden. Dann aber könnte man nicht mehr davon
sprechen, dass die Babyboomer erst noch in Rente gehen,
sondern dann wären wir bereits mitten im "Rentnerberg"
angekommen. Das aber würde dann die Frage aufwerfen, warum
unser Alterssicherungssystem nicht längst kollabiert ist.
Werden uns von ARNETT &
SIEMS erst die unter-30-Jährigen als bedrohtes Wählerpotenzial
präsentiert, so sind es auf einmal die 18- bis 34-Jährigen und
zuletzt geht es dann nur noch um die "Milliennials", die "um
die Jahrtausendwende herum aufwuchsen". Die Altersgrenzen der
"Rentnerdemokratie" werden im Gegenzug immer weiter
herabgesetzt: Erst sind die über-60-Jährigen die Übeltäter,
dann bereits die über-50-Jährigen. Bald werden bei der Welt
schon die über-40-Jährigen zu den Greisen gezählt werden! Das
steht im krassen Gegensatz dazu, dass die Rentner in immer
höheren Lebensaltern als erwerbsarbeitsfähig erklärt werden.
"Gekippt ist die
Alterspyramide (...) in etlichen Regionen Ostdeutschlands.
Besonders ausgeprägt ist die Dominanz der Rentner im
Wahlkreis Chemnitzer Umland - Erzgebirgskreis II. (...).
Auch in Görlitz und im Vogtlandkreis ist die Alterung weit
fortgeschritten. Und für etliche Wahlkreise in Thüringen,
Brandenburg und Sachsen-Anhalt gilt das Gleiche",
erklären uns ARNETT & SIEMS.
Ein Argument gegen Schwarz-Gelb präsentieren uns die
neoliberalen Autoren wohl eher unabsichtig:
"Die FDP, die 2013 knapp
an der Fünf Prozent-Hürde gescheitert war, hat von allen
Parteien die ältesten Anhänger. Sie sind durchschnittlich
54,3 Jahre alt."
Viele Ältere dürften nicht
traurig sein, wenn die Klientelpartei FDP nicht wieder in den
Bundestag käme, denn im Gegensatz zu diesem
altersrassistischen Artikel sind die älteren Menschen keine
homogene Gruppe mit identischen Interessen, sondern keine
Altersgruppe ist heterogener. Und Diversität ist bekanntlich
das genaue Gegenteil von dem was die Autoren den älteren
Menschen unterstellen!
SCHLOEMAN Johan (2017): Kümmern ist Liebe, Geld ist die Norm.
Ein neues Debattenbuch
beschreibt den wachsenden "tiefen Riss" zwischen Eltern und
Kinderlosen in Deutschland,
in:
Süddeutsche
Zeitung v. 18.09.
Johan SCHLOEMAN spielt
Kinderlose und Eltern gegeneinander aus. Dazu rezensiert er
das Buch Der
tiefe Riss der Journalistinnen Susanne GARSOFFSKY &
Britta SEMBACH:
"Garsoffky und Sembach
beobachten, dass jener »tiefe Riss« mit der zunehmenden
Vergreisung der deutschen Gesellschaft größer wird",
erklärt uns SCHLOEMAN.
Schon der Begriff Vergreisung ist diffamierend und es ist
nicht klar, ob der Begriff den Autorinnen nur zugeschrieben
wird oder von diesen verwendet wird. Die "Vergreisung" ist
eine spezielle Sicht auf den demografischen Wandel - und zwar
eine negative. Nicht jeder wird dem zustimmen. Auf dieser
Website wird der Begriff Gesellschaft der Langlebigen verwendet, der das Phänomen
korrekter bezeichnet. Ein Kapitel des Buchs heißt Niedrige
Geburtenraten akzeptieren. Daraus strickt SCHLOEMAN ein
Szenario "böser Verteilungskonflikte":
"Denn es gibt ja ein
strukturelles Problem, das kann man nicht wegreden, wenn man
die zweitälteste Bevölkerung der Welt hat. Wir sind im
Durchschnitt schon 44,1 Jahre alt. Älter sind die Menschen
nur noch in Japan".
Bereits diese Aussagen sind
ein Symptom der Debatte, denn die Bevölkerungsalterung
schreitet - im Gegensatz zu Japan - nicht voran, sondern die
Bevölkerung in Deutschland wird in Zukunft weniger stark
altern als viele andere Staaten.
Während nämlich Japan bis 2050 weiterhin Platz 1 innehat, wird
Deutschland von 18 Ländern überholt werden. Der
demografische Wandel wird also enorm dramatisiert! Aber in der
Greisenzeitung liest man darüber nichts!
Die
Leseprobe zum Buch verheißt nichts Gutes, denn es wird
nicht etwa versucht zwischen den Interessensparteien zu
vermitteln, sondern stattdessen werden jene Horrorszenarien
skizziert, die geradezu den Verteilungskampf zwischen Eltern
und Kinderlosen beschwören. Statt abzurüsten, wird
aufgerüstet. So heißt es z.B.:
"Laut dem Bundesinstitut
für Bevölkerungsforschung (BiB) sind 20 Prozent der zwischen
1963 und 1967 geborenen Frauen kinderlos, bei den Jahrgängen
1968 bis 1972 lag der Wert im Jahr 2012, als diese Frauen 40
bis 44 Jahre alt waren, bereits bei 22 Prozent. Betrachtet
man nur den Jahrgang von 1972 blieb hier sogar jede vierte
Frau (24,7 Prozent) kinderlos."
Es wird also suggeriert,
dass die Kinderlosigkeit in Deutschland weiter zunimmt. Ein
Vergleich der Mikrozensen 2008, 2012 und 2016 (Kinderlosigkeit,
Geburten und Familien 2017, Tabelle 1.4, S.38) zeigt
für die 40- bis 44-Jährigen, dass der Anteil 2008 bei 20
Prozent lag, 2012 bei 22 Prozent und 2016 bei 21 Prozent.
"In zehn bis fünfzehn
Jahren, wenn die »Babyboomer« in Rente gehen, werden immer
mehr Menschen die selber keine Kinder haben, eine von der
dann erwerbstätigen Generation zu bezahlende gesetzliche
Altersrente beziehen",
heißt es an anderer Stelle.
Die ersten Babyboomer sind bereits jetzt in Rente gegangen.
Und warum ziehen die Autorinnen die Front zwischen Kinderlosen
und Eltern und nicht z.B. zwischen Eltern mit nur einem Kind
und jenen mit zwei und mehr Kindern? Diese Frontstellung wäre
- der polarisierenden Argumentation folgend - plausibler, weil
nach der kruden Generationenvertragsthese - ja auch die Eltern
mit nur einem Kind den angeblichen Generationenvertrag (in
Wahrheit ist es ein Gesellschaftsvertrag) nicht erfüllen.
Fazit: Mit ihrem
polarisierenden Pamphlet werden die Autorinnen ihr angebliches
Ziel verfehlen und die Debatte lediglich noch stärker
anheizen!
ÖCHSNER, Thomas (2017): Raus aus der Altersarmut.
Rente: Die Solidarrente wird
gerade denjenigen, die am meisten gefährdet sind, kaum helfen,
in:
Süddeutsche
Zeitung v. 22.09.
"Die Generation der
Babyboomer geht bald in Rente, aber ein neuer Babyboom wird
in Deutschland ausbleiben",
meint ÖCHSNER. Man wird
sehen, ob das stimmt. Die Statistiker haben jedenfalls
erfolgreich alle Zahlen zur Geburtenentwicklung 2016 aus dem
Wahlkampf herausgehalten. Davon abgesehen werden die
Amtsstatistiker erst dann von einem Babyboom sprechen, wenn es
schon alle Spatzen von den Dächern pfeifen. Die
Amtsstatistiker waren bekanntlich nicht einmal Anfang der
1960er Jahre in der Lage zu erkennen, dass sie sich mitten im
Babyboom befanden. Erst als er bereits zu Ende war wurde er
damals bei Bevölkerungsvorausberechnungen in Rechnung
gestellt, mit der Folge, dass diese voll daneben lagen. Auch
jetzt droht uns das gleiche Schicksal!
AMANN, Susanne & Alexander JUNG (2017): Abschied vom "Immer
mehr".
Demografie: Was tun, wenn das
Wachstum schwindet? Der Forscher Reiner Klingholz warnt davor,
dass eine stagnierende Wirtschaft das Sozialsystem sprengen
wird,
in:
Spiegel Nr.44 v.
28.10.
Reiner KLINGHOLZ hat keine
Fakten für seine Glaubenslehre zu bieten und die Interviewer
verstehen sich lediglich als brave Stichwortgeber, statt das
Mantra des Immer Weniger zu hinterfragen. Die Babyboomer
werden wieder einmal zum Problemfall stilisiert, obwohl
bislang sich keine einzige Prognose als richtig erwiesen hat,
sondern das Problem ständig weiter in die Zukunft verschoben
wird:
"Aber jetzt endet die
Phase, in der wir eine demografische Dividende einfahren
konnten, die geburtenstarken Jahrgänge verabschieden sich in
den Ruhestand. Um das Jahr 2030 sind die Jahrgänge, die in
Rente gehen, doppelt so stark wie die Jahrgänge, die ihr
Erwerbsleben beginnen werden. Das bedeutet eine
Zeitenwende",
schwadroniert KLINGHOLZ.
Fakt ist dagegen, dass der Jahrgang 1964 noch um die
Jahrtausendwende 2 Jahre früher in Rente hätte gehen können.
Außerdem sind bereits viele Babyboomer in Frührente gegangen.
Aber das ganze Geplänkel hat ja nur einen einzigen Grund:
KLINGHOLZ plädiert für eine Kopplung des Renteneintrittsalters
an die durchschnittliche Lebenserwartung, was nichts anderes
als eine Umverteilung von unten nach oben ist, denn
Geringverdiener sterben bekanntlich weit früher als die gut
betuchte Klientel, die KLINGHOLZ und der Spiegel
vertritt.
Fazit: Die Thesen sind seit
Jahrzehnten dieselben, aber die Argumente sind austauschbar,
weil sie den herrschenden Interessen dienen und sich deshalb
kein ernsthafter Widerspruch erhebt.
MENKENS, Sabine (2017): Babyboom in Deutschland.
Zum fünften Mal in Folge sind
die Geburtenzahlen hierzulande gestiegen. Verantwortlich ist
nicht nur die Zuwanderung - sondern auch die Familienpolitik,
in:
Welt v. 16.11.
Online hieß die Schlagzeile
Deutschland erlebt Babyboom – doch das reicht nicht,
damit auch der Dümmste mitbekommt, dass gute Nachrichten immer
schlechte Nachrichten sind.
Sabine MENKENS verbreitet
die
nationalkonservative Doktrin, die sich in der
Bestandserhaltungszahl von 2,1 Geburten pro Frau ausdrückt.
Der Soziologe Karl-Otto HONDRICH hat sich bereits vor 10
Jahren gegen eine solche Sicht gewandt und stattdessen das
evolutionäre Kriterium der Problemlösefähigkeit in den
Mittelpunkt gerückt. Im heutigen Welt-Interview von
Matthias KAMANN mit der nationalliberalen
AfD-Spitzenpolitikerin Alice WEIDEL heißt es:
"Nötig ist vor allem, die
demografische Entwicklung so zu beeinflußen, dass es (...)
endlich wieder eine Nettoreproduktionsrate von mehr als zwei
Kindern pro Frau gäbe."
Die Rentenpolitik ist eines
der Felder, die angeblich davon abhängig sei. Tatsächlich
reicht zur Stabilisierung der Bevölkerungszahl eine
Geburtenrate von 1,6 bis 1,7. Dies gilt umso mehr bei
Bevölkerungen mit steigender Lebenserwartung. Die
Glorifizierung der Bevölkerungspyramide gehört zu den
Fundamenten einer solchen Sichtweise, obwohl diese Form die
Folge hoher Kindersterblichkeit ist.
Das linksliberale Bürgertum hat sich vor 15 Jahren der
Bebilderung des demografischen Niedergangs verschrieben
und hat damit den Erfolg der AfD mitzuverantworten.
Im Artikel werden Felix zur
NIEDER vom Statistischen Bundesamt und Martin BUJARD vom
Institut für Bevölkerungsforschung mit ihrer Sicht zitiert.
Der Begriff "Babyboom" - wie er von MENKENS verwendet wird
- ist nicht wissenschaftlich, sondern ideologisch, denn er
wird allein auf die absoluten Geburtenzahlen bezogen, statt
wie es richtig wäre, auf die Entwicklung der Fruchtbarkeit in
Deutschland. Darüber gibt letztendlich nur die endgültige
Kinderzahl der Frauenjahrgänge Auskunft. Die absolute Zahl der
Geburten kann neben der Geburtenrate auch durch Veränderungen
beim Timing der Geburten steigen, was in dem Artikel unerwähnt
bleibt. Sollte bei den jüngeren Frauenjahrgängen das
Erstgebäralter gegen den Trend sinken statt weiter zu steigen,
dann könnte dies zum Anstieg der Geburtenzahlen trotz gleich
bleibender Geburtenrate führen.
Könnten die Babyboomer - und
nicht nur die Kinder der Babyboomer - einen Anteil am jetzigen
Geburtengeschehen haben. Diese Erklärung erscheint entweder
fragwürdig oder wäre eine echte Sensation. Im Jahr 1975 gab es
782.310 Geburten in Deutschland, d.h. weniger als in diesem
Jahr geboren wurden. Die 1975 geborenen Frauen können also
kaum zu den geburtenstarken Jahrgängen gezählt werden. Diese
waren 2016 bereits 42 Jahre alt. Wenn man die Babyboomer als
jene Geburtsjahrgänge definiert, die mehr als 1 Million
Geburten umfassten, dann war der Frauenjahrgang 1971 der
letzte Babyboomer-Jahrgang. Dieser war 2016 bereits 45 Jahre
alt, d.h. die 45-Jährigen und Älteren hätten vermehrt Kinder
bekommen müssen, wenn dieser Faktor einen entscheidenden
Einfluss auf die Geburtenentwicklung 2016 gehabt hätte. Noch
Mitte des letzten Jahrzehnts galten
40-jährige Frauen als endgültig Kinderlose, deren Beitrag
am Geburtengeschehen als vernachlässigbar angesehen wurde.
Das wurde selbst noch vor kurzem vertreten, wenngleich dies
eher der Datenlage geschuldet ist.
Die Kinder der Babyboomer
wären jene, die von Frauen der Geburtsjahrgänge 1947 bis 1971
geboren wurden.
Anhand einer
DESTATIS-Tabelle lässt sich nachvollziehen, in welchen
Jahren diese Kinder der Babyboomer hauptsächlich geboren
wurden. Die Tabelle enthält bislang die altersspezifischen
Geburtenziffern bis zum Jahr 2015.
Fazit: Eine seriöse
Einschätzung zu den Ursachen der jetzt veröffentlichten
Geburtenzahlen ist erst möglich, wenn die (altersspezifische)
Geburtenrate und das Erstgebäralter der am Geburtenaufkommen
beteiligten Frauenjahrgänge vorliegt.
ÖCHSNER, Thomas (2017): Sieben gute und sieben
schlechte Jahre.
Wie geht's der gesetzlichen Rente?
Die Bundesregierung wagt in einem Bericht den Blick in die Zukunft.
Danach wird das Altersgeld um durchschnittlich gut zwei Prozent
steigen. Doch von 2024 an geht es mit den Beiträgen abrupt abwärts,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 22.11.
Thomas ÖCHSNER benutzt die Erfindung eines
Zwischenhochs (der Zusatz "demografisch", der auch gerne benutzt
wird, fehlt jedoch), um die weitere Entwicklung der Renten zu
erklären:
"Dem Bericht zufolge gibt es von
2017 bis 2023 ein Zwischenhoch mit steigenden Renten, einem stabilen
Beitragssatz und stabilem Rentenniveau. Der Rentenexperte Werner Siepe,
der die Zahlen der Regierung analysiert hat, spricht von »sieben guten
Rentenjahren«, weil der Job-Boom viel Geld in die Rentenkasse spült.
2024 folgt dann ein Übergangsjahr. Danach kommen eher sieben schlechte
Rentenjahre. »Das liegt am Eintritt der Babyboomer mit den
Geburtsjahrgängen 1959 bis 1968 in den Ruhestand. Die Rentenneuzugänge
in diesen Jahren werden deutlich zunehmen, was zu einem starken
Anstieg der Rentenausgaben führen wird«, schreibt Finanzmathematiker
Siepe in seiner Analyse."
Im Rentenversicherungsberichten
2017 und 2016 heißt es zur Bevölkerungsentwicklung:
"Ausgangspunkt für die
Fortschreibung der Rentenausgaben bildet die Bevölkerungsentwicklung,
die der 2017 aktualisierten Version der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes entspricht.
Die Wanderungsannahmen und die Geburtenrate sind somit an die
tatsächliche Entwicklung am aktuellen Rand angepasst. Die mittlere
fernere Lebenserwartung 65-Jähriger beträgt im Jahr 2030 bei Männern
19,1 Jahre und bei Frauen 22,5 Jahre. Die zusammengefasste
Geburtenziffer wird langfristig bei 1,5 konstant gehalten. Bezüglich
der Außenwanderung wird für die langfristige Vorausberechnung von
einem positiven Wanderungssaldo in Höhe von 200.000 Personen jährlich
ausgegangen." (2017, S.11)
"Ausgangspunkt für die
Fortschreibung der Rentenausgaben bildet die Bevölkerungsentwicklung,
die sich an der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes orientiert, wobei die aktuellen
Bevölkerungsdaten zum 31.12.2015 sowie die tatsächlichen
Wanderungssalden der letzten Jahre berücksichtigt wurden. Auch die
Veränderung der Lebenserwartung wurde am aktuellen Rand angepasst. Im
Vergleich zu heute wird die mittlere fernere Lebenserwartung von
65-jährigen Frauen bis zum Jahr 2030 um 1,4 Jahre auf 22,5 Jahre
ansteigen. Bei Männern wird ein Anstieg von 1,3 Jahren auf dann 19,1
Jahre erwartet. Bezüglich der Fertilität wird von einer
zusammengefassten Geburtenziffer in Höhe von rund 1,4 ausgegangen.
Darüber hinaus wird langfristig von einer jährlichen Nettozuwanderung
von 200 000 Personen jährlich ausgegangen." (2016, S.11)
Die Annahmen unterscheiden sich
lediglich in einer veränderten Geburtenentwicklung (TFR 1,5 statt
1,4), welche keinerlei Auswirkungen auf die Rentenentwicklung der
nächsten Jahre hat. Vergleicht man diese Annahmen mit dem
Rentenversicherungsbericht 2010, dann ergeben sich
erstaunliche Unterschiede bei der Lebenserwartung:
"Die Berechnungen zur
Bevölkerungsentwicklung basieren auf der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes. Die
mittlere fernere Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen wird von heute
bis zum Jahr 2030 um gut 2 Jahre auf 22,8 Jahre ansteigen. Bei Männern
wird ebenfalls ein Anstieg von gut 2 Jahren auf dann 19,4 Jahre
erwartet. Die zusammengefasste Geburtenziffer bleibt annahmegemäß
langfristig auf dem gegenwärtigen Niveau von rund 1,4. Darüber hinaus
wird eine jährliche Nettozuwanderung unterstellt, die bis zum Jahr
2020 auf 200 000 Personen jährlich aufwächst." (2010, S.12)
2010
wurde im Rentenversicherungsbericht im Gegensatz zu 2016 und 2017 von
einer höheren Lebenserwartung ausgegangen.
Nimmt man den öffentlichen Diskurs, dann müsste eigentlich von
einer steigenden und nicht von einer sinkenden Lebenserwartung
ausgegangen werden.
Tatsächlich wurde auch die
Lebenserwartung bei Geburt zwischen der 12. und der 13. aktualisierten
Bevölkerungsvorausberechnung von 85,0 (Männer) auf 84,7 Jahre und bei
Frauen von 89,2 auf 88,6 Jahre reduziert. Oder anders formuliert: Es
wird heute von einem geringeren Anstieg der
Lebenserwartung ausgegangen
als noch vor wenigen Jahren prognostiziert wurde. Dies lässt sich auch
anhand einer
Tabelle zur Entwicklung der ferneren Lebenserwartung von 65-Jährigen
in Deutschland ablesen. Zwischen 2005 und 2010 betrug der Anstieg
der Lebenserwartung noch 0,76 Jahre, während es zwischen 2010 und 2015
gerade noch 0,2 Jahre waren. Diese Fakten stehen im Gegensatz zu der
Debatte um die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die von den
Neoliberalen - nicht nur in Deutschland - vorangetrieben wird.
Der Begriff "Babyboomer" findet
sich nirgends im Rentenversicherungsbericht. Steigende Rentnerzahlen
drücken sich jedoch im Äquivalenzrentner aus (Die Ermittlung der
Anzahl der Äquivalenzrentner erfolgt durch Division des
Gesamtrentenvolumens durch eine Regelaltersrente mit 45
Entgeltpunkten). Die nachfolgende Tabelle vergleicht dessen
Entwicklung anhand der Rentenversicherungsberichte (Abkürzung: RV)
2010 bis 2017 für die Jahre 2015 - 2030:
|
Jahr |
Entwicklung des
Äquivalenzrentners 2015 - 2030
(in Tausend; gemäß Übersicht B 18 der Rentenver-
sicherungsberichte) |
RV 2010 |
RV 2014 |
RV 2016 |
RV 2017 |
tatsächliche
Entwicklung |
2015 |
15.097 |
15.420 |
|
|
15.389
|
2016 |
15.183 |
15.494 |
15.481 |
|
|
2017 |
15.284 |
15.592 |
15.572 |
15.532 |
|
2018 |
15.409 |
15.721 |
15.699 |
15.615 |
|
2019 |
15.541 |
15.851 |
15.834 |
15.731 |
|
2020 |
15.674 |
15.979 |
15.984 |
15.869 |
|
2021 |
15.816 |
16.130 |
16.151 |
16.030 |
|
2022 |
15.971 |
16.302 |
16.391 |
16.266 |
|
2023 |
16.134 |
16.483 |
16.642 |
16.520 |
|
2024 |
16.308 |
16.680 |
16.845 |
16.738 |
|
2025 |
|
16.885 |
17.049 |
16.968 |
|
2026 |
|
17.093 |
17.295 |
17.211 |
|
2027 |
|
17.309 |
17.565 |
17.463 |
|
2028 |
|
17.528 |
17.812 |
17.714 |
|
2029 |
|
|
18.076 |
17.980 |
|
2030 |
|
|
18.347 |
18.253 |
|
|
|
Der Vergleich zeigt, dass die
Entwicklung der Rentnerzahlen wenig aussagekräftig sind, wenn es um
die Rentenentwicklung geht, sondern auch die Entwicklung der
Rentenhöhe eine wichtige Rolle spielt. Bereits geringe Änderungen bei
den Annahmen zur zukünftigen Entwicklung können zu gravierenden
Änderungen bei der Rentenentwicklung führen - jenseits des
demografischen Wandels.
2018
KITTLAUS, Bernd (2018): Das Märchen über die
Kinder der Babyboomer ("Echoeffekt") als Ursache der steigenden
Geburtenzahlen im Jahr 2015,
in:
single-generation.de v.
07.01.
SCHWENN, Kerstin (2018): Übermütige
Rentenversprechen.
Wenn die Babyboomer in Rente gehen,
wird sich die Garantie nicht halten lassen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.02.
"Da ist zum einen die
Mütterrente (...). Rund 3,4 Milliarden Euro kostet das jedes
Jahr zusätzlich. (...) Würde man auch noch die Mütter mit
weniger Kindern bedenken, verdoppelten sich die Kosten. Das
könnte ganz schnell passieren, wenn diese Mütter erfolgreich
vor Gerichten auf Gleichbehandlung klagen",
meint Kerstin SCHWENN. Die
Ausgestaltung der Grundrente schreibt SCHWENN dem
CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef LAUMANN zu, der bislang eher
wenig zu sagen hatte. Neben der Mütterrente gilt SCHWENN die
Stabilisierung des Rentenniveaus als besonderer Dorn im Auge.
"Selbst bei weiter guter
Wirtschaftsentwicklung dürfte sie 2025 rund 4 Milliarden
Euro kosten",
erklärt uns SCHWENN. Das
wird - wie bei NAHLES - zum Positivszenario erklärt. Die
Garantie gilt nur bis 2025 was SCHWENN - genausowenig wie
andere Neoliberale - nicht daran hindert so zu tun, als ob die
Stabilisierung des Rentenniveaus auf Ewigkeiten
festgeschrieben wäre. Denn ohne diese Suggestion könnten die
Babyboomer nicht als Drohszenario eingesetzt werden und darauf
verzichten Neoliberale nie. Alles könnte jedoch zur Makulatur
werden, wenn nicht von angeblichen Positivszenarien
ausgegangen wird, sondern von pessimistischen Annahmen, die
auch dem Rentenversicherungsbericht 2017 und der
Bevölkerungsvorausberechnung zugrunde liegen.
Beide hinken dem tatsächlichen Geburtenanstieg in Deutschland
hinterher. Dies mag sich 2025 noch nicht auswirken, aber
die Jahre ab 2030 sind keineswegs durch die demografische
Entwicklung festgelegt - ganz zu schweigen von Entwicklungen,
die noch gar nicht in den Blick kommen, weil die Zukunft offen
ist.
RÖSER, Sarna (2018): Die große Koalition saugt die Jungen aus.
Gastbeitrag: Deutschland muss
die Rentenpolitik ändern. Nur politischer Druck wird CDU und CSU
sowie die SPD dazu bringen, neue Wege zu beschreiten,
in:
Frankfurter Rundschau v.
27.03.
Sarna RÖSER, Lobbyistin der
Jungen Unternehmer, möchte keine neuen Wege gehen, sondern
setzt auf die Privatisierung der Rente und die Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Das wird unter
die Leerformel "Generationengerechtigkeit" subsumiert.
Notwendig soll das angeblich durch die demografische
Entwicklung werden.
"Im Jahr 2035 - das ist
nur eine halbe Generation entfernt - wird ein Viertel der
deutschen Bevölkerung älter als 67 Jahre sein. Die
durchschnittliche Rentenbezugsdauer wird dann mehr als
zwanzig Jahre betragen. Die staatlichen Kosten für die
Altersabsicherung werden sich von derzeit knapp 300 auf 600
Milliarden Euro im Jahr 2035",
erzählt uns RÖSER im
Brustton der Überzeugung, als ob das bereits jetzt sicher
feststehe. Bis 2035 sind es 17 Jahre.
Man muss nur 17 Jahre zurück gehen, also ins Jahr 2001, um
festzustellen, dass wenig von dem eingetroffen ist, was damals
zur demografischen Entwicklung und zur Rentenentwicklung
fabuliert wurde. Die versprochen Renditen der privaten
Altersvorsorge haben sich in Wohlgefallen aufgelöst und die
Anbieter der Altersvorsorge jammern uns stattdessen die Ohren
voll, weil sie ihre Versprechungen am liebsten nicht gemacht
hätten. Weil sich die demografische Entwicklung partout nicht
an die Prognosen gehalten hat, wurde inzwischen ein
"demografisches Zwischenhoch" erfunden, um die Blamage der
Fehlprognose zu verschleiern.
Das Zwischenhoch soll angeblich bis maximal 2025 halten.
Sollte das nicht der Fall sein, wird man wohl ein neues
demografisches Zwischenhoch dafür verantwortlich machen, das
sich aus dem Nichts ergeben hat.
Weil ein solcher Rückblick
die Argumentation zum Zusammenbruch bringen würde, stilisiert
RÖSER die Babyboomer lieber zu den Gewinnern der
Rentenpolitik:
"Von der Rentenpolitik
(...) profitieren (...) die Jahrgänge 1955 bis 1965, die
sogenannten Babyboomer. Es handelt sich dabei um Jahrgänge,
die mehrheitlich geschlossene Erwerbsbiografien vorweisen
können und noch ganz andere Möglichkeiten hatten, für das
Alter anzusparen."
Warum gerade die Jahrgänge
1955 (1,1 Millionen) bis 1965 (1,32 Millionen) von RÖSNER den
Babyboomern zugerechnet werden, hat nichts mit Fakten zu tun,
sondern ergibt sich aus der der Argumentationslogik. In den
Jahren 1966 bis 1968 wurden jeweils mehr Kinder geboren als im
Jahr 1955.
Die
Generation Golf (Jahrgang 1965 - 1975) stilisierte sich
Anfang des Jahrtausends bekanntlich zur Verlorenen Generation
und wurde dabei von den Mainstreammedien kräftig unterstützt.
Als
Gewinner der Bildungsexpansion und des Ausbaus des
Wohlfahrtsstaats gelten dem Soziologen Berthold VOGEL die
Jahrgänge bis Mitte der 1950er Jahre.
Möglichkeiten für das Alter
anzusparen, gibt es erst seit 2001. Die damaligen hohen
Renditen, die RÖSNER fabuliert, fielen der Inflation und dem
Kaufkraftverlust zum Opfer. Ob die Generationen, die nach 1970
geboren wurden, zu den Verlierern zählen werden, das ist
keineswegs ausgemacht.
Fazit: Die Demografie ist
nicht unser Schicksal und die Entwicklung der Renten hängt
keineswegs allein vom demografischen Wandel ab. Entscheidungen
sollten getroffen werden, wenn sie erforderlich sind und nicht
etwa als Vorgriff auf eine angeblich vorherbestimmte Zukunft.
Der Versuch den Renteneintritt an die Lebenserwartung zu
koppeln ist der Versuch durch postdemokratische Elemente die
demokratische Willensbildung auszuhebeln.
BAUREITHEL, Ulrike
(2018): Gezahlt wird am Ende.
Sozialpolitik: Die SPD will
den Babyboomern die Rente sichern, um Wahlen zu gewinnen,
in:
Freitag Nr.35 v. 30.08.
"In neuesten Umfragen
klettern die Sozialdemokraten in der Wählergunst um einen
Punkt. Doch welchen Kraftakt muss das Spitzenpersonal
hinlegen, um wieder in die Achtbarkeitszone zu rücken, und
welchen Clinch mit dem Koalitionspartner inszenieren, um so
etwas wie sozialdemokratisches Profil zu zeigen!"
fragt Ulrike BAUREITHEL
angesichts des SCHOLZ-Vorstoß.
"2040 (...) ist der
Zeitpunkt, zu dem alle Babyboomer in Rente gegangen sein
werden",
erzählt uns BAUREITHEL. Man
könnte das auch anders sehen: 2040 ist der Zeitpunkt, an dem
schon viele Babyboomer weggestorben sein werden. Von den 2015
lebenden 1,4 Millionen Menschen des Jahrgangs 1964 (inkl. der
Zugewanderten!), werden nach der Variante 2-A der 13.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung bereits 260.000
gestorben (oder abgewandert?) sein, wenn die Annahmen nicht
völlig daneben liegen.
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