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Einführung
Seit
1978 das erste
"Retortenbaby" geboren wurde,
ist die künstliche Befruchtung zum Alltag von
Reproduktionsmedizinern in der ganzen Welt geworden. Dies hat
auch den Blick auf die Kinderlosigkeit verändert. Diese
Veränderung des Blicks auf Kinderlose und die Einflüsse von
Professionsinteressen und bevölkerungspolitischen Interessen
sollen in dieser kommentierten Bibliografie im Vordergrund
stehen.
Kommentierte Bibliografie (Teil 5 - 2008
bis 2009)
2008
STÖBEL-RICHTER, Yve/GOLDSCHMIDT, Susanne/BORKENHAGEN, Ada/KRAUS,
Ute/WEIDNER, Kerstin (2008): Entwicklungen in der
Reproduktionsmedizin – mit welchen Konsequenzen müssen wir uns
auseinandersetzen?
in:
Zeitschrift für Familienforschung, Heft 1: S.34-60
Aufgrund
unterschiedlicher Begrifflichkeiten zur Kinderlosigkeit
(Kinderlose Personen im Gegensatz zu kinderlosen Paaren),
kommen die Autorinnen zu einer Überschätzung gewollter und
Unterschätzung
ungewollter Kinderlosigkeit:
"Schätzungen für den
Geburtsjahrgang 1970 gehen von ca. 30% kinderlosen
Frauen für diesen Jahrgang aus (Dickmann, 2003).
Allerdings können genaue Zahlen zur Kinderlosigkeit erst
nach Abschluss der fertilen Phase, also für Frauen, die 45
Jahre und älter sind, ermittelt werden. In der jüngsten
Veröffentlichung des Bundesinstitutes für
Bevölkerungsforschung werden für den Jahrgang 1955, also
für jene Frauen, die ihre fertile Phase definitiv
abgeschlossen haben, 22% als kinderlos angegeben, in
anderen ausgewählten europäischen Ländern lag die Rate
zwischen 8% (Frankreich) und 17% (Niederlande und
Großbritannien) (Höhn,
Ette & Ruckdeschel, 2006). Bei der Angaben dieser
Zahlen erfolgt jedoch in der Regel keine Unterscheidung
zwischen gewollter und ungewollter Kinderlosigkeit. Vor
allem die für den Anteil der ungewollt Kinderlosen
angegebenen Zahlen sind mit Raten von 10-15 Prozent
oftmals zu hoch (Crosignani & Rubin, 1996; Brähler &
Stöbel-Richter, 2002). Genauere Schätzungen gehen davon
aus, dass:
▪ 20-30% aller Paare einmal in ihrem Leben unter
verminderter Fruchtbarkeit leiden, d.h. innerhalb eines
Jahres bei ungeschütztem Koitus nicht schwanger werden
(...),
▪ 6-9% aller Paare in Mitteleuropa ungewollt kinderlos
sind und eine Behandlung wünschen,
▪ sowie ca. 3% dauerhaft ungewollt kinderlos bleiben
(Wischmann et al., 2004; Stöbel-Richter & Brähler, 2005)."
(2008, S.38f.)
Während sich die Zahlen
von 10-15 Prozent auf die Gesamtbevölkerung beziehen,
beziehen sich die Daten der Autorinnen lediglich auf
kinderlose Paare, wobei zudem unklar ist, ob es sich dabei
nicht nur um Paare handelt, die sich einer
reproduktionsmedizinischen Untersuchung unterzogen haben.
ROHDE, Anke/WOOPEN,
Christiane/GEMBRUCH, Ulrich (2008): Entwicklungen in der
Pränataldiagnostik.
Verändertes
Erleben der Schwangerschaft und Auswirkungen bei
pathologischem fetalen Befund,
in:
Zeitschrift für Familienforschung, Heft 1: S.62-79
Die AutorInnen
befassen sich mit den Folgen der Pränataldiagnostik (im
Gegensatz zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik) auf
das Schwangerschaftserleben.
WELTWOCHE-Titelgeschichte:
Die nächste Revolution |
MEILI, Matthias (2008): Die nächste
sexuelle Revolution.
Die erste sexuelle Revolution befreite
die Frauen von den Folgen des Geschlechtsverkehrs. Die nächste
sexuelle Revolution gibt ihnen die Freiheit, auch im
vorgerückten Alter Kinder zu bekommen. Der medizinische
Fortschritt könnte unsere Gesellschaft nachhaltig verändern,
in: Weltwoche Nr.11 v. 13.03.
"Die Antibabypille brachte
die erste sexuelle Revolution, indem sie die Frau von den Folgen
des Geschlechtsverkehrs befreite. Jetzt wird die nächste, noch
bedeutsamere sexuelle Revolution eingeläutet. Neue
biomedizinische Techniken werden die Lagerung von unbefruchteten
Eizellen ermöglichen, die der jungen Frau entnommen, in reiferem
Alter befruchtet und wiedereingesetzt werden. Wenn eine Frau
will, wird sie künftig ihre eigenen Eizellen befruchten lassen
und ihr eigenes Kind austragen – eine Eigenspende über die Zeit
hinweg also. Diese Option wird es Frauen auch ermöglichen, ihre
Fruchtbarkeit weit über die Wechseljahre hinaus zu bewahren –
die Familienplanung erhält eine neue Berechenbarkeit. Die
Geburtenraten könnten wieder steigen", verheißt Matthias MEILI
Katja GELINSKY berichtet über
die Geschäfte der christlichen Rechte in den USA mit
eingefrorenen Embryos. Dabei geht es auch um den Status von
unbefruchteten Eizellen:
"Schon der Begriff der
Embryonen-Adoption, den die christlichen Vermittlungsagenturen
verwenden, wird von der Pro-Choice-Bewegung und von Befürwortern
der Forschung mit embryonalen Stammzellen heftig bekämpft,
impliziert er doch, dass Embryonen ungeborene Kinder seien."
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Tausendmal probiert ... und nie ist was
passiert.
Das Geschäft mit der
Sehnsucht nach dem Kind |
DEMMER, Ulrike & Udo LUDWIG (2008): Geschäft mit der Hoffnung.
Viele
hunderttausend Paare bleiben in Deutschland ungewollt
kinderlos - und es werden immer mehr. Die verhinderten Mütter
und Väter fühlen sich von den Nachbarn mitleidig beäugt, von
den Ärzten ausgenommen und von der Politik im Stich gelassen,
in: Spiegel Nr.22 v. 26.05.
DEMMER, Ulrike & Udo LUDWIG (2008):
"Retortenbabys erwirtschaften mehr, als sie kosten".
Hunderttausende
Paare in Deutschland bleiben ungewollt kinderlos - auch weil der
Staat künstliche Befruchtung finanziell zu wenig fördert, sagt
Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich. Im Interview fordert
er eine Lockerung des Embryonenschutzes, um die Erfolgsquote zu
erhöhen,
in: Spiegel Nr.22 v. 26.05.
BAHNSEN, Ulrich & Martin SPIEWAK (2008): Die
Zukunftskinder.
Die Medizin verhilft nicht nur
unfruchtbaren Paaren zu Nachwuchs, sie entwickelt auch
Instrumente, um das Kind zu optimieren. Wird der Mensch neu
erfunden?
in: Die ZEIT Nr.23 v. 29.05.
Ulrich BAHNSEN & Martin SPIEWAK betrachten
mit Blick auf
Großbritannien die deutsche Situation (noch) als
wenig dramatisch was die Reproduktionsmedizin anbelangt.
SPIEWAK, Martin (2008): Auf die Liebe kommt es an.
Künstlich gezeugte Kinder entwickeln
sich ganz normal. Aber sie wollen um ihre Herkunft wissen. Ein
Gespräch mit der britischen Psychologin Susan Golombok,
in: Die ZEIT Nr.23 v. 29.05.
SCHLAG, Beatrice (2008): Das Ei aus dem Eis.
Wissenschaftler reden von einer "Revolution": Schon jetzt könnten
junge Frauen ihre nicht befruchteten Eier einfrieren lassen,
in: Emma, Nr.4, Juli/August
BRUHN, Eiken (2008): "Ich wollte auch mal".
1,4 Millionen Menschen sind hierzulande
ungewollt kinderlos. Manche wenden sich an die
Reproduktionsmedizin. Die Prozedur ist langwierig, die
körperlichen und seelischen Belastungen enorm und die
Erfolgschancen gering. Ein Paar erzählt von seinen Erfahrungen
und Empfindungen,
in: TAZ v. 02.07.
BERNDT, Christina
(2008): Embryonen auf Eis,
in: Süddeutsche Zeitung v. 25.07.
Anlässlich des
30.
Geburtstag des weltweit ersten Retortenbaby bilanziert Christina BERNDT,
dass das deutsche Embryonenschutzgesetz den Fortschritten der
Reproduktionsmedizin hinterherhinkt:
"Geschätzte eine Million
Paare sind in Deutschland kinderlos, obwohl sie gerne Kinder
hätten. (...). Sie haben (...) die beste medizinische Hilfe
verdient.
Die aber bekommen sie in Deutschland nicht. In der
Bundesrepublik ist die Erfolgsquote bei Kinderwunschbehandlungen
um 20 Prozent geringer als im Ausland, weil moderne Techniken
nicht angewendet werden dürfen. Viele verzweifelte Paare fahren
deshalb ins Ausland."
BERNDT kritisiert, dass nicht
die vitalsten Embryonen in die Gebärmutter implantiert werden
dürfen:
"Die Embryonen werden (...)
geschützt; später jedoch, falls sich herausstellt, dass das
Ungeborene zu einem schwerkranken Fötus herangewachsen ist, ist
die Abtreibung erlaubt. Statt einer solchen Schwangerschaft auf
Probe sollte der Gesetzgeber lieber die Zeugung auf Probe
erlauben, wie sie für die PID nötig wäre."
Argument-Themenheft:
Reproduktionstechnologien |
CACIOPPO,
Britta & Eva GEBER (2008): Allmachtsfantasien und Utopien,
in: Das Argument Nr.275, H.2
"In der Frauenbewegung der
1970er Jahre sieht als erste
Shulamith Firestone in den neuen Technologien Möglichkeiten
zur »Befreiung der Frauen von der Tyrannei der Fortpflanzung«,
welche die »materielle Basis der Frauenunterdrückung sei« (...).
Die Realentwicklung um Stammzellforschung und Klonen hat
feministische Einschätzung zur fast einstimmigen Abwehr geführt.
In den 1980er Jahren bildete sich eine breite Bewegung, die den
Protest gegen neue Reproduktionstechnologien, verbunden mit
Kritik an der Bevölkerungspolitik in den Entwicklungsländern, zu
einem Kernstück ihrer Gesellschaftskritik macht", meinen
CACIOPPO & GEBER im Argument-Themenheft
"Reproduktionstechnologien".
MÜHL, Melanie (2008): Der Vater.
Ein junger Mann wird Samenspender. Er glaubt, er helfe der
Forschung, aber die Klinik verkauft sein Sperma. Seit er das weiß,
sucht er nach seinen Kindern. Es könnten vierhundert sein. Zwei hat er
schon gefunden. Sie leben ganz in seiner Nähe,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.08.
SPIEWAK, Martin (2008): Überfällig.
Von der Samenspende bis zum
Single-Embryo-Transfer: Experten der Friedrich-Ebert-Stiftung
fordern neue Regeln für die künstliche Befruchtung. Zu Recht,
in: Die ZEIT Nr.37 v. 04.09.
WILDERMUTH, Volkart (2008): Mehr Mehrlinge in Deutschland.
Studie "Reproduktionsmedizin im internationalen Vergleich"
vorgestellt,
in: DeutschlandRadio v. 10.09.
BATTHYANY, Sacha (2008): Der Muttermacher von Maastricht.
Der Samenspender Ed Houben hat 46 Kinder in ganz Europa. Frauen mit
Kinderwunsch stehen bei ihm Schlange. Seine Dienste haben sich bis
nach Australien herumgesprochen,
in:
Neue Zürcher
Zeitung am Sonntag v. 23.11.
KUCZYNSKI, Alex (2008): Her Body, My Baby,
in:
New York Times
Magazine v. 30.11.
2009
SCHULTZ, Susanne (2009): Mehr Deutsche via IVF,
in:
Gen-ethischer Informationsdienst, Nr.194, S.39-41
NEUBAUER, Rita (2009): Achtlingsmutter wollte eine Großfamilie.
Nadya Suleman ist alleinstehend und lebt bei ihrer Mutter in
Kalifornien – demnächst mit 14 Kindern,
in:
Tagesspiegel
v. 07.02.
SIEMS, Dorothea (2009): Von der Leyen will künstliche Befruchtung
erleichtern.
Hohe Kosten schrecken Paare von der Behandlung ab - Sachsen zahlt
Zuschüsse, andere Länder prüfen Kostenübernahme,
in:
Welt v. 16.02.
NEUBAUER, Rita (2009): Hoch verschuldet.
Nadya Suleman, die Achtlingsmutter, ist nach Morddrohungen
untergetaucht – ihr Arzt ist derweil nicht zu stoppen,
in: Tagesspiegel v. 16.02.
BERGIUS, M. & J. MAIER (2009): Der Staat als Klapperstorch.
Zeugung auf Staatskosten,
in:
Frankfurter
Rundschau v. 17.02.
HAß, Frauke (2009): "Angst, das finanziell nicht zu wuppen",
in:
Frankfurter Rundschau
v. 17.02.
HAß, Frauke (2009): Retorte nicht bloß für Reiche.
Kommentar,
in:
Frankfurter
Rundschau v. 17.02.
STERN-Titelgeschichte:
Verrückt nach Kindern.
Die Geschichte der Nadya Suleman. Künstliche Befruchtung: Wo
sind die Grenzen? |
KRUTTSCHNITT, Christine (2009): Verrückt nach Kindern.
Der Fall der "Octomom"
in den USA sorgt weltweit für Diskussionen. Ist Elternglück um
jeden Preis zulässig? Wer kommt für die Kinder auf? Die
Arbeitslose Mutter Nadya Suleman will sich von solchen Fragen in
ihrer Freude nicht stören lassen,
in:
Stern
Nr.9 v. 19.02.
BÖMELBURG, Helen (2009): Zwischen Moral und Machbarkeit.
Auch Deutschland
besitzt ein reiches Angebot an moderner Fruchtbarkeitsmedizin -
und zugleich besonders strenge Gesetze. Ob sie noch zeitgemäß
sind, ist umstritten,
in:
Stern
Nr.9 v. 19.02.
SELZ, Laura (2009): Baby-Chaos.
Die Medizin stellt
manche Naturgesetze auf den Kopf. Alten Eltern beschert sie
Kinderglück, schafft bizarre Verwandtschaftsverhältnisse und
manchmal auch Verwicklungen, die vor dem Kadi landen,
in:
Stern
Nr.9 v. 19.02.
GIERTH, Matthias (2009): Bedenken bleiben.
Sollen die Krankenkassen künstliche Befruchtungen wieder ganz
bezahlen? Unter rein demografischen Aspekten ist eine stärkere
Bezuschussung folgerichtig,
in:
Rheinischer Merkur
Nr.8 v. 19.02.
MINK, Andreas (2009): Die Gebärmaschine.
Die Achtlinge einer arbeitslosen, alleinstehenden Kalifornierin
bringen die Praktiken der boomenden Befruchtungs-Industrie ins
Zwielicht,
in:
Neue Zürcher
Zeitung am Sonntag v. 22.02.
In dem Urteil des
Bundessozialgerichtshof geht es u. a. um die Frage, ob die
Altersobergrenze von 40 Jahren für Frauen gerechtfertigt
sei, wobei sich die Klägerin zum einen auf die Erfolgsaussichten
bei künstlicher Befruchtung beruft:
"Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin die Verletzung von
Art 3 Abs 1 GG.
§ 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V sei gleichheitswidrig,
weil der Gesetzgeber durch die Einführung der pauschalen oberen
Altersgrenze von 40 Jahren für Frauen seinen
Differenzierungsspielraum überschritten habe. Seine Annahme,
dass die Konzeptionswahrscheinlichkeit nach dem 40. Lebensjahr
der Frau nur noch sehr gering sei, lasse sich mit Blick auf
neuere Behandlungsstatistiken nicht aufrechterhalten. Eine
Auswertung der Behandlungsergebnisse des
Registers über In-vitro-Fertilisationen (IVF-Register) von
2006 ergebe, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit bei Frauen im
Alter zwischen 25 und 38 Jahren ungefähr gleich sei. Zwar
verschlechtere sich die Erfolgsaussicht vom 36. bis zum 42.
Lebensjahr graduell gleichmäßig, signifikant aber erst mit dem
43. Lebensjahr. Die Erfolgswahrscheinlichkeit bei 40- bis
42-jährigen Frauen sei jedoch vergleichbar gut wie bei der
Gruppe der 39- und 40-jährigen und liege über 15 %. Der
Bundesgerichtshof (BGH) habe aber entschieden (...), dass in der
privaten Krankenversicherung (PKV) ein Versicherungsunternehmen
nur dann nicht leistungspflichtig sei, wenn die Erfolgsaussicht
unter 15 % liege. Das müsse ebenso in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) gelten.
Zum anderen geht es um die
Frage des Kinderwohls:
"Das Argument des Kindeswohls
rechtfertige die streitige Altersgrenze nach der statistischen
Lebenserwartung von Frauen mit bereits erreichtem 40. bzw 42.
Lebensjahr ebenfalls nicht. Die Rechtsprechung zur Altersgrenze
von 50 Jahren bei Männern (BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 4) sei hier
nicht übertragbar."
Das Gericht begründet die
Beibehaltung der Altersobergrenze in erster Linie mit der
höheren Fehlbildungsrate:
"Das Risiko einer Fehlbildung
liegt bei einer ICSI-Maßnahme bei 8, 6 % der Lebendgeburten und
damit über dem Durchschnitt. (...).
Der Gesetzgeber hat sich nach der Begründung zum
GKV-Modernisierungsgesetz (vgl BT-Drucks 15/1525, S 83) für die
vorgenommene Differenzierung davon leiten lassen, dass bereits
jenseits des 30. Lebensjahres die Wahrscheinlichkeit einer
Befruchtung abnimmt und die Konzeptionswahrscheinlichkeit
jenseits des 40. Lebensjahres gering ist, während diese
Wahrscheinlichkeit unter 25 Jahren regelmäßig sehr hoch ist, was
sich in der geringen Anzahl unfruchtbarer Paare im Alter von
unter 25 Jahren niederschlägt. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber
bei der Festsetzung oberer Altersgrenzen das Kindeswohl im
Hinblick auf die mit dem Alter der Eltern zunehmende Anzahl von
Fehlbildungen stark gewichtet. Dies ist als zwar vergröberndes,
aber dennoch hinreichend sachgerechtes Differenzierungskriterium
nicht zu beanstanden."
Zu den Erfolgsaussichten
einer künstlichen Befruchtung nimmt das Gericht folgendermaßen
Stellung:
"Einen Normgeber kann zwar
eine Beobachtungs- und ggf Reaktionspflicht treffen, wenn sich
nach Erlass einer Regelung im Verlauf der Zeit herausstellt,
dass der Zweck der Regelung nicht erreicht oder gar gänzlich
verfehlt wird (...). Dafür, dass eine solche zum Eingreifen des
Gesetzgebers verpflichtende Situation hier vorliegt, ist
indessen selbst nach den von der Klägerin eingereichten
Statistiken nichts Hinreichendes ersichtlich. Das BVerfG ist
noch im Jahr 2007 unter Zugrundelegung
des Deutschen IVF-Registers 2005 davon ausgegangen, dass die
Konzeptionswahrscheinlichkeit durch eine Behandlung nach der
ICSI-Methode für unter 35-jährige Frauen bei über 30 % liegt,
für über 40-jährige dagegen nur bei etwa 12 % (...). Es kann
dahinstehen, ob die Auffassung der Klägerin zutrifft, dass sich
im Gefolge verbesserter Behandlungsmethoden nach den
Erkenntnissen für das Jahr 2006 die Erfolgswahrscheinlichkeit
einer künstlichen Befruchtung per IVF bei Frauen erst mit dem
43. Lebensjahr signifikant verschlechtere und nicht schon mit
dem 40. Lebensjahr. Für das Jahr 2006 haben sich die Parameter
des BVerfG insoweit nicht wesentlich geändert. Jedenfalls
widerlegt auch das von der Klägerin herangezogene Zahlenmaterial
nicht den vom Gesetzgeber zur Begründung angeführten Umstand,
dass bereits vom 30. Lebensjahr der Frau an die
Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung stetig abnimmt. Denn selbst
nach den Zahlen des IVF-Registers 2006 liegt die
Schwangerschaftsrate nach durchgeführter ICSI schon bei Frauen
im 40. Lebensjahr nur bei 18 %, während sie selbst in der Gruppe
der Frauen im 30. Lebensjahr mit 34 % noch fast doppelt so hoch
ist (Vergleichszahlen IVF: 22 % bzw 39 %)."
SCHMIDT, Katja (2009): Kinderwunsch bleibt für
alte Paare teuer.
Das Bundessozialgericht bestätigt, dass
Frauen über 40 für ihre künstliche Befruchtung selbst bezahlen
müssen. Die CDU schlägt nun eine bundesweite Stiftung vor, die
Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch finanziell unter die Arme
greifen soll,
in:
TAZ v. 04.03.
TORNAU, Joachim F. (2009): Frauen ab 40 zahlen selber.
Urteil: Kassen müssen Kosten für künstliche Befruchtung nur bei
Jüngeren übernehmen,
in:
Frankfurter
Rundschau v. 04.03.
GERLACH, Alexandra (2009): Wenn die biologische Uhr tickt.
Künstliche Befruchtung: Sachsen übernimmt anteilig die Kosten von
Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch. Das Echo auf diese Initiative
ist geteilt,
in:
Rheinischer
Merkur Nr.11 v. 12.03.
FUNCKE, Dorett (2009): Komplizierte Verhältnisse: Künstliche
Befruchtung bei gleichgeschlechtlichen Paaren.
Einblicke in eine neue Lebensform,
in: Familiendynamik, Heft 2
WIRZ, Claudia (2009): Morgens um acht werden Babys gemacht.
Die Fortpflanzungsmedizin - kein einfacher Weg zum Wunschkind,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 04.04.
WIMMER, Monika (2009):
Schwanger werden nur die anderen.
Etwa zwei Millionen
Paare in Deutschland wünschen sich sehnsüchtig ein Baby,
können jedoch keines bekommen. Für sie ist die
Reproduktionsmedizin oft die letzte Hoffnung,
in:
Psychologie Heute, Mai
Monika WIMMER beschreibt zuerst
das Ausmaß der ungewollten Kinderlosigkeit in Deutschland,
erläutert die Veränderung der Einstellung zur Kinderlosigkeit
durch die Versprechen der Reproduktionsmedizin, um sie der
Realität gegenüber zu stellen:
"Bei einer
Reagenzglasbefruchtung werden pro Versuch gerade einmal etwa
25 Prozent der Frauen schwanger. Die
Zahl der Lebendgeburten, die sogenannte Baby Take
Home-Rate liegt noch niedriger. Nur 15 Prozent der
Frauen halten neun Monate nach einer künstlichen Befruchtung
ihr Baby im Arm."
Schließlich erläutert
WIMMER die finanziellen und psychischen Belastungen durch
reproduktionsmedizinische Behandlungen, um zuletzt darauf
hinzuweisen, dass kinderlose Menschen langfristig gesehen
nicht unglücklicher mit ihrem Leben sind als Eltern.
LEVEND, Helga
(2009): "Schwangerschaft ist keine
Leistung, die man willentlich erbringen
kann".
Ein Gespräch mit der
Psychoanalytikerin Ute Auhagen-Stephanos über die unbewussten
Gründe ungewollter Kinderlosigkeit,
in:
Psychologie Heute, Mai
Helga LEVEND
spricht mit Psychoanalytikerin Ute AUHAGEN-STEPHANOS, Autorin
der Bücher Wenn die Seele nein sagt (2007) und Damit
mein Baby bleibt (2009), über die psychische Seite
reproduktionstechnologischer Verfahren.
LEITNER, Barbara (2009): Künstliche Befruchtung als Routine,
in:
DeutschlandRadio v.
10.05.
JESSEN, Jens (2009): Geliehenes Glück.
Die Schauspielerin Sarah Jessica Parker erfüllt sich ihren
Kinderwunsch mithilfe einer Leihmutter,
in:
ZEIT-Magazin
Nr.22 v. 20.05.
DEBREBANT, Serge (2009): Mama mit 66.
Eine Britin im Oma-Alter erwartet ihr erstes Kind - viel
Verständnis findet sie dafür nicht. Die künstliche Befruchtung hat ein
Arzt einer Klinik in der Ukraine vorgenommen,
in:
Frankfurter
Rundschau v. 26.05.
GÖRLITZER, Klaus-Peter (2009): Zuschuss für Deutschlands Zukunft.
Befruchtungstechniken: Der Staat soll "Kinderwunschpaaren" die
Hälfte ihrer Selbstbeteiligung erstatten,
in: TAZ v. 17.07.
STRAUß, Bernhard & Susanne GOLDSCHMIDT (2009):
Reproduktionsmedizin. In: Jürgen Bengel & Matthias Jerusalem
(Hg.) Handbuch der Gesundheitspsychologie und Medizinischen
Psychologie, Handbuch der Psychologie Band 12, Hogrefe,
S.529-539
STRAUß &GOLDSCHMIDT
beschreiben in ihrem Beitrag den unterschiedlichen Blickwinkel
von Psychoanalyse und Reproduktionsmedizin auf ungewollt
Kinderlose:
"Psychologische Aspekte des
Phänomens der ungewollten Kinderlosigkeit waren zunächst
besonders für psychoanalytisch orientierte Forscher von
Interesse: In der frühen psychoanalytischen Literatur finden
sich zahlreiche Fallbeispiele, anhand derer psychodynamische
Konzepte, insbesondere spezifische Konfliktszenarien und
psychische Auffälligkeiten kinderloser Frauen, Männer bzw. Paare
erklärt wurden. In jüngster Zeit werden diese Konzepte eher
kritisch gesehen und ursächlich in Zusammenhang mit einer Reihe
anderer
»psychologischer
Mythen« über kinderlose Paare diskutiert (Wischmann, 2006).
Aufgrund dieser Entpathologisierung ungewollt kinderloser Paare
konzentrieren sich psychologische Studien im Bereich der
Reproduktionsmedizin mittlerweile weniger auf die Diagnostik
psychischer Auffälligkeiten, sondern vermehrt auf die Fragen,
welche Belastungen die Infertilität individuelle und
partnerbezogen mit sich bringt, inwieweit psychologische
Merkmale für den Behandlungsverlauf bedeutsam sind und welche
Bewältigungsmechanismen eher günstig bzw. ungünstig für die
Verarbeitung des Problems erscheinen."
(2009, S.532)
KECK, Christoph (2008):
Neue Wege bei unerfülltem
Kinderwunsch: Wie Sie die moderne Medizin optimal für sich
nutzen. Chancen erhöhen durch gezielte Behandlungsplanung,
Stuttgart: MVS Medizinverlage
Als Ausgangspunkt
reproduktionstechnologischer Maßnahmen beschreibt Christoph KECK
die "demographische Krise" in Deutschland:
"Etliche
Zahlen belegen eindeutig, dass sich Deutschland in einer
demographischen Krise befindet:
- Im Jahr 1961 lag das Alter der Erstgebärenden bei 22
Jahren, 1970 bei 24,3 Jahren und 1995 bereits bei 28,2
Jahren.
- 2002 hatte Deutschland mit 8,8
Geburten
pro 1000 Einwohner die niedrigste Geburtenrate der EU.
- In einer aktuellen internationalen Liste zur Geburtenrate
belegt Deutschland Platz 185 von 202.
- Jedes 10. Baby wird von einer
über 35-jährigen Mutter
geboren.
- In Mitteleuropa sind ca. 15 % der Paare ungewollt
kinderlos. (Bezieht man diese Angaben auf Deutschland, so
wird deutlich, dass in unserem Land ca. 2 Millionen Paare
betroffen sind, das entspricht jeder 6.-7. Partnerschaft.)
- Versteht man die Infertilität als Erkrankung, dann kann
man sagen, dass ungewollte Kinderlosigkeit eine der
häufigsten Krankheiten in der Altersgruppe der
20-45-jährigen darstellt, weitaus häufiger, als z.B.
Bluthochdruck oder Diabetes.
Sicherlich kann die Reproduktionsmedizin nicht als
Möglichkeit angesehen werden, diese Krise zu bewältigen.
Sie werden aber in diesem Buch sehen, dass den meisten
Fällen von
Kinderlosigkeit konkrete Störungen der
Fortpflanzungsfunktion auf männlicher oder weiblicher Seite
zugrunde liegen und dass man zahlreiche Störungen auch
kausal - d.h. von der Ursache ausgehend - behandeln kann."
(2008, S.13)
Das Ziel der
Reproduktionsmedizin ist gemäß KECK nicht eine erfolgreiche
Geburt, sondern eine erfolgreiche Schwangerschaft:
"Ist einmal das Ziel der
Behandlung erreicht, d.h. die Schwangerschaft nach Anwendung der
künstlichen Befruchtungsmaßnahmen eingetreten, dann stellt sich
natürlich die Frage, wie es weitergeht. Das wird in jedem
Kinderwunschzentrum etwas anders gehandhabt. In den meisten
Fällen kontrollieren wir in der PAN-Klinik in Köln die
Schwangerschaft bis etwa zur 7. oder 8. Schwangerschaftswoche,
um auch dokumentieren zu können, ob sich der Embryo regelrecht
entwickelt. Sobald klar ist, dass die Schwangerschaft intakt
ist, informieren wir den zuständigen Frauenarzt und geben die
Patienten wieder in seine fürsorglichen Hände ab".
(2008, S.159)
Daraus ergibt sich auch
der zentrale Erfolgsmaßstab der Schwangerschaftsrate:
"Üblicherweise werden die
Erfolgsraten angegeben als »Schwangerschaftsrate pro
Insemination bzw. pro Embryotransfer«."
(2008, S.153)
Auf dem Gebiet der
Schwangerschaftsrate konkurrieren in Deutschland die
unterschiedlichen Kinderwunschzentren:
"Die Erfolgsrate der
einzelnen Zentren ist deutlich unterschiedlich. Die aktuellen
Daten des Deutschen IVF-Registers (...) zeigen, dass die
»besten« IVF-Zentren in Deutschland derzeit
Schwangerschaftsraten über 40 % pro Behandlung erzielen, dass
aber auch einige Zentren in Deutschland durchschnittliche
Schwangerschaftsraten unter 10 % aufweisen."
(2008, S.155)
LÜTHI, Theres (2009): Auf der Suche nach der besten Eizelle.
Ein neues Verfahren könnte die Schwangerschaftsrate bei einer
künstlichen Befruchtung erhöhen,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 13.09.
RATH, Christian (2009): Musterprozess um Musterkinder.
Justiz: Ein Arzt hat sich selbst
angezeigt, weil er in seiner Klinik Embryonen mit Gendefekten
selektierte. Er hat gute Chancen, dass ihn der Bundesgerichtshof
freispricht, die Bundesanwaltschaft ist jedenfalls dafür,
in: TAZ v. 21.12.
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