|
Das Jahr 2003 im Spiegel der
Medien
1) Singles
und Politik
Was sich bereits
im Jahr 2002 andeutete, hat sich bewahrheitet. Das
Jahr 2003 wurde vollständig von der familien-
bzw. sozialpolitischen Debatte beherrscht. Die
ZEIT begann gleich im Januar mit der
7teiligen Serie Land ohne Leute. Die junge
Welt befasste sich im Februar mit der Ökonomie
untergehender Gesellschaften und im heißen
August heizte die FAZ die Debatte mit
einer 4teiligen Serie über Die
demographische Zeitbombe an.
Im
September brachte die taz ein Dossier
über den demografischen Wandel. Damit machte das
ehemalige Sprachrohr der Alternativszene
bevölkerungspolitische
Argumentationsmuster auch innerhalb der
neuen Mitte salonfähig. Frauenpolitik ist
nunmehr nur noch als Mütterpolitik verhandelbar.
Der Feminismus wird damit zum
Steigbügelhalter
der Neuen Rechten. Der
katholische Rheinische Merkur gehört
aus bevölkerungspolitischer Sicht zur neuen
Avantgarde in Deutschland. Im April wurde dort
diskutiert, ob Kinderlose weniger Rente erhalten
sollen. Im Juli wurde dann gefordert Eine
neue Bevölkerungspolitik muss her. Und im August hieß es Glücklich? Ja, mit
Familie.
Bevölkerungspolitik
ist jedoch längst nicht nur eine
deutsche, sondern eine europäische Angelegenheit geworden. Das neoliberale
Zentralorgan, der britische Economist,
hat bereits im Jahr zuvor (23.08.) die
Debattenrichtung vorgegeben und nun im Juli
nochmals nachgelegt mit der europäischen
Bevölkerungsimplosion.
Das österreichische Nachrichtenmagazin Profil
hat sich im April der Bevölkerungsentwicklung
in Europa gewidmet, während in Deutschland
die europäische Dimension ausgeblendet wird. Ursache
dafür ist das deutsche Rentensystem,
das einerseits als einmalig gilt und andererseits
zur Ursache der Kinderlosigkeit hochstilisiert
wird. Den Sozialstaatsgegnern gilt die
BISMARCKsche Errungenschaft als
"Versicherung gegen Kinderlosigkeit",
die angeblich Kinderlosen auf Kosten der Eltern
ein angenehmes Leben ermöglicht.
Diese
Argumentation
des deutschen Sonderwegs fällt jedoch
bei einem Blick über die Grenzen sofort in sich
zusammen, denn auch in den Nachbarländern
Schweiz und
Österreich sowie den
südeuropäischen Ländern
Italien und
Spanien
sind die Geburtenraten weit entfernt vom
Bestandserhaltungsniveau. Dort
kann man sich noch nicht einmal auf einen
Geburtencrash
infolge einer Wiedervereinigung
berufen. Der ostdeutsche Geburtenausfall spielt -
da er den deutschen Debattenkonsens stört -
keine Rolle, stattdessen werden Singles an den
Pranger gestellt. Sie sollen an allem Schuld
sein, was in den letzten 30 Jahren in Deutschland
schief gelaufen ist. Susanne
GASCHKE fragte in der ZEIT vom 14.08.
Wo
sind die Kinder? Die sozialpopulistische
Antwort wird gleich mitgeliefert: Kein
Nachwuchs, keine Rente. Diese Debatte um
eine Rente nach Kinderzahl dient
in erster Linie dazu den Druck auf junge
Kinderlose zu erhöhen. Dankbar
wurde GASCHKEs Beitrag auch in Österreich
aufgegriffen (Presse vom 23.08.) und
entfachte dort eine Wertedebatte.
Eine
Allparteienkoalition hat in Deutschland das
Elternwahlrecht
(segelt auch gerne als Kinderwahlrecht unter
falscher Flagge) auf die politische Agenda
gesetzt. Kinderlose würden damit zu Menschen
zweiter Klasse degradiert. Auch diese Debatte hat
momentan keine praktischen Folgen, sondern dient
der besseren Durchsetzbarkeit nahe liegender,
singlefeindlicher Reformen der sozialen
Sicherungssysteme.
Im
heißen August eröffnete der Tagesspiegel den
diesjährigen Generationenkrieg.
Anlässlich der Gesundheitsreform durfte der neue
Junge Union-Chef Philipp MIßFELDER das
Sommerloch zur Profilierung nutzen. Jung
gegen alt titelte daraufhin unisono die
krisengeschüttelte Presse. Rechtzeitig vor dem
Weihnachtsfest verkündete dann der
Sozialpädagoge der Nation, Horst W. OPASCHOWSKI, den
Generationenfrieden.
Auch die Gesundheitsreform passierte friedlich
alle Hürden.
2) Singles
in der Gesellschaft
Unter dem Begriff
Wandel des
Wertewandels (HRADIL) wird nun auch -
mit 10jähriger Verspätung! - in der
Mainstream-Soziologie der Sachverhalt diskutiert,
dass Singles bereits in den 1990er Jahren nicht
mehr die Speerspitze des Wertewandels waren.
Die neuen Werte
"Möglich,
dass vor allem die akute ökonomische Krise das Erstarken
den Bürgerlichkeit fördert, die allmähliche Rückgewinnung
von Tugenden (...), überhaupt die Wiederentdeckung der
Form - sie war lange verrufen als steife Verhinderung
ungezwungener Selbstverwirklichung, aber sie kann eben
auch (...) Sicherheit bieten". |
Die Generation
Golf gilt stattdessen als Vorreiter
neuer Werte (Spiegel vom 07.07.), die manchem als
die alten erscheinen mögen. Ist
nun der Single statt der Familie das
Auslaufmodell? Offenbar ist das eine
irreführende Entgegensetzung, die dem
herrschenden Begriffschaos geschuldet ist.
Begreift man mit Walter BIEN die Singles als Teil
der Familie, deren gegenwärtige Gestalt mit dem
Begriff der
multilokalen
Mehrgenerationen-Familie (Hans BERTRAM)
am zutreffendsten beschrieben ist, dann verliert
die Eingangsfrage ihren Sinn und man kann sich
den wichtigen Fragen widmen.
Der Wandel des Wertewandels kommt bestimmt
"Autonomie,
Individualisierung, Emanzipation haben eine lange
gesellschaftliche Kultur der Gemeinschaftungen, Kollektive und
paternalistischen Betreuungen abgelöst.
Individualisierungsmöglichkeiten waren in den sechziger Jahren
des 20. Jahrhunderts noch eine Mangelware - daher die mächtige
Strömung in diese Richtung danach. Nur: Heute ist die
Abständigkeit, die Unabhängigkeit von Vergemeinschaftungen keine
Mangelware mehr. Im Gegenteil. (...). Es kann sich ein großer
Bedarf entwickeln - nicht nach noch mehr Individualisierung,
nicht nach noch mehr Autonomie, nicht nach noch weiterer
Entstrukturierung, übrigens auch nicht nach zusätzlicher
Entstaatlichung, sondern, ein bisschen jedenfalls, in die
entgegengesetzte Richtung: nach neuerlicher Bindung, nach der
Geborgenheit in schützenden Vergemeinschaftungen."
(Berliner
Republik, 2003, S.45) |
Der
Politikwissenschaftler Franz WALTER versucht z. B. inzwischen
die Konsequenzen des neuen Wertewandels für die
Parteipolitik aufzuzeigen. Eines scheint gewiss:
Ulrich BECKs Leitstern ist gerade am Sinken und
die Wortgewaltigen der Individualisierungsdebatte
gehen ihrer Diskurshegemonie verlustig. Für
Singles bedeutet dies, sie haben in der
Gesellschaft noch weniger zu sagen als dies
bislang schon der Fall war. Glamour war gestern.
Singles
werden in erster Linie als unfreiwillig
Partnerlose wahrgenommen. Die
Paarindustrie erhofft sich Profit zu allererst
vom Internet als Kuppelmedium. Liebe
ist die Killerapplikation heißt es dazu in
der Welt vom 25.02. Partnersuchende
(ein Begriff, der in den Medien tendenziell mit
Partnerlosen gleichgesetzt wird) gelten
Sitebetreibern als Personen, die trotz der
geschäftsschädigenden Kostenlos-Kultur, gerne
Geld bezahlen, um ihr Leiden zu beenden oder
abzumildern. Nicht
selten versuchen Verlage die Krise der Presse mit
Angeboten für einsame Herzen abzufedern. Die
Zunahme von Storys zu diesem Segment beruht also
durchaus auf einem Eigeninteresse der Medien.
Die Single-Partner
"Im Auftrag von FOCUS hat der
Mainzer Professor Schneider die Daten seiner Studie »Berufsmobilität und Lebensform«
(...) noch einmal speziell ausgewertet. Das Ergebnis
beantwortet die Fragen, wer in einer Fernbeziehung lebt
und aus welchen Gründen".
(Focus Nr.17 v. 19.04.2003) |
Manchmal
werden Singles aber auch Partner zugestanden. Der
Focus widmete den Partnern der
Singles im April sogar eine
Titelgeschichte. Im Mittelpunkt steht aber auch
hier nicht die freiwillige Variante des
Living
apart together, sondern die beruflich
erzwungene Fernliebe. Die Studie
dazu erschien bereits
im Jahr 2002. Die
Erhebungen des Mainzer Soziologen Norbert F.
SCHNEIDER wurden jedoch bereits vor der Jobkrise
der Generation Golf durchgeführt und sind
deshalb von der Realität längst überholt. Nicht mehr die
Aufwärts-, sondern die Abwärtsmobilität bestimmt die Motive der
meisten Fernliebenden.
Das Wissen der 35-Jährigen
"Vor
zehn Jahren wäre es vielleicht noch aufregend gewesen,
jobbedingt die Stadt zu wechseln. Damals fanden wir auch
Fernbeziehung noch ideal. Mittlerweile hoffen wir eher,
dass unsere Mobilität nicht schon wieder auf die Probe
gestellt wird. Wir haben einfach keine Lust mehr auf
Living Apart Together, wir wollen uns nicht wieder einen
neuen Freundeskreis suchen. Schließlich ersetzt uns der
jetzige die Familie! Und er spiegelt uns so wider, wie wir
uns sehen wollen. Veränderung kann dieses Bild nur
verzerren. Freiheit heißt für die meisten von uns
mittlerweile, nicht mobil sein zu müssen."
(2003, S.116) |
Volker MARQUARDT sieht
deshalb in der Fernliebe nicht mehr das
Glamouröse der Beziehungsaristokraten, sondern
der Zwang der Verhältnisse wertet diese Paarform
für ihn ab.
Der Mann
"Warum
gibt es eigentlich Männer, und noch dazu so viele? Die
Herstellung eines männlichen Organismus ist biologisch
sehr aufwendig - weshalb auch etliche Arten ohne Männchen
auskommen -, und schon ein einziger Mann könnte mit den
bei einem Geschlechtsakt produzierten Samenzellen
sämtliche Frauen in Europa befruchten. Mehr noch:
Spätestens seit Klonschaf Dolly ist klar, dass Männer
sogar zur Erzeugung von Nachwuchs im Grunde überflüssig
sind. Ist der Mann also ein evolutionäres Auslaufmodell,
ein Irrtum der Natur"
(Klappentext 2003) |
Pünktlich
zum Beginn des zweiten Halbjahrs beschwor Frank
SCHIRRMACHER die Männerdämmerung.
Dieses Thema wurde in der Folge vielfältig
ausgelegt. Den Startschuss für die neue
Männerbewegung gab dagegen eher unbemerkt - im
Mai - der Soziologe Rainer PARIS mit
Doing
Gender. Der
Merkur-Beitrag ist paradigmatisch für
jenen Teil der Männer, die dem
1970er-Jahre-Feminismus à la SCHWARZER den Kampf
ansagt. In dieser Sicht ist dann der
allein lebende
Mann ein Opfer der feminisierten Gesellschaft.
Die zunehmende Zahl der männlichen Frust-Singles
(HORX) werden dies dankbar zur Kenntnis genommen
haben.
3)
Singles in TV, Film und Literatur
Das Jahr 2003 war das Jahr, in dem
die Popliteratur das Kino eroberte.
Von Soloalbum über Liegen lernen
bis zum Herr Lehmann durfte der
Singlemann noch einmal eine Rolle spielen, die
ihm in der Literatur nicht mehr zukommt. Von
den drei Bestsellerverfilmungen strahlt Liegen
lernen am ehesten den neuen Zeitgeist aus.
Am Ende ist der Single-Mann erst als Vater ein
richtiger Mann. Herr Lehmann ist dagegen
ein Beispiel dafür, dass der Single-Flair nur
noch als Nostalgie zu haben ist. In Zeiten des
Familienfundamentalismus haben
Single-Männer nichts mehr zu lachen. Jamal
TUSCHICK liefert mit dem Roman Bis zum Ende
der B-Seite einen Vorgeschmack auf diese
neuen Zeiten:
Bis zum Ende der B-Seite
"Ich konnte keine Kaugummis
aufblasen, nicht auf den Fingern pfeifen,
nicht gut fangen und nicht weit werfen. Ich
war eine Niete im Fußball. Ich verabredete
mich nicht zu Schlägereien. Nie stand ich
jemandem bei. Ich fuhr weder Mofa noch Moped.
Außerdem war ich so verblendet, diesen
Initiationselementen keine Bedeutung
einzuräumen. Ich dachte allen Ernstes, sie
seien nicht wichtig. Ich war so blöd zu
glauben, mich nicht messen zu müssen. In
diesem Schlick jugendlicher Untüchtigkeit
liegt der Grund, daß ich keine Familie habe.
Ich unterhalte Beziehungen zu Frauen, die von
mir keinen Beitrag zur Verbesserung ihrer
Verhältnisse erwarten. (...). Ich komme an
andere Frauen nicht heran. (...). Meine
Freundinnen waren nie meine Traummädchen.
Denen hätte ich die Wege abschneiden
müssen. So wirbt man, wenn man weiter nichts
zu bedenken hat."
(2003, S.34f.) |
Mit dem Ende der Erfolgsserien Ally
McBeal und Sex and the City geht
auch für die kinderlose Karrierefrau
eine Ära zu Ende. Dröge Baby-Boom-Kost
wie Schnuller-Alarm usw. sollen
klarmachen: Frausein ist nur noch als Muttersein
erwünscht. Wer
nicht zum Club der schönen Mütter
gehören möchte, der hat mit Sanktionen zu
rechnen. Erst als Zugabe zur Mutterschaft wird
auch eine berufliche Karriere geduldet, wenn's
denn wirklich sein muss.
Zwei Elternmodelle stellen die Medien dafür zur
Wahl:
1) Prenzlauer Berg-Popeltern
Diese urbane Variante verspricht
die Vereinbarkeit von Karriere und
Elternschaft mit der Spaßgesellschaft.
Abenteuer Kind (Zitty
05.05.) heißt die Devise.
Elke
BUHR hat das harte Leben als
Popmutter
im Kursbuch über die 30Jährigen
beschrieben. Family Gentrifier (Monika
ALISCH) heißt diese Variante im
Soziologendeutsch. Mehr
als ein Kind erfordert jedoch eine
ausgeklügelte Dienstleistungsökonomie,
die entweder privat organisiert oder
öffentlich bzw. marktwirtschaftlich
angeboten werden muss. Gösta ESPING-ANDERSEN, der
neue Guru der Sozialdemokratie, rechtfertigt
die
Erfordernis eines
Niedriglohnsektors mit dieser neuen
Familienstruktur der Mütterelite.
2) Schwarz-grünes Modell
aus Laer
Im nordrhein-westfälischen Laer
liefert der Katholizismus die moralischen
Vorgaben und der grüne Bürgermeister die
notwendige Infrastruktur zur Vereinbarkeit
von Beruf und Familie. Pop
ist hier ein Fremdwort. Das Land ist sich
selbst genug. Die neue Arbeitsethik kommt als
Gebärethik daher.
Die zwei Elternmodelle
korrespondieren mit den beiden Modellen von alter
und neuer Mitte. Das
Doppel-Karriere-Modell der neuen Mitte ist eher
urban orientiert, während es die alte Mitte mit
ihrer traditionellen Manager-Ehe rustikal
ländlich liebt.
4) Ausblick
Für
Singles bedeutet das Wahljahr 2004 weiter zunehmenden Druck,
denn die etablierten Parteien kennen nur noch Familien. Keine
Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran, heißt das
Motto der Neoliberalen. Singles werden
inzwischen von
der Bahn AG mit dem Slogan konfrontiert
Setzen Sie Kinder in die Welt. Familien
fahren jetzt so günstig wie nie. So rächt
sich die Bahn an den
Alleinreisenden,
die ihr eine Änderung der Bahnpreisreform
abgerungen haben.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der
"Single-Gesellschaft"
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
|
|