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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Deutschlands Zukunft im Spiegel der Öffentlichkeit

 
       
   

Eine Bibliografie der Debatte um die Bevölkerungsentwicklung in wiedervereinigten Deutschland (1990 - heute)

 
       
     
   
     
     
 

Einführung

Ein Blick in die Vergangenheit der Zukunft Deutschlands bietet die Möglichkeit die Grenzen von Bevölkerungsvorausberechnungen zu erkennen. Welche Zukünfte wurden uns Deutschen prophezeit und was ist davon überhaupt eingetreten? Diese Bibliografie ermöglicht einen Vergleich zwischen zeithistorischen Befürchtungen bezüglich des demografischen Wandels und der tatsächlichen Entwicklung in Deutschland.

Kommentierte Bibliografie (Teil 4: 2011 - 2013)

2011

KÖLNER STADT-ANZEIGER-Serie: Wir werden weniger (Teil 7)

OFFERGELD, Silke (2011): In Deutschland droht der Pflegekollaps.
Experten warnen vor der steigenden Zahl der Dementen - Wenn die Alten für die noch Älteren sorgen müssen,
in: Kölner Stadt-Anzeiger v. 06.01.

ZIMMERMANN, Klaus F. (2011): Die Zukunft der Arbeit.
Keine Sorge, die Jobs gehen uns nicht aus. Doch die Berufswelt verändert sich stark. Zehn Thesen,
in: Süddeutsche Zeitung v. 08.01.

Der umstrittene Präsident des DIW trägt das seit den 1970er Jahren immerwährende Mantra der Ökonomen vor: es mangelt in Zukunft an Arbeitskräften. Als Beispiel eine kleine Kostprobe für die Treffsicherheit von DIW-Bevölkerungsvorausberechnungen, die ja die Grundlage für Vorhersagen der Arbeitskräfteentwicklung sind.

Unser Papst in Sachen Bevölkerungsvorausberechnung, der Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG hat im DIW-Wochenbericht Nr.24/1981 eine Vorausberechnung bis zum Jahr 2030 auf der Basis der Daten von 1980 vorgelegt.

Für das Jahr 2000 hat Herwig BIRG eine Untergrenze von 59,1 Millionen und eine Obergrenze von 62,4 Millionen errechnet. Der tatsächliche Bevölkerungstand auf dem Territorium der Bundesrepublik betrug im Jahr 2000 jedoch 67,2 Millionen. Dumm gelaufen kann man da nur sagen. In nur 20 Jahren um 5 Millionen Menschen verschätzt. Natürlich konnte unser Bevölkerungspapst den Mauerfall nicht vorhersehen. Aber bei allen Bevölkerungsvorausberechnungen gab es unvorhergesehene Ereignisse, die Neuberechnungen erforderlich machten. Allein im Zeitraum 1970 bis 1980 musste das DIW seine Bevölkerungsvorausberechnungen 5 Mal korrigieren!

Ausgerechnet jetzt soll das anders werden? Ausgerechnet jetzt soll es keine unvorhersehbare Ereignisse mehr geben? Von heute auf morgen könnten die Geburtenzahlen explodieren und zwar nicht, weil die Geburtenrate steigt, sondern weil die Frauen den Zeitpunkt ihrer Geburten ändern. Es liegen keinerlei Berechnungen für diesen Fall vor, weil das Gebärverhalten in den letzten Jahren scheinbar eine Konstante war, die einer Naturkonstanten entspricht.

Es könnte auch ein Einbruch bei der Lebenserwartung geben, den sich heutzutage kein Mensch vorstellen kann. Aber in den zurückliegenden Jahrhunderten traten immer unerklärliche Vorgänge ein, die man sich erst im Nachhinein erklären musste.

Alle Vorausberechnungen haben den Nachteil, dass sie die Zukunft aus Entwicklungen der Vergangenheit erklären und so tun, als ob diese Entwicklungen sich fortsetzen. Diesen Gefallen tun die Entwicklungen aber nicht.

Unsere Ökonomen sind noch nicht einmal in der Lage den Bedarf an Kindertagesstätten auf Zeiträume von weniger als 5 Jahren richtig einzuschätzen.

Müssten die Ökonomen bei jeder Prognose die Fehleinschätzungen ihrer vergangenen Prognosen vortragen, dann wären sie auf alle Fälle vorsichtiger. Also Herr ZIMMERMANN erzählen Sie uns bitte, was Sie vor 5, vor 10 Jahren über die Arbeitswelt von 2010 erzählt haben. Bevor dies nicht getan ist, sollte jedem Ökonomen verboten werden, über die Zukunft zu schwafeln. Man kann sicher sein, die Wortmeldungen von Ökonomen würden rapide abnehmen. Wir könnten uns dann wichtigeren Dingen zuwenden...

TV-Film 2030 - Aufstand der Jungen (Januar 2011)

AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE-Thema: Demografischer Wandel

BRYANT, Thomas (2011): Alterungsangst und Todesgefahr.
Der deutsche Demografie-Diskurs (1911-2011)
in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr.10-11 v. 07.03.

Der Historiker Thomas BRYANT zeichnet die 100jährige Debatte zum demografischen Wandel nach, in der des Öfteren die Gefahr der "Vergreisung" und des "Aussterbens" beschwört worden ist. Die Debatte um den Geburtenrückgang als Ursache dieser gefährlichen Entwicklung setzt um das Jahr 1911 ein:

"1911 ist gewissermaßen das Stichjahr für die Diskussion über die demografische Alterung in Deutschland. Es war der Gynäkologe Max Hirsch, der in jenem Jahr einen Aufsatz unter dem Titel »Der Geburtenrückgang - Etwas über seine Ursachen und die gesetzgeberischen Maßnahmen zu seiner Bekämpfung« veröffentlichte. Auch wenn der Begriff »Geburtenrückgang« hier erstmals im Titel einer Veröffentlichung auftauchte, so gab es bereits schon zuvor einige andere Autoren, die sich gleichermaßen mit diesem Gegenstand auseinandergesetzt hatten."

Unter der Formel "Deutschland in Gefahr" fasst BRYANT die Debatte der Jahre 1911 - 1945 zusammen, in der Nationalökonomen wie Lujo BRENTANO oder Julius WOLF ("Der Geburtenrückgang"), Mediziner, Hygieniker und vor allem der Bevölkerungswissenschaftler Friedrich BURGDÖRFER die Entwicklungen beschrieben bzw. wie letzterer populärwissenschaftlich anheizten:

"Mit seinem 1932 veröffentlichten Hauptwerk »Volk ohne Jugend« verhalf Burgdörfer diesem Diskurs endgültig zum Durchbruch, indem er »die drohende Schrumpfung und Überalterung des Volkskörpers« aufs Schärfste verurteilte und sich zugleich energisch für eine »volkserneuernde, volkserhaltende Familienpolitik« aussprach, um so die »biologische Selbstvernichtung« des deutschen Volkes abzuwenden.
Nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten 1933 stiegen demografische Themen in den Rang eines zentralen, gesamtgesellschaftlichen Politikums auf."

Was heutzutage gerne verdrängt wird: im goldenen Zeitalter von Ehe und Familie, also den 1950er Jahren, wurde das Aussterben beschworen. Ganz im Gegensatz zum gegenwärtigen Mythos, wonach Konrad ADENAUER zugeschrieben wird, dass Frauen Kinder immer kriegen, sah das 1953 ganz anders aus:

"Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Gründung eines Bundesministeriums für Familienfragen im Herbst 1953. Bundeskanzler Konrad Adenauer rechtfertigte dieses institutionelle Novum damit, dass »die wachsende Überalterung des deutschen Volkes« gefährlich und »die Bevölkerungsbilanz des deutschen Volkes (...) erschreckend« sei. Sein zuständiger Fachminister Franz-Josef Wuermeling malte gar das altbekannte Schreckgespenst vom »allmähliche(n) Aussterben unseres Volkes« an die Wand."

Den Nachkriegsdiskurs nennt BRYANT "Deutschland ohne Deutsche". Erstaunlicherweise liest man jedoch bei BRYANT, dass die Debatte erst wieder in den 1980er Jahren entflammt. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Tatsache, dass bereits in den 1970er Jahren entscheidende Weichenstellungen vorgenommen werden (Gründung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung 1973) und gerade auch im Hinblick auf die Rentenpolitik eine öffentliche Debatte forciert wurde (auch hier). Dagegen wird die Debatte seit der Wiedervereinigung von BRYANT unter das schillernde Motto "Deutschland gegen Methusalem" gestellt, was einer Verengung der Debatte auf die Kontroverse um das Methusalem-Komplott (Frank SCHIRRMACHER) geschuldet ist. Für BRYANT ist für diese Phase ein Schwanken zwischen zwei Extrempositionen charakteristisch. Entscheidender ist jedoch, dass mit dem  demografischen Wandel die Agenda 2010 gerechtfertigt wurde, die das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer verändert hat.

"Ungeachtet dieser Ambivalenz bleibt festzuhalten, dass der diskursive Schwerpunkt nach wie vor eindeutig auf den »Gefahren« des demografischen Wandels liegt - vorrangig im Bereich der staatlichen Wohlfahrtspolitik. Die letztgenannte Sichtweise offenbarte sich auch 2003 in einer Rede des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering: »Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit die drohende Überalterung unserer Gesellschaft verschlafen. Jetzt sind wir aufgewacht. Unsere Antwort heißt: Agenda 2010! Die Demografie macht den Umbau unserer Sozialsysteme zwingend notwendig.«"

Kritische Sozialwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Demographisierung sozialer Probleme" bzw. "Demographisierung des Gesellschaftlichen". In der Schlussbetrachtung geht BRYANT auf Thilo SARRAZINs Bestseller Deutschland schafft sich ab ein, den er als Vorbote weiterer "Erbwalter" einer bedenklichen nationalen Tradition einstuft. Vor diesem Hintergrund ist jedoch die Einschätzung von BRYANT, dass der Begriff "demografischer Wandel" zur Versachlichung der Debatte beigetragen hat, selber ideologisch. BRYANT behauptet, dass dadurch die Chancen der "demografischen Alterung" diskutierbar geworden seien:

"Aufgrund der demografischen Veränderungen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung richtete der Deutschen Bundestag eine Enquête-Kommission ein, die sich ausführlich mit diesem Thema auseinandersetzte. Der Kommission war es gelungen, die ideologisch aufgeladenen Begriffe »Vergreisung« und »Volkstod« weitestgehend durch den neutraleren Begriff »demografischer Wandel« - der sich inzwischen mehrheitlich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat - zu ersetzen und damit zugleich auch den Alterungsdiskurs insgesamt etwas zu versachlichen.
Ohne diesen semantischen Fortschritt wäre es um die Jahrtausendwende wohl nicht zur Herausbildung eines gänzlich neuen Diskursstranges gekommen, der nun erstmals nicht nur einseitig die Gefahren und Nachteile thematisiert, sondern ergänzend dazu auch die potenziellen Chancen und Vorzüge der demografischen Alterung mit in Betracht zieht."

Inwiefern die "potenziellen Chancen und Vorzüge" tatsächlich realisiert werden können, ist jedoch die entscheidende Frage. Das hervorragende Buch Lebensqualität produzieren von Alban KNECHT zeigt deutlich, dass mehr Lebensqualität für alle eine Herausforderung darstellt, denn es besteht die Gefahr, dass in unserem konservativen Wohlfahrtsregime die Chancen des demografischen Wandels ungenutzt bleiben.

PUSCHNER, Sebastian (2011): "Viele Länder sind uns demografisch auf den Fersen."
Im Gespräch: Die deutsche Angst vor dem Aussterben hat Tradition, sagt der Demografieforscher Ralf Ulrich. Zuwanderung allein kann das Problem nicht mehr lösen,
in: Freitag Nr.39 v. 29.09.

SOBOTKA, Tomáš & Wolfgang LUTZ (2010): Wie Politik durch falsche Interpretationen der konventionellen Perioden-TFR in die Irre geführt wird: Sollten wir aufhören, diesen Indikator zu publizieren?
CPOS-Thema: Tempoeffekte in demografischen Periodenmaßen,
in: Comparative Population Studies, Heft 3

Tomáš SOBOTKA & Wolfgang LUTZ befassen sich mit den Unzulänglichkeiten des Indikators der durchschnittlichen Kinderzahl (TFR), die bislang die politische Debatte um den demografischen Wandel dominierte. Anhand von 4 Beispielen zeigen sie die Problematik auf:

1) die vermutete Kluft zwischen gewünschter und realisierter Kinderzahl
2) der aktuelle Anstieg der TFR in Europa
3) die Kinderzahl von Migrantinnen im Vergleich zu den Einheimischen
4) der Zusammenhang zwischen Familienpolitik und TFR-Änderungen

Letzter Punkt ist besonders interessant, denn in der Debatte um das Elterngeld dominierte lange Zeit Schweden als Musterland (inzwischen hat Frankreich diese Rolle für andere Reformvorhaben übernommen). Der schwedische "Babyboom" infolge des Elterngeldes galt bisweilen als Rechtfertigungsgrund für die Einführung des Elterngeldes auch in Deutschland. SOBOTKA & LUTZ weisen darauf hin, dass der dortige Anstieg der TFR weniger eine Änderung im Geburtenausmaß (Quantum), sondern vor allem eine Änderung im Timing (Vorziehen von Geburten) und Geburtenabstand (zweite und dritte Kinder folgen in einem kürzeren Abstand auf das erste Kind) bewirkt hat.

SOBOTKA & LUTZ sehen für Deutschland deshalb die Gefahr, dass die TFR einen Babyboom (Änderung des Quantums) vorgaukeln könnte, obwohl es sich nur um das Vorziehen von Geburten handelt (Tempoeffekt).

VÖLPEL, Eva (2011): Schrumpfen und vergreisen.
Zukunft: Bis 2060 werden in Deutschland rund 17 Millionen weniger Menschen leben, zeigt der Demografiebericht der Bundesregierung. Vor allem Ostdeutschland ist betroffen,
in: TAZ v. 27.10.

Demografieberichte sind die Stunde der Schwarzmalerei. Von rechts bis links liest man heute das, was das Bundesinnenministerium vorgibt. Investigativer Journalismus? Fehlanzeige! Dabei ist der Bericht alles andere als stichhaltig.

1. Der Bericht beruht auf Basisdaten von 2008. Dies entspricht der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, die am 18. November 2009 veröffentlicht wurde. Angenommen wird im Demografiebericht die Variante 1-W1 "mittlere Bevölkerung, Untergrenze".

Stand: 31.12. Prognose (Bevölkerung in Millionen) tatsächliche Entwicklung (Bevölkerung in Millionen)
2008 82,002 82,002
2009 81,735 81,802
2010 81,545 81,752
2011 81,374 März: 81,7

Bereits nach zwei Jahren ist die Bevölkerungsentwicklung positiver verlaufen als in der Variante, die im Demografiebericht als voraussichtliche Entwicklung angenommen wird. Dabei wurden bereits in den letzten Jahren Korrekturen nach unten vorgenommen, damit die Volkszählungszahlen 2011 nicht zu sehr von der Bevölkerungsfortschreibung abweichen.

2. In der Basisannahme wird eine Geburtenhäufigkeit von 1,4 Kinder pro Frau angenommen. Tatsächlich liegt aber die Geburtenhäufigkeit der Anfang der 1960er Jahre geborenen  Frauen, die ihre endgültige Kinderzahl erreicht haben zwischen 1,6 und 1,5. Nicht einmal der Jahrgang 1965 wird die Zahl von 1,5 unterschreiten. Auch bei den in den 1970er Jahren geborenen Frauen ist dies nicht wahrscheinlich. Ob überhaupt ein Frauenjahrgang die 1,4 unterschreitet ist nicht sicher.

3. Die Zahl der Erwerbsfähigen ist stark abhängig von der Berechnung des Altersquotienten. BOHSEM schreibt in der SZ:

"Kamen im vergangenen Jahr 34 Alte auf 100 Erwerbstätige wird sich dieses Verhältnis bis 2060 deutlich verändern - auf 67 auf 100".

Grundlage dafür ist eine Altersgrenze von 65 Jahren. Bereits die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 67 Jahre bedeutet einen Rückgang von 67 auf 59 Rentner pro 100 Erwerbsfähige. Zudem kann der Erwerbsfähigenanteil durch Verkürzung der Ausbildungszeiten und einen früheren Einstieg ins Berufsleben erhöht werden.

4. Die Erwerbsfähigen beinhalten viele Menschen, die dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen, z.B. die offiziellen Arbeitslosen. Bei in den letzten Jahren 7 Millionen Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung standen (Die amtliche Statistik rechnet die tatsächliche Zahl - "Arbeitslose" genannt - klein), bedeutet eine Verringerung dieser Menschen bis 2060 eine  Erhöhung der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Menschen.

Fakt ist: Der Demografiebericht überschätzt den Einfluss der Bevölkerungsentwicklung auf die Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung gewaltig.

LUTZ, Martin (2011): Deutschland bleiben nur wenige Wachstumsinseln.
Bundesregierung legt erstmals Bericht zum demografischen Wandel vor: 2060 gibt es voraussichtlich noch 65 Millionen Deutsche,
in: Welt v. 27.10.

BOHSEM, Guido (2011): Weniger, älter, einsamer.
Weil die Gesellschaft schrumpft, sollen vor allem berufstätige Mütter und Jungendliche ohne Abschluss die Lücken auf dem Arbeitsmarkt füllen,
in: Süddeutsche Zeitung v. 27.10.

PRANTL, Heribert (2011): Deutschland, ein Fliegenpilz.
Die Bundesrepublik braucht Einwanderung, sonst droht ein gewaltiger Verlust an Vitalität,
in: Süddeutsche Zeitung v. 27.10.

Nur Zyniker wie Heribert PRANTL sehen allen Ernstes die Pyramidenform der Bevölkerung als Zeichen einer vitalen Gesellschaft. Das Gegenteil ist der Fall: hohe Kinder-, Jugend- und Erwachsenensterblichkeit ist die Grundlage der Pyramide. Oder wie es Werner BRACHAT-SCHWARZ im Statistischen Monatsheft Baden-Württemberg vom September 2011 schreibt:

"Die aktuelle Form, oftmals als »kranke« Pyramide bezeichnet, hat sich nicht nur wegen der anhaltend zu geringen Geburtenrate ergeben, sondern auch weil die Lebenserwartung stark angestiegen ist. Das heißt aber, dass die angeblich »kranken« Alterspyramiden weder krank noch gesund sind. Dagegen spiegeln »gesunde« Alterspyramiden eher eine kranke Bevölkerung wider, in der Menschen frühzeitig sterben" (S.16)

STUTTGARTER ZEITUNG-Tagesthema: Deutschland vergreist.
Demografen warnen: Die Altersstruktur der Bevölkerung verschiebt sich dramatisch. Betroffen sind vor allem ländliche Gebiete und der Osten

LINK, Christoph (2011): Angst vor der großen Leere.
Demografie: Der starke Rückgang der Bevölkerung trifft zuerst strukturschwache Gebiete. Im Süden steht die Region Pirmasens beispielhaft für das Problem. Man erprobt in der Pfalz längst Strategien gegen Abwanderung - seit Jahrzehnten ist man betroffen,
in: Stuttgarter Zeitung v. 21.11.

2012

BMFSFJ (2012): Familienpolitik und Fertilität: demografische Entwicklungen und politische Gestaltungsmöglichkeiten.
Monitor Familienforschung, Ausgabe 27,
in:
bmfsfj.de, März

Die aktuelle familienpolitische Selbstdarstellung des Bundesfamilienministeriums bezieht sich bei der Geburtenentwicklung in Deutschland nicht mehr auf die bislang dominierende nationalkonservative Position, sondern macht sich die fortschrittliche Position des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung zu eigen, die von einer höheren Geburtenrate in der jüngeren Generation ausgeht:

"Die Studien zeigen, dass die um den Tempo-Effekt korrigierte Geburtenrate bei etwa 1,6 Kindern pro Frau liegt (vgl. European Commission 2010: 32, Goldstein/Kreyenfeld 2011). Das bedeutet, dass Frauen in Deutschland aktuell im Durchschnitt etwa 1,6 Kinder bekommen (gleichermaßen in West- wie Ostdeutsch-land). Es gibt sogar erste Hinweise darauf, dass Frauen, die in den 1970er-Jahren geboren wurden, im Durchschnitt wieder mehr Kinder bekommen als die in den 1960er-Jahren geborenen Frauen."

EBBINGHAUS, Uwe (2012): 2030 - Odyssee in eine gealterte Gesellschaft.
Mit der Gestaltung von Europas Zukunft hat die Politik gerade alle Hände voll zu tun. Dabei vergisst sie die alternde Gesellschaft. Anhand seriöser Voraussagen wollen wir in einer erfundenen Familiengeschichte ein Demenz- und Gesellschaftsszenario für das Jahr 2030 entwerfen. Wie können wir altern?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.03.

"Nach einer Modellrechnung des Statistischen Bundesamtes ist (...)(Klaus W.) einer von etwa zwei Millionen Alzheimer-Kranken - zu Beginn des Jahrhunderts lag der Wert noch bei etwas mehr als einer Million -, gehört zu den 6,3 Millionen Deutschen über achtzig und den ungefähr drei Millionen Pflegebedürftigen des Landes",

erläutert uns EBBINGHAUS das Jahr 2030 und die Folgen des Geburtenrückgangs. Da haben wir gewaltig Glück gehabt, dass der Babyboom bereits Mitte der 1960er Jahre zu Ende gewesen ist, denn dann würden wir 2030 womöglich Soylent Green vorgesetzt bekommen.

Das Statistische Bundesamt bietet lediglich eine Modellrechnung für das Jahr 2030 (Stand: November 2010 ) an. Darin werden bei sinkenden Pflegequote 3 Millionen Pflegebedürftige angegeben (S.30). Dies gilt jedoch nur für eine Entwicklung, die der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung Variante "Untere Grenze mittlere Bevölkerung" entspricht, die von 6,4 Millionen über 80 Jährigen ausgeht. Ausgangspunkt war das Jahr 2008 und es wird von einer konstanten Geburtenrate von lediglich 1,4 bis 2030 ausgegangen. EBBINGHAUS behauptet dagegen - ohne dies zu belegen,

"eine Anhebung der Kinderzahl in Deutschland weit über die zu Beginn des Jahrhunderts übliche Ziffer von 1,4 pro Paar hinaus ist die Grundvoraussetzung für eine machbare Zukunft."

Für das Jahr 2011 wurde ein Bevölkerungsstand von 81,374 Millionen prognostiziert. Tatsächlich weist das Statistische Jahrbuch 81,752 Millionen Einwohner aus. Der Zensus könnte jedoch diese Zahlen nach unten korrigieren.

"An Voraussagen der pflegewirtschaftlichen Misere 2030 hat es nicht gemangelt. Im Jahr 2005 hatte Herwig Birg im Feuilleton dieser Zeitung in einem »Grundkurs Demographie« darauf hingewiesen, dass die absehbare Schrumpfung unserer Gesellschaft deren Volkswirtschaft und die durch Umlageverfahren finanzierten Sozialversicherungen vor kaum lösbaren Probleme stellen werde. Wenig musste er von seinen Voraussagen bis heute zurücknehmen",

behauptet EBBINGHAUS vage. Überprüfen wir doch einmal BIRGs Thesen zur Geburtenentwicklung in Deutschland aus dem Jahr 2005 an der Realität:

"Die Geburtenrate fiel in den neuen Ländern auf ein Minimum von 0,8 im Jahr 1994, seitdem nähert sie sich von unten dem Niveau im Westen."
(Herwig BIRG in der FAZ 26.02.2005)

"2008 stieg die zusammengefasste Geburtenziffer in den neuen Ländern erstmals seit der Deutschen Vereinigung auf ein höheres Niveau als in den alten Ländern. 2010 brachten die ostdeutschen Frauen mit 1,46 Kindern je Frau das dritte Mal in Folge durchschnittlich mehr Kinder zur Welt als die westdeutschen (1,39)."
(DESTATIS "Geburten in Deutschland", 2012, S.15)

Die These von der Angleichung der neuen an die alten Bundesländer, die Herwig BIRG vertreten hat, ist von der Wirklichkeit längst überholt.

"Und wir sind heute angekommen bei ungefähr 1,3 Kindern pro Frau und man kann nicht hoffen oder man sollte nicht hoffen, dass damit auch schon der Tiefpunkt erreicht ist. Denn (...) es ist eher damit zu rechnen, dass die Kinderzahlen noch weiter zurückgehen, als sie jetzt schon sind"
(Herwig BIRG im DeutschlandRadio 16.03.2005)

"Der Rückgang im früheren Bundesgebiet dauerte fast zwanzig Jahre und erreichte Mitte der 1980er Jahre ein vorläufiges Tief mit 1,28 Kindern je Frau. Danach schwankte die zusammengefasste Geburtenziffer geringfügig zwischen 1,35 und 1,45 Kinder je Frau und lag im Jahr 2010 bei 1,39."
(DESTATIS "Geburten in Deutschland", 2012, S.15)

Der Abwärtstrend der Geburtenrate unter 1,3 ist bislang ausgeblieben und es gibt relevante Stimmen, die von einem Anstieg der Geburtenrate in den jüngeren Frauenjahrgängen ausgehen.

"Die Geburtenrate beträgt bei der deutschen Bevölkerung zwar wie in Spanien und Italien etwa 1,2 Geburten pro Frau, bei der zugewanderten rund 1,9 und im Durchschnitt, ähnlich wie in anderen Ländern, 1,3 bis 1,4 Geburten, aber der Grund für das niedrige Niveau ist ein besonderer: Der weltweit einmalig hohe Anteil der Frauen und Männer an einem Jahrgang, die zeitlebens kinderlos bleiben, lieg hierzulande bei etwa einem Drittel."
(Herwig BIRG in der FAZ 22.02.2005)

"Die zusammengefasste Geburtenziffer der deutschen Frauen verharrt schon seit zwanzig Jahren auf dem niedrigen Niveau von 1,3 Kindern je Frau. Das Geburtenniveau der Ausländerinnen geht kontinuierlich zurück.
Anfang der 1990er Jahre lag die zusammengefasste Geburtenziffer ausländischer Frauen bei 2,0 Kinder je Frau. Bis 2010 sank sie auf ca. 1,6. Dadurch näherten sich die zusammengefassten Geburtenziffern deutscher und ausländischer Frauen an."
(DESTATIS "Geburten in Deutschland", 2012, S.22)

"Frauen der Jahrgänge 1939 bis 1963 vergrößerte sich dieser Abstand allmählich. In den alten Ländern nahm die endgültige Kinderlosigkeit von 12 % auf 19 % zu, während sie in den neuen Ländern zunächst auf dem sehr niedrigen Niveau von etwa 7 % verharrte
Bei den zwischen 1964 und 1968 geborenen Frauen nahm in den neuen Ländern der Anteil der Kinderlosen erstmals auf 11 % zu. Damit war er nur halb so hoch wie im früheren Bundesgebiet: Hier war jede fünfte Frau in dieser Jahrgangsgruppe (zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 40 und 44 Jahren) kinderlos (22 %)..

(DESTATIS "Geburten in Deutschland", 2012, S.28)

BIRG überschätzte zum einen das Geburtenniveau der Ausländerinnen und zum anderen den Anteil der Kinderlosen in den 1960er Jahren geborenen westdeutschen Frauenjahrgängen. Statt zu einem Drittel sind sie lediglich zu 22 % kinderlos geblieben. Damit liegt der Anteil der Kinderlosen in Westdeutschland um ein Drittel niedriger als von Herwig BIRG geschätzt. Nimmt man Ostdeutschland hinzu, dann liegt der Kinderlosenanteil sogar noch niedriger.

FAZIT: Herwig BIRG hat die Geburtenentwicklung in Deutschland gravierend falsch vorhergesagt. Das Bundesverfassungsgericht hat sein Pflege-Urteil 2001 aber aufgrund der überhöhten Kinderlosenzahlen von BIRG gefällt.

Wenn schon nach nur 7 Jahren die Geburtenentwicklung derart gravierend von der Vorhersage abweicht. Wie sieht es dann erst im Jahr 2030 aus, wenn BIRGs folgende These endlich einmal zutreffend wäre?

"Die Änderung der Geburtenrate um einen bestimmten Prozentsatz wirkt sich um ein vielfaches stärker auf das Bevölkerungswachstum aus als eine gleich große Änderung der Lebenserwartung."

Schickt den Demagogen BIRG also endlich aufs Altenteil und EBBINGHAUS sollte sich die aktuellen Daten zur Kinderlosigkeit in Deutschland anschauen, bevor er den Kinderlosenanteil "in Deutschland seit 1965" auf "dreißig Prozent eines Jahrgangs" beziffert. Nach der Erhebung von 2008 lag er bereits damals bei unter 20 % bei den 1964 -1968 Geborenen in Gesamtdeutschland und noch niedriger bei den 1959-1963 Geborenen.

BREUER, Ingeborg (2012): Vom Kinderwunsch zum Kind.
Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Demografie: Die Geburtenrate in Deutschland bleibt hinter dem Kinderwunsch insbesondere deutscher Frauen zurück. Doch je nach Berechnungsmethode der Geburtenrate ist nicht zwangsläufig ein demografisches Problem zu erwarten,
in:
DeutschlandRadio v. 22.03.

AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE-Thema: Vollbeschäftigung

PROMBERGER, Markus (2012): Mythos der Vollbeschäftigung und Arbeitsmarkt der Zukunft,
in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr.14-15 v. 02.04.

ACKEREN, Margarete van/GOFFART, Daniel/RANDENBORGH, Katrin van (2012): Deutschland wird mini.
Mit einer großen Demografie-Strategie will Kanzlerin Merkel die drohenden Folgen von Überalterung und Jugendmangel dämpfen. Doch CDU und CSU streiten um Grundsätze wie Zuwanderung und Kinderbetreuung. Verliert Merkel an Autorität?
in:
Focus Nr.17 v. 23.04.

Der Focus berichtet über die Kabinettsvorlage Jedes Alter zählt, die am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden soll. Das Thema Demografie hatte in Deutschland zwischen 2001 und 2006 Hochkonjunktur. Seit der Einführung des Elterngeldes war mehr oder weniger Ruhe an der Demografiefront. Das ändert sich nun wieder. Der letzte Vorstoß zu einer "Demografie-Rücklage" wurde insbesondere von der alten Mitte und hier besonders von der FAZ publizistisch forciert (mehr hier und hier).

Jetzt folgt also eine Demografie-Strategie der Bundesregierung. Innenminister Hans-Peter FRIEDRICH erläutert dazu in der gestrigen Welt am Sonntag:

"Am Mittwoch wird die Demografiestrategie der Bundesregierung verabschiedet. Sie beruht auf der Bestandsaufnahme des Demografieberichts vom Oktober 2011 und benennt Chancen und Risiken der demografischen Entwicklung. Gleichzeitig berücksichtigt sie Beispiele des wegweisenden Umgangs mit dem demografischen Wandel in vielen Kommunen Ostdeutschlands."

Es stellt sich die Frage, wieso nun ein - auf völlig veralteten Daten beruhender Demografiebericht - zur Grundlage genommen wird, statt die Volkszählungsdaten abzuwarten, die voraussichtlich unser Bild von Deutschland ziemlich durcheinanderwirbeln könnten.

Der Demografiebericht, der im Oktober 2011 veröffentlicht wurde, beruht auf einer Fortschreibung der Bevölkerungszahl des Jahres 2009. Schon im Oktober 2011 zeigten sich deutliche Abweichungen zwischen Vorausberechnung und tatsächlicher Entwicklung. Die im Januar 2012 veröffentlichten Daten zur Bevölkerungsentwicklung gehen von einer Erhöhung statt von einer Schrumpfung der Bevölkerungszahl für 2011 aus. Auch die Daten zur Geburtenentwicklung werden zu pessimistisch veranschlagt.

Nichts steht davon im Focus, stattdessen bunte Bildchen, die angeblich den Niedergang durch Vergreisung dokumentieren sollen. Kaffeesatzleserei wird betrieben, wenn dem Jahr 2010 die Situation im Jahr 2060 gegenüber gestellt wird. Bereits vor 2 Jahren wollte der Focus ein Schreckensszenario für das Jahr 2030 zeichnen, was grandios misslang.

Es wird vorgerechnet, dass es im Jahr 2030 ca. 6,3 Millionen Menschen weniger im erwerbsfähigen Alter geben soll als 2010. Im  erwerbsfähigen Alter sind die 20-64 Jährigen, obwohl mit 20 kaum schon jemand arbeitet und mit 64 kaum noch jemand. Dazwischen gibt es das Heer der Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfänger, in Umschulungsmaßnahmen steckende Menschen usw. usf. Hier wird also mit Zahlen jongliert, deren Aussagekraft mehr als dürftig ist.

Im Demografiebericht wird für den Zeitraum 1991 bis 2010 zwischen Gesamtbevölkerung, Erwerbstätigen, Erwerbsfähigenquote (20-64Jährigen) und Arbeitslosen differenziert. Dabei lässt sich erkennen, dass zwischen Demografie und Arbeitsmarkt kein direkter Zusammenhang besteht. So gab es z.B. im Jahr 1996 zwar ca. 1 Million mehr Erwerbsfähige im Alter zwischen 20 und 65 Jahren als 2009, aber erwerbstätig waren 2009 ca. 2,7 Millionen mehr Menschen als 1996. Die Arbeitslosigkeit war zudem 1996 um ca. eine halbe Million Menschen höher. Vor diesem Hintergrund stellt sich viel eher die Frage, ob mit dem angeblichen Schreckgespenst Demografie nicht von der zunehmenden Ungleichheit innerhalb der Generationen abgelenkt werden soll.

Schaubild: Bevölkerung (in Tausend) und Arbeitsmarkt
Datenquelle: Demografiebericht, 2011, S.101

Wie sehen die Gegenstrategien aus? Da ist neben der Erhöhung der Frauenquote, Erhöhung der Lebensarbeitszeit und der Zuwanderung Hochqualifizierter, der Kampf gegen die späte Elternschaft zu nennen, der hier schon seit einiger Zeit beobachtet wurde und zu dem es im Focus heißt:

"Erfrischend deutlich wird die um Nachwuchs besorgte Koalition nur an der Stelle, an der sie die Studentinnen zum Kinderkriegen auffordert. (...). Auf Deutsch: Beeilt euch Mädels und Jungs, und wartet nicht mehr so lange mit dem Nachwuchs! Ausbildung und Studium sollen Kinderfreuden nicht mehr bremsen."

Schwarzmalern wie Elisabeth NIEJAHR ist die Sicht der Kabinettsvorlage zu schönfärberisch.

TICHOMIROWA, Katja (2012): Keine Angst vor den Alten.
Gespräch: Dass viele Alte zu vielen Problemen führen, ist für die Soziologin Silke van Dyk ein Fehlschluss. Die Alterung der Gesellschaft gefährdet ihrer Meinung nach nicht einmal das Rentensystem,
in:
Berliner Zeitung v. 02.05.

"Die Frage der Altersstruktur der Gesellschaft ist nur ein Aspekt unter vielen, die darüber entscheiden, ob ein Umlagesystem wie in der Bundesrepublik funktioniert oder nicht. Ganz entscheidend für Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung sind stagnierende und sinkende Reallöhne, denn das ist die Einnahmebasis. Doch davon hören wir in der dramatisierenden Diskussion über das Rentensystem wenig. Das ist eines der vielen Beispiele wie eine soziale Frage plötzlich als Generationen- beziehungsweise Demografieproblem verkleidet wird", kritisiert Silke van DYK die Demographisierung des Gesellschaftlichen.

MÖLLER, Joachim (2012): Es fehlen Fachkräfte, weil die Gesellschaft altert - stimmt's?
Mythen der Arbeit: Der demografische Wandel krempelt Arbeitsmarkt und Gesellschaft kräftig um. Doch die Engpässe, die Unternehmen bei bestimmten Fachkräften bereits heute beklagen, lassen sich noch nicht auf den demografischen Wandel zurückführen, erklärt Arbeitsforscher,
in:
Spiegel Online v. 11.06.

HENRICH, Anke/KIANI-KRESS, Rüdiger/KROKER, Michael/KUTTER, Susanne/SEIWERT, Martin/SCHUMACHER, Harald (2012): Die Methusalem-Dividende.
Demografie: Die Deutschen altern schneller als manch andere Gesellschaften. Unter dem Deckmantel des Komforts für jedermann entwickeln Unternehmen Produkte und Dienstleistungen für Senioren, die Exportschlager werden könnten. Aber viele Branchen verschlafen ihre Chance,
in:
Wirtschaftswoche Nr.24 v. 11.06.

"Weil Deutschland besonders schnell altert, sind die Unternehmen hier Teil eines Zukunftslabors, in dem sie schon heute Angebote von morgen an der eigenen Bevölkerung testen können. Was sich im größten Markt Europas bewährt, wird früher oder später überall gefragt sein",

meinen die Autoren. Von Ausgaben für Gesundheit, Reisen und Altersvorsorge erhofft man sich zukünftig Wirtschaftswachstum. Als Beispiele für Produkte und Dienstleistungen werden genannt: Assistenzsysteme fürs Auto, Netzwerke für Ältere wie seniorentreff.de, Qualifizierungsberatung für Ältere, seniorenadäquate Wohnformen, Wohnanlagen für Demenzkranke (bei denen eine Steigerung "bis 2030 auf drei Millionen" erwartet wird), Haushaltshilfen ("Caregivers") und Pflegedienstleistungen, innovative Notrufdienste und neue Finanzdienstleistungen.

Druck auf eine Reform des Krankenversicherungssystems geht von der Pharmabranche aus, die stärker von altengerechten Medikamenten profitieren möchte:

"Pharmaunternehmen (...) müssen sich wegen der Sparzwänge der Krankenkassen auf harte juristische Auseinandersetzungen einstellen, wenn sie von den typischen Malaisen des Alterns profitieren wollen."

Einsparpotenziale im Kranken- und Pflegeversicherungswesen sehen dagegen Wissenschaftler wie Andreas KRUSE:

"Seit Jahren weisen Altersforscher nach, dass geistiges Training schon in jüngeren Jahren nicht nur Gesundheit und Arbeitsfähigkeit fördert. Auch Demenzerkrankungen lassen sich so auf viele Jahre hinauszögern."

DAS PARLAMENT-Themenausgabe: Demografischer Wandel

HECKEL, Margaret (2012): Alle können profitieren.
Deutschland altert, aber es gibt unzählige konstruktive Strategien, um damit umzugehen,
in: Das Parlament v. 06.08.

WORATSCHKA, Rainer (2012): Politik braucht Prognosen.
Statistik I: Eine exakte Vorhersage der Zahlen und Fakten zu Bevölkerungsentwicklung, Lebenserwartung und Versicherungsbeiträgen in 30 Jahren ist heute unmöglich. Und trotzdem gibt es Berechnungen bis auf zwei Kommastellen,
in: Das Parlament v. 06.08.

Rainer WORATSCHKA erläutert, warum Prognosen über 40 und mehr Jahre hinweg unseriös sind. Insbesondere den Prognosen der Versicherungsbranche und ihren Helfershelfern sowie den Profiteuren eines Sozialabbaus sollte nicht getraut werden.

Bereits die prognostizierten Zahlen der Pflegebedürftigen für das Jahr 2030 differieren beträchtlich. Gemäß der Soziologin Ewa SOJKA gelangt man aufgrund zweier Szenarien hinsichtlich der Entwicklung der Pflegebedürftigkeit zu Werten zwischen 2,95 und 3,36 Millionen Pflegebedürftigen. Bernd REUSCHENBACH von der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München (SZ vom 24.01.2012) verweist ebenfalls auf zwei Szenarien, bei denen im einen Fall ein Anstieg von 45.000 Pflegebedürftigen pro Jahr zwischen 2020 und 2030 erwartet wird, während sich im anderen Fall der Anstieg nur auf 27.000 Pflegebedürftige pro Jahr belaufen würde.

Bereits die Bevölkerungsentwicklung an sich ist nicht so genau vorherzusagen, wie die letzten Bevölkerungsvorausberechnungen zeigen. Komplizierter wird es dann, wenn diese Entwicklungen auch noch mit anderen Entwicklungen (Rentner, Erwerbstätige, Pflegebedürftige usw.) hochgerechnet werden. Dann können sich die Schwankungsbreiten der einzelnen Entwicklungen zu gravierenden Fehleinschätzungen aufsummieren. Etliche der Bevölkerungsvorausberechnungen der vergangenen Jahrzehnte waren bereits nach nicht einmal 10 Jahren völlig überholt.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Thema: Die Kunst zu altern - Warum es nicht schlimm sein muss, immer länger zu leben

WIEGAND, Ralf (2012): Generation Herbst.
In den kommenden Jahren wird sich Deutschland grundlegend wandeln: Mehr und mehr Bürger werden betagt sein. Doch was heißt das dann? Vermutlich, dass die Menschen immer noch arbeiten werden, vielleicht, dass sie sich gegenseitig pflegen werden. Die Gewissheiten von heute werden jedenfalls nicht mehr gelten,
in: Süddeutsche Zeitung v. 20.10.

BOSBACH, Gerd (2012): Produktivität schlägt Demografie.
Was in der Rentendebatte bewusst verschleiert wird,
in: DeutschlandRadio v. 30.10.

JELLEN, Reinhard (2012): Großfamilie 2.0.
Der Trendforscher Eike Wenzel über die Zukunft,
in: Telepolis v. 31.12.

2013

HENZLER, Claudia (2013): Bis zum letzten Mann.
SZ-Thema Die Provinz verwaist: Von Nordfriesland bis Heidesheim: Gemeinden versuchen alles, damit ihre Einwohner bleiben. Sie sanieren ihre Städte, fördern die Industrie: Es ist ein Wettstreit, den nicht alle gewinnen werden,
in: S
üddeutsche Zeitung v. 12.01.

MPIDR (2013): Endgültige Geburtenraten werden steigen.
Neue Vorausberechnung: Die Zeit sinkender Kinderzahlen pro Frau in entwickelten Ländern geht zu Ende. Auch in Deutschland wird die Rate wieder wachsen,
in:
Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für demografische Forschung v. 21.03.

WURZBACHER, Ralf (2013): "Und solche Leute beraten die Politiker…".
Bertelsmann-Stiftung frisierte Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung – und wurde dabei erwischt. Gespräch mit Gerd Bosbach,
in:
junge Welt v. 22.03.

WIERTH, Alke (2013): Von Kindern kalt erwischt.
Schulplatznot: In Berlin steigt die Kinderzahl schneller als erwartet. In manchen Bezirken platzen die Grundschulen schon aus allen Nähten. Schnelle Hilfe ist aber nicht in Sicht,
in:
TAZ Berlin v. 28.03.

"Die Senatsbildungsverwaltung musste ihre Prognose über die Schülerzahlentwicklung von 2012 auf 2013 allein für Grundschüler um gut 19.000 nach oben korrigieren. Insgesamt wird die Schülerzahl in Berlin nach der neuen Prognose bis 2020 um gut 12 Prozent steigen: von 289.152 auf 325.630. Noch vor einem Jahr hatte die Verwaltung einen Anstieg in diesem Zeitraum auf nur 300.000 erwartet. (...). Der unerwartete Anstieg der Schülerzahlen sei der »außerordentlich positiven Bevölkerungsentwicklung seit der Erstellung der letzten Prognose im Jahr 2008« zu verdanken, heißt es aus der Senatsbildungsverwaltung.",

berichtet Alke WIERTH. Während neoliberale Kaffeesatzleser wie Martin WERDING von gleich bleibenden Geburtenzahlen bis 2060 ausgehen, sieht die Realität schon heute ganz anders aus. Die Bevölkerungsvorausberechnungen der letzten Jahrzehnte waren das Papier nicht wert, auf denen sie geschrieben standen. Inzwischen kritisiert auch Joshua GOLDSTEIN, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, die Prognosepraxis in Deutschland.

BREUER, Ingeborg (2013): Neue Ergebnisse der Demografie.
Deutschlands Bevölkerung nimmt wieder zu: Hunderttausende strömen als Arbeitssuchende in die Bundesrepublik. Zudem prognostizieren Wissenschaftler eine steigende Geburtenrate. Während Optimisten hoffen, den demografischen Wandel stoppen zu können, bleiben Statistiker realistisch,
in: DeutschlandRadio v. 18.04.

KALARICKAL, Jasmin (2013): "Die Kohortenfertilität nimmt zu".
Demografie: Eine neue Prognose sagt, dass Frauen in Deutschland wieder mehr Kinder kriegen. Das sei ein echter Wendepunkt, meint die Demografin Michaela Kreyenfeld,
in: TAZ v. 29.04.

NOWAKOWSKI, Gerd (2013): Die Zukunft beginnt jetzt.
In der Metropolenregion Berlin könnten 2030 fünf Millionen Menschen in Wohlstand leben – nicht zuletzt mit dem Potenzial von Zuzüglern aus aller Welt und Großkonzernen, die jetzt als Start-ups beginnen. Der Auftakt einer Serie über die Stadt von morgen,
in:
Tagesspiegel v. 25.05.

Gerd NOWAKOWSKI betreibt Stadtmarketing, indem er das Wachstum des "gefühlten Berlin" bis 2030 beschreibt:

"Die Bevölkerung hat in den vergangenen drei Jahren um 100 000 Menschen zugenommen; bis 2030 könnten es noch 250 000 Menschen mehr werden. Hinter der Stadtgrenze, wo Falkensee schon die am schnellsten wachsende Gemeinde Deutschlands ist, werden sich zusätzlich Menschen konzentrieren – Brandenburger, die näher an den Jobs der Hauptstadtregion sein wollen oder auch aus anderen Bundesländern neu Hinzugezogene. Das Siedlungsgebiet Berlins wird dann weit über die jetzige Stadtgrenze hinausgreifen. Dabei ist es völlig egal, ob die Politik bis 2030 noch eine Länderfusion zustande bekommt: Im Herzen werden sich die dann fünf Millionen Menschen im Ballungsraum als Berliner fühlen."

DESTATIS (2013): Zensus 2011: 80,2 Millionen Einwohner lebten am 9. Mai 2011 in Deutschland.
Rund 1,5 Millionen Einwohner weniger als bislang angenommen,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 31.05.

Das Ergebnis des Zensus 2011 ist der Tendenz nach wenig überraschend. Entscheidend sind aber die Details - insbesondere das was heute auf der Bundespressekonferenz verschwiegen wurde: Die Anzahl der Kinder unter 18 Jahren ist unterdurchschnittlich zurückgegangen, während die Anzahl der gebärfähigen Frauen überdurchschnittlich zurückgegangen sein könnte (Darauf deutet zumindest der überdurchschnittliche Rückgang der 18-49 Jährigen hin (siehe Tabellenband zur Bundespressekonferenz, Tabelle 3.1). Dies müsste dann zwangsläufig zur Korrektur der Geburtenrate (TFR) nach oben führen.

Da das Statistische Bundesamt die Tabellen für den Altersgruppenvergleich Zensus/Mikrozensus 2011 nicht nach Geschlechtern getrennt aufführt, lassen sich die genauen Daten nur durch eigene Berechnungen ermitteln. Warum liefert das Statistische Bundesamt diese Daten nicht, obwohl sie doch familienpolitisch von Interesse sind? Passen die Daten nicht zur gegenwärtigen familienpolitischen Strategie der Bundesregierung?

EISENACH, Tanja (2013): Niedrigere Einwohnerzahl, höhere Geburtenrate in Deutschland.
Der Zensus, seine Ergebnisse und die Folgen,
in: Pressemitteilung der Universität Bamberg v. 31.05.

Die SZ klärte vor einiger Zeit ihr Online-Publikum darüber auf, dass die gefühlte Geburtenrate viel höher sei als die tatsächliche. Der Zensus 2011 stellt nun richtig: die gefühlte Geburtenrate liegt näher an der tatsächlichen Geburtenrate als die von unseren Bevölkerungswissenschaftlern bislang verbreitete Geburtenrate. Das sieht nun auch die Bevölkerungswissenschaftlerin Henriette ENGELHARDT-WÖLFLER von der Universität Bamberg so:

"Beachtenswerte Konsequenzen hält der Zensus auch für die Messung des Niveaus der Fertilität bereit, die neben Mortalität und Migration das Hauptinteressensgebiet der Bevölkerungswissenschaft darstellt: Betrachtet man die dafür relevanteste Altersgruppe, also Frauen, die zwischen 1961 und 1981 geboren wurden, dann hätte sich ihre Gesamtzahl laut Fortschreibung auf knapp 23,2 Millionen Personen belaufen müssen. Tatsächlich erbrachte der Zensus ein Ergebnis von ca. 22,6 Millionen und damit eine Differenz von knapp 600.000 Frauen in dieser Altersgruppe. Dazu Henriette Engelhardt-Wölfler: »Wenn die Geburtenzahlen stimmen, und davon können wir ausgehen, weil diese in den Krankenhäusern und Geburtshäusern registriert werden, dann würde dieses Ergebnis bedeuten, dass die Geburtenrate höher liegt als bislang angenommen.«"

Dass diese Konsequenzen - wie auf single-generation.de bereits bemängelt - in der Bundespressekonferenz verschwiegen wurden, sollte zu denken geben.

Die Ergebnisse des Zensus 2011 haben zudem gravierende Auswirkungen auf den Bedarf an Kinderbetreuung:

"Die Höhe der Geburtenrate bzw. die der Geburten hat wiederum Auswirkungen auf die Bedarfs- und Infrastrukturkalkulationen bei Kindergärten und -tagesstätten, Krippen und Schulen, wie Engelhardt-Wölfler zu berichten weiß: »Am Beispiel Bambergs lässt sich das schön zeigen. Der Zensus zählt 9.900 Personen, die zwischen 1994 und 2011 geboren sind, was laut Fortschreibung eine Differenz von plus 300 ergibt. Damit erhöht sich natürlich der Bedarf an Kindergärten, -tagesstätten, Krippen und Schulen.«"

Es ist seit langem bekannt, dass in Deutschland die Geburtenrate unterschätzt wird. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und das Statistische Bundesamt verweigern sich (noch) beharrlich der Anerkennung dieser Realität, wie das gerade erschienene Heft 3 von Bevölkerungsforschung Aktuell belegt. Dort wird noch einmal der Standpunkt aus einer Sendung des DeutschlandRadio bekräftigt.

Man darf wohl vor den Bundestagswahlen nicht mit einer Revidierung dieser Sichtweise rechnen. Einzig die jetzt wohl unvermeidliche Debatte über die Fehlprognosen hinsichtlich des unterschätzten Bedarfs an Kinderbetreuungseinrichtungen könnte hier den notwendigen Druck erzeugen.

CICERO-Titelgeschichte: Hurra, wir wachsen!
Das Demografie-Wunder. Deutschland auf dem Weg zum 100-Millionen-Volk

RINKE, Andreas & Christian SCHWÄGERL (2013): Die 100-Millionen-Chance.
Deutschland schrumpft, sagt die Kanzlerin. Alle Politik dreht sich nur darum, mit dem Schwund zu leben. Aber die Zukunft ist längst da. Deutschland wächst: im vergangenen Jahr um 200 000 Menschen. Und das ist erst der Anfang,
in:
Cicero, Juni

Dumm gelaufen! Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte man sich für diese Titelgeschichte nicht aussuchen können. Kurz vor der Veröffentlichung der Zensusdaten zur Bevölkerungsfortschreibung, kommen die Autoren nun mit Zahlen, die längst überholt sind. Wir wachsen. Ja! Aber auf niedrigerem Niveau und das ist gut so!

"233 000 Hallenser gibt es heute, über 2000 mehr als noch vor vier Jahren,"

verkünden RINKE & SCHWÄGERL überschwänglich über das Symbol der schrumpfenden Stadt, das nach Willen der Autoren zum Symbol der wachsenden Stadt werden soll. Der Zensus 2011 ergibt dagegen im Vergleich zum Mikrozensus 2011 eine um 3211 niedrigere Einwohnerzahl für Halle. Halle mag gewachsen sein, aber auf niedrigerem Niveau. Und das gilt für ganz Deutschland (Ausnahmen wie Bielefeld bestätigen nur die Regel).

Berlin z.B. das Gerd NOWAKOWSKI gerade im Tagesspiegel zum zukünftigen 5 Millionen-Ballungsraum stilisiert hat, die Stadt Berlin ist von heute auf morgen um 175.870 Einwohner bzw. 5 % geschrumpft.

Und es kommt noch schlimmer:

"Demografische Prognosen sind (...) kein Naturereignis, kein unabwendbares Schicksal. Das gilt selbst für die Geburtenrate, die Hauptursache dafür, dass die deutsche Bevölkerung geschrumpft ist. Von rund einer Million Geburten im Jahr 1970 ist die Zahl auf 663 000 im Jahr 2011 gesunken. Die Gruppe der potenziellen Mütter, also von Frauen zwischen 15 und 49 Jahren, wurde als Folge davon allein seit 2004 um rund eine Million kleiner. Weniger Mütter, weniger Kinder, das liegt auf der Hand, dazu kommt die große Anzahl kinderloser Frauen, die die durchschnittliche Kinderzahl drückt",

erzählen uns RINKE & SCHWÄGERL. Während sie bei der Lebenserwartung Auswirkungen des Zensus 2011 aufzeigen, bleiben die Auswirkungen des Zensus 2011 auf die Geburtenrate unerwähnt.

Die Bevölkerungswissenschaftlerin Henriette ENGELHARDT-WÖLFLER von der Universität Bamberg geht von rund 600.000 weniger potenziellen Müttern allein bei den 20 - 40 jährigen Frauen aus. Dies bedeutet, dass die Geburtenrate bereits 2011 über 1,4 (TFR) lag, denn die Zahl der Geburten bleibt unverändert. Wenn weniger gebärfähige Frauen die gleiche Zahl von Kindern geboren haben, dann war zwangsläufig in den vergangenen Jahren die Geburtenrate höher.

Wie viel, das erfahren wir hoffentlich bald - vorausgesetzt die Öffentlichkeit macht Druck. Denn unsere Presse schläft selig, was den demografischen Wandel betrifft! Oder wie kann es sein, dass dieser wichtige Aspekt des Zensus 2011 sich nicht in Windeseile verbreitet?

RINKE, Andreas & Christian SCHWÄGERL (2013): Und Deutschland wächst doch.
Volkszählung und Schrumpfungslogik: Die Ergebnisse des Zensus sagen wenig über die künftige Entwicklung der Bevölkerung aus, aber viel über die demografische Verblendung in Deutschland,
in:
Cicero Online v. 01.06.

Dumm gelaufen! Einen Tag nach der Veröffentlichung der Zensus 2011-Ergebnisse müssen nun RINKE & SCHWÄGERL Missverständnisse ausräumen, die gar nicht entstanden wären, hätten die Autoren mit ihrem Cicero-Artikel die Veröffentlichung der Zensusergebnisse 2011 abgewartet.

Und warum soll jetzt eigentlich Zensus statt Mikrozensus 2011 richtig sein, wie die Autoren am Ende des Artikels schreiben? Offenbar sind die Autoren ein wenig verwirrt. Ihre Daten, die sie im Cicero veröffentlichten, stammten vom Mikrozensus 2011. Warum soll das nun falsch sein? Nur weil der Zensus 2011 im Gegensatz zum Mikrozensus 2011 niedrigere Zahlen ausweist?

Interessanter als diese Reaktion, ist das Interview von Marie AMRHEIN mit Norbert F. SCHNEIDER, dem Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung am Tag der Veröffentlichung der Zensus 2011-Ergebnisse. Erstmals räumt ein Repräsentant des Instituts ein, dass die Geburtenrate bereits jetzt höher liegen könnte als 1,4. Bislang weigerte man sich dort hartnäckig, dies anzuerkennen:

"Marie Amrhein: James Vaupel, Direktor am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, sagt im aktuellen Cicero, er sähe Anzeichen dafür, dass die offiziellen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung „daneben liegen“.
Norbert F. Schneider: Bei der Geburtenrate kann das stimmen. Die amtlichen Prognosen gehen auch von der Variante aus, dass die Geburtenrate in zehn Jahren von 1,4 auf 1,6 ansteigt. Dabei liegt sie wahrscheinlich heute schon bei 1,6 Kindern pro Frau. Grund sind unterschiedliche Modelle zur Berechnung von Tempoeffekten.
Können Sie die erklären?
Die Vorausberechnungen der amtlichen Statistik rechnen mit der Total Fertility Rate (TFR), der durchschnittlichen Kinderzahl pro Frau je Kalenderjahr. Man geht davon aus, dass sich das Geburtenverhalten der in diesem Jahr 15-jährigen Mädchen in den nächsten dreißig Jahren so entwickelt, wie bei den dreißig Frauenjahrgängen vor ihnen. So ergeben sich die 1,4 Kinder. Wenn die Menschen in den letzten Jahren ihre Kinder aber immer später bekommen haben, dann führt das zu einer systematischen Unterschätzung dieser Zahl."

Bislang argumentierte man, dass es zwei unterschiedliche Berechnungsarten gäbe, die aber nichts miteinander zu tun hätten, ergo die Geburtenrate TFR die einzig Richtige sei. Auf single-generation.de wurde das immer wieder kritisiert, zuletzt ausführlich im Winterthema vom Oktober 2012.

Mit dem Zensus 2011, durch den nun auch die Geburtenrate TFR nach oben korrigiert werden muss, lässt sich die bislang verfolgte Linie nicht mehr aufrechterhalten.

Wie lange dauert es also noch, bis die aktualisierte Geburtenrate verfügbar ist? Warum schläft unsere Presse in dieser Frage selig?

SCHWENTKER, Björn (2013): Irren ist amtlich.
In Deutschland leben 1,5 Millionen Menschen weniger als gedacht. Der Zensus 2011 offenbart, wie ungenau die Republik ihre Einwohnerzahlen kennt. Nun steht das gesamte Erhebungsverfahren zur Debatte,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 02.06.

DORBRITZ, Jürgen & Robert NADERI (2013): Trendwende beim Kinderwunsch?
in: Bevölkerungsforschung aktuell, Nr.4, August

KOCH, Hannes (2013): Demograf Dracula.
Arbeit: Ökonomen schwärmen schon vom Ende der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Doch so wird es wohl nicht kommen,
in: Freitag Nr.32 v. 08.08.

Die FAZ hat bereits im Frühjahr das Paradies der Vollbeschäftigung herbeigeschrieben. Unter Berufung auf den DIW-Ökonomen Karl BRENKE schreibt dagegen Hannes KOCH:

"In zehn Jahren könnte das Angebot an Arbeitskräften größer und die Zahl der offenen Stellen kleiner sein, als die Anhänger der These von der Vollbeschäftigung glauben."

SCHWENTKER, Björn (2013): Stichprobenfehler bei Volkszählung: Juristen halten Zensus für gesetzwidrig.
Verstößt der Zensus 2011 gegen das Gesetz? Datenrecherchen von SPIEGEL ONLINE zeigen: Die Stichprobe, aus der die neuen Einwohnerzahlen hochgerechnet wurden, war wesentlich ungenauer als erlaubt. Nun droht eine Klagewelle,
in:
Spiegel Online v. 19.08.

DESTATIS (2013): 80,5 Millionen Einwohner am Jahresende 2012 –Bevölkerungszunahme durch hohe Zuwanderung,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 27.08.

"Die Zahl der Gestorbenen übersteigt die Zahl der Geborenen immer mehr. Das dadurch rasant wachsende Geburtendefizit kann nicht von der Nettozuwanderung kompensiert werden. Die Bevölkerungszahl in Deutschland, die bereits seit 2003 rückläufig ist, wird demzufolge weiter abnehmen. Bei der Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklung wird die Einwohnerzahl von circa 82 Millionen am Ende des Jahres 2008 auf etwa 65 (Untergrenze der »mittleren« Bevölkerung) beziehungsweise 70 Millionen (Obergrenze der »mittleren« Bevölkerung) im Jahr 2060 abnehmen",

hieß es in der Einführung zur 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung vom November 2009. Im Juli 2012 hieß es dann in einer Pressemeldung:

"Zum Jahresende 2011 stieg nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) die Einwohnerzahl Deutschlands im Vergleich zum Vorjahr um 92 000 Personen (+ 0,1 %) auf mehr als 81,8 Millionen. Dies ist die erste, wenn auch nur leichte Zunahme der Bevölkerung in Deutschland seit 2002. Hauptursache war die deutlich gestiegene Zuwanderung in 2011"

2012 ist die Bevölkerung erneut gestiegen - eine Entwicklung, die nicht vorgesehen ist.

Und es kommt noch schlimmer! Da der Zensus 2011 eine um 1,5 Millionen geringere Zahl von Einwohnern sowie Verschiebungen im Bevölkerungsaufbau erbrachte, muss sowohl die Geburtenrate als auch die rohe Geburtenziffer nach oben korrigiert werden. Die aktuelle 12. Bevölkerungsvorausberechnung muss also so schnell wie möglich ersetzt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch die Umstellung der Berechnungen auf die Basis des Zensus 2011. Dafür lässt sich das Statistische Bundesamt jedoch Zeit. Könnte man sonst keinen populistischen Familienwahlkampf führen?

TSCHECHNÉ, Martin (2013): Ein Land ohne Kinder?
Zoë ist drei Jahre alt. Wenn sie fünfzig ist, wird sie immer noch zu den Jüngeren gehören. Und ihre Chancen stehen gut, einmal hundert zu werden. Unsere Gesellschaft ändert sich, sie wird älter. Wissenschaftler bieten schon heute Einblicke in diese Zukunft. Und sie sagen, wo wir gegensteuern müssen,
in: Psychologie Heute,
September

Bereits der Untertitel verrät es: Die Zeitschrift ist eine Publikation für Besserverdienende, denn die Mehrzahl der Bevölkerung wird eher nicht die versprochenen 100 Jahre erreichen. Die soziale Ungleichheit wächst in Deutschland und die Altersarmut ist politisch gewollt auf Zunahme programmiert. Beides steht einer weiteren Höherentwicklung der Lebenserwartung entgegen.

Wenn der jetzige Trend zur Entwicklung einer kleinen oberen Mittelschicht, die zusammen mit der Oberschicht die Gewinner der gegenwärtigen Gesellschaftsentwicklung sind, und einer größer werdenden mittleren und unteren Mittelschicht, die zusammen mit der Unterschicht zu den Verlierern zählen wird, dann sieht unsere Bevölkerung bis zum Jahr 2060 ganz anders aus, als es Demagogen wie Martin TSCHECHNÉ uns heute erzählen. Der "Vergnügungsdampfer in der Karibik", auf den die Rentner "verbannt" sein sollen - diese Vision ist dann so veraltet wie futuristische Visionen der 1960er Jahre für das Jahr 2000. Und das waren nur 40 Jahre und keine 50 Jahre wie bei unseren Kaffeesatzlesern.

Was passiert, wenn die soziale Schließung sich weiter verstärkt? Wenn der Kampf um Bildung härter wird, wie das der Soziologe Heinz BUDE in seinem Artikel Das prekäre Gut der Bildung (Merkur, August 2013) beschreibt?

"Es ist ein soziales Gesetz, dass Familien erhebliche Anstrengungen unternehmen, um den erreichten sozialen Status in der Generationenfolge zu sichern. Hat man mehr als drei Kinder, kann man lockerer und fehlerfreundlicher an diese Aufgabe herangehen, als wenn lediglich ein oder zwei Kinder in der Familie existieren. (...).
In der Mitte freilich reduziert sich die Kinderzahl und steigt das Investitionsbewusstsein in Bezug auf das einzelne Kind."

Gibt es eine homogene Mitte überhaupt noch oder haben sich nicht schon unterschiedliche Strategien herausgebildet? Cornelia KOPPETSCH beschreibt in ihrem Buch Die Wiederkehr der Konformität drei Strategien im Kampf der Mittelschicht gegen den befürchteten Abstieg. Demnach beschreibt BUDE lediglich die Strategie der oberen Mittelschicht, die sich ums Erbe dreht.

Die Bevölkerungsentwicklung hängt keineswegs von demografischen Sachzwängen ab, sondern in erster Linie vom Ausgang der politischen Kämpfe in der Mitte. Die zukünftige Bevölkerungsentwicklung ist nicht vorprogrammiert wie uns unsere Demagogen in Sachen demografischer Wandel erzählen, sondern sie ist eine politische Richtungsentscheidung.

WELT-Themenausgabe: Keine Angst vor der Zukunft

GOTTHOLD, Kathrin & Karsten SEIBEL (2013): Der Kampf um einen schönen Ruhestand.
Den Lebensstandard zu halten, wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Auch Wohlhabende stehen vor Problemen,
in: Welt v. 06.09.

Die Finanzdienstleister sind auf der Suche nach neuen Zielgruppen für die Altersvorsorgelücke. Bernd RAFFELSHÜSCHEN, der gerne als "Altersvorsorge-Experte" tituliert wird - aber lediglich Lobbyist der Finanzdienstleister ist und an vorderster Front mithalf die gesetzliche Rente zu diskreditieren - darf Werbung betreiben. Eine Zielgruppe sind kinderlose Immobilienbesitzer:

"»Vor allem kinderlose Immobilienbesitzer (...)« (...)(sollen) in zwanzig Jahren ein Drittel aller Alten ausmachen."

Eine Prognose, die kaum wahrscheinlich ist, höchstens man zählt Eltern, deren Kinder aus dem Hause oder bereits gestorben sind, zu den Kinderlosen.

Ganz unverhohlen wird Werbung betrieben, wenn Studien von Versicherungen einfach wiedergekäut werden wie z.B. im Bereich der Pflege, wo analog zur Altersvorsorgelücke die "Pflege-Lücke" propagiert wird.

Mit welchen statistischen Tricks die Zukunft von Lobbyisten der Finanzdienstleister düster gezeichnet werden, kann man bei Gerd BOSBACH & Jens Jürgen KORFF im Beitrag Altersarmut in einem reichen Land nachlesen.

KUHN, Eva & Reiner KLINGHOLZ (2013): Vielfalt statt Gleichwertigkeit. Was Bevölkerungsrückgang für die Versorgung ländlicher Regionen bedeutet, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Kooperation mit dem Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) Potsdam

Broschüre des privaten Propagandainstitut, das mediale Erregung produziert, um die Demographisierung gesellschaftlicher Probleme gesellschaftsfähig zu machen.

HAUN, Daniel (2013): Werden wir wirklich zu alt?
Dossier: Vier Irrtümer über den Demografiewandel und eine Bitte an den Bundestag,
in:
ZEITWISSEN, Oktober/November

RIEVELER, Hans D. (2013): Unseren täglichen Fachkräftemangel gib uns heute!
Wirtschaftslobbyisten müssen sich nicht sorgen, dass die Vierte Macht im Staat ihr Stoßgebet erhört. Deutschlands Medien streuen immer wieder kritiklos die Ergebnisse sogenannter Studien von INSM, IW, Bertelsmann Stiftung & Co. unters Volk,
in:
Telepolis v. 28.10.

DESTATIS (2013): Zuwanderung nach Deutschland steigt im 1. Halbjahr 2013 um 11 %,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 21.11.

Wie schnell Bevölkerungsvorausberechnungen veraltet sind, das lässt sich an der 12. Bevölkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2009 demonstrieren, die vor genau 4 Jahren erstellt wurde. Danach war man von einem permanenten Bevölkerungsrückgang in Deutschland ausgegangen.

 
Jahr Bevölkerungsstand (gemäß Statistischer Jahrbücher) Bevölkerungsstand (gemäß Homepage DESTATIS)
2009 81 802 81 802
2010 81 752 81 752
2011 81 844 80 328
2012 82 040* 80 524
* Fortschreibung ohne Zensuskorrektur (eigene Berechnung)

Das Statistische Bundesamt hat auf seine Fehlprognosen schnell reagiert und inzwischen auf seiner Homepage für die Jahre 2011 und 2012 die niedrigeren Bevölkerungszahlen, die sich aus dem Zensus 2011 ergeben haben, publiziert. Merkwürdigerweise gilt das für die Geburtenrate jedoch nicht.

Es ist ersichtlich, dass die Bevölkerung seit 2010 gewachsen ist (während die Homepage ein Wachstum erst ab 2011 suggeriert, denn ein Hinweis auf die Zensus-Korrektur fehlt), also kaum, dass die Bevölkerungsvorausberechnung publiziert war. Nichtsdestotrotz werden uns andauernd Vorausberechnungen für die Jahre 2030 oder gar 2060 präsentiert. Was sind solche Berechnungen wert, außer dass damit politisch Missbrauch getrieben wird?

Zusätzlich zu denken geben sollte, dass ca. 1,5 Millionen Deutsche weniger per Zensus 2011 die vergangenen Jahre nicht aufgefallen sind.

RÖTZER, Florian (2013): Demografische Spielereien.
In Großbritannien könnte sich die Bevölkerung in 100 Jahren verdoppeln, in Deutschland ist entgegen den Vorhersagen die Bevölkerung gewachsen,
in:
Telepolis v. 13.12.

KNÖDLER, Gernot (2013): Überwiegend Schwund im Norden.
Wandel: In Norddeutschland werden in Zukunft immer weniger Menschen leben. Vor allem die Jungen zieht es in die Städte. Das heißt aber nicht, dass ländliche Gebiete in Zukunft keine Chance mehr hätten,
in:
TAZ Nord v. 14.12.

HASEBORG, Volker ter/MIKUTEIT, Hanna-Lotte/SCHWENTKER, Björn (2013): Die Volks(ver)zählung.
Dossier: Plötzlich gab es 83.000 Hamburger weniger. Ganz offiziell. Denn so ergab es der Zensus, eine hochgerechnete Stichprobe, organisiert vom Statistischen Bundesamt. Doch die Zweifel werden immer größer. Zu viele Fehler, zu viele Widersprüche,
in:
Hamburger Abendblatt v. 21.12.

Weil der Zensus 2011 für einzelne Städte und Gemeinde Nachteile bringt, ist der Zensus umstritten. So muss z.B. die Stadt Hamburg nun 75 Millionen Euro in den Länderfinanzausgleich nachzahlen, statt wie bisher sich daraus bedienen zu dürfen. Bei Unterschreitung der 20.000 Einwohnermarke verliert eine Kommune wie Quickborn Zuständigkeiten in der Verwaltung. Die Autoren schreiben:

"Rund 50 Gesetze und Verordnungen hängen am Zensus-Ergebnis. Es bestimmt, welches Bundesland in den Finanzausgleich einzahlt, und welches Land Geld bekommt. Die Einwohnerzahl entscheidet darüber, wie viele Flüchtlinge die Bundesländer aufnehmen müssen. Und wie die Wahlkreise zugeschnitten werden. Sie entscheidet, wie viel Geld Bürgermeister verdienen und wie viele Gemeindevertreter in den Kommunalvertretungen sitzen. Auch in den Beziehungen mit den anderen EU-Ländern wird sich das Ergebnis im kommenden Jahr auswirken."

Die Frage stellt sich jedoch, warum gibt es keinen vergleichbaren Widerstand gegen die amtliche Statistik, wenn NUR Bürger von den Auswirkungen der fehlerhaften amtlichen Statistik betroffen sind? So wurde z.B. erst ab 2008 die Kinderlosigkeit in Deutschland durch den Mikrozensus erfasst (jedoch nur alle 4 Jahre!). Das Bundesverfassungsgericht verurteilte jedoch Kinderlose auf Basis falscher Schätzungen bereits 2001 zu einem höheren Beitragssatz in der Pflegeversicherung. Niemand stört sich daran, dass die Pflegeversicherung keine Daten dazu liefert, wie viele Kinderlose von der höheren Beitragszahlung betroffen sind.

Und wie steht es mit den Singles? Bis heute werden Paare ohne gemeinsamen Haushalt in der amtlichen Statistik wie Partnerlose geführt. Selbst gleichgeschlechtliche Paare werden amtlicherseits geführt. Haushaltsübergreifende Bindungen werden dagegen negiert, obgleich diese unsere Städte z.B. in Form von Multilokalität verändern. Mitte der 1990er Jahre berechnete der Sozialstrukturforscher Stefan HRADIL auf Basis falscher Annahmen zur Entwicklung Alleinlebender den Pflegebedarf aufgrund des steigenden Singleanteils. Eine Überprüfung anhand der tatsächlichen Entwicklung des Pflegebedarfs zeigt, dass der Einfluss der steigenden Zahl von Alleinlebenden auf den Pflegebedarf wesentlich geringer ist. Was ist also aus all diesem "Datenmüll" geworden, mit dem man die Bevölkerung im Zeichen des angeblichen Sachzwangs "Demografischer Wandel" gefüttert hat? Wer überprüft eigentlich die Annahmen der Vergangenheit, damit daraus für die Zukunft gelernt werden kann? Offenbar kein Datenjournalist! 

Wenn also das Gehalt eines Bürgermeisters negativ von der mangelhaften Erhebung statistischer Daten betroffen ist (wie viel Bürgermeister verdienen durch den Zensus eigentlich mehr?), dann kümmern sich plötzlich Datenjournalisten im Namen der Transparenz um die Angelegenheit. Wenn dagegen Millionen von Bürgern von mangelnder Transparenz betroffen sind, dann ist das den Datenjournalisten völlig egal.

 
     
 
       
   

weiterführender Link

 
       
   

Deutschlands Zukunft im Spiegel der Öffentlichkeit (Teil 5): 2014

 
       
   
 
   

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Update: 11. Februar 2019